„L’Amour toujours“ gespielt Drei Jugendliche bei Streit in Torgau verletzt – rassistische Parolen gerufen

In Torgau ist ein Streit unter Jugendlichen eskaliert. Es werden auch rassistische Parolen skandiert. Drei Mädchen werden verletzt.

Bei einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen von Jugendlichen am Bahnhof in Torgau sind drei Mädchen verletzt worden. Wie die Polizei mitteilte, sollen bei dem Vorfall am Freitagabend auch rassistische Parolen gerufen worden sein.

Demnach waren die Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 17 Jahren zuvor wenige Kilometer vom Bahnhof entfernt zunächst in einen Streit geraten. Der Auslöser dafür war zunächst unklar.

Ausländerfeindliche Parolen zu Gigi D’Agostino

Im Verlauf der Auseinandersetzung eskalierte die Situation. Mindestens drei Mädchen wurden verletzt, unter anderem durch Schnittverletzungen. Nach Polizeiangaben sollen einige außerdem lautstark rassistische Parolen zu dem Lied „L’Amour toujours“ von Gigi D’Agostino gesungen haben.

Die Polizei ermittelt wegen des Anfangsverdachts der gefährlichen Körperverletzung sowie der Volksverhetzung.

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Antonie Rietzschel
16.05.2025

Ist der Hitlergruß der neue Mittelfinger?

„Ausländer-raus“-Rufe bei Partys, der erhobene rechte Arm auf offener Straße: Dahinter steckt längst nicht mehr nur die Lust an der Provokation. Sondern auch eine Feindseligkeit, die zur Normalität zu werden droht. Wie will man dagegen ankommen?

Der rassistische Spruch kommt aus dem Nichts: Mit einer Freundin sitze ich in der S-Bahn. Es ist ein herrlicher Tag im April, wir wollen in die Sächsische Schweiz. Im Waggon sitzt auch eine Männergruppe. Auf einmal brüllt einer von ihnen: „Döp dödödöp“ und „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.

Vor knapp einem Jahr hatten Feiernde auf Sylt genau das gerufen, unterlegt mit der Melodie von „L´Amour toujours” von Gigi D’Agostino. Als sei diese rassistische Parole einfach nur ein Partygag. Auch die Männer in der S-Bahn scheinen ihr Gegröle eher lustig zu finden. Und der Rest der Ausflugsfreudigen: Irritierte Blicke, das war’s. Ich merke, wie ich innerlich hochfahre, beginne zu fluchen. Die Freundin neben mir merkt das, bremst mich: „Genau das wollen die doch.“ Und hat sie nicht recht?

Die Empörung über Sylt stachelte auch viele an

„Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ – das brüllten früher Neonazis auf Demonstrationen. Die NPD druckte ihn auf Plakate. Als auf Sylt und anderswo „Ausländer raus“ gerufen wurde, zu Partymusik und beim Feiern, war die Aufregung groß: Die damalige Innenministerin meldete sich zu Wort, DJs entschieden, das Lied gar nicht mehr zu spielen. Aber es gab auch viele, die sich genau durch diese Empörung angestachelt fühlten.

Die rassistische Parole, sie ist seitdem immer wieder zu hören: auf Partys oder eben in der S-Bahn, zur Einstimmung auf den Wandertag.

Und mittlerweile ist selbst das größte Tabu keines mehr: 2024 ist die Zahl der politisch rechts motivierten Propaganda-Delikte angestiegen, dazu zählt zum Beispiel der Hitlergruß. Und wer sich die Polizeimeldungen zu diesen Fällen anschaut, findet etwa diese hier: In Sozialen Medien tauchen Videos von Kindern und Jugendlichen auf, wie sie ihren rechten Arm heben. In Dresden zeigt ein Mann den Hitlergruß, als ihn die Polizei kontrollieren will. Das Gleiche passiert im Leipziger Stadtteil Connewitz, als Beamte Ladendiebe stellen. Als sei der Hitlergruß eine Mutprobe oder eine neue Art, dem System Mittelfinger zu zeigen.

Aber geht es hier wirklich noch um Provokation, wie es meine Freundin in der S-Bahn vermutet? Darum, Grenzen auszutesten, Widerspruch und Empörung auszulösen?

Wer seinen Hass für sich behalten hat, fühlt sich bestärkt
„Über diese Phase sind wir längst hinweg“, sagt der Leipziger Sozialwissenschaftler Johannes Kiess. „Die Normalisierung von Rassismus und Rechtsextremismus ist weit fortgeschritten.“ Und tatsächlich ist es ja so, dass der Hitlergruß auch auf der politischen Bühne gezeigt werde: von dem US-Milliardär Elon Musk etwa.

Auch in Deutschland, besonders in Sachsen, ist die Zunahme rassistischer Parolen und NS-Symbole, nicht überraschend: Die rechtsextreme NPD schaffte es hier in den 2000ern-Jahren in den Landtag. Jetzt sitzt dort die AfD. Die hat als Protestpartei angefangen, sich aber immer weiter radikalisiert. Mittlerweile gilt sie als gesichert rechtsextrem – und trotzdem hat sie eine große Wählerschaft.

In dieser politischen Stimmung haben sich Realitäten verkehrt: Wer seinen Hass bisher für sich behalten hat, fühlt sich bestärkt. Wer widerspricht, muss sich erklären, gilt schnell als Mimose oder als linker Spinner, der Sprechverbote erteilt.

