Jubeln statt Konfrontation in Waldheim: Bündnis erfindet Protest gegen Rechtsextremismus neu
Die „Bunten Perlen“ haben ihr Demo-Konzept geändert. Statt auf Konfrontation zur Gegen-Kundgebung zu gehen, feuerten sie deren Teilnehmer an. Was dahinter steckte und wie das Versammlungsgeschehen diesmal ablief.
Seit über zwei Jahren demonstrieren sogenannte Spaziergänger durch Waldheim. Aber zugejubelt hat den Leuten bisher kaum einer vom Straßenrand. Das war jetzt anders. Die „Bunten Perlen“, ein parteiübergreifendes Bündnis junger Leute, das sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagiert, hat eine neue Protestform ausprobiert. Den „Spendenlauf Rechts gegen Rechts“.
So verlief das Versammlungsgeschehen in Waldheim diesmal kaum konfrontativ ab. Ganz im Gegenteil. „Das ist ein Einsatz für die Demokratie, den Sachsen so noch nie gesehen hat“, feuerte die Moderatorin der „Bunten Perlen“ über die Verstärkeranlage auf dem Obermarkt die Läufer an.
Diese gehörten zu einer Demonstration, welche ein Landtagsabgeordneter der AfD Sachsen bei der Versammlungsbehörde des Landkreises angezeigt hatte. Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz stuft den sächsischen Landesverband der AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ ein.
Teilnehmer einer Demonstration, zu der eine rechtsextreme Partei aufruft, laufen für Demokratie und gegen Rechtsextremisismus? Das klingt doch paradox. Ist es nicht. Laut Cindy Reimer von den „Bunten Perlen“ hatten sich Spender dazu bereit erklärt, neben einem Festbetrag von einem Euro pro Spaziergänger noch 30 Cent pro gelaufenem Meter zu zahlen. Das Geld, das auf diese Weise zusammenkommt, wird an Vereine gespendet, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, wie etwa „Endstation Rechts“.
Russenfahne bei AfD-Demo in Waldheim
Genaue Zahlen wollen die „Bunten Perlen“ noch nicht nennen. Nur, dass ein vierstelliger Betrag zusammengekommen ist. „Wir sind sehr zufrieden. Es lief so gut, dass wir es kommende Woche wieder machen werden“, kündigt Cindy Reimer die Fortsetzung des „Spendenlaufs Rechts gegen Rechts“ an.
Auf vier Stellen im Stadtgebiet verteilten sich die Teilnehmer der Demonstration der „Bunten Perlen“, um den Läufern zuzujubeln und diese anzufeuern. Dabei wedelten auch die Pompoms durch die Luft, als der Zug durch die Stadt lief, dessen Teilnehmer wiederum Fahnen der AfD, der Freien Sachsen und vereinzelt auch die der Russischen Förderation schwenkten. Bei Letzterer handelte es sich um eine Version mit dem Doppeladler, die der Standarte des russischen Präsidenten nachempfunden ist.
Frank Richter spricht in Waldheim
Interessant war diesmal auch die Musikauswahl der „Bunten Perlen“. So spielten sie zum Abmarsch der AfD-Demo den Prinzen-Song „Deutschland“, dazwischen mal zum Anfeuern den Helene-Fischer-Schlager „Atemlos durch die Nacht“ und beim Zieleinlauf Journeys Aufmunterungs- und Durchhaltehymne aus den 80ern „Don’t stop believin“ („Hör nicht auf zu glauben“).
Als Hauptredner sprach auf der Versammlung der „Bunten Perlen“ diesmal Frank Richter, Landtagsabgeordneter der SPD. Der frühere Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung ist untrennbar mit der Friedlichen Revolution in der DDR verbunden.
„Streit hält die Gesellschaft zusammen“
Als katholischer Priester gehörte er im Herbst 1989 zur „Gruppe der 20“, die in Dresden zunächst zwischen Demonstranten und Volkspolizei vermittelten und später mit den staatlichen Behörden über politische Forderungen verhandelten, wie Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit.
„Es mag jetzt seltsam klingen, aber unsere Gesellschaft wird zusammengehalten durch Streit“, sagte Frank Richter in Waldheim. Er begreift einen fairen und anständigen Streit als Form der Verständigung über den richtigen Weg.
„In der Demokratie geht es nicht um die Durchsetzung von Wahrheit. Wer die Wahrheit besitzt, hat ja gar keine Möglichkeit, als sie gegen andere durchzusetzen“, sagte Frank Richter. „Viele haben das vernünftige und faire Streiten verlernt.“
Zwischen 100 und 150 Menschen beteiligten sich an der Demo der „Bunten Perlen“. Die Zahl war laut Kai Kießling, Erster Polizeihauptkommissar und Einsatzleiter der Polizei, schwer zu ermitteln, da die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen den abgesprochenen Stellen pendelten, wo sie der AfD-Demo zujubelten.
