Reichsbürger-Geheimtreffen im Vierseitenhof: Mit Kaffee und Kuchen zum germanischen Parallelstaat

Eine in Sachsen weitgehend unbekannte Reichsbürger-Gruppe plant einen Parallelstaat. Im Erzgebirge hat sie bereits ein ehemaliges Hotel gekauft. Nun versucht sie, neue Mitglieder zu rekrutieren.

Dresden/Seiffen. Es ist ein kalter Wintertag nördlich von Dresden. In einem Dorf an der Elbe schlängelt sich die Straße vorbei an gepflegten Wohnhäusern. Etwas abseits, auf einem Landwirtschaftsweg, hält ein weißes Auto. Leute steigen aus. Sie wollen das letzte Stück lieber laufen, unauffällig bleiben. Andere halten direkt auf dem Gelände eines Vierseitenhofs. Im Torbogen steht die Jahreszahl 1817, am Briefkasten ein Aufkleber der Partei „Die Basis“, in der sich viele Querdenker tummeln.

Die Menschen, die sich hier versammeln, folgen einer Einladung einer Gruppierung, die sich „Indigenes Volk Germaniten“ nennt. Die Veranstaltung ist konspirativ, erst wenige Stunden vor Beginn wurde der Ort des Treffens bekannt gegeben und als Handy-Nachricht verschickt – an Interessenten, die sich per E-Mail angemeldet hatten. Es ist nicht das erste Treffen dieser Art in Sachsen. Wenige Wochen zuvor hatte die Gruppierung bereits in Dresden mobilisiert, auch damals lief die Kommunikation über verborgene Chatgruppen. Die Organisatoren scheuen die Öffentlichkeit, sie sind vorsichtig.

Im Versammlungsraum des Vierseitenhofs prasselt ein Feuer im Ofen, es riecht nach Kaffee. Nach und nach treffen die Teilnehmer des geheimen Treffens ein. Um die 20 Frauen und Männer werden es am Ende sein, die meisten sind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Man wechselt freundliche Worte, einige haben Kuchen mitgebracht. Das Treffen erinnert an eine Familienfeier.

Worum es an dem Abend tatsächlich geht: Eine extremistische Organisation, die mitten in der Bundesrepublik Deutschland einen germanischen Parallelstaat nach selbst definierten ethnischen Kriterien aufbauen will, sucht neue Mitglieder. Die „Freie Presse“ hat sich unter sie begeben, ein Reporter ist mit dabei auf dem Treffen – verdeckt.

Germaniten halten sich für ein indigenes Volk, also für Ureinwohner

Die Vereinigung „Indigenes Volk Germaniten“ stammt aus Baden-Württemberg. Um das Jahr 2010 soll die Gruppierung nach Angaben von Verfassungsschützern entstanden sein. Als Gründerin gilt Ulrike Maria K. aus Schorndorf, einer Kleinstadt eine halbe Autostunde östlich von Stuttgart. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beschreibt den Personenzusammenschluss als eine bundesweit aktive Reichsbürger-Gruppierung, die bereits seit 2011 mit typischen Schreiben und Eingaben an Behörden wie auch an internationale Organisationen auf sich aufmerksam macht.

„Anhänger der Gruppierung erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als souveränen Staat an und lehnen daher bundesdeutsche Ausweisdokumente als rechtswidrig ab“, erläutert der Bundesverfassungsschutz in einer Publikation über sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter aus dem Jahr 2023.

Weiter heißt es dort über die Germaniten: „Die Ausübung der Staatsgewalt sehen sie als Verstoß gegen geltendes Besatzungsrecht und sehen sich folglich in der Pflicht, dagegen Widerstand zu leisten.“ Die Anhänger der Organisation bezeichneten sich als „Nachkommen der germanischen Völker/Stämme“ oder als „autochthon-indigen“.

Die Germaniten halten sich für ein indigenes Volk, also für Ureinwohner Deutschlands. Nach der UN-Definition sind indigene Völker Nachkommen der Bewohner eines bestimmten räumlichen Gebiets, die bereits vor der Eroberung, Kolonisierung oder Staatsgründung durch Fremde dort lebten und die noch heute über eigene Traditionen und eine eigene ethnisch-kulturelle Identität verfügen. Das trifft in Europa nur auf sehr wenige Völker zu, etwa auf die Samen im Norden Skandinaviens. In Deutschland sind heute selbst die Sorben in der Lausitz nicht als indigenes Volk anerkannt.