Und damit sind wir wieder, wo dieser Text angefangen hat, in der S-Bahn Richtung Sächsische Schweiz und bei „Döp dödödöp“. Auch ich muss überlegen: Wie gehe ich mit einer Gruppe Männer um, die scheinbar zum Spaß rassistische Parolen ruft? Fühle ich mich sicher genug, zu widersprechen? Am Ende sage ich nichts.

Es gibt gute Gründe, genauso zu reagieren – der Ohnmacht zum Trotz. Es gibt auch nicht das eine richtige Verhalten in solchen Situationen, sagt der Sozialwissenschaftler Johannes Kiess. Aber es gibt Ideen und Empfehlungen. Die von Kiess lautet: Die Situation ernst nehmen, Umstehende einbeziehen, bei einer Reaktion eher persönlich sein, weniger moralisch. Also: „Ich fühle mich von dem, was ihr hier singt, gestört und bedroht“. Und nicht: „Ich will nicht, dass ihr sowas hier singt“. Es sei besser, darüber zu sprechen, was „Ausländer raus“ denn konkret bedeuten soll, zu fragen: „Verstehst du, was das mit mir macht?“

Eine Feindseligkeit, die zur Normalität wird

Es geht also um Empathie, darum zu verstehen: Hinter „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ steckt eine Feindseligkeit, eine Härte, die sich gegen alles wendet, was als anders wahrgenommen wird: gegen Menschen mit anderer Hautfarbe, anderer Sprache. Gegen Menschen, die anders lieben, anders denken, anders Politik machen. Das zeigen die Einschüchterungsversuche gegen Organisatoren queerer Veranstaltungen, gegen Bürgermeister und Stadträte, der Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke vor einem Jahr.

Die Feindseligkeit, die ich in der S-Bahn in die Sächsische Schweiz spürte, sie droht zur Normalität zu werden, treibt rechtsextreme Kräfte an, ermutigt jene, die glauben, ihre Ziele mit Gewalt umsetzen zu müssen. Schon jetzt steigt die Zahl der Angriffe. Wer da nicht mitmachen will, widerspricht, ist keine Mimose, kein linker Spinner. Sondern einfach menschlich.

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Antonie Rietzschel
21.05.2025

„L’amour toujours“ und die Angst vor „Ausländer raus“ in Sachsen

Im Party-Jahr 2025 verzichten Veranstalter und DJs in Sachsen auf den Song „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino. Sie hoffen, so rassistische Parolen verhindern zu können – und schwierige Diskussionen.

Wenn Lauter-Bernsbach in diesem Jahr das „Vugelbeerfast“ feiert, dann wird es viel Neues geben: Einen Flohmarkt, vielleicht sogar ein Riesenrad, mehr Bühnenprogramm – und dann ist da die Sache mit der Musikauswahl für die abendliche Party: Die Stadt wird sich vorab überlegen, welche Lieder nicht gespielt werden. Sie will Szenen wie im letzten Herbst vermeiden.

Damals ließ der DJ im Festzelt „L`amour toujours“ von Gigi D’Agostino laufen und aus der Menge heraus riefen Einzelne: „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus“. Ein Video davon machte in den sozialen Netzwerken die Runde, Medien berichteten.

Das, was in Lauter-Bernsbach im Erzgebirge geschah, passierte 2024 an vielen Orten in Deutschland – Ausgangspunkt war ein verwackeltes Video aus der Pony-Bar auf der Nordsee-Insel Sylt.

Es gab Empörung, aber auch viele Nachahmer. Bis April 2025 zählt die Polizei bundesweit etwa 530 Einsätze wegen „L`amour toujours“ – mindestens. Mehrere Bundesländer, darunter auch Sachsen, konnten auf Nachfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) keine Zahlen nennen. Häufig wurden die Ermittlungen eingestellt. „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus“ ist zwar menschenfeindlich und rassistisch – aber nicht verboten.

Beim „Vugelbeerfast” in Lauter-Bernsbach hatte ein Gast zusätzlich zu dem Gegröle den Hitlergruß gezeigt. Die Polizei schaltete sich ein, konnte die Person jedoch nicht ausfindig machen. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hat die Ermittlungen deswegen mittlerweile eingestellt.

„Dummköpfe“, die sich „einen Spaß“ machen?

Thomas Kunzmann ist seit 17 Jahren Bürgermeister in Lauter-Bernsbach, er versteht Kritik an der Flüchtlingspolitik. Aber deswegen „Ausländer raus“ raus bei einer Party grölen, NS-Symbole zeigen? „Das beschämt mich“, sagt er. Der Abend, das Video – es hat ihn aber auch aus anderen Gründen beschäftigt: Seine Stadt, das „Vugelbeerfast“ war plötzlich in den Nachrichten, hatte seinen Stempel weg. Und das, obwohl auf dem Video auch zu sehen ist, dass viele Besucher im Zelt aufhören zu tanzen, einige gehen.

Kunzmann bekam Zuschriften, Anrufe, führte viele Gespräche. „Sollte man nicht Demonstrationen organisieren?“, wurde er gefragt. Aber auch: „Haben die Rufer nicht recht?“ Sponsoren meldeten sich.

Wie macht man da als Veranstalter weiter?

Diese Frage stellt sich auch Stefan Tröger. Er ist der Betreiber der Muldentalhalle in Grimma, seine Veranstaltungsfirma „Sunside Events“ organisiert Konzerte, Sportveranstaltungen und Partys. „Die Leute sollen den alltäglichen Wahnsinn vergessen, loslassen können“, sagt Stefan Tröger. Doch dann riefen Feiernde bei einer „Beachparty“ im vergangenen August „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus“. „Ein paar Dummköpfe“, sagt Tröger, die sich „einen Spaß gemacht“ hätten.

