Gewaltverherrlichung im Internet? Heidi Reichinnek zeigt Leipziger Uni-Professor an

Einem Leipziger Jura-Professor wird Gewaltverherrlichung und Frauenfeindlichkeit vorgeworfen. Studierende rufen zum Protest gegen ihn auf, Linke-Politikerin Heidi Reichinnek hat ihn angezeigt. Der Professor freut sich sogar, umstritten zu sein.

„Das ist keine Satire. Das ist Sexismus mit akademischem Abschluss“, schreibt Christina Christiansen. Die Verbalattacke der Autorin des Buchs „Deutschland, du mieses Stück Realität“ gilt einem Jura-Professor der Universität Leipzig und dessen „X“-Post gegen eine Politikerin. Nicht nur aus ihrer Sicht hat Tim Drygala dabei eine Grenze überschritten.

Für den frühen Donnerstag um 8.30 Uhr hat das Studierenden-Kollektiv Leipzig zu einem Protest am Haupteingang der Hochschule auf dem Augustusplatz aufgerufen. Anlass sind Vorfälle an der Universität, im Fokus aber steht die Veröffentlichung Drygalas vom 26. September.

Türschlag gegen Heidi Reichinnek

Darauf zu sehen ist das Porträt von Heidi Reichinnek, Linken-Fraktionschefin im Bundestag, das an einer Kühlschrank-Tür klebt. Weil diese schlecht schließe, müsse man „immer mit der Faust dagegen schlagen, damit sie richtig zu ist“, schreibt der 62-Jährige. „Damit ich das nicht vergesse, habe ich mir jetzt einen kleinen Reminder gebastelt. Funktioniert 1a.“

Im Netz hagelt es Kritik. „Angesichts seiner beruflichen Stellung kann man nur hoffen, dass arbeitsrechtliche Konsequenzen folgen werden“, schreibt ein User. Christiansen ist entsetzt, „dass ein Mann, der jungen Juristinnen und Juristen Rechtsstaatlichkeit beibringt, sich über Gewalt gegen Frauen lustig macht“.

Mitglied in neuer Petry-Partei

Zuletzt kursierte auch ein Flugblatt auf dem Uni-Gelände, bei dem eine Autorin namens „Lady Whistledown“ die „frauenverachtenden, diskriminierenden und verächtlichen Kommentare“ Drygalas verurteilt. Umstritten ist der Uni-Professor zudem als Gründungs- und Vorstandsmitglied der neuen Partei „Team Freiheit“ von Ex-AfD-Chefin Frauke Petry.
Bereits am 26. September stellte die Linke-Landtagsabgeordnete Luise Neuhaus-Wartenberg eine Anfrage an die Staatsregierung in Dresden. Sie will wissen, welche Konsequenzen Land, Fakultätsleitung und Uni-Leitung aus den „in Teilen gewaltverherrlichenden und frauenverachtenden Äußerungen“ des Professors ziehen. Die Frist zur Beantwortung endet am 11. November.

Uni äußert sich verhalten

Gegenüber der LVZ äußert sich die Hochschule verhalten. „Private Äußerungen, die auf privaten Social-Media-Accounts getätigt werden, sind durch die Universität nicht zu verhindern, auch nicht zu bewerten – eben weil sie privat getätigt werden“, sagt Sprecher Carsten Heckmann.

Das gelte unabhängig davon, ob Mitgliedern von Hochschul- und Fakultätsleitung Äußerungen einzelner Hochschulangehöriger missfallen. „Natürlich fallen Äußerungen mitunter auf die Hochschule zurück. Es wurden und werden dementsprechend intern Gespräche geführt, um das Bewusstsein für Diskriminierungsfreiheit zu stärken.“ Ob auch mit Drygala gesprochen wurde, möchte Heckmann nicht sagen.

Internes Kopfschütteln

Anonym ist von Mitarbeitern der Hochschule zu hören, dass man schon länger den Kopf über Kommentare und Haltung Drygalas schüttele. Auf seinen Accounts wettert er auch gegen die öffentlich-rechtlichen Sender und „Wokisten“.

