»Es geht um die Existenz« Drei Räumungsklagen gegen die E97 abgewiesen

Etwa eine Dreiviertelstunde nach Verhandlungsbeginn bricht verhaltener Jubel unter den Besucherinnen und Besuchern im Amtsgericht aus. Erleichterte Gesichter links und rechts, ein paar Menschen umarmen sich – doch so ganz wollen sie die Stille und Ernsthaftigkeit nicht durchbrechen, die üblicherweise im Gerichtsaal herrscht. Erst als sie vor die Tür des Amtsgerichts treten, löst sich die Stimmung.

Unter den Menschen aus dem Gerichtssaal: Bewohnerinnen und Bewohnern der Eisenbahnstraße 97, die sich gegen Räumungsklagen wehren. Seit Ende 2023 ist ihr Haus im Besitz eines neuen Eigentümers, der die E97 nach eigenen Angaben sanieren will. Dafür sollen die aktuellen Bewohnerinnen und Bewohner ausziehen. Eine außergerichtliche Einigung konnten beide Seiten bisher nicht erzielen. Das Amtsgericht wies die ersten drei der insgesamt neun Räumungsklagen des Eigentümers am Dienstag ab. Ein Teilerfolg, den die 100 Menschen in der Bernhard-Göring-Straße mit tosendem Applaus feiern.

Schon eine halbe Stunde vor Prozessbeginn versammeln sich Bekannte und enge Freunde vor dem Amtsgericht. Die Solidaritätskundgebung wurde von einem Support-Bündnis organisiert, das sich schon vor einiger Zeit um die Mieterinnengemeinschaft der E97 herum gegründet hat. Es sind auch Nachbarn gekommen, oder Besucherinnen des soziokulturellen Zentrums Con Han Hop, das ebenso von einer Räumung bedroht ist. Andere wiederum haben kaum etwas mit der Eisenbahnstraße zu tun, sehen aber die Bedeutung solcher Mietkämpfe für die Stadt.

Auch vor dem Amtsgericht steht Luke*. Luke findet, es sei richtig, dass »mit dem Finger darauf gezeigt wird, wenn Vermieter und Vermieterinnen ihre Machtposition ausnutzen«. So geht es auch Simon*, der die Bewohnerinnen der E97 für ihr Durchhaltevermögen bewundert, aber gleichzeitig betont, dass das kein Einzelfall sei, sondern »ein Paradebeispiel für das, was gerade überall in Leipzig passiert«.

Einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind eher zufällig bei der Kundgebung, wie etwa Ute aus Kassel, die gerade ihren Sohn in Leipzig besucht. Das Thema Mietkampf betreffe alle, erzählt sie dem kreuzer, und es werde »überall Wohnraum verscherbelt oder nicht geschützt« – eine Entwicklung, die auch in Kassel zu beobachten sei. Lilli, eine weitere Demonstrantin, ist dagegen sehr gezielt zur Kundgebung gekommen. Sie arbeitet als Lehrkraft im Con Han Hop, wo sie Deutschkurse für Menschen in prekären Situationen gibt, die sonst keinen Zugang dazu hätten. Ihr sei es daher wichtig, dass »solche Räumlichkeiten weiterhin zu günstigen Mietpreisen existieren«.
Klage abgewiesen, die Bewohnerinnen dürfen bleiben

Die Stühle im Gerichtssaal sind nach und nach fast alle belegt. Vor dem Saal hatte sich schon vor Verhandlungsbeginn eine Schlange an Menschen gebildet, die erst einmal durch die Sicherheitskontrolle musste. Als die Verhandlung bereits läuft, kommen immer mehr Menschen in den Raum. Die Richterin verkündet zu Beginn, worum es in der Verhandlung gehen soll: Um drei Räumungsklagen gegen die Bewohnerinnen und Bewohner der Eisenbahnstraße 97. Es handelt sich um sogenannte Verwertungsklagen. Der Kläger sei der Auffassung, dass er durch das Mietverhältnis an einer »angemessenen wirtschaftlichen Verwertung« des Hauses gehindert werde.