Im Jahr 2017 befasste sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit dem vermeintlich existierenden „indigenen Volk Germaniten“ und stellte klar: Eine Anerkennung der Gruppierung als indigenes Volk ist nach internationalem und nationalem Recht ausgeschlossen.

Organisatoren bitten in einen Hinterraum

In dem Dorf bei Dresden bitten die Organisatoren des Abends in einen Hinterraum. Auch der Hausherr ist da. Sein Vierseitenhof diene als Zentrale des Ortsverbandes der Partei „Die Basis“, erklärt er. Er selbst sei zwar kein Germanit, seinen Hof stelle er aber gern zur Verfügung. Stühle sind im Kreis aufgestellt, ein Beamer wirft das Bild einer Pyramide an die Wand.

Ganz unten ein Pfeil mit dem Hinweis: „Du“. Darüber Logos großer Konzerne aus der Weltwirtschaft. An der Spitze das Symbol des „Auges der Vorsehung“ mit der Bezeichnung „die Elite“. Es folgt ein Bild des deutsch-jüdischen Bankiers Rothschild. Es sind antisemitische Codes einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung.

Zwei Männer treten vor die Versammelten. Der eine trägt eine Stoffhose und ein Hemd. Mit seiner Brille und den graumelierten Haaren wirkt er eher unauffällig. Der andere: größer, bunt gekleidet, kleine Ledertasche am Gürtel. Seine schulterlangen Haare hat er zum Pferdeschwanz gebunden. Sie seien Mitglieder der Mission Dresden II, erklären sie.

„Missionen“ – so nennen Germaniten ihre Stützpunkte. In ihren Schreiben heißt es, es gebe solche Stützpunkte in Bochum, Kiel und Potsdam, aber auch im Ausland, etwa in den Niederlanden, in der Schweiz und in Norwegen.

Im Ursprungsland der Vereinigung in Baden-Württemberg sind dem Landesamt für Verfassungsschutz vier solcher Standorte bekannt. In der Antwort auf eine Landtagsanfrage in Stuttgart hieß es im Januar, man könne nicht davon ausgehen, dass sich hinter diesen „Missionen“ gefestigte Organisationsstrukturen verbergen. Womöglich handle es sich um Wohnsitze einzelner Angehöriger der Gruppierung.

Die Germaniten sagen, sie hätten bundesweit rund 1700 „Volksangehörige“, 600 davon seien aktiv. In Baden-Württemberg ordnen die dortigen Verfassungsschützer der Bewegung aktuell etwa 100 bis 150 Personen zu. In Sachsen spricht das Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden von 15 Personen.

Germaniten bauen ehemaliges Seiffener Hotel zu Schulungszentrum um

In Sachsen ist die Gruppierung offenbar noch klein. Aber im Erzgebirge hat sie bereits Vorbereitungen für einen eigenen Versammlungsort geschaffen. In Seiffen kauften Anhänger im vergangenen Jahr das ehemalige Hotel „Ahornberg“. Es werde gerade zum Schulungszentrum umgebaut, heißt es.

Als die „Freie Presse“ dort im Herbst einen der Aktivisten traf, erklärte er, er könne doch kein Reichsbürger sein, da sein Vater einst von den Nazis verfolgt worden sei. Sein „Volk“ werde zu Unrecht vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Und „gefährliche Extremisten“, wie von der Behörde behauptet, seien die Germaniten schon mal gar nicht, sondern friedlich.

Der Mann ist einer der Organisatoren des Treffens bei Dresden. An diesem Abend ist er aber nicht da. Der Vortrag im Vierseitenhof beginnt mit der Frage: Wer kann Volksmitglied bei den Germaniten werden? Die beiden Referenten werfen eine Europakarte an die Wand. Wer germanische Ahnen habe und diese Herkunft in sich fühle, könne sich schriftlich zur Volksgemeinschaft bekennen, erklären sie. 500 Euro betrage die Aufnahmegebühr, 120 Euro der Jahresbeitrag.