Das eigentliche Problem seien die Medien, die so etwas „medial aufbauschen“, findet der Veranstaltungschef. Von dem Vorfall auf der Beachparty hätte vielleicht keiner erfahren, wenn nicht ein Video in den sozialen Medien aufgetaucht wäre. Journalisten riefen Stefan Tröger an, der versteht bis heute die Aufregung nicht: „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus“, das sei jetzt nicht seine Wortwahl, aber: „Es herrscht doch Meinungsfreiheit“.

Trotzdem sollen die DJs „L’amour toujours“ künftig nicht mehr spielen. „Ich habe keine Lust auf den Ärger und den Stress“, sagt Stefan Tröger.

Ähnlich geht es auch René Baatzsch. Er ist DJ aus Leipzig, als man ihn am Telefon erwischt, auf dem Weg zu einer Party, sagt er: „Ich habe schon in der Grundschule meine erste Mucke gemacht.“ Heute tritt er bei Firmen-Events auf, auf Volksfesten. „L’amour toujours“ hält er für ein „Mega-Lied“. Baatzsch hat es immer gerne gespielt – musste aber schon mal abbrechen, weil rassistische Parolen gesungen wurden. So erzählt er es. Jetzt spielt der DJ das Lied lieber gar nicht mehr – aus Angst. Was, wenn etwas passiert, ein Video auftaucht? „Du wirst von den Medien zerrissen“, sagt er.

Es gibt DJs, die Aufträge verloren haben – aber weil sie, anders als René Baatzsch, provozierten oder einfach nicht eingriffen: etwa bei einem Dorffest in Borsdorf, im vergangenen Herbst. Da soll der DJ Vergleiche zu Sylt gezogen haben, bevor er „L’amour toujours“ spielte. Er ignorierte rassistische Parolen aus dem Publikum und sagte zum Schluss: „Und das lassen wir uns nicht verbieten hier.“ Besucher meldeten sich bei LVZ und SZ. Die Bürgermeisterin warf dem DJ vor, „eine eigentlich schöne Situation“ ausgenutzt zu haben. Er soll künftig nicht mehr auftreten.

„Harte Unterredung“ mit Veranstaltungsfirma

Auch in Lauter-Bernsbach haben sie versucht, den Vorfall auf dem „Vugelbeerfast“ aufzuarbeiten. Er war Thema im Stadtrat. Bürgermeister Thomas Kunzmann sagt, es habe eine „harte Unterredung“ mit der gebuchten Veranstaltungsfirma gegeben. Dort will man sich auf Nachfrage nicht äußern.

Die Firma wird auch dieses Jahr das „Vugelbeerfast“ betreuen, aber der DJ wird ein anderer sein. Außerdem soll es eine Liste mit Liedern geben, die nicht gespielt werden sollen, weil sie missbraucht werden könnten. „L’amour toujours“ wird auf jeden Fall draufstehen. Wir tun das schweren Herzens“, sagt Kunzmann. Der Bürgermeister kann nicht ausschließen, dass nicht trotzdem was passiert. Aber Kunzmann hofft, dass die Botschaft in diesem Jahr eine andere ist: „Zusammen feiern und dadurch zusammenrücken.“

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Marco Nehmer, Denise Peikert und Greta Giuliana Spieker
19.05.2025

Nazi-Parolen-Skandal um „L’amour toujours“
Ein Jahr „Sylt-Video“: Was sich seit dem Döp-Dö-Dö-Döp-Sommer getan hat

Vor einem Jahr grölten Feiernde im Kampener Pony-Club zu Partymusik „Deutschland den Deutschen“. Die Aufregung war groß – und die Parole bald überall. Und was passiert im Sommer 2025? Über Ausländerfeindlichkeit als Popkultur – und eine irritierende Verschlossenheit auf Sylt.

Ein Freitag auf Sylt. Die nordfriesische Insel ist an diesem frühen Abend in Tristesse gehüllt, das Thermometer verkriecht sich in der Einstelligkeit, der Himmel ist verhangen. Auf der Westerländer Friedrichstraße rücken die Urlauber auf den Terrassen der Lokale unter den Heizstrahlern zusammen. Ein Mann, optisch Phänotyp Punker, die man hier seit dem „9-Euro-Sommer“ 2022 eigentlich immer irgendwo antrifft, fährt auf einem E-Scooter in Richtung Bahnhof. Arbeiter rauchen sich am Bahnsteig der Ankunft des Zuges entgegen.

Kurz vor dessen Abfahrt, zurück ans Festland, kommt dann tatsächlich noch die Sonne raus. Es wird das wenige Erhellende an dieser Recherchereise bleiben, auf der sich die Insel wie eine Auster präsentiert. Seltsam verschlossen.
Ein paar verwackelte Sekunden, über die das ganze Land sprach

Sylt im Mai 2025, das ist ein Ort, an dem man über den Sylter Mai 2024 am liebsten nicht mehr sprechen will. Über das, was sich an Pfingsten in der Gemeinde Kampen zugetragen hatte, sechs Kilometer nördlich von Westerland, auf der Außenterrasse des Nobel-Clubs „Pony“, die zur Bühne eines rassistischen Vorfalls wurde, der die Republik für einige Tage in Atem hielt.

Das „Sylt-Video“ ließ eine Welle der Empörung über das Land rollen, die mit voller Wucht zurück auf die Nordseeinsel schlug. Sylt, das war plötzlich ein Synonym für den vermeintlichen Ausländerhass der Eliten, Place to be für Nazi-Schnösel. Das reetgedeckte Reich des Bösen.