In der Diskussion der beiden Anwälte, die sich auf der linken und rechten Seite des Raumes gegenübersitzen, wird das etwas spezifischer. Kristian Bielow, rechtlicher Vertreter des Hauseigentümers, sagt, sein Mandant wolle mit der Modernisierung vorankommen, da es einen erheblichen Sanierungsbedarf gebe. Das ginge aber nicht, solange Menschen darin wohnten. Zudem sei das Ganze eine »permanente Konfliktlage«. Sein Vorschlag: Kein unmittelbarer Neubezug bei Mieterinnenwechsel. Stattdessen ein paar Monate Leerstand, damit das Zimmer saniert werden kann.

Max Malkus, Anwalt der E97-Mieterinnen, entgegnet, dass das Haus längst nicht so baufällig sei, wie Bielow behaupte. Außerdem gebe es keinen Sanierungsplan und es sei nicht seine Aufgabe, einen solchen aufzustellen. Ein Sanierungsplan von der Gegenseite wäre ein erster Schritt, was aber »ernsthaftes Bemühen« voraussetze – und das sehe er momentan nicht.

Richterin Asper erklärt die Güteverhandlung nach etwa 15 Minuten für gescheitert und die Sitzung wird für eine halbe Stunde unterbrochen. Dann verkündet sie ihr Urteil: Alle drei Klagen werden abgewiesen, die Kosten trägt der Kläger. Eine Begründung dazu liefert sie nicht.
»Es geht um die Existenz«

Rechtsanwalt Malkus wirkt zufrieden nach der Verhandlung. Trotz des Erfolges sei eine Räumungsklage aber »immer immenser Druck für die Bewohner«. Daher sei er bei solchen Verhandlungen auch persönlich angegriffen: »Da geht es um die Existenz, egal wie gut die Erfolgsaussichten sind, egal was juristisch gesagt wird. Die Leute kommen hier hin und fragen sich, ob sie am Ende des Tages noch in ihrer Wohnung sind«. Dieser Druck lastet auch auf den restlichen Bewohnerinnen und Bewohnern der E97, deren Räumungsklagen in den nächsten Monaten verhandelt werden.

Das bestätigt Flo, eine Mieterin der E97, dem kreuzer: »Zu wissen, dass das eigene zu Hause so bedroht ist, und dass, wenn man Pech hat, das Gericht gegen einen entscheidet – das hat einfach so krasse Auswirkungen auf das eigene Leben. Es ist eine Belastung, aber auch ein Grund, weiterzukämpfen«. Auch sie setzt das Geschehen in einen größeren, gesellschaftspolitischen Kontext und sieht es abgekoppelt von der E97. »Es kann jeder Person passieren, die mietet. Wir haben richtig gute Mietverträge und trotzdem sind wir gerade davon bedroht, unser Zuhause zu verlieren. Das ist, was ich will: Dass alle Leute, die mieten, checken, dass auch sie davon betroffen sein könnten«.

»Wir müssen jeden Tag entscheiden, ob wir die nötige Energie, Zeit und finanziellen Mittel aufbringen können, um gegen die Schikanen vorzugehen«, schreibt die Mietergemeinschaft in einer Pressemitteilung. »Dabei sind wir ein Sonderfall. Wir erfahren Unterstützung aus unserem Umfeld, wir haben uns so organisiert, dass wir eine lange Auseinandersetzung führen können, wenn wir müssen.« Meistens würden Mieterinnen und Mieter so lange unter Druck gesetzt, bis sie Mieterhöhungen zustimmen oder ausziehen würden. »Jeder beendete Mietvertrag führt zu teureren Neuvermietungen und erhöht somit den Mietspiegel, der alle Mieter*innen betrifft«, schreibt die E97.

