Ärztin aus Moritzburg zu Haftstrafe verurteilt – aber trotzdem auf freiem Fuß

Beim Prozess gegen die Moritzburger Ärztin Bianca W., die über 1.000 Corona-Atteste gefälscht haben soll, musste am Montag die Sitzung unterbrochen werden. Das Urteil fiel dann sehr mild aus.

Kurz vor der Verurteilung im Landgericht Dresden: Die Moritzburger Ärztin Bianca W. mit ihren Verteidigern Carsten Brunzel (r.) und Ralph Boleslawski.

Der Gerichtssaal ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwa 110 Zuschauer, vor allem Sympathisanten der Angeklagten, warten gespannt auf das Landgericht Dresden. Dutzende hatten sich schon vor 8 Uhr vor dem Gebäude am Dresdner Hammerweg eingefunden, um einen Platz zu ergattern. Als Wachtmeister kurz nach 9 Uhr die 67-jährige Ärztin Bianca W. in den Saal führen, stehen sie auf und klatschen. Die Angeklagte winkt ihnen zu.

Das Gericht betritt erst 20 Minuten später den Saal. Jetzt stehen viele bewusst nicht auf. Ehe der Vorsitzende Richter Jürgen Scheuring im Namen des Volkes den Urteilstenor verkünden kann, beenden Wachtmeister diese erneute Provokation.

Die Moritzburger Hausärztin, sie gehört der Reichsbürgerszene an, bekannte sich zum „indigenen Volk der Germaniten“, wird unter anderem wegen Ausstellens falscher Gesundheitszeugnisse in rund 1.000 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Weiter ordnet Scheuring die Einziehung von mehr als 47.000 Euro an, die W. für ihre Atteste kassiert habe. Als er nun die Namen Dutzender Menschen vorliest, deren Atteste bei Durchsuchungen im Haus der Ärztin sichergestellt wurden, ruft ein Zuschauer laut: „So vielen Menschen hat sie geholfen mit ihren Attesten!“

Die Sympathisanten klatschen. Wieder werden die Wachtmeister tätig. Während sie den Störer aus dem Saal bringen, stimmen viele Anhänger wie zuvor abgesprochen die deutsche Nationalhymne an. Dann skandieren sie „Freiheit! Freiheit!“ In den tumulthaften Szenen lässt Scheuring den Saal räumen. Es wird laut, es wird geschubst, jemand stürzt, ein älterer Mann droht: „Es kommt bald die Wende!“

Erst nach einer eineinhalbstündigen Unterbrechung setzt der Vorsitzende die Verkündung fort. Da sind nur noch knapp 20 Sympathisanten im Saal. Die Mehrheit hat das Gebäude verlassen, manche warten draußen. Scheuring teilt mit, dass identifizierte Störer nicht mehr in den Saal gelassen würden und mit einer Anzeige zu rechnen hätten.

Er ist nun beherrscht. „Ich verstehe die Aufregung mehr, als Sie denken“, sagt er zum Publikum. Es sei „grundsätzlich zulässig“, von einem „politischen“ besser einem „politisierten“ Verfahren zu sprechen. Aufgrund der Unsicherheiten in der Coronapandemie dürfe man Kritik äußern: „Das ist völlig in Ordnung“. In der Coronazeit, „die wir hinter uns gebracht haben, haben viele nicht gewusst, wie es weitergeht“. Viele hätten sich angesteckt, viele seien auch gestorben, darunter Freunde und Kollegen. Doch das Tragen einer Maske sei seit Jahrhunderten eine Wahl, um andere Menschen nicht anzustecken.

Der „demokratisch legitimierte Gesetzgeber“ habe die Regelungen getroffen, „ob die nun einem gefallen oder nicht, Behörden und Richter halten sich daran“. Der Behauptung einer Übersterblichkeit durch Impfungen könne er nicht folgen. Er riet, die Corona-Maßnahmen nicht aus heutiger Sicht zu beurteilen, sondern aus der Zeit heraus, in der sie getroffen wurden.

Ärztliche Gesundheitszeugnisse seien ein „sehr wertvolles Gut“, das habe auch der Gesetzgeber berücksichtigt, aus Respekt und Vertrauen gegenüber dem Beruf eines Arztes. Doch genau gegen die ihres Berufsstandes habe Bianca W. in eklatanter Weise verstoßen, indem sie Atteste ohne Befund ausgestellt habe. Das habe die Beweisaufnahme ergeben.

Die 67-Jährige habe ihre Patienten „aus medizinischen Gründen lebenslang“ vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit, habe ihnen ein „unbegrenztes Impfverbot“ attestiert und eine Befreiung der Covid-Schnelltestung per Speichel, ebenfalls aus medizinischen Gründen.

Diese Befunde habe die Ärztin ohne Untersuchung bescheinigt, obwohl sie gewusst habe, dass das so nicht gehe. W. selbst habe das indirekt zugegeben, indem sie ihre Attestbefunde als ihre „Einstellung“ bezeichnete. Sie habe bewusst ihre Einstellung über die ärztlichen Berufsstandards gestellt.

Zwei Stunden lang berichtet Scheuring, dass W. gezielt „Gefälligkeits-Atteste“ ausgestellt habe. Ihre „widerständige Auffassung“ habe sie sich auch noch „recht ordentlich bezahlen lassen“. Auch das hätten die Zeugen bestätigt. Angeklagt waren bundesweit fünf gut vorbereitete Sammeltermine, bei denen bis zu 268 Patienten an einem Tag Atteste erhielten. Da sei kein Raum für Untersuchungen geblieben. Mit dem Einsatz ihres völlig ungeeigneten „Bioresonanz-Gerätes“ habe sie eine Untersuchung lediglich vorgegaukelt.

Mit dem Strafmaß bleibt die Kammer weit unter der Forderung der Staatsanwaltschaft von vier Jahren und zehn Monaten. Erst vergangene Woche hatte die Verteidigung Freispruch für ihre Mandantin gefordert.

Außerdem erhält die Ärztin wegen Wiederholungsgefahr ein dreijähriges Berufsverbot, das der Richter mit ihrer emsigen Attest-Vergabe, sondern ihrer Einstellung begründet.

Am Schluss bestätigt das Gericht zwar den Haftbefehl gegen die Frau, die seit fast 16 Monaten wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft sitzt, setzt den Haftbefehl jedoch außer Vollzug. Bianca W. ist frei. Ihre Sympathisanten empfangen die Verurteilte vor dem Gebäude, singen „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ und stoßen mit Sekt auf sie an. Die Ärztin bedankt sich bei ihnen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der Prozess lief seit November 2023. Alle 27 Sitzungstage fanden nicht im Justizzentrum am Sachsenplatz, sondern im Sicherheitsgerichtssaal des Oberlandesgerichts im Dresdner Norden statt. Das Gericht hatte den Ort unter anderem mit der Anhängerschaft der Angeklagten begründet. Mehrere Dutzend Sympathisanten hatten den Prozess begleitet, vor dem Frauengefängnis in Chemnitz hatten unter anderem auch die rechtsextremen „Freien Sachsen“ wiederholt Demonstrationen durchgeführt.

Nach dem Prozesstag am 13. Mai waren die Richter der Kammer von Zuschauern vor dem Gebäude attackiert worden, als sie in ihrem Dienstfahrzeug an einer roten Ampel warten mussten. Sie seien „angebrüllt“, „beleidigt“ und „bedroht“ worden, sagte der Vorsitzende am Ende der Verhandlung. Unter anderem habe eine Frau gefordert, die Angeklagte freizulassen, damit sie sich von ihrem im Sterben liegenden Hund verabschieden könne.

„Wir wissen, welche Beziehung die Angeklagte zu ihrem Hund hatte“, sagte Scheuring. Das Gericht hätte auch eine Lösung dafür gefunden, wenn ein entsprechender Antrag der Verteidigung gekommen wäre. So habe die Kammer auch auf Bitte der Anwälte veranlasst, dass die Angeklagte nicht gefesselt in den Gerichtssaal geführt wurde.


MDR

Landgericht Dresden Tumulte im Gericht: Haftstrafe und Berufsverbot für Ärztin wegen falscher Corona-Atteste

Eine Hausärztin aus Sachsen soll während der Corona-Pandemie mehr als 1.000 falsche Atteste ausgestellt und 47.000 Euro dafür kassiert haben. Sie selbst will sich angeblich nicht bereichert haben. Der Richter des Landgerichts Dresden hat am Montag das Urteil gesprochen. Fans der Ärztin ließen ihn nicht ausreden.

Im Prozess um gefälschte Corona-Atteste ist eine Ärztin aus Moritzburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Zudem erhielt die Frau drei Jahre Berufsverbot und muss rund 47.000 Euro zahlen – die Summe soll sie mit gefälschten Attesten eingenommen haben. Die Richter am Dresdner Landgericht sahen es als erwiesen an, dass die 67-Jährige falsche Gesundheitszeugnisse gewerbsmäßig ausgestellt hat. Zudem habe sie gegen das Waffengesetz verstoßen. Bei einer Razzia war ein nicht angemeldeter Elektroschocker gefunden worden. Nach dem Urteil kam die 67-Jährige vorerst auf freien Fuß.

Die Ärztin wird der Reichsbürgerszene zugeordnet. Laut Staatsanwaltschaft habe sie sich als Angehörige des „Indigenen Volkes der Germaniten“ bezeichnet. Die Hausärztin Bianca W. habe während der Corona-Pandemie Patientinnen und Patienten pauschal bescheinigt, dass sie aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasenschutz tragen können oder nicht geimpft werden dürfen. Dafür habe sie Geld kassiert.

Verhandlungssaal muss geräumt werden

Proteste und Zwischenrufe von Sympathisanten aus dem sogenannten Querdenker-Milieu hatten den Prozess seit November 2023 begleitet. Die Tumulte an diesem Montag begannen, als der Richter das Strafmaß genannt hatte und die Namen der Patienten vorlas, die ein Corona-Attest bekommen sollten, es aber offenbar nicht abgeholt hatten. Die mehr als 100 Sympathisantinnen und Sympathisanten begannen lautstark die deutsche Nationalhymne zu singen. Nach weiteren Tumulten ließ der Vorsitzende Richter den Saal räumen.

Massentermine mit hunderten Menschen

Nach etwa eineinhalb Unterbrechung ging die Urteilsbegründung weiter – mit deutlich weniger Zuschauern in Saal. Das Gericht begründete die Haftstrafe so: Für die Gefälligkeitsatteste habe sich die Ärztin „ordentlich bezahlen lassen“ – für eine faktische Nichtleistung pro Attest zwischen 25 und 50 Euro. Die Ärztin sei von Herbst 2021 an durch die Bundesrepublik gefahren, habe bei mehr als 40 Terminen mit zum Teil mehr als 250 Menschen falsche Atteste ausgestellt. In einigen Fällen seien Familien im Zehn-Minuten-Takt durchgeschleust worden. Die von der Angeklagten ohne eine vorherige Untersuchung ausgestellten Gesundheitszeugnisse seien gefälscht, so das Gericht.

Mehr als 47.000 Euro für Gefälligkeits-Atteste

Die Ärztin habe ihren Beruf missbraucht, gegen Regeln verstoßen und mit ihrem Verhalten dem Ansehen der Ärzteschaft nicht weitergeholfen. Zudem habe sie die Grundregeln der medizinischen Maßnahmen nicht beachtet. Jeder Arzt und jede Ärztin wisse, dass ohne Befund kein Attest ausgestellt werden könne. Ein ärztliches Gesundheitszeugnis habe einen hohen Wert, aber dies sei von der Angeklagten nicht beachtet worden.

Der Richter erinnerte in der Begründung des Urteils an die Unsicherheiten während der Corona-Pandemie. „Wir haben eine Pandemiezeit hinter uns gebracht, in der viele nicht wussten, wie es weitergeht“, sagte er. Das Gesundheitssystem sei überlastet gewesen, viele Menschen seien schwer erkrankt und sogar gestorben.

Überzeugungstäterin – trotz Warnungen der Landesärztekammer

Die Angeklagte habe ihre Tätigkeit trotz Gesetzesverschärfung 2021 und deutlicher Warnungen durch die Landesärztekammer Sachsen fortgesetzt, hatte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer vorletzte Woche betont. Er verlangte auch ein Berufsverbot von vier Jahren und die Einziehung der fünfstelligen Taterträge. Aus Sicht der Anklage war „zweifelsfrei“ erwiesen, dass sie aus Überzeugung gegen die staatlichen Schutzmaßnahmen in der Pandemie gehandelt habe, mit hoher krimineller Energie, so der Staatsanwalt.

Angeklagte ist sich „keiner Schuld bewusst“

Die Verteidigung hingegen hatte vorige Woche Freispruch für die Angeklagte verlangt. Sie habe „nach bestem Wissen und Gewissen“ und zum Wohle ihrer Patienten gehandelt, sagte die 67-Jährige am vorletzten Gerichtstag. Ihrer Meinung nach seien Schutzmasken schädlich für den menschlichen Organismus. PCR-Tests und die Corona-Schutzimpfung nannte sie „Gift“. Sie habe ihre Patienten nur schützen wollen und sei sich keiner Schuld bewusst. Außerdem habe sie sich nicht bereichert. Aus Sicht ihrer Verteidiger seien die Corona-Schutzmaßnahmen verfassungswidrig gewesen. Sie bemühte sogar Vergleiche zu Hexenprozessen herbei.