Zu der Versammlung der AfD waren laut Kai Kießling 250 Menschen gekommen. Das gesamte Versammlungsgeschehen blieb friedlich, Zwischenfälle wurden der Polizei nicht bekannt.
Dirk Wurzel 06.03.2024
Hintersinnig, humorvoll, kreativ: Ein Kommentar zum neuen Protestformat in Waldheim
Die „Bunten Perlen“ haben in Waldheim ein neues Protestformat gefunden. Das ist äußerst kreativ, vergleichsweise einzigartig und verfehlt seine Wirkung nicht, meint DAZ-Reporter Dirk Wurzel in diesem Kommentar.
Die „Bunten Perlen“ haben bei ihrer letzten Demo in Waldheim eine Menge Spendengeld eingenommen. Da können sie jetzt bestimmt den Teilnehmern ihr Demogeld ausbezahlen. Denn die Antifa GmbH, die den Demolohn sonst bezahlt, steckt gerade in Zahlungsschwierigkeiten.
Aber Scherz beiseite! Die Veranstalter der Versammlungen für Demokratie und Rechtsextremismus in Waldheim haben sich ein pfiffiges Demokonzept ausgedacht. Ein hintersinniges und humorvolles. An Ironie ist dieses auch schwer zu überbieten. Sie deklarieren die Demonstration der AfD einfach zum Spendenlauf um. So kam jetzt ordentlich Geld zusammen, das die Begünstigten der Spenden gut gebrauchen können: Vereine und Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.
Die Premiere des „Spendenlaufs Rechts gegen Rechts“ ist geglückt. Die altkluge Frage, „Warum nicht gleich so?“ erübrigt sich. Manche Dinge gedeihen im Werden und das Demonstrationsgeschehen in Waldheim ist ein Prozess, der nun eine neue Dynamik gewonnen hat – eine äußerst kreative und vergleichsweise einzigartige.
Dirk Wurzel 01.03.2024
Gesicht zeigen in Waldheim: Wofür Steffen Ernst und Dirk Neubauer auf die Straße rufen
Im März sollen die Mittelsachsen auf die Straße gehen. Auch in Waldheim. Dazu rufen Steffen Ernst und Dirk Neubauer auf. Die Menschen sollen zeigen, dass „Demokratie hat ein Gesicht“ hat.
„Demokratie hat ein Gesicht“ – unter diesem Motto laden Steffen Ernst und Dirk Neubauer zu einer Kundgebung auf den Waldheimer Obermarkt. Sie tun dies nicht in ihren Ämtern als Waldheims Bürgermeister und Mittelsachsens Landrat, sondern als Privatmänner.
„Die letzten Monate sind geprägt von einer teils aggressiv geführten Auseinandersetzung um das ,Wie weiter’ in unserem Land. In harten Auseinandersetzungen versuchen mehr und mehr Extreme, die Meinungshoheit zu übernehmen“, schreibt Steffen Ernst auf seinem Facebook-Profil.
Demokratiefeindliche Parolen
Das Wirken der Extreme geht Steffen Ernst zufolge „mit zumeist demokratiefeindlichen Parolen und Attacken auf unsere offene freiheitliche Grundordnung“ einher. „Politiker bis auf die kommunale Ebene hinab werden persönlich angegriffen. Bis hin zum Brandanschlag auf das Haus eines SPD-Lokalpolitikers in Thüringen“, so Steffen Ernst.
Er berichtet selbst von konfrontativen Begegnungen mit Bürgern, nachdem er auf der ersten Kundgebung der „Bunten Perlen“ gesprochen und sich in seiner kurzen Rede für Demokratie, Freiheit und Frieden ausgesprochen hatte.
Gewaltfrei und ohne Hetze
„Es gab das eine oder andere Gespräch, das im Tonfall ganz hart verlief“, sagt Steffen Ernst. „Aber es war nicht so, dass ich aus dem Auto gezogen wurde, wie es in Waldheim herumgeht“, dementiert Steffen Ernst entsprechende Erzählungen.
Am 10. März geht es nun darum, ein überparteiliches Zeichen zu setzen. „Ein Zeichen für ein menschliches, gewaltfreies und ohne Hetze auskommendes Miteinander“, sagt Steffen Ernst. „Wir hier in Mittelsachsen sind wirtschaftlich und wissenschaftlich darauf angewiesen, als weltoffen und demokratisch wahrgenommen zu werden.“
Freundlich zu sein, ist eine Zukunftsfrage
Die Bergakademie Freiberg, aber auch die Hochschule Mittweida sowie die gesamte Forschungslandschaft und große Teile der Wirtschaft im Landkreis stehen im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe – und Hände, die uns zunehmend ebenfalls fehlen. „Freundlich zu sein, ist somit nicht nur menschlich. Es ist eine Zukunftsfrage“, sagt Steffen Ernst.