* Name von der Redaktion geändert

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18.02.2025 Tim Pawletta

»Es macht einen Unterschied, ob dieses Haus existiert«

Wie die Gemeinschaft E97 um ihr Haus auf der Eisenbahnstraße kämpft

»Eigentlich müsste man daraus ein Theaterstück machen«, sagt Jens* am Ende unseres Gesprächs. Gemeinsam mit Willy* schildert er dem kreuzer die Erlebnisse der Hausgemeinschaft der Eisenbahnstraße 97 (E97). Über den Kampf der Mieterinnen berichtete der kreuzer zuletzt im Sommer, als nach der Übernahme durch Orhan Altun ohne Vorwarnung die Gasversorgung des Hauses gekappt wurde. Seit Ende Oktober funktioniert alles wieder – ein Erfolg, den die E97 vor Gericht erstreiten musste. Im Gespräch erzählen Jens und Willy, was ihnen das alles abverlangt, für welche größeren Prozesse ihr Haus ein Symbol darstellt und wie sie mit den Kündigungen umgehen, die sie nun erhielten.

Sie hatten fünf Monate lang keine Gasversorgung, mussten diese erst wieder erstreiten. Wie haben Sie das gelöst?

Jens: Nachdem das Gas aus war, haben die Stadtwerke im Keller festgestellt, dass der Haupthahn verschlossen ist. Da die davon ausgehen, dass der aus Gründen verschlossen wurde, einem Notfall etwa, haben die den verplombt. Der war dann erstmal zu. Hier ist die Infrastruktur relativ fragil: Wir kochen mit Gas, wir heizen mit Gas, wir haben Warmwasser mit Gas. Das Ganze wieder instand zu setzen, ist Aufgabe des Eigentümers und da haben wir dann angerufen, mehrfach und mehrere Leute.

Der Eigentümer ist seit August 2023 Orhan Altun und das Unternehmen NAS Immobilien verwaltet das Haus?

Jens: Ja, genau. Da tat sich nicht so viel und dann haben wir nach zwei Wochen mit unserem Anwalt einstweilige Verfügungen formuliert und mit drei WGs eingereicht. Dann gingen drei Verfahren los, die wir letztendlich alle gewinnen konnten.

Und von Orhan Altun oder NAS Immobilien haben Sie nie eine Antwort bekommen?

Jens: Erstmal nicht. Wir haben ab dem Zeitpunkt nur noch über unsere Anwälte kommuniziert. Vor Gericht hat der Eigentümer unterschiedliche Narrative eingenommen: Mal hieß es »Wir kümmern uns« und mal, dass dieses Haus hier eine Bruchbude sei, es wurde teilweise als »baufällige Ruine« bezeichnet. Der Eigentümer hat das Narrativ entwickelt, dass er das Haus retten und uns Bewohner schützen wolle, indem er das Gas nicht wieder anstellt. In dem Verfahren meiner WG ist dann sehr schnell entschieden worden: Ihr seid die verantwortlichen Eigentümer, ihr müsst die Grundversorgung stellen – macht das bitte. Dann ist ein langer Schriftsatz beim Amtsgericht eingegangen, wo eben dieses Narrativ entwickelt wurde, und in unserem Fall hat der Amtsrichter seinen Beschluss ohne eine Anhörung wieder rückgängig gemacht. Das ist tatsächlich rechtswidrig. Das Verfahren ging vor das Landgericht und hat sich über drei Monate hingezogen – und wir hatten immer noch kein Gas! Am Ende durften wir mit richterlicher Erlaubnis jemanden beauftragen, der die Gasversorgung wieder herstellt.

Das war dann Ende Oktober letzten Jahres?

Jens: Genau. Völlig absurd wurde es dann, als wir den Installateur, der das Gas wieder angestellt hat, im Keller beschützen mussten. Beim ersten Versuch ist nämlich der Hausverwalter, Ido Altun, vorbeigekommen, hat ihm den Schlüssel abgenommen und ihn aus dem Keller verjagt.

Was war das für eine Zeit für Sie? Ohne Warmwasser und parallel dazu noch ein Gerichtsverfahren.