Das unheilvolle Video zeigte eine Gruppe junger Partygäste dabei, wie sie den Gigi-D‘Agostino-Hit „L‘amour toujours“ in der damals bereits seit einiger Zeit unter Rechtsextremen populären „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“-Version mitgrölt. Ein paar verwackelte Sekunden, aus denen einem die Überheblichkeit reicher Kinder anzuspringen schien, die Ignoranz einer materiell der Welt entrückten Prosecco-Kaste, „Wohlstandsverwahrlosung“, so nannte das die damalige Grünen-Chefin Ricarda Lang.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sorgte sich indes um „die Verrohung der politischen Umgangsformen“. Und selbst Kanzler Olaf Scholz (SPD) schaltete sich ein. „Solche Parolen sind eklig, sie sind nicht akzeptabel“, sagte er. „Und deshalb ist es auch richtig, dass all unsere Aktivitäten darauf gerichtet sind, genau zu verhindern, dass das eine Sache ist, die sich verbreitet.“
Drei der vier Ermittlungsverfahren wurden eingestellt

Kein Wegschauen mehr, bis hierher und nicht weiter, das sollte die Botschaft sein. Der Staatsschutz hatte sich der Sache da bereits angenommen, Ermittlungen wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingeleitet – eine der Personen im Video hatte ein Hitlerbärtchen imitiert, dazu den Arm zum Führergruß erhoben, lässig zum Beat wippend. Niedertracht, die auch die Inhaber des Pony-Clubs dazu veranlasste, nicht nur Hausverbote auszusprechen, sondern auch Strafanzeige zu stellen. Ende April 2025 stellte die Staatsanwaltschaft Flensburg drei der vier Ermittlungsverfahren ein. Nur der Hitlergruß hat Folgen: Der Mann, der ihn zeigte, erhielt eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, mit einer Bewährungsauflage von 2500 Euro.

Ein Jahr danach ist vom großen Beben nichts mehr zu spüren. Im Kampener Strönwai, auch als „Whiskymeile“ bekannt, herrscht längst wieder Regelbetrieb. An diesem Freitag Anfang Mai, kurz nach Saisonstart, kurz vor dem Jahrestag der Vorkommnisse, könnte das, was sich am 19. Mai 2024 hier zugetragen hat und sogar die internationale Presse beschäftigte, nicht weiter weg sein. Galt Sylt als Symbol der Normalisierung rechtsextremer Positionen und Parolen, hat schnell eine andere Normalisierung stattgefunden – die des Geschäfts. Im Pony sitzt die Hautevolee aus Hamburg, München und anderswo wieder unter ihresgleichen beisammen, man schlürft Rosé von Moët, Flaschenpreis 140 Euro. Die kleine Runde, vier Personen nur, mehr ist an diesem frischen Kampener Vorabend nicht los, lässt sich eine zweite kommen.

Später, wenn die Nacht anbricht, wird ein Szene-DJ auflegen, im Innenbereich des Clubs. Mit handverlesener Playlist. Was auf Sylt bedeutet: ohne „L‘amour toujours“. Das Lied, ein Vierteljahrhundert alt und eigentlich ein unschuldiges Liebeslied, ist im Giftschrank verschwunden.

Aber nicht nur auf Sylt wurden im Sommer 2024 rassistische Parolen zu „L’amour toujours“ gegrölt. Es passierte auch, nur zum Beispiel, in Bergholz in Mecklenburg-Vorpommern, in Mittelkalbach in Hessen und in Emden in Niedersachsen. Mehr als 530 Polizeieinsätze gab es wegen der Gesänge zu „L’amour toujours“ bis April 2025 in ganz Deutschland – mindestens, denn nicht alle Bundesländer haben auf eine entsprechende Abfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) Zahlen nennen können.

Und dann, ganz am Ende des Partysommers 2024, war das alles plötzlich irgendwie normal. So schien es jedenfalls an einem Samstagabend in einem Dorf bei Chemnitz. In dem Ort wurde, wie in vielen zu dieser Zeit, ein Oktoberfest gefeiert. Fragte man die Gäste auf diesem Fest nach „L’amour toujours“, nach den rassistischen Parolen zu dem Lied, waren sie nicht überrascht. „Ich höre das auf vielen Dorffesten, leider“, sagte eine junge Frau im Dirndl. Ein Mann wurde noch deutlicher: Auf Festen hier in Sachsen, im Erzgebirge, da sei es „super, super wahrscheinlich“, dass jemand „Ausländer raus“ gröle. „Geht da mal hin“, sagte er. „Da ist Sylt ein Scheißdreck dagegen.“
Rassismus-Eklat um Partyvideo im Kultclub Pony auf Sylt

Warum ist das so? Hört man sich unter den Feiernden um, dann sagen viele: Ja, „Ausländer raus“, das sollte man nicht grölen. Man sollte es mit der Aufregung aber auch nicht übertreiben. Man sollte zum Beispiel, sagen viele, das Lied von Gigi D‘Agostino nicht verbieten, wie es mancherorts passiert ist. „Es gibt immer Kaputte und Verrückte und ich finde, man sollte sowas nicht ausgrenzen“, sagte etwa ein Mann auf dem Fest bei Chemnitz. Und ein anderer findet: Sylt, das war nicht cool. „Aber man muss es halt einfach nicht filmen. Das war der Fehler.“

Man muss es nicht filmen: Diese Haltung ist interessant, denn sie trifft einen wichtigen Punkt. „Deutschland den Deutschen“, das ist ursprünglich eine antisemitische Parole. Adolf Hitler hat sie nicht erfunden, aber verwendet. Und nach ihm benutzten sie andere. Die rechtsextreme NPD auf Wahlplakaten Ende der 80er. Der Mob, der den Angolaner Amadeu Antonio 1990 in Eberswalde so brutal attackiert hat, dass er später starb. Und auch die rechtsextremen Randalierer in Rostock-Lichtenhagen 1992 brüllten „Deutschland den Deutschen“.