Bis zum 10. März ist noch einiges zu organisieren. „Es ist die erste Versammlung, die ich ausrichte“, sagt Steffen Ernst. So folgen nun Gespräche mit der Versammlungsbehörde. Auch das Programm der Kundgebung müssen die Veranstalter noch festzurren.
Keine „parteipolitische Geschichte“
Fest steht bis jetzt, dass es auf der Kundgebung „Demokratie hat ein Gesicht“ Redebeiträge geben wird und auch musikalisches Programm. Dirk Neubauer wird am 10. März in Waldheim sprechen. Er ruft als Vorstand des Vereins „Denkwerk Ost“ (DWO) dazu auf, an diesem Tag in ganz Mittelsachsen für die Demokratie auf die Straße zu gehen.
„Das ist keine parteipolitische Geschichte. Geht am 10. März in Mittelsachsen auf die Straße, in dem Ort, wo ihr wohnt, geht auf die Straße und zeigt Gesicht“, sagt Dirk Neubauer in einer Videobotschaft. „Es ist keine Protestveranstaltung im klassischen Sinne. Wir wollen zeigen, dass der Landkreis, dass die Menschen die hier leben, dass da ganz viele Leute sind, die etwas wollen. Die Zukunft wollen, die eine gemeinsame Zukunft wollen.“
Das DWO ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, die in den neuen Bundesländern als gemeinnütziger Verein gegründet wurde. Sie versteht sich als eine offene Plattform zur Stärkung des Demokratieverständnisses und der Demokratieerfahrung.
Dirk Wurzel 28.02.2024
Laufen lassen: „Bunte Perlen“ finden neue Protestform für Waldheim
In Waldheim soll „Rechts gegen Rechts“ laufen. Dazu haben die „Bunten Perlen“ ein Konzept entwickelt, das einem Spendenlauf ähnelt. Und so soll das funktionieren.
Die „Bunten Perlen“ rufen jetzt zum Spendenlauf „Rechts gegen Rechts“ in Waldheim auf. Was sich skurril anhört, ist ein für Waldheim völlig neues Protestformat mit Hintersinn. „Einige Leute verstehen das nicht und fragen, wo wir langlaufen wollen“, sagt Cindy Reimer von den „Bunten Perlen“. Sie sagt den Fragern dann Folgendes: „Wir laufen nicht selbst, sondern lassen laufen“.
Und zwar die Menschen, die in Waldheim an der Versammlung teilnehmen, welche die AfD anmeldet. Deren sächsischen Landesverband hat der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Auch die ebenfalls als rechtsextrem eingestuften „Freien Sachsen“ sind auf diesen Versammlungen anzutreffen, zu denen ein Aufzug durch die Stadt gehört.
„Fertig ist der Spendenlauf“
Den wollen die „Bunten Perlen“ nun für den Spendenlauf nutzen. „Wir suchen uns möglichst viele, möglichst spendable Sponsoren, wir wissen wie viele Nazis es sind und wie weit sie laufen und wir haben einen Start- und Zieleinlauf. Fertig ist der Spendenlauf – je mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen und je weiter sie laufen, desto mehr Geld kommt zusammen“, erläutert Cindy Reimer.
Ebenso ist geplant, an der Route des Aufzuges der AfD und der „Freien Sachsen“ mehrere Jubelkundgebungen anzumelden. „Dabei werden wir am Rand stehen und klatschen und jubeln und uns bei den rechten Demo-Teilnehmerinnen und Demo-Teilnehmern herzlichst für ihr Engagement gegen rechts bedanken“, sagt Cindy Reimer.
Das eingenommene Spendengeld wollen die „Bunten Perlen“ Endstation Rechts, der RAA Sachsen (Beratung von Opfern rechter Gewalt) sowie der Freien Vernetzung Sachsen zugutekommen lassen und so wichtige Projekte im Kampf gegen Rechtsextremismus unterstützen.
Ein Spendenkonto gibt es nicht, aber einen virtuellen Spendentopf. Die „Bunten Perlen“ bitten die Sponsorinnen und Sponsoren um eine E-Mail, in der sie festlegen, wie viel Geld sie wofür spenden wollen, beispielsweise einen bestimmten Betrag pro gelaufener Strecke. Wenn der Lauf vorbei ist, melden sich die „Bunten Perlen“ bei den Spenderinnen und Spendern und sagen, wem sie ihre Spenden direkt überweisen können.