Der Widerstand gegen „das System“ der Bundesrepublik ist Konsens unter den Teilnehmern, das wird schnell klar. Die parlamentarische Demokratie wird von dem Mann mit dem Pferdeschwanz mit dem Spruch abgetan: „Demokratie, das ist die Betreuung der Dummen.“

Eine Teilnehmerin erzählt, sie habe bereits mehrere Haftbefehle erhalten. Wofür genau, das lässt die zierliche Frau mit den langen schwarzen Haaren offen. Eine andere Anwesende fragt, ob sie nach ihrem Eintritt ins „Indigene Volk Germaniten“ noch Unternehmenssteuern zahlen müsse. Beide Referenten winken sofort ab.

Sie könne ihre Firma der Gemeinschaft überschreiben. „Das Unternehmen wird dann volkseigen“, sagt der Redner mit dem Pferdeschwanz. Steuern seien somit keine mehr an das „System BRD“ zu entrichten. Allerdings müsse ein pauschaler Satz in Höhe von zehn Prozent des Gewinns an die Germaniten gezahlt werden. „Als Verwaltungsentschädigung.“

Von genau solchen Methoden berichtet auch der Verfassungsschutz Baden-Württemberg. Das „Indigene Volk Germaniten“ unternehme Versuche, in die Eigentumsverhältnisse seiner Anhänger einzugreifen, heißt es in einem Bericht auf der Internetseite der Behörde. Der Geheimdienst warnt: „Sollten entsprechende Überschreibungen tatsächlich rechtswirksam werden, riskieren die Anhänger erhebliche, eventuell sogar existenzielle, finanzielle Verluste.“

Die Unternehmerin, die nach den Steuern gefragt hatte, zögert. Dann holt sie kurz Luft, um eine Sache zu erklären, die ihr wichtig ist: In den zurückliegenden Jahren habe sie sich viel Geld geliehen, um ihre Immobilienfirma aufzubauen. Das habe sie nicht für den eigenen Erfolg getan. Vielmehr wolle sie sämtliche Objekte der Anastasia-Bewegung zur Verfügung stellen.

Völkische Siedlungsprojekte als Vorbild

Die Anastasia-Bewegung ist eine um 1997 in Russland entstandene neureligiöse Sekte, die sich weltweit verbreitet und mittlerweile auch in Deutschland völkische Siedlungsprojekte verfolgt. Der Bundesverfassungsschutz führt die Gruppierung als rechtsextremen Verdachtsfall. Die Bewegung, so begründet die Behörde, basiere auf Romanen eines russischen Autors, der völkische, rassistische und antisemitische Ideologien verbreite.

Für die Germaniten ist die Anastasia-Bewegung ein Vorbild, wie die Referenten während des Vortrages offen sagen. Man wolle ähnliche Strukturen aufbauen, also ebenfalls selbstverwaltende Kommunen im Hinterland.

In Deutschland wurde die Anastasia-Siedlung „Weda Elysia“ in Wienrode im Harz bekannt. Sie bezeichnet sich selbst als „Gärtnerhof-Kleinsiedlungsprojekt“. Familien sollen sich dort auf je einem Hektar Land einen „autarken Lebens- und Schaffensraum“ aufbauen. Weda Elysia, laut Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt gesichert rechtsextremistisch, will sich ins Dorf einbringen, Einfluss gewinnen.

Droht nun Ähnliches im Erzgebirge? In Seiffen haben sich die Germaniten bereits bei Nachbarn vorgestellt. Sie seien freundlich gewesen, hätten sich umgeschaut, erzählt der Besitzer einer Holzkunstwerkstatt. Auch andere Anwohner kamen mit den selbsternannten Indigenen ins Gespräch. Die Germaniten halten Pferde auf dem Gelände. Das sorgt für Interesse bei den Dorfbewohnern. Man müsse sich eben arrangieren, finden die Nachbarn. Es ist dieses harmlose Bild, das die Germaniten vermitteln möchten.

Das ehemalige Hotel „Ahornberg“ sei ein Kulturzentrum und diene der „friedlichen Völkerverständigung“ hatten die Germaniten in Seiffen der „Freien Presse“ gesagt. In ihren Schulungen gehe es um das Erlernen „indigener Praktiken“ wie germanischer Heilkunde, um „diese nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen.“

Germaniten schildern Pläne eines Parallelstaates

Im Vierseitenhof schildern die beiden Referenten Pläne eines Parallelstaates, unter anderem mit eigener Bank und eigener Krankenversicherung. Auch das erinnert, genauso wie die Eigentumsüberschreibungen, an die Reichsbürgerbewegung „Königreich Deutschland“, deren selbsternannter „König“ Peter Fitzek in Sachsen über Strohmänner bereits mehrere Objekte kaufen ließ. Der Sektenbeauftragte der evangelischen Landeskirche, Harald Lamprecht, warnt eindringlich vor dieser Masche und nennt Fitzek einen gefährlichen Betrüger.