Damals riefen also Neonazis die Parole – auf ihren Demonstrationen, im Schutze der Nacht, bei geheimen Konzerten. Jetzt passiert es vor aller Augen. Und: „Deutschland den Deutschen“ – das rufen nicht mehr nur harte Rechtsextremisten, sondern eigentlich ganz normale Leute. Zur Melodie eines Partyliedes. Also so, dass es fast schon harmlos klingt und sich leicht sagen lässt: War doch nur ein Spaß!

Wo kommt das her, dieser vermeintliche Partyspaß? Was ist mit einer Gesellschaft passiert, in der manche Menschen eine rassistische Parole für eine Art guten Joke halten?

Thorsten Hindrichs forscht an der Universität Mainz zu Jugendkulturen, Rechtsextremismus und Musik und findet an der Verbreitung rassistischer Parolen zu „L’amour toujours“ vor allem eines interessant, nämlich „dass das keine Aktion ist, deren Impuls aus der extremen Rechten kam“. Es sei ein Phänomen, das man schon Monate vor Sylt habe beobachten können, das „tatsächlich aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft aufgeploppt ist.“ Und „wenn so eine rassistische Botschaft auch so schnell so eine unglaubliche Eigendynamik entwickelt, dann sagt das viel über Einstellungen in der Mehrheitsgesellschaft“, sagt Hindrichs.

Und der Musikwissenschaftler beobachtet noch etwas anderes: Die rassistischen Parolen zu „L’amour toujours“, die hat sich zwar kein rechtsextremer Stratege ausgedacht. „Die extreme Rechte hat sich aber natürlich gefreut und sofort versucht, da nachzulegen.“ So fuhren zwei bekannte rechtsextreme Musiker eine gute Woche nach Bekanntwerden der Aufnahmen aus dem Pony auf Sylt auf die Insel, nahmen dort eine Art Sylt-Sonderedition ihres Songs „Abschiebehauptmeister“ auf.

Seit Sylt setzt die Szene auf Songs im Ballermann-Stil

Hindrichs sagt, die extreme Rechte versuche schon lange, auf diese Weise mal einen richtigen Hit zu landen: „Spätestens seit Sylt setzt die Szene ganz zentral auf Tracks im Ballermannschlager-Stil.“ Die Rechtsextremen hofften darauf, mit einem davon mal ganz oben in den Download-Charts der Streamingdienste zu landen. Bislang sei das noch nicht so richtig gelungen. „Aber irgendwann wird der Tag kommen, da bin ich mir leider fast sicher“, sagt Hindrichs.

Und im Sommer 2025 – wie geht das weiter? Im Februar vermeldete die Bundespolizei, dass ein 18 Jahre alter Mann in einem Regionalzug bei Münster laut „L’amour toujours“ gehört und dabei mehrmals „Ausländer raus“ und „Sieg Heil“ gebrüllt habe. Anfang Mai stimmten Demonstranten in Nürnberg den Gesang „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ an.

Die Parole, sie ist noch nicht aus der Mode. Wer meint, dass die Vereinnahmung von Popkultur durch die extreme Rechte ausgestanden sei, sich so etwas wie Sylt schon nicht wiederholen würde, muss naiv sein oder demonstrativ wegschauen. Im schlechtesten Fall beides. Und damit noch einmal zurück auf die Nordseeinsel.
Inselverwaltung verweist auf ein Jahr altes Statement – und das Pony schweigt

Die Gemeinde Sylt beantwortet eine RND-Interviewanfrage lediglich mit dem Verweis auf ein Statement vom 24. Mai 2024, das „auch ein Jahr nach dem Vorfall weiterhin Bestand“ habe. Darin heißt es: „Wir wenden uns in jeder Form gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Menschenfeindlichkeit. Insofern begrüßen wir, dass die Betreiber der Bar sehr deutlich Stellung genommen haben.“

Der Pony-Club hatte kurz nach Bekanntwerden des Vorfalls eine Stellungnahme veröffentlicht, unter anderem verlautbaren lassen: „Wir werden in Zukunft noch entschlossener Kante gegen Rassismus, Faschismus und jegliche Form der Diskriminierung zeigen! Nie wieder ist jetzt!“ Auch gegenüber dem RND hatte sich Pony-Geschäftsführer Tim Becker klar von den rassistischen Gesängen auf seiner Außenterrasse distanziert. Man wolle, hieß es, sowohl Mitarbeitende als auch Gäste sensibilisieren, sich mit zivilgesellschaftlichen Gruppen zu dem Thema beraten. „Vielleicht”, so Becker, „kann man dann irgendwann sagen: Im Pony hat es angefangen, dass die Leute endlich darüber nachdenken.“
Der Pony-Club hat die Kommunikation eingestellt

