Antisemitismus in der Linken: Wie schlimm ist es wirklich?

Die verbreitete Annahme, Linke seien per se israelfeindlich oder gar antisemitisch, ist falsch und nicht hilfreich. Warum sich das Hingucken lohnt.

Meldungen über linken Antisemitismus begegnen einem inzwischen im Wochentakt. Auf Demonstrationen feiern Linke den Terror gegen israelische Zivilisten. An Hochschulen bedrohen sie Kommilitonen. Auf Social Media wollen sie einem erklären, weshalb der jüdische Staat mit Gewalt beseitigt werden müsse – und warum Morde an Zivilisten legitim seien, solange die Opfer israelische Pässe besäßen.

Linke schwärmen von vermeintlicher „Kreativität“ der Hamas-Kämpfer, sie trauern um deren toten Anführer, den Massenmörder Yahya Sinwar. Sie sehen Islamisten als ihre zeitweiligen Verbündeten an, demonstrieren an deren Seite und schämen sich nicht einmal dafür.

Die tiefe Verstrickung linker Gruppen in die Szene der Israelhasser ist gut dokumentiert und zu Recht immer wieder Gegenstand journalistischer Berichterstattung.

Dabei ist jedoch eine Schieflage entstanden. In der deutschen Öffentlichkeit macht sich verstärkt die Annahme breit, Linke seien per se israelfeindlich oder gar antisemitisch. Diese Annahme ist erstens falsch und zweitens nicht hilfreich.

Viel richtiger wäre: Nirgendwo im politischen Spektrum wird so kontrovers und heftig über Nahost, Israel und Antisemitismus gestritten wie innerhalb der Linken. In keinem Spektrum stehen sich die Lager so unversöhnlich gegenüber.

Die Überzeugung, Israel besitze kein Existenzrecht und müsse dringend von der Landkarte verschwinden, ist eine Minderheitenmeinung innerhalb der Linken. Die deutliche Mehrheit wünscht sich eine friedliche Koexistenz Israels mit einem Staat Palästina. Also die Zweistaatenlösung mit umfangreichen Sicherheitsgarantien für Israel durch seine Nachbarn. Eigentlich ein No Brainer.

Eine vernünftige Forderung, wie sie seit Jahrzehnten von der Bundesregierung vertreten wird und wie sie Israel selbst mehrfach akzeptiert beziehungsweise vorgeschlagen hat, das erste Mal bereits 1947, noch vor der eigenen Staatsgründung. Außerdem weiß die große Mehrheit der Linken, dass Israel ein sicherer Hafen für Juden weltweit ist.

Für ihre Weigerung, Israel zu dämonisieren, werden bundesweit linke Initiativen, Antifagruppen, Kulturzentren, Wohnprojekte, Clubs und Bildungseinrichtungen massiv angefeindet – und zwar von einer radikalisierten Bubble innerhalb des eigenen Spektrums, die organisiert, laut und äußerst aggressiv auftritt, aber dennoch Minderheit bleibt.

Die Hamburger „Rote Flora“, Deutschlands einflussreichstes autonomes Kulturzentrum, positionierte sich bereits kurz nach den Massakern der Hamas vom 7. Oktober 2023 und dem folgenden Einmarsch der israelischen Armee in Gaza unmissverständlich: „Free the World from Hamas“ stand auf einem Banner an der Gebäudefront. Später folgte eine zweite Botschaft: „Killing Jews is not Fighting for Freedom“.

Der Widerspruch ist vielfältig und nachdrücklich

Das Antifamagazin

„Der Rechte Rand“ machte ebenfalls klar, dass jede Form des Judenhasses zu bekämpfen ist, auch jene, die sich hinter der Forderung zur Vernichtung Israels verbirgt und als „Antizionismus“ tarnt. Das Magazin warf linken Israelfeinden vor, sich mit den „Vergewaltigern und Mördern der Hamas zu solidarisieren“. Es gelte: „Wenn Du AntifaschistIn bist, stehst Du besonders in Deutschland an der Seite der Jüdinnen und Juden und gegen Antisemitismus.“

Ähnlich eindeutig haben sich Initiativen wie „Omas gegen Rechts“ oder die Hacker von „Anonymous Germany“ positioniert. Ebenso linke Fußballclubs wie der FC St. Pauli, Zusammenschlüsse wie die „Artists against Antisemitism“ und die „Punks against Antisemitism“ sowie die „Antimilitaristische Aktion Berlin“.

Dezidiert linke Bands wie Antilopen Gang, ZSK und Feine Sahne Fischfilet taten es wie die Amadeu Antonio Stiftung und ihr Portal „Belltower News“. Selbiges gilt für das linke Wochenmagazin „Jungle World“ sowie große Teile der „taz“, für das Portal „Volksverpetzer“ sowie für linke Recherchegruppen wie Friedensdemo-Watch, Querdenkenwatch und viele andere.

Solche Bekenntnisse verdienen Respekt, denn sie erfordern tatsächlich Courage: Wer nicht schweigt, zieht automatisch den organisierten Hass der Antisemiten auf sich. Es wird mit allen Mitteln versucht, diese Stimmen mundtot zu machen.
Brandanschläge zur Einschüchterung

Bundesweit werden linke Clubs und Kultureinrichtungen angegriffen, weil sie sich aktiv dem Israelhass entgegenstellen: in Leipzig das Conne Island und der anarchistische Stadtteilladen Atari, in Freiburg das Strandcafé, in Oberhausen die Kurzfilmtage.

In Berlin gab es einen Brandanschlag auf das Hausprojekt Scharni 38. Dessen Bewohner hatten es gewagt, in großen Lettern den Slogan „Gegen jeden Antisemitismus“ an ihre Fassade zu pinseln. Der Club About Blank wird seit Monaten mit einer Diffamierungs- und Boykottkampagne überzogen. Die Kneipe Bajszel soll mit roher Gewalt und antisemitischen Schmierereien aus Neukölln vertrieben werden.