Kim Marie Moser, Emma Schwarze, Erik Töpfer Mopo

Wegen gefälschter Corona-Atteste verurteilt: Ärztin kommt vorerst auf freien Fuß
Urteil im Hochsicherheitsgericht: „Reichsbürger“-Ikone Bianca W. (67) muss in den Knast. In den Corona-Jahren verkaufte die Ärztin aus Moritzburg über 1000 Atteste zur Maskenbefreiung und Impfbescheinigungen an ihre Patienten, nahm damit hochgerechnet über 300.000 Euro ein. Noch während der Urteilsverkündung musste die Sitzung am Montag aufgrund von lautstarken Protesten unterbrochen werden. Letztlich kam die 67-Jährige vorerst auf freien Fuß.

Um 9.23 Uhr betrat Richter Jürgen Scheuring (55) den Saal. Das Urteil: zwei Jahre und acht Monate Haft – deutlich milder, als von der Staatsanwaltschaft gefordert (vier Jahre und zehn Monate). Außerdem bekam die Bianca W. ein dreijähriges Berufsverbot.

Als Scheuring schließlich einzelne Namen der Atteste verlas, machte ein Zuschauer seinem Unmut freie Luft: „So vielen Leuten hat sie geholfen mit ihren Attesten“, brüllte er – und wurde des Saals verwiesen.

Doch damit nicht genug. Er löste mit seiner Reaktion eine Protestwelle aus: Die knapp 110 Besucher sangen die Nationalhymne, skandierten „Freiheit! Freiheit!“, einzelne Rausschmisse wurden von „schämt euch“-Rufen begleitet.

Schließlich wurde der Saal gegen 9.35 Uhr mit Kräften der Bereitschaftspolizei geräumt. Erst gegen 11 Uhr ging der Prozess weiter.

Dann eine Wende: Trotz ihrer Strafe von zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis kommt Bianca W. nun vorerst auf freien Fuß. Bis das Urteil rechtskräftig ist, wurde ihr Haftbefehl außer Kraft gesetzt.

Dafür muss sie allerdings folgende Auflagen erfüllen:

Sie muss sich jeden Dienstag um 8.30 Uhr bei der Moritzburger Polizei melden.
Jede Aufnahme einer Tätigkeit – auch unentgeltlich –, insbesondere die eines Teilberufs, muss von ihr angezeigt werden.

Sollte sich ihr Aufenthalt ändern, muss auch dies gemeldet werden.
Vor dem Gerichtsgebäude herrschte daraufhin ausgelassene Stimmung. Es wurde gesungen, eine Frau hat ihre Gitarre gezückt. Auch die eine oder andere Träne rollte bei den Anhängern der Ärztin.

Bianca W. stellte während Corona-Pandemie 1003 gefälschte Atteste aus

Sie selbst bezeichnet sich als Angehörige des „Indigenen Volkes der Germaniten“: Bianca W., seit Februar 2023 in U-Haft, stellte während der Corona-Pandemie 1003 falsche Atteste aus – meistens sogar ohne Untersuchung.

Kunden soll es in ganz Deutschland gegeben haben. Pro Attest sollen diese dann zwischen 25 und 50 Euro hingelegt haben. Bei über 1000 Attesten müsste Bianca W. daher theoretisch rund 360.000 Euro verdient haben. Angeklagt waren aber nur 48.000 Euro, da sich der Rest wohl in Luft auflöste.

Die „Gefälligkeitsbescheinigungen“ hat ein sogenanntes Bioresonanz-Gerät möglich gemacht. Mainzer Wissenschaftler hatten sich solche Geräte angesehen und festgestellt, dass sie beste Gesundheitswerte sogar für Leberkäse und eine Leiche bescheinigten.

Zu Corona-Hochzeiten hatte W. drei Varianten „im Angebot“. Sie bescheinigte den angeblichen Patienten, dass sie aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen müssten, ein generelles Impfverbot bestünde oder wahlweise, dass der Untersuchte nur einen Spucktest machen dürfe.

Mancher Kunde kaufte alle drei Bescheinigungen, andere ließen ihre gesamte Familie „attestieren“.