Was davon übrig ist? Der Pony-Betreiber antwortet auf eine neuerliche RND-Anfrage nach einem Interview zu dem, was sich seither getan hat, zunächst mit dem Hinweis, aktuell nicht vor Ort zu sein. Vier weitere Mails, über den Zeitraum von einer Woche geschickt, bleiben unbeantwortet. Der Pony-Club hat die Kommunikation eingestellt. Und so müssen gewisse Dinge für sich stehen. Zum Beispiel, dass der Club es nicht für nötig erachtet, die angekündigte „entschlossene Kante” auf seinen Social-Media-Kanälen zu zeigen. So steht seit dem 13. April beispielsweise ungelöscht, unwidersprochen ein Kommentar unter dem Beitrag zur kommenden Pony-Pfingstparty auf der Facebook-Seite: „Übt schon mal alle den Hitlergruß.“

Auf dem Instagram-Kanal sieht es kaum besser aus. Ein Nutzer mit offenbar ausländischen Wurzeln kommentierte schon kurz nach dem Pfingstskandal 2024 einen Imageclip mit Hochglanzaufnahmen der verhängnisvollen Party: „Zu weiß, der Ort. Nein, danke.“ Eine der Antworten, mit einer das eigentliche Thema verharmlosenden Anspielung auf Kokainkonsum: „Ich glaub‘, da ist jemand gegen Drogen.“ Versehen mit 22 Likes.

Eines dieser Likes: vom Pony-Club selbst.

Und nun naht es also, das Pfingstfest 2025, es wird dann traditionell voll auf Sylt, ausgelassen wie eh und je. Schampus, Spritz und schnelle Karren. Pfingsten 2024? Will man lieber nicht mehr drüber sprechen. Die Party muss weitergehen.

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Nico Schwieger und Isabell Remmers
28.05.2024

Chronologie der Ereignisse
Sylt-Skandal ist kein Einzelfall: In diesen Fällen wurden Nazi-Parolen verbreitet

Seit Monaten wird Gigi D‘Agostinos Song „L‘amour toujours“ von Rechten umgetextet. Schon vor dem Eklat von Sylt gab es solche Fälle. Und auch danach findet das ausländerfeindliche Gegröle zahlreiche Nachahmer. Viele Fälle werden nun bekannt – eine Übersicht.

Eigentlich handelt der Partyhit „L‘amour toujours“ von Gigi D‘Agostino von der Liebe. Seit einiger Zeit nutzen es Rechtsextreme allerdings für ihre Zwecke. Ein Fall auf Sylt sorgte bundesweit für Empörung: Gäste einer Pfingstparty im Lokal „Pony“ auf der Nordseeinsel grölen „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ zur Melodie des Songs. Die Staatsschutzabteilung der Polizei ermittelt.

Das war allerdings nicht der erste solcher Fälle – und sicher nicht der Letzte. Nach Bekanntwerden des Videos von Sylt kommen zahlreiche ähnliche Vorfälle ans Licht. Eine Sammlung einiger der Ereignisse rund um den Partyhit.
Wo liegt der Ursprung der Umdichtung?

Herbst 2023: Schon weit vor dem Skandal von Sylt vor etwas mehr als einer Woche gab es Aufregung um rechtsextreme Gesänge zur Melodie von „L‘amour toujours“. Im November 2023 tauchte ein Video vom Erntefest in Bergholz bei Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern auf und ging viral. Junge Menschen grölen dieselben fremdenfeindlichen Zeilen, wie auch später die Personen auf Sylt. Die rechtsextreme Umdichtung wurde damals erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt, der genaue Ursprung ist nicht ganz klar. Kommentare in den sozialen Medien deuten darauf hin, dass die umgedichtete Version in Neonazi-Kreisen bereits seit einigen Jahren die Runde macht.

Januar 2024: Am 17. Januar 2024 ging eine Anzeige bei der Polizei ein, nachdem in einer Diskothek in Pahlen in Schleswig-Holstein zu „L‘amour toujours“ „Ausländer raus“ gesungen wurde. Bei einer „Beach Party“ in Schenefeld soll sich der Vorfall am 20. Januar wiederholt haben. Bei einer Feier am 23. Januar im Studienzentrum der Finanzverwaltung im hessischen Rotenburg mit Studierenden und Auszubildenden sollen ebenfalls Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ gerufen worden sein. Im April soll mindestens ein Mitglied des FDP-Nachwuchses bei einer Party nach einem Landeskongress der Jungen Liberalen (Julis) die rassistische Parole zu dem Lied skandiert haben.

Mittwoch, 1. Mai: Nach einem mutmaßlich rassistischen Vorfall in Nagold (Baden-Württemberg) laufen Ermittlungen wegen Volksverhetzung. Wie ein Polizeisprecher am Dienstag in Pforzheim berichtete, betreffen die Ermittlungen der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft Tübingen eine Gruppe von Menschen, die am 1. Mai mit einem Umzugswagen in der Stadt im Kreis Calw unterwegs war. Auf sozialen Netzwerken war ein Video geteilt worden, auf denen mehreren Medien zufolge Teilnehmende der Gruppe rassistische Sprüche skandierten. Laut Medien lief bei dem Vorfall „L‘amour toujours“.
Rassistische Gesänge bei Aufstiegsfeier von Holstein Kiel

Pfingstmontag, 20. Mai: In Kiel beschäftigte man sich bereits einen Tag vor bekannt werden des Videos aus Sylt mit der Thematik. Bei der Aufstiegsfeier der Fußballer von Holstein Kiel wurde das Lied mehrfach gespielt. Zumindest am Rande der Veranstaltungen sollen dabei auch von einzelnen Personengruppen die Parolen gerufen worden sein. Das bestätigten weitere Gäste der Party. Verein und aktive Fanzszene distanzierten sich im Anschluss von den Gesängen.