Auffällig war, dass es bei der diesjährigen Revolutionären 1.-Mai-Demo keinen autonomen Block gab. Die Autonomen waren reihenweise zu Hause geblieben, da sie die einseitige Anti-Israel-Ausrichtung der Veranstalter nicht mittragen wollten. Eine autonome Bezugsgruppe begründete ihren Boykott später damit, sie habe in Aspekten der Demonstration einen „unüberwindbaren Widerspruch zu den Kernelementen antifaschistischer Politik“ gesehen.

Und weiter: „Sollte es im nächsten Jahr wieder eine derartige Verschiebung politischer Themen geben, werden wir auch dann nicht teilnehmen.“ Die gute Nachricht lautet: Die Szene der Israelhasser schrumpft seit Monaten. Viele Linke mit Restvernunft haben sich aus ihr zurückgezogen. Die Übriggebliebenen radikalisieren und isolieren sich immer weiter. Der Prozess ist vergleichbar mit der Entwicklung der „Querdenken-Bewegung“ während der Corona-Zeit.

Ein wichtiger Grund für den vielfachen Rückzug ist die Erkenntnis, dass diese Bubble so manches sein mag, aber ganz sicher nicht: progressiv. Gezeigtes Verhalten ist schlicht unvereinbar mit zeitgemäßen linken Grundüberzeugungen und Mindeststandards. So ist es zum Beispiel üblich, Vergewaltigungsopfern nicht zu glauben und von ihnen Bildmaterial als Beweise einzufordern. Es herrscht extreme Pressefeindlichkeit, es gibt Chauvinismus sowie ein verstörendes Faible für Nationalflaggen (sofern es sich nicht um israelische handelt).

Die Bubble verspottet Andersdenkende wegen ihres Aussehens, dichtet ihnen psychische Erkrankungen an. Es werden wirre Rassentheorien verbreitet wie jene, dass alle Juden „weiß“ seien und deshalb „Unterdrücker“. Es gibt gezielte Versuche, die Singularität des Holocaust anzuzweifeln. Nichts davon lässt sich als fortschrittlich deuten.

Von K-Gruppen und anderen Politsekten

Die linken Strömungen, die tatsächlich israelfeindlich und oft auch klar antisemitisch sind, gehören überwiegend dem Spektrum der dogmatischen Linken an: K-Gruppen, Politsekten, Anhänger von Stalin, Mao oder Trotzki. Man könnte sagen: die besonders Gestrigen.

Innerhalb der Linken sind diese Akteure als „Tankies“ verschrien, als autoritäre Kommunisten. Sie selbst nennen sich „Anti-Imperialisten“. Da diese Gruppen in der Regel straff organisiert sind, haben sie auf der Straße eine Präsenz, die über tatsächliche Größenverhältnisse hinwegtäuscht.

Hinzu kommt die Fraktion der selbsternannten „Anti-Kolonialisten“, wobei dieses Etikett in die Irre führt, weil die betreffenden Gruppen keine logische Fortführung der Theorien Frantz Fanons und anderer Denker anbieten, sondern lediglich eine vulgäre Verirrung des Antikolonialismus.

Das andere Buch, das neben Balzers „After Woke“ dieses Jahr große Aufmerksamkeit innerhalb der Linken erhielt, heißt „Judenhass Underground“. Es erschien bereits vor dem 7. Oktober 2023, ist jedoch hochaktuell, denn es beschreibt anschaulich, in welchen tendenziell linken Subkulturen Antisemitismus gedeiht.

Die Herausgeber Nicholas Potter und Stefan Lauer haben ihr Buch auf mehr als 50 gut besuchten Lesungen vorgestellt. Der Großteil ihrer Gäste kommt aus dem linken Spektrum, viele Lesungen fanden in autonomen Zentren oder linken Bars statt.

Nicholas Potter sagt: „Unsere Besucher wissen in der Regel schon sehr gut, dass ihre Szenen und Bewegungen ein Problem mit Antisemitismus haben. Das sehen sie leider tagtäglich.“ Deshalb hätten die Lesungen für viele etwas Motivierendes: „Man will gemeinsam dieses Problem in den eigenen Reihen bekämpfen.“

Das Kräfteverhältnis einer vernünftigen Mehrheit und einer radikalisierten, lauten Minderheit findet sich übrigens auch in der Partei Die Linke. Ich habe darüber kürzlich einen ausführlichen Text geschrieben, der sich hier nachlesen lässt.

Sollten die antisemitischen Ausfälle von Linken am Ende irgendetwas Gutes bewirken, dann wohl, dass sie zu einer Klärung innerhalb der Szene beigetragen haben. Gruppen, die das Existenzrecht Israels ablehnen, sind inzwischen isoliert und werden dies auch künftig bleiben.

Israelhasser wie Greta Thunberg oder der nun aus der Linkspartei ausgeschlossene Aktivist Ramsis Kilani haben sich selbst demaskiert und derart unmöglich gemacht, dass sie in ernst zu nehmenden emanzipatorischen Zusammenhängen keine Rolle mehr spielen werden. Die Mehrheit der Linken lehnt inzwischen auch die BDS-Bewegung offen ab. Deren Versuche, ihr Ziel der Abschaffung Israels zu verschleiern, sind gescheitert.

Die österreichische Autorin und Feministin Beatrice Frasl schrieb schon im Oktober vergangenen Jahres: „Wir werden Eure ‚This is decolonization‘-Posts nicht vergessen. Es wird nie wieder ein ‚Wir‘ geben mit euch. Es gibt keinen Weg zurück von hier.“