Der Reichinnek-Post fiel der Universität offenbar auf, wie Drygala gegenüber der LVZ bestätigt: „Ich hatte ihn zeitweise gelöscht, nachdem unsere Dekanatsverwaltung sich über damit verbundenen Verwaltungsaufwand beschwert hatte.“ Er habe dies mit Rücksicht auf den Dienstbetrieb getan. Inzwischen habe Frauke Petry den Post „mit meiner Zustimmung auf ihrem Account hochgeladen.“

Drygala verteidigt seinen Post

Den Vorwurf des Sexismus weist Drygala von sich. Es gehe bei seiner Veröffentlichung nicht generell um Frauen, sondern um Reichinnek. „Diese Frau möchte den Sozialismus in Deutschland wieder einführen“, so Drygala. „Ihre Partei überlegt öffentlich, ob man ‚Reiche‘, und da fühle ich mich angesprochen, besser erschießen oder besser zur Zwangsarbeit verpflichten sollte.“

Damit spielt er auf eine Rednerin an, die sich bei der Linken-Konferenz 2020 in Kassel so geäußert hatte. Der Leipziger Linke-Bundestags-Abgeordnete Sören Pellmann warnt davor, die damalige Entgleisung zu instrumentalisieren. „Die Linke will nicht Reiche erschießen lassen, sondern stellt die Eigentumsfrage“, erwidert er.

Mit dem Post jedenfalls wollte Drygala, wie er erklärt, seine starke Ablehnung gegenüber der Person Reichinnek und ihrer politischen Haltung symbolisch zum Ausdruck bringen. Die Art sei „provokativ, das stimmt. Auf einen groben Klotz gehört auch ein grober Keil.“

Den Protest der sozialistischen Studierendenorganisation am Donnerstag will er nicht ernst nehmen: „Das ist eine kleine Gruppe linksextremer Studenten, für mich sind das Spinner.“

Studierende fordern Konsequenzen

Die Gruppe verweist darauf, dass Drygalas Verhalten Ausdruck eines Systems an der Uni sei, „in dem patriarchale und reaktionäre Machtverhältnisse eng miteinander verwoben sind“.

Drygala schaffe „mit seinen rechten Tweets und Gewaltfantasien“ ein Klima der Unsicherheit für Studierende. Solche Vorfälle sind kein Zufall, sondern Symptom eines Patriarchats.“ Von der Universität fordert das Studierenden-Kollektiv „klare Konsequenzen und den Schutz ihrer Studentinnen“.

Reichinnek hat Anzeige erstattet

Die buchstäbliche Zielscheibe des Posts, Heidi Reichinnek, reagiert ebenfalls auf Drygalas Attacke. „Jeden Tag werden mehr als 700 Frauen Opfer von körperlicher Gewalt. Wer wirklich denkt, Gewalt gegen Frauen sei ein Witz, legt genau dafür die Basis“, sagt sie gegenüber der LVZ. „Entsprechend werde ich eine solche Äußerung nicht einfach stehen lassen, sondern habe Anzeige erstattet.“

Der Professor wundert sich darüber. „Der Post ist klar von der Meinungsfreiheit gedeckt. Dazu gibt es Rechtssprechung zu vergleichbaren Fällen – ein Bild von Strauß auf dem Boxsack, AfD-Politiker auf Konservendosen beim Dosenwerfen – das ist alles völlig legal.“ Die für ihn „unbegründete Strafanzeige soll nur dazu dienen, Andersdenkende einzuschüchtern“.

Drygala betont, dass sein Account auf „X“ privat ist und weder Arbeitgeber noch den Professorentitel nennt. „Man sollte beides nicht vermischen, und insbesondere nicht versuchen, eine politische Auseinandersetzung, hier zwischen Team Freiheit und Die Linke, in einen beruflichen Zusammenhang zu stellen.“ Dass Druck auf die Universität ausgeübt werde, „das ist ein klassischer Fall von abzulehnender Cancel Culture“.

Dem aktuell wachsenden Gegenwind kann Drygala aber auch etwas Positives abgewinnen. „Bin jetzt auch umstritten“, steht seit dem 9. Oktober auf „X“. Und: „Irgendwie freut mich das.“ Warum? Auf LVZ-Nachfrage heißt es, er möge es, „wenn sich Menschen an meinen Beiträgen reiben, denn das ist ihr Zweck.“