„Königreich Deutschland“: Wie Reichsbürger die sächsischen Behörden vorführen
In Halsbrücke betreibt ein selbst ernannter König Landwirtschaft: Er hält Kühe, verkauft Käse – und bricht Regeln. Der Landkreis hatte ein konsequentes Vorgehen versprochen. Ist der Staat hilflos gegen jene, die ihn infrage stellen?
Wer wissen will, womit sich Landwirte manchmal rumschlagen, dem legt Kai Pönitz ein Schreiben vor. Das Lebensmittelüberwachungs- und Veterinäramt hat es vergangenes Jahr an den Öko-Bauern verschickt. Es geht um eine Fleischprobe, die die Behörde geprüft hat. Routine. Der Befund ist eindeutig: Aussehen, Geruch, mikrobiologischer Befund: „ohne Abweichung“.
Und doch gibt es einiges zu bekritteln: Die Lesbarkeit des Etiketts, das Pönitz teilweise per Hand beschrieben hat. Es geht um eine fehlende Adresse, um Formulierungen zum Mindesthaltbarkeitsdatum. Es wird auf verschiedene Paragrafen verwiesen. Das geht so über acht Seiten. „Da hat bestimmt einer mehrere Tage drüber gebrütet“, sagt Kai Pönitz.
Der 55-Jährige findet das Schreiben absurd, ihn regt aber etwas ganz anderes auf: Seit 1999 betreibt Pönitz seinen Hof in Seifersdorf, nahe Großschirma. Er ist bereit, gesetzliche Bestimmungen zu befolgen, manche Kleinlichkeit der Behörden hinzunehmen. Er weiß aber auch, dass sich auf einem Hof, nur zehn Kilometer weiter, niemand an die Regeln hält. Ein Problem, auch für die Behörden. Ist der Staat hilflos gegen jene, die ihn infrage stellen?
Landrat Neubauer machte eine klare Kampfansage
Versteckt hinter einem Wald liegt das Kanzleilehngut Halsbrücke: ein herrschaftliches Haus mit großem Stall. Auf den Weiden grasen Kühe, ein Mitarbeiter lädt Mist auf die Schaufel seines Radladers. An einer rostigen Regenrinne hängt ein mit Schnörkeln dekoriertes Schild. „Hausordnung“ steht darauf. Dazu der Hinweis: „Mit dem Betreten des Geländes sind Sie temporär Staatszugehöriger des Königreiches Deutschland und damit einverstanden. Es entstehen keine weiteren Rechte und Pflichten.“
Etwa 3000 Reichsbürger und Selbstverwalter leben derzeit in Sachsen, schätzt der Verfassungsschutz: Die Zahl ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Das „Königreich Deutschland“ (KRD) gehört zu den bekanntesten Gruppen: An der Spitze steht Peter Fitzek, der in Sachsen über Mittelsmänner Immobilien kaufen lässt, um dort einen Fantasiestaat einzurichten. Auch hier in Halsbrücke.
In der Welt von Peter Fitzek existiert die Bundesrepublik Deutschland nicht. Seinen Personalausweis hat er abgeben. Im KRD dreht sich alles um ihn: Einen ehemaligen Koch, der sich zum König krönen ließ, eigene Regeln und Gesetze macht. Fitzek umgibt sich mit Verschwörungsideologen, er pflegt Kontakte zu Rechtsextremen, taucht immer wieder im Bericht des Verfassungsschutzes auf.
Das Kanzleilehngut in Halsbrücke hat eine eigene Käserei, einen Hofladen, mehrere Hektar Land – ein stattliches Anwesen, das jeder in der Region kennt. Als sich das KRD hier niederließ, war die Aufregung groß. Im Juli 2023 lud Bürgermeister Andreas Beger in den Veranstaltungsaal der Gemeinde zu einer Bürgerversammlung. Beger war da, aber auch der Verfassungsschutz, ein Sektenbeauftragter, ein Beamter der Polizeidirektion Chemnitz.