Quasi zeitgleich macht auch ein Vorfall aus Niedersachsen die Runde. Auf einem Schützenfest in Löningen im Kreis Cloppenburg sollen mehrere Männer am Pfingstmontag die ausländerfeindlichen Parolen gesungen haben. Auch hier wurde ein Video von der Situation im Netz verbreitet. Der Vorstand des Vereins hat sich im Anschluss beraten. Die mutmaßlichen Täter verlassen den Schützenverein.

Doch das soll nicht das einzige Schützenfest in Niedersachsen bleiben, bei dem die Parolen zu hören sind. Auch in Altendorf im Kreis Gifhorn und bei einer Feier in Emden sollen Besucherinnen und Besucher den Partyhit zweckentfremdet haben. In Emmerke bei Hildesheim soll die ausländerfeindliche Parole nach Polizeiangaben auf einem Sportplatz gegrölt worden sein. „Es ist beschämend zu erfahren, dass offenbar auch auf Schützenfesten in unserem Landkreis Nazi-Parolen gesungen wurden. Schützen- und Volksfeste stehen für ein friedliches, gesellschaftliches Miteinander, für Vielfalt und für Gemeinschaft verschiedenster Menschen“, sagte Philipp Raulfs, SPD-Vorsitzender im Landkreis Gifhorn, der „Wolfsburger Allgemeinen Zeitung“.

Ähnlich wie auf Sylt sollen auch in Banzkow (Landkreis Ludwigslust-Parchim) in Mecklenburg-Vorpommern und in der Landeshauptstadt Schwerin mehrere Personen zu „L‘amour toujours“ rassistische Parolen gerufen haben. Das teilte die Polizei am Montag mit. Videos aus sozialen Netzwerken zeigen laut Polizei Feiernde auf einer Veranstaltung in Banzkow am Pfingstwochenende. In Schwerin seien in der Nacht zum vergangenen Sonntag Personen unterwegs gewesen, die zu dem Lied rassistische Parolen riefen. Fünf Personen im Alter von 17 bis 30 Jahren seien demnach von Polizisten gestellt worden. Die Polizei leitete in beiden Fällen die Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung ein und suchte nach Zeugen.

Schüler von Internat Louisenlund nach Vorfall suspendiert

Donnerstag, 23. Mai: Am renommierten Internat Louisenlund in Schleswig-Holstein sollen minderjährige Schülerinnen und Schüler am Donnerstag bei einer Feier zu der Melodie rassistische Parolen gesungen haben. Daraufhin hätten die Lehrkräfte die Feier abgebrochen und Schülerinnen und Schüler ins Bett geschickt, teilte das schleswig-holsteinische Bildungsministerium am Montag mit. Zudem habe das Ministerium eine Überprüfung durch die Schulaufsicht veranlasst. Mit einigen Schülerinnen und Schülern gab es laut dem Internatsleiter Peter Rösner weitere Gespräche.

„Mit einigen Schülerinnen und Schülern gab es direkt noch ein Gespräch. Sie waren völlig überrascht von der Heftigkeit der Reaktion. Sie wären doch nicht fremdenfeindlich, sie hätten ein Video nachahmen wollen“, berichtete Schulleiter Rösner den „Lübecker Nachrichten“. „Sie bereuen dieses Fehlverhalten sehr und sind bereit, jegliche Sanktionen der Schule als Strafen anzunehmen.“ Die acht Schülerinnen und Schüler erhalten für den Zeitraum einer Woche eine Suspendierung vom Schul- und Internatsbetrieb. „In dieser Woche werden sie sich ehrenamtlich für eine sozial tätige Organisation engagieren und ihr Verhalten im Sinne des unreflektierten Nachahmens von offensichtlich abzulehnenden Aktivitäten reflektieren“, sagte der Schulleiter weiter.

Hitlergrüße und rechte Gesänge bei Schlagermove in Hamburg

Freitag, 24. Mai: Am Freitagabend grölten zwei Besucher eines Festes im bayerischen Erlangen rassistische Parolen zu der Musik. Beim Pfingstfest in Bad Kötzting (Landkreis Cham) in der Oberpfalz sollen Besucher ebenfalls „Ausländer raus“ gerufen haben, als „L‘amour toujours“ gespielt wurde. Es gehe um zwei Vorfälle am Abend des 18. Mai und des 25., teilte die Polizei am Montag mit. Diese seien erst im Nachhinein angezeigt worden. Das Fachkommissariat für staatsschutzrechtliche Angelegenheiten der Kriminalpolizei Regensburg habe die Ermittlungen übernommen.

Samstag, 25. Mai: Auf dem Partyumzug Schlagermove in Hamburg sollen am Abend Feierende zu „L‘Amour toujours“ rassistische Parolen gerufen haben, wie die Polizei am Montag mitteilte. Einige Teilnehmende sollen den Hitlergruß gezeigt haben. Das Landeskriminalamt für Staatsschutzdelikte hat die Ermittlungen übernommen.

Auch in Ostfriesland ermittelt der Staatsschutz der Polizei wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Bei einer Feier in Emden sollen Partygäste in der Nacht auf Sonntag ebenfalls rassistische Parolen zu dem Lied „L‘amour toujours“ gesungen haben. Davon liegt der Polizei eine Tonaufnahme vor, wie eine Polizeisprecherin am Montag sagte.