Dirk Wurzel 21.02.2024
Polarisierung schreckt ab – ein Kommentar zu Demonstrationen in Waldheim
Die Demokratie-Demo in Waldheim bräuchte noch mehr Stimmen aus der bürgerlichen Mitte, findet DAZ-Reporter Dirk Wurzel in diesem Kommentar.
„Faschisten“ und „Nazis“ auf der eine Seite, „linkes Pack“ auf der anderen Seite. Diese abfälligen Bezeichnungen für Teilnehmerinnen und Teilnehmer der jeweils als gegnerisch wahrgenommenen Demonstration sind derzeit in Waldheim im Umlauf. Das macht das Klima nicht unbedingt freundlicher in der Stadt und wird den Protestierenden auf beiden Versammlungen nicht gerecht.
Weder sind die auf der einen Seite alle „linkes Pack“, noch die auf der anderen alle „Nazis.“ Wenn dann auf einer Demonstration für Demokratie und gegen Rechtsextremismus vorrangig Redner aus dem linken Lager sprechen und die Gegendemonstranten pauschal als „Faschisten“ bezeichnen, führt auch das zu einer weiteren Polarisierung auf der Straße, die normale Leute abschreckt. Gleiches gilt für linke Landespolitikerinnen, welche die Demokratie-Demo dafür nutzen, um ihre spezielle politische Agenda, beispielsweise zur Flüchtlingsfrage, zu verbreiten.
Die Demokratie-Demo bräuchte noch mehr Stimmen aus der bürgerlichen Mitte. Etwa die von Steffen Ernst. Waldheims Bürgermeister sprach zu deren Auftaktveranstaltung am 29. Januar über die Verteidigung der Demokratie – und das ohne polarisierende Begriffe zu verwenden.
Dirk Wurzel 20.02.2024
Minutenlange Stille unterbricht laute Demos in Waldheim
„Bunte Perlen“ gegen die AfD: In Waldheim haben wieder gegensätzliche Lager zeitgleich demonstriert. Die Polizei musste nicht einschreiten. Einmal wurde es sehr still in der Stadt. Aber nur für kurze Zeit
Es herrschte minutenlang Stille in Waldheim. Im Hintergrund war nur das Rauschen der Zschopau zu hören. Diese Stille war ungewöhnlich und beeindruckend an einem Tag, an dem in Waldheim laut demonstriert wurde. Mit Sprechchören, Redebeiträgen und Musik, etwa von Rio Reiser, auf der einen Seite – mit Trommeln, Tröten, Reden und Hupen auf der anderen.
Die „Bunten Perlen“ hatten diese Stille in die Stadt gebracht. Das überparteiliche Bündnis hatte seine Versammlung diesmal zum Gedenken an die Opfer eines rassistischen Verbrechens in Hanau genutzt, das vor vier Jahren geschah.
Waldheim gedenkt der Opfer von Hanau
Am 19. Februar 2020 erschoss ein 43-Jähriger in der hessischen Stadt zehn Menschen, von denen neun einen Migrationshintergrund hatten. Danach hatte sich der Täter selbst getötet. Das Bundeskriminalamt (BKA) bescheinigte den Morden ein rechtsextremistisches und rassistisches Motiv.
„Im Namen der Opfer bitten wir jetzt darum, die Fahnen einzurollen“, sagte Eyk Fechner, Versammlungsleiter der „Bunten Perlen.“ So geschah es. Fahnen, Banner und Transparente von „Antifa“ bis „Omas gegen Rechts“ verschwanden für die Dauer der Gedenkminute in beeindruckender Disziplin. Die Teilnehmer und Menschen aus dem Orga-Team um Eyk Fechner hielten Bilder der Opfer von Hanau.
Dass es so still war, lag auch daran, dass die Teilnehmer der Versammlung, welche die AfD angemeldet hatte, zum Zeitpunkt des Gedenkens gerade durch Waldheim zogen. Auf ihrer Versammlung lief zuvor zeitweise die Nationhymne in einer Wiederholungsschleife. Oder man hörte ein Uwe-Steimle-Programm vom Band.
Als prominenteste Rednerin hatten die „Bunten Perlen“ die Leipziger Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) aufzubieten. Sie sagte beispielsweise, dass es wichtig sei, Widerspruch gegen rechte Alltagskultur auf die Straße zu bringen und dass dabei auch die kleinen Orte wichtig seien.
Juliane Nagel: Faschisten verhöhnen die Opfer
Seit drei Jahren würden nach ihren Worten in Waldheim die „Faschisten“ demonstrieren, sagