Krise als Chance? Paukenschlag in Wurzen: Stadtrat verweigert Förderung für Demokratieverein

Die Stadt Wurzen fördert seit Jahren ihre großen Kulturplayer. Einer ist das Netzwerk für Demokratische Kultur. Seit Mittwoch ist alles anders. Der Stadtrat zahlt den Zuschuss für 2026 nicht. Für einige ist das ideologisch motiviert, für andere die Schuld des Vereins.
Wurzen. Der Wurzener Stadtrat dreht dem Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) den Geldhahn ab. Zwar hatte der Verein in der jüngsten Parlamentsdebatte noch einmal eindringlich um finanzielle Unterstützung für 2026 gebeten, doch fiel das Abstimmungsergebnis deutlich aus: 12 Räte stimmten gegen die Förderung der beantragten sozio-kulturellen Projekte, fünf dafür, drei enthielten sich.
Der Geschäftsführerin des NDK, Martina Glass, sowie ihrer Mitarbeiterin Melanie Haller stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Den Tränen nahe, lehnten sie im Anschluss jegliche Stellungnahme ab. Man müsse das Votum zunächst sacken lassen, werde sich aber zu gegebener Zeit äußern, kündigte ein Vereinssprecher auf LVZ-Nachfrage an.
Beschäftigung mit der DDR-Geschichte, dazu der Betrieb des Bürgerzentrums am Domplatz − auch im nächsten Jahr sollte der Veranstaltungskalender des bundesweit preisgekrönten Vereins pickepackevoll sein. Gut 160.000 Euro brauche das NDK dafür. Der Großteil der Summe seien Fördergelder, die bis Ende April beim Kulturraum Leipziger Raum beantragt sein müssen.
Acht Prozent des Gesamtbetrages, gut 12.000 Euro, hätte die Stadt Wurzen als sogenannten Sitzgemeindeanteil zuschießen müssen, um die Förderung im Gesamtpaket abrufen zu können. Waren solche Gelder bislang eher verwaltungstechnische Durchlaufposten, schreibt die neue Satzung der Stadt seit diesem Jahr mehr Transparenz vor. Heißt: Die Stadträte sind zwingend zu hören.
AfD rechnet mit Verein ab
Und so nutzte AfD-Stadtrat Lars Vogel die Bühne zum Rundumschlag: „Sie mögen uns nicht, wir sie nicht.“ Das NDK erfülle die Förderrichtlinien gleich in mehreren Punkten nicht. Als Beispiel nannte er fehlende Überparteilichkeit sowie eine alles andere als sparsame Wirtschaftsführung. Außerdem verwehre der in seinen Augen linke Verein politisch Andersdenkenden den Zutritt.
Auch „linke Subkultur“ könne es nicht zum Nulltarif geben, sagte Vogel schon im März im Kulturausschuss. Im Vergleich zu den Gesamtkosten seien erwirtschaftete 4000 Euro aus Eintrittsgeldern, Teilnehmergebühren und Spenden zu wenig. Er beantragte, dass der Stadtrat entscheiden möge. Bis dahin habe das NDK die Möglichkeit, nachzubessern und weniger Kosten aufzurufen.
Verein erreicht pro Jahr 7000 Menschen
Der Verein besserte tatsächlich nach, drückte den Anteil der Stadt Wurzen um 3000 Euro. Und doch: Die Mehrheit der Stadträte blieb hart. Da nützte es auch nichts, dass die beiden NDK-Vertreterinnen Glass und Haller betonten, dass der Verein pro Jahr etwa 30 Veranstaltungen organisiere und insgesamt bis zu 7000 Menschen erreiche.
Man sei breit aufgestellt, machte das NDK klar. Von Mitmachzirkus über Figurentheater bis zum Krimi-Dinner, von Rock über Swing bis Salsa, von Vorträgen über Lesungen bis hin zu Gedenkmärschen. Um den Zugang zu den Angeboten möglichst niederschwellig zu halten, könne nicht für jede Veranstaltung ein Eintrittsgeld erhoben werden, hieß es.
Als die Abstimmung nahte, sorgte Oberbürgermeister Marcel Buchta (parteilos) für eine Überraschung. Da es im Vorfeld der Debatte zu nicht näher beschriebenen Bedrohungen gekommen sei und der Schutz der Räte vorgehe, halte er eine geheime Abstimmung für geboten. Zwar folgte die Mehrheit der Stadträte seinem Antrag, doch gab es auch nachdenkliche Worte.