In Sachsen-Anhalt ermitteln mehrere Polizeidienststellen. Wie das Polizeirevier im Burgenlandkreis am Montag mitteilte, soll beim traditionellen Fest Leißlinger Eierbetteln bei Weißenfels in einem Festzelt zu dem über 20 Jahre alten Partyhit „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ gegrölt worden sein. Es liefen Ermittlungen wegen Volksverhetzung, teilte eine Polizeisprecherin mit. Weitere Vorfälle gab es nach Angaben der Polizei in Magdeburg und Halle.

Wegen der Umdichtungen mit rechtsextremen Textzeilen wollen die Veranstalter des Münchner Oktoberfests „L‘amour toujours“ vorsichtshalber gar nicht erst spielen. „Wir wollen es verbieten, und ich werde es verbieten“, sagte Oktoberfest-Chef Clemens Baumgärtner der Deutschen Presse-Agentur am Montag. „Auf der Wiesn ist für den ganzen rechten Scheißdreck kein Platz.“ Das Lied an sich sei zwar nicht rechtsradikal, aber es habe eine „ganz klare rechtsradikale Konnotation“ bekommen. Auch in der Stuttgarter Fanzone zur Fußball-Europameisterschaft und auf dem Cannstatter Volksfest im Herbst soll das Lied nicht gespielt werden. Dies teilte ein Sprecher der Veranstaltungsgesellschaft mit.

Mit Agenturmaterial

Anmerkung der Redaktion: Wir haben hier einige Fälle, die polizeibekannt sind, redaktionell geprüft und zusammengetragen. Die Liste erhebt allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Uns ist bekannt, dass sich derzeit auf vielen Feiern ähnliche Szenen zutragen, wir werden aber nicht auf jeden einzelnen eingehen.

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Christian Rath
29.04.2025

Staatsanwaltschaft stellt Verfahren ein – Rassistisches Gegröle auf Sylt war nicht strafbar

In einem schicken Club auf Sylt grölten junge Leute „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“. Die Staatsanwaltschaft Flensburg stellte nun drei der vier Ermittlungsverfahren ein. Nur ein Hitlergruß hatte Folgen.

Nach knapp einem Jahr hat die Staatsanwaltschaft Flensburg entschieden: Die Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung werden eingestellt. Das bloße Grölen der Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ sei nicht strafbar.

Es war Pfingsten 2024. Auf der Terrasse des noblen Pony-Clubs im Seebad Kampen auf Sylt tanzten junge, gut gekleidete Leute und skandierten dabei die rassistische Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“, zur Melodie „Toujours L’Amour“ von Gigi D’Agostino. Ein Video von diesem Vorfall verbreitete sich auf sozialen Medien und sorgte bundesweit für Empörung. Schnell war die Rede von „Prosecco-Nazis“ und „Wohlstandsverwahrlosung“. Die Club-Betreiber zeigten sich empört und erstatteten Strafanzeige.

Parole von Meinungsfreiheit gedeckt

Nun hat die Staatsanwaltschaft Flensburg die Ermittlungen abgeschlossen und drei von vier Verfahren eingestellt. Nur ein Hitlergruß hatte Folgen.

Dass das Grölen der Parole „Ausländer raus“ nicht als Volksverhetzung bestraft wird, war zu erwarten. Schon 2010 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die bloße Forderung nach Ausländer-Rückführung nicht strafbar ist, weil hier die Meinungsfreiheit vorgeht. Nur wenn weitere Umstände hinzukommen, etwa ein bedrohliches Auftreten oder die Forderung nach Zwangsmaßnahmen, kann die „Ausländer raus“-Forderung bestraft werden.

Die Flensburger Staatsanwaltschaft liegt hier auf einer Linie mit anderen Anklagebehörden. So haben auch die Staatsanwaltschaften in Stade, Neubrandenburg und Augsburg ähnliche Ermittlungsverfahren ohne Anklage eingestellt. In Fulda kam es zwar zu einem Gerichtsverfahren, das dann aber gegen eine Geldauflage, also ohne Verurteilung, ebenfalls eingestellt wurde.
Geldstrafe für Hitlergruß

Strafrechtliche Folgen hatte jetzt nur das Zeigen eines Hitlergrußes durch einen jungen Mann, der in der Pony-Bar gleichzeitig mit zwei Fingern ein Hitler-Bärtchen andeutete. Der Hitlergruß ist als Kennzeichen der verfassungswidrigen Nazi-Partei NSDAP nach Paragraf 86a strafbar. Der Hitler-Bart ist dagegen an sich straflos, weil er zwar ein Symbol für Hitler ist, aber kein Kennzeichen der Partei. Im vorliegenden Fall dürfte das Andeuten des Hitler-Bärtchens jedoch ein Indiz dafür gewesen sein, dass das nicht ganz eindeutige Heben des rechten Arms hier wirklich ein strafbarer Hitlergruß war.

Im Fall des Hitlergrußes verzichtete die Staatsanwaltschaft allerdings auf eine Anklage und beließ es bei einer Verwarnung mit Strafvorbehalt nach Paragraf 59. Das ist eine Art Geldstrafe auf Bewährung. Als Bewährungsauflage muss der Mann aber 2500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen, er kommt also nicht ungeschoren davon.

Strafbar war wohl auch das „unkommentierte“ Hochladen des Sylt-Videos in sozialen Netzwerken, weil hier ein Nazi-Kennzeichen (der Hitlergruß) verbreitet wurde. Die Person, die hierfür verantwortlich war, konnte zwar festgestellt werden. Das Verfahren wurde aber gleichfalls eingestellt, weil gegen diese Person noch ein anderes, deutlich gewichtigeres Verfahren laufe. Um welchen Vorwurf es in dem anderen Verfahren geht, wollte die Staatsanwaltschaft nicht mitteilen.