Man wollte in dem voll gestopften Saal aufklären über Reichsbürger und die Machenschaften des mehrfach verurteilten Peter Fitzek. Der saß selbst in der ersten Reihe, hörte einen Vortrag über sich an, lauschte den Worten von Landrat Dirk Neubauer: „Wir werden nicht zulassen, dass Parallelgesellschaften dieses Land beschädigen.“ Es klang nach einer Kampfansage.
Auch Kai Pönitz war an diesem Abend da. Der Landwirt wollte wissen, wie es weitergeht. Was er und viele andere damals nicht ahnten: Dass es nicht so leicht wird. Auch weil die Behörden nicht mit derselben Bestimmtheit auftreten, wie der Landrat in der Aula von Halsbrücke.
Es ist nicht so, dass es keinen Plan gibt: Der Gemeinde und der Stadt Freiberg gehören Teile des Grundstücks. Man hat sich entschlossen, vom Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen: Es gibt gemeinsame Pläne, auf dem Kanzleilehngut ein interkommunales Bildungszentrum aufzubauen. Doch Käufer und Verkäufer haben Widerspruch eingelegt und Akteneinsicht verlangt, wie die Freie Presse berichtet. Auch das gehört zur Realität im Umgang mit Reichsbürgern: Wenn die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland ihre Interessen schützen, nutzen sie das aus.
Seit Monaten zieht sich nun das Verfahren. Währenddessen haben sich Fitzek und seine Anhänger auf dem Hof eingerichtet. Über den Messengerdienst Telegram werden Ferienwohnungen und Seminare angeboten. Bis vor kurzem wurde im Hofladen Käse aus eigener Herstellung verkauft – ohne Genehmigung. Derzeit ist der Laden vorübergehend geschlossen. Den Käse kann man aber immer noch über den Online-Shop des KRD kaufen: Für 27 E-Mark das Kilo – umgerechnet 29 Euro. Ob er den Standards des Lebensmittelüberwachungs- und Veterinäramtes entspricht? Man weiß es nicht.
Es gibt einige, die es gut finden, dass Fitzek dem Staat eins auswischt
In Halsbrücke gibt es eine Initiative, die über die Reichsbürger aufklären will. Zu den Unterstützern gehören Menschen wie Kai Pönitz. Er mag kein Experte auf dem Gebiet sein, aber er weiß eben, wie streng die Behörden sein können: Der Landwirt muss alles genau dokumentieren, Fristen einhalten. Wenn sich eines seiner Galloway-Rinder auf der Weide die Ohrmarke abschubbert, ist er verpflichtet, sie zu ersetzen. Ansonsten bekommt er Probleme.
Auf den Wiesen des Kanzleilehngut Halsbrücke trägt kaum eines der Rinder eine Ohrmarke. Offenbar wurden sie entfernt, weil sie als Symbol jenes Systems gelten, dass Peter Fitzek und seine Anhänger ablehnen. Ein klarer Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht und doch passierte lange Zeit nichts. „Wie kann das sein?“, fragt sich Kai Pönitz. „Recht und Gesetz gelten doch für alle und müssen durchgesetzt werden. Gerade bei denen, die sie sich mit voller Absicht nicht daran halten.“
Ein Staat, der nicht konsequent durchgreift, setzt die Rechtstreue der restlichen Bevölkerung auf Spiel. So sieht das Pönitz. Warum soll ich mich an die Regeln halten, wenn andere einfach davonkommen? Für den Landwirt stellt sich die Frage nicht. Aber er weiß, wie einige in der Nachbarschaft ticken: Sie finden es gut, dass Fitzek „denen da oben“ eins auswischt.