In Fitzeks „Reich“ wird, ebenso wie im Fantasiestaat der Germaniten, die gesetzliche Schulpflicht ignoriert. Auf der Rekrutierungsveranstaltung bei Dresden heißt es, bei den Germaniten gebe es eine Bildungspflicht. Und zwar germanische Bildung. Auf einer Folie zeigt der Referent, was damit gemeint ist: Volkstänze, Folklore, germanische Medizin. Mittlerweile gebe es bei den Germaniten sogar einen ersten „Bildungszirkel“. Sieben Kinder würden per Videoschalte zu Hause beschult.

Es sollen mehr Kinder werden. Die Referenten geben Ratschläge, wie Familien die staatliche Schulpflicht umgehen können. Schulakten der Kinder, die bei Bildungseinrichtungen liegen, könnten zurückgefordert werden, behaupten sie. Dass es strafbar ist, die Schulpflicht zu umgehen, sagen sie nicht.

Erklärt wird auch, wie man auf amtliche Schreiben des Staates reagieren solle. Einige Teilnehmer wollen wissen, was man gegen den Rundfunkbeitrag tun könne. Solchen Schreiben begegne man mit massenweisen Eingaben und Widersprüchen, sagt der Mann mit dem Pferdeschwanz. Per Fax sollten sie, signiert von möglichst vielen Germaniten, an die Beamten geschickt werden. Ähnlich wird die Bewegung später auf eine schriftliche Anfrage der „Freien Presse“ reagieren: mit einem 21-seitigen Schreiben voller wirrer Aneinanderreihungen von Satzfragmenten und Paragrafen. Das Schreiben, das rund 60-Mal in der Redaktion eingeht, trägt etwa 450 Unterschriften.

Nach fünf Stunden endet das Treffen im Vierseitenhof. Der Mann mit dem Pferdeschwanz reicht ein Kärtchen herum: eine Identitätskarte, mit der Germaniten ihre Zugehörigkeit bekunden. Einige Gäste drehen sie interessiert hin und her. Kurz drauf setzen sich Autos in Bewegung. Die Teilnehmer des geheimen Treffens verschwinden so, wie sie gekommen sind: unauffällig.


Georg Müller 12.10.2023

Verfassungsschutz über „Indigene Germaniten“ in Seiffen: „Es handelt sich um gefährliche Extremisten“

Gehören die neuen Besitzer des Seiffener Hotels Ahornberg der Szene der Reichsbürger an? Sie selbst streiten das ab, geben sich harmlos. Doch dann rutscht einem von ihnen ein vielsagender Satz raus.

Seiffen.Ganz plötzlich hat sich eine Menschentraube gebildet. Die Mitglieder des „Indigenen Volkes Germaniten“ wollen reden und zwar ganz bewusst mit der Presse. Mitglieder einer Gruppierung seien sie schon mal gar nicht, sondern „Zugehörige eines Volkes“, geben sie klar zu verstehen. An diesem Tag wird schnell deutlich, wer da künftig im ehemaligen Seiffener Hotel Ahornberg das Sagen hat.

Es geht in der Gruppe kurz hin und her, wer denn nun als erstes reden darf. Dann dreht sich das Gespräch um ungerechtfertigte Coronamaßnahmen. Es geht um Megacitys, die angeblich später einmal als Gefängnisse dienen sollen. Und es geht um die sogenannte Lügenpresse. Alles bekannte Behauptungen und Verschwörungstheorien, wie sie sich auch in rechten Kreisen antreffen lassen.

Sie seien weder Nazis, noch seien sie Reichsbürger, gibt ein Niederländer zu verstehen, der ebenfalls Mitglied der Gruppierung ist. Es gehe ihnen vielmehr darum, ihre Rechte als „Indigene“ einzufordern. „Wir sind friedlich“, betont er. Doch wie glaubwürdig ist das? Ist die Gruppe, die unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz steht und die der Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ zugerechnet wird, im Grunde ganz harmlos?

Gefragt nach den Gründen, warum das „Indigene Volk der Germaniten“ unter Beobachtung steht, teilt das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen mit, dass die Gruppierung die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung untergrabe und gefährde. Soll heißen: Die „Indigenen Germaniten“, die sich selbst als Nachfahren germanischer Stämme sehen, sind alles andere als harmlos. „Es handelt sich um gefährliche Extremisten“, sagt Patricia Vernhold, Sprecherin des Landesamtes.

„Indigene Germaniten“ sprechen von geraubtem Land

Die Erkenntnisse, die dem Verfassungsschutz vorliegen, untermauern das: Dass die Gruppierung sich als „indigenes Volk“ bezeichne, sei letztlich ein Versuch, sich auf völkerrechtliche Normen zu stützen. „Auf diese Weise wollen sie für sich eigene Rechte ableiten“, erklärt Patricia Vernhold. Seitens der Anhänger des „Indigenen Volks Germaniten“ werde argumentiert, dass die geltende Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland auf sie keine Anwendung finde.

Und der Verfassungsschutz geht noch weiter. Patricia Vernhold sagt, dass die Angehörigen der Gruppierung die Bundesrepublik Deutschland nicht als souveränen Staat anerkennen und folglich auch nicht die Ausübung hoheitlicher Rechte durch staatliche Institutionen. Die Gruppierung sehe sich sogar in der Pflicht, dagegen Widerstand zu leisten, sagt Patricia Vernhold.

Ist die Bezeichnung „indigenes Volk“ also nur Mittel zum Zweck? Beim Gespräch am Hotel Ahornberg, das von vier Mitgliedern der Gruppierung vor einigen Wochen gekauft wurde und nun zu einem Schulungszentrum umgebaut wird, versuchen die „Indigenen Germaniten“ ein anderes Bild zu zeichnen. Der Staat habe ihnen zwar einst das „Land geraubt“. Dennoch werde die Existenz der Bundesrepublik von ihnen nicht geleugnet. Letzteres findet sich so auch auf der Internetseite der „Germaniten“.

Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ ist äußerst heterogen

Dann fällt in der Runde ein vielsagender Satz, der nicht allen „Indigenen Germaniten“ recht ist. „Wir haben unseren Weg gefunden.“ Ein anderes Mitglied der Gruppierung wirft schnell ein: Nein, so sei das nicht. Indigen werde man nicht einfach. Indigen zu sein, das sei etwas, was man schon habe.

Fest steht: Die Schnittmengen zwischen Reichsbürgern und „Indigenen Germaniten“ sind groß. Wobei es den einen Reichsbürger ohnehin nicht gibt. Denn die Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ ist äußerst heterogen. Während die einen sich auf ein Deutsches Reich beziehen und aus der Bundesrepublik Deutschland austreten wollen, reklamieren andere rechtliche Autonomie für sich.

Gefragt, ob sie noch Ausweise besitzen, geht es beim Gespräch am ehemaligen Hotel erneut mit deutlichen Worten zu. Ja, sie hätten Führerscheine, sagen mehrere „Indigene Germaniten.“ Eine Frau schiebt nach: Sie habe sogar noch ihren Personalausweis. Ihre Betonung liegt auf noch.


Georg Müller 06.10.2023

Sie stehen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes: „Indigene Germaniten“ bauen Seiffener Hotel zu Schulungszentrum um

Die bundesweit aktive Gruppierung hat sich im Erzgebirge angesiedelt, um schon bald einen ausgewählten Personenkreis auszubilden. Sie wird der Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ zugerechnet.

Seiffen.Im ehemaligen Hotel Ahornberg in Seiffen ist an diesem Tag viel los. Männer und Frauen gehen ein und aus. Eine Familie mit Kind sitzt draußen auf einer Bank und isst etwas. Die Kennzeichen der geparkten Autos verraten, dass sie aus ganz Deutschland nach Seiffen gekommen sind. Einer der Männer gibt sich freundlich. Gefragt nach den Gerüchten im Ort, sagt er: „Wir haben mit Reichsbürgern und Sekten nichts zu tun.“ Solche Behauptungen seien nur üble Nachrede einiger ehemaliger Hotel-Mitarbeiter. Das Gebäude werde in Zukunft für Schulungen genutzt. Ausgewählte Personen dürften daran teilnehmen.