Jens: Man merkt, dass einem ganz schön was fehlt. Dadurch, dass die Gasversorgung im Mai ausfiel, ist es nicht direkt offensichtlich geworden. Aber kalt duschen, wenn im Zimmer 13 Grad sind? Das ist mir am Ende schon krass auf die Moral geschlagen. Dazu haben wir im Haus versucht, die Prozesse in die richtige Richtung zu lenken. Das hat ewig gedauert und in vielen Fällen nicht funktioniert, da ist das Vertrauen in die Justiz ganz schön geschwunden. Es bleibt ein gewisses Gefühl von Ohnmacht.

Willy: Und man muss auch sagen: Die Menschen, die die Entscheidungen treffen als Richterinnen, als Juristinnen, viele von denen sind auch Hausbesitzer oder haben eine Eigentumswohnung und sind nicht mehr damit konfrontiert, zur Miete zu leben.

Ihr Haus hat eine klassische Geschichte hinter sich: Privatisierungswelle und erzwungene Rückgabe in den 90ern, Leerstand, Sanierung, Verkauf und vor allem Gewinnmaximierung. Sehen Sie das Haus im größeren Kontext exemplarisch für diese Art von Prozessen?

Jens: Absolut. Es ist krass, dass das Haus, seitdem es bewohnt ist, diesen Charakter eines Spekulationsobjekts nicht verloren hat. Seit über zehn Jahren. Hier sind die Leute eingezogen unter der Prämisse, ihr könnt hier wohnen und keine Miete zahlen, wenn ihr die Bude bewohnbar macht. Die Leute wurden dafür benutzt, einen Wohnraum zu schaffen, der ohne deren Investitionen überhaupt nicht da gewesen wäre. Die darauffolgenden Eigentümer aus Berlin haben dann dringend notwendige Instandsetzungen verweigert und es war eine Qual mit der Hausverwaltung auf die Beseitigung der Mängel zu drängen. Jetzt mit dem erneuten Hausverkauf ist es wieder ein Investor, dem Geld mehr bedeutet als die Menschen, die hier wohnen. Dass Läden sterben, Kneipen zu machen müssen oder selbstverwaltete Läden es schwer haben, das betrifft ganz Leipzig. Es macht einen Unterschied, ob dieses Haus existiert oder nicht. Für den Mietspiegel und für dieses Viertel.

Etwas provokant gefragt: Gibt es noch schöne Momente bei Ihnen im Haus?

Willy: Absolut. Allein durch diesen ganzen Scheiß, durch den wir hier gehen. Das hat die Hausgemeinschaft wieder voll zusammengebracht.

Jens: Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft! Wo gibt es das noch, dass du zu einem echt guten Preis in einem teilsanierten Haus lebst, was ausschließlich von WGs bewohnt wird?

Neuerdings hat Ihnen Ihr Vermieter Kündigungen ausgesprochen. Wie geht’s weiter?

Jens: Ja, die haben wir erhalten. Wir haben Mietverträge hier und wenn der uns kündigen will, dann kann er das gerne versuchen. Dann machen wir das mit. Aber ich ziehe jetzt nicht aus, wenn ich eine Kündigung Briefkasten habe. Weißt du, was ich meine? Trotzdem hat es nicht den Anschein, dass wir hier gerne gesehen sind, dass wir hier wohnen bleiben sollen. Das äußert sich dann zum Beispiel darin, dass diese Gasgeschichte so ewig dauert. Wir bleiben widerständig und verteidigen unser Recht, hier zu wohnen – und zwar mit allen Mitteln.

Willy: Wir fühlen uns hier ja auch wohl. Also das Narrativ, dass es hier scheiße ist zu leben, ist ja bullshit. Das sehen wir anders (lacht). Sonst würden wir ja nicht darum kämpfen!

* Die Namen wurden aus Privatsphäregründen von der Redaktion geändert. Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt.

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ND – Paulina Rohm 30.03.2025

Verdrängung ist keine Option

Seit Jahren kämpfen die Mietenden der Eisenbahn­straße 97 in Leipzig um ihren Wohnraum. Jetzt liegen die Räumungsklagen auf dem Tisch

Der Mietkampf um die Eisenbahnstraße 97 im Leipziger Osten erreicht die nächste Eskalationsstufe: In den vergangenen Wochen haben die circa 30 Bewohner*innen der »E97« nach und nach Räumungsklagen erhalten. Darauf weisen sie in einer Pressemitteilung des Mieter*innen- und Unterstützer*innennetzwerks »E97 bleibt!« hin. Demnach begründet der Vermieter die Räumungsklagen damit, dass ihm das Mietverhältnis mit den Bewohner*innen »wirtschaftlich nicht zuzumuten« sei.

Die Leipziger Stadträtin Elisa Gerbsch, die seit 2024 für Die Linke im Leipziger Stadtrat sitzt, hat wenig Verständnis für die Eigentümerinteressen. »Dass einer Räumungsklage überhaupt stattgegeben wird, macht mich sprachlos«, so Gerbsch gegenüber »nd«. Auch die Bewohner*innen der Eisenbahnstraße 97 zeigen sich empört und wütend. »Worauf sollen wir uns verlassen, wenn nicht auf unsere Mietverträge?«, schreiben sie in ihrer Pressemitteilung vom 13. März. Sie fordern: »Reine Profitgier ist nicht schützenswert, ihr müssen Grenzen gesetzt werden.« Jahrelang hatten sie gemeinsam für ihre jetzigen Mietverträge gekämpft und waren erfolgreich: Ihre Staffelmietverträge sind erst vier Jahre alt und gelten noch bis 2041.

Am 8. April beginnen die Verhandlungen um die Rechtmäßigkeit der Räumungsklagen am Amtsgericht Leipzig. Gerbsch betrachtet die Räumungsklagen als Schikane, die der Hauseigentümer als Entmietungs- und Verdrängungsmittel einsetzt. »Genau durch solche Aktionen wird versucht, den Widerstand der Mieter*innen zu brechen«, nimmt die gebürtige Leipzigerin an. Sie selbst begann vor ungefähr zehn Jahren sich in der »Recht auf Stadt«-Bewegung zu engagieren, setzte sich dann auch an der TU Dresden mit Stadt- und Wohnmarktentwicklungen auseinander.

»Solange Eigentümer*innen mit Wohnraum Profit machen dürfen, wird Wohnraum nicht sicher sein.« Bewohnerin der Eisenbahnstraße 97

Die Eisenbahnstraße ist eines von acht »Sozialen Erhaltungssatzungsgebieten« in Leipzig, auch Milieuschutzgebiete genannt. Es handelt sich dabei um ein Instrument zum Schutz der Bewohner*innen und Kleingewerbetreibenden eines Viertels vor Verdrängung. Damit wird versucht, den negativen Effekten von Gentrifizierung in Großstädten entgegenzuwirken. Die Soziale Erhaltungssatzung sieht beispielsweise vor, dass die Stadt unter bestimmten Bedingungen über ein Vorkaufsrecht verfügt. Mit diesem kann sie potenziellen neuen Eigentümer*innen zuvorkommen und in den Kaufvertrag eintreten.

Gegebenenfalls kann die Stadt ihr Vorkaufsrecht auch zugunsten Dritter geltend machen, beispielsweise einer Hausgemeinschaft, die ihre Mietwohnungen kaufen möchte. Auf diese Weise lassen sich Gebäude in Gemeineigentum überführen. Mithilfe der Solidarischen Wohnungsgenossenschaft Leipzig (SoWo) wollten die Bewohner*innen der »E97« das Haus kaufen, als es 2023 zum Verkauf stand. »Es war klar, dass wir uns gerne selbst verwalten wollen, um nicht wieder den Eigentümerinteressen so schutzlos ausgesetzt zu sein«, erzählt Flo (Name geändert), eine der Mieter*innen gegenüber »nd«.

Allerdings hat im November 2021 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in einem Berliner Vorkaufsrecht-Klagefall gegen das kommunale Vorkaufsrecht entschieden. Eine zu erwartende Entwicklung entgegen den Prinzipien des Mileuschutzes infolge eines Eigentümerwechsels wurde in diesem Fall als nicht vorkaufsberechtigend beurteilt. Mit diesem Urteil hätten die Sozialen Erhaltungssatzungen an Wirkungsmacht gegen soziale Verdrängung in Städten verloren, so Gerbsch. Ihr zufolge wären sie in Leipzig aber ein wichtiges Mittel, um die Wohn- und Mietpolitik der Stadt sozial auszurichten. Immerhin leben 87 Prozent der Leipziger*innen zur Miete.

Die Bewohner*innen der »E97« hatten es dennoch mit der SoWo und mehreren aufgenommenen Krediten geschafft, sich mit dem Hausverwalter des Eigentümers Orhan Altun zu verständigen. Er hatte sogar schon in ihr Angebot eingewilligt, erzählt eine Bewohnerin des Hauses. Wenig später nahm er die Zusage jedoch wieder zurück, und Altun erwarb das Gebäude.

Seitdem leiden die Bewohner*innen unter diversen Entmietungsmaßnahmen und deren finanziellen sowie psychischen Folgen. Beispielsweise wurden vor etwa einem Jahr die Gasleitungen in der Eisenbahnstraße 97 gekappt. Die Bewohner*innen hatten mehrere Monate kein warmes Wasser, konnten nicht heizen oder kochen.

»Eine derartige Entmietung und Verdrängung, wie wir sie aktuell in der Eisenbahnstraße 97 beobachten können, ist in Leipzig zwar noch selten, aber solche Fälle nehmen zu«, erzählt Elisa Gerbsch. Dabei beträfe die Wohnungsproblematik längst nicht mehr nur die unteren Einkommensklassen, sondern sei mittlerweile in der breiten Stadtgesellschaft angekommen. Wohnungsnot werde allerdings häufig als ein individuelles Problem dargestellt. »Daher kann der Häuserkampf in Leipzig auch als ein Kampf um Sichtbarkeit verstanden werden«, fügt die Leipziger Linke-Stadträtin hinzu.

Gerbsch sieht auch die Bundesregierung in der Verantwortung. Sie kritisiert, dass sich CDU und SPD in ihrer künftigen Regierungsfunktion voraussichtlich nicht für die Mieter*inneninteressen einsetzen werden: »Das Sondervermögen wird wahrscheinlich nicht genutzt, um Bestandsmieter*innen vor Verdrängung zu schützen.« Dabei sei genau das ein Weg, um in eine stabilere Infrastruktur und soziale Sicherheit zu investieren.

Den Bewohner*innen der Eisenbahnstraße 97 geht es kurzfristig darum, ihre Mietverträge zu verteidigen. Sie sind optimistisch, dass sie den anstehenden Rechtsstreit um die Räumungsklagen gewinnen werden. Denn in ihren Mietverträgen sind Verwertungskündigungen ausgeschlossen, erklärt Flo. Sie betont jedoch: »Solange Eigentümer*innen mit Wohnraum Profit machen dürfen, wird Wohnraum nicht sicher sein.«

Mit dem »Integrierten Stadtteilentwicklungskonzept Leipziger Osten« von 2023 formuliert auch die Stadt das Ziel, dass der Leipziger Osten »zu einem Standort mit hoher Wohnzufriedenheit für ein breites Spektrum sozialer Gruppen« wird. Dabei spricht sich die Stadtverwaltung für die Förderung von Bewohner*innen- und Eigentümer*inneninitiativen mit explizitem Verweis auf die Eisenbahnstraße aus. Flo fordert von der Stadt, sich durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2021 nicht einschüchtern zu lassen und andere Wege der Unterstützung der »E97« zu finden.