Der Landkreis Mittelsachsen wollte sich durchsetzen – oder besser: Er hat es versucht. „Wir haben viele Kontrollen durchgeführt, aber wir sind auf eine Mitwirkung angewiesen“, so erzählt es Dirk Neubauer am Telefon. Mitarbeiter der Behörden seien nicht aufs Gelände gelassen, ständig an neue Ansprechpartner verwiesen worden: „Ein einziges Verwirrspiel“, so beschreibt es Neubauer. Er weiß, wie das für Außenstehende aussieht: Seine Behörde lässt sich vorführen. „Aber wir können erst wirklich tätig werden, wenn eine bestimmte Grenze erreicht ist.“
Behörden fanden eine tote und eine schwer kranke Kuh
Fünfmal ließ man sich nach LVZ-Informationen in Halsbrücke abweisen. Mindestens. Erst dann entschied das Landratsamt, Amtshilfeersuchen bei der Polizei zu stellen. Mitte September rückten dann Kontrolleure gemeinsam mit Beamten aus Chemnitz auf dem Gelände ein. Insgesamt 80 Personen. Sie kontrollierten Ställe, Käserei und Hofladen, schauten sich das Bestandsregister und tierärztliche Untersuchungsberichte an. So erklärt es das Landratsamt auf Anfrage. Was es nicht erwähnt, in Verwaltungskreisen aber bekannt ist: Eine Kuh war tot und eine andere schwer krank. Sie musste eingeschläfert werden. Das „Königreich Deutschland“ lässt eine LVZ-Anfrage zu alldem unbeantwortet.
Der Gesundheitszustand der Tiere wirft Fragen auf – ebenso das Vorgehen der Behörden. Innenminister Armin Schuster (CDU) hat im Kampf gegen Rechtsextremismus und Reichsbürger den Druck erhöht: Seit einiger Zeit gibt es ein Experten-Netzwerk, das Landkreise und Kommunen bei solchen Fällen unterstützen soll. Angesiedelt ist es bei der Landesdirektion. Das Ziel: Staatsfeinde mit Verwaltungsrecht zu schlagen, also mit Regelungen, die für Gaststättenbetreiber gelten oder eben landwirtschaftliche Betriebe: „Das ist mühsam, manchmal ‚knochentrocken‘ und teilweise hochkomplex. Da geht es um Details, die essenziell sein können, um rechtssicher zu entscheiden“, sagt Regina Kraushaar, Chefin der Landesdirektion.
Die Landkreise haben Koordinatoren benannt, die sich mit dem Experten-Netzwerk austauschen können. Wo man eng zusammenarbeitet, gibt es durchaus Erfolge: Nachdem Behörden und Polizei dem KRD auf die Pelle gerückt sind, stehen im Erzgebirge eine Villa und Ländereien wieder zum Verkauf. In Boxberg, bei Bautzen, lebt noch eine Handvoll Anhänger in einem Schloss. Sie sind aber nach regelmäßigen Kontrollen längst nicht mehr so aktiv.
Über die Zusammenarbeit mit Mittelsachsen, den Umgang der Behörden mit Fitzek, redet von Behördenseite niemand offen. Doch wer sich umhört, dem wird klar: Es ist schwierig. Offenbar glaubt der Landkreis das Problem allein klären zu können, ist aber womöglich überfordert. Das Ergebnis: Zurückhaltung, trotz offensichtlicher Regelverstöße. Immerhin untersagte die Gemeinde Halsbrücke kürzlich erfolgreich eine Veranstaltung auf dem Kanzleilehngut.
Trotzdem ist der Frust bei den Behörden groß. Vor allem, weil man in Mittelsachsen so lange gezögert hat, Kontrollen mit der Polizei durchzusetzen. Peter Fitzek ist dafür bekannt, aggressiv gegenüber Verwaltungsmitarbeitern aufzutreten. Gegen ihn läuft ein Verfahren, weil er eine Mitarbeiterin im Landratsamt Wittenberg getreten haben soll. Dass Gefahr im Verzug ist, hätte sich früh begründen lassen, davon sind Verwaltungsexperten überzeugt. Auch der Hofladen könnte längst dauerhaft geschlossen, der Käse aus dem Verkehr gezogen, sein. Und die Rinder? „Man sollte ein Tierhaltungsverbot durchsetzen.“ Das findet zumindest Landwirt Kai Pönitz. Ob das noch passiert, wird von den nächsten Wochen und Monaten abhängen, und der künftigen Hausspitze im Landratsamt. Dirk Neubauer hört Ende September auf. Die Reichsbürger sind künftig das Problem anderer.