Schulungen für ausgewählte Personen? Wen die neuen Eigentümer des Hotels Ahornberg dafür im Blick haben, bleibt zunächst nebulös. Nur soviel: Das Gebäude solle zu einem friesischen Kulturzentrum werden und der friedlichen Völkerverständigung dienen. Friesische Kultur mitten im Erzgebirge?

Was harmlos klingt, ist es jedoch nicht, wie eine Nachfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz zeigt. Der Erwerb des Hotels Ahornberg stehe in Verbindung mit der bundesweit aktiven Gruppierung „Indigenes Volk der Germaniten“, bestätigt Sprecherin Claudia Dehne. Diese sei der Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ zuzurechnen und stehe unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Im Ort brodelt die Gerüchteküche: Reichsbürger oder Sekte?

Dass nun nicht mehr gewöhnliche Gäste ein- und ausgehen, wird beim Blick auf das Gebäude schnell klar. Die neuen Eigentümer haben kurz nach Erwerb den Schriftzug „Hotel“ entfernen lassen. Das war vor mehreren Wochen und hatte die Gerüchteküche im Ort angeheizt. So wandte sich eine Seiffenerin an „Freie Presse“. Bei den neuen Besitzern handele es sich womöglich um Reichsbürger, schrieb sie. Nachfragen im Ort zeigten, dass auch längst das Wort „Sekte“ im Umlauf ist.

Zum Telefon greifen und mit der Presse reden, das wollen die neuen Eigentümer nicht. Es handelt sich um zwei Deutsche und um zwei Niederländer. Sie sind offenbar Teil der Gruppierung und lassen per E-Mail mitteilen, dass es bei den Schulungen um das Erlernen indigener Praktiken und um Heilkunde gehe, um „diese nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen“. Hierzu zähle „auch die Kultur der germanischen Stämme/Völker“.

Auch Seiffener Bürgermeister kann nur rätseln

Verworrener sind die weiteren Erklärungen. Die Eigentümer teilen über eine Kontaktperson mit, dass das Anwesen der „Rekultivierung nativer Werte“ diene. Von „urheidnisch und Heimat“ ist die Rede sowie von Ur-Friezen/Ur-Friesen. Es handele sich um eine „native/inheemse“ Kulturstätte. „Das Zeichen hierzu ist 1/17 VR.“ Was genau sich dahinter verbirgt, bleibt unklar.

Martin Wittig, Bürgermeister der Gemeinde Seiffen, kann auch nur rätseln. Die Schließung des Hotels Ahornberg sei für den Ort ein touristischer Verlust, sagt er. Vor allem aber könnte das Image des Touristenortes Seiffen leiden. Ein Vorkaufsrecht sei jedenfalls nicht angemeldet worden, so Wittig. Denn dafür hätte die Gemeinde schon im Vorfeld von den Absichten der „Indigenen Germaniten“ Kenntnis haben müssen. Doch das war nicht der Fall. Zudem gehöre der Betrieb eines Hotels beziehungsweise des zugehörigen Campingplatzes, der sich gleich nebenan befindet, nicht zu den kommunalen Aufgaben. Wittig: „Wir hätten auch gar nicht das nötige Geld gehabt.“

„Indigene Germaniten“ sehen sich als Ureinwohner

Auf ihrer Internetseite bezeichnen sich die „Indigenen Germaniten“ als Nachfahren der Germanen. Erst in diesem Jahr seien „zahlreiche friesenstämmige Germanen-Nachfahren aus Deutschland und den Niederlanden“ aufgenommen worden, heißt es weiter. Im Norden beider Länder hatten die Friesen einst gesiedelt. Bedeutet: Die Mitglieder der Gruppierung sehen sich als Ureinwohner und fühlen sich der Bundesrepublik Deutschland nicht zugehörig, auch wenn sie diese anerkennen.

„Reichsbürger? Können wir gar nicht sein“, sagt einer der Männer am ehemaligen Hotel in gebrochenem Deutsch. Eine Frau steht daneben und pflichtet ihm bei: Sie seien schließlich Niederländer. Auf seinem Arm trägt er ein auffälliges Tattoo. Es zeigt germanische Runen.