Sie habe über Buschfunk von einer vagen Bedrohung gehört, sagt SPD-Stadträtin Steffi Kretzschmar. Sie wollte wissen, was passiert sei und ob die Verwaltung gegebenenfalls Strafanzeige gestellt habe. Sie sei kein Fan von Geheimniskrämerei und fragte, ob das Parlament jetzt permanent so verfahren wolle, sobald knifflige Entscheidungen anstehen, etwa wenn es um Kita-Beiträge gehe und Eltern anrückten.
CDU-Stadträtinnen fühlten sich bedroht
Buchta weigerte sich, in der Öffentlichkeit über Details zu reden. Nach LVZ-Informationen bezieht sich die im Raum stehende mutmaßliche Bedrohung auf die Bemerkung eines Gastes im Anschluss an die jüngste Kulturausschusssitzung. Dieser habe zwei CDU-Stadträtinnen offenbar vehement vorgehalten, mit der AfD gestimmt zu haben.
Eine der beiden Bedrohten soll Stadträtin Sarah Fischer gewesen sein. Für die LVZ war sie am Mittwoch nicht zu erreichen. Nach der Kulturausschusssitzung unterstrich sie gegenüber dieser Zeitung aber, dass es ihrer Meinung nach wichtig sei, die Entscheidung möglichst transparent und auf einer breiten Basis zu fällen. Dafür sei der Stadtrat das richtige Gremium.
„Tausende freiwillige Arbeitsstunden“
Bei dem Gast des Kulturausschusses handelte es sich um Michael Tietz. Der junge Mann verließ während der Stadtratsdebatte demonstrativ den Raum. Als AfD-Mann Vogel reden wollte, konnte sich Tietz ein Lachen nicht verkneifen und kassierte dafür eine strikte Ermahnung von Buchta. Er könne ein solch ungehöriges Verhalten nicht dulden, so der Stadtchef.
Tietz stellte sich gegenüber der LVZ als Mitglied der Partei Die Linke vor. Er sei vor einem Jahr nach Wurzen gezogen und besuche regelmäßig die Veranstaltungen des NDK. Das Abstimmungsergebnis bezeichnete er als „eindeutig politisch motiviert“. Ähnlich sagte es Linken-Stadtrat Jens Kretzschmar. Er vermutet, dass die zwölf Nein-Stimmen neben der AfD hauptsächlich von der CDU stammten.
Es sei bitter und tragisch zugleich, was dem NDK widerfahren sei: „Seit Jahren baut der Verein an seinem Haus am Domplatz. Tausende freiwillige Arbeitsstunden sind aufgelaufen. Jetzt, da alles fertig ist und man so richtig loslegen will, kommt dieser Ablehnungsbeschluss.“ Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit des NDK drohe wegzubrechen und mit ihm manche Stelle, so Kretzschmar, selbst Vereinsmitglied.
Sebastian Miklitsch ist Kultursekretär vom Fördermittelgeber Kulturraum Leipziger Raum. Er zeigte sich überrascht vom Abstimmungsergebnis in Wurzen. Seiner Meinung nach stelle die Arbeit des Vereins eine Bereicherung auch über Wurzen hinaus dar: „Ich mache das hier seit 2018. Es ist das erste Mal, dass ein Stadtrat die Gelder für einen so langjährig-anerkannten Player streicht.“
Fördermittelgeber zeigt sich überrascht
Dass die Stadt Wurzen offenbar nicht mehr wie bisher hinter dem Verein stehe, nehme er zur Kenntnis. Ob die vom Kulturraum in Aussicht gestellten 70.000 Euro trotz des Wurzener Votums fließen würden, könne aktuell niemand sagen: „Über die Vergabe der Fördergelder entscheidet der Kulturkonvent im November“, so Miklitsch.
Stadtsprecherin Cornelia Hanspach sieht in jeder Krise auch eine Chance. „Stadträte und NDK sollten sich schnellstens an einen Tisch setzen“, sagt sie. Es gebe zu viel Unausgesprochenes: „Ich spüre eine tiefe Verletztheit der Wurzener aus der Zeit, in der die Stadt in links und rechts gespalten war. Doch seitdem ist viel passiert, auch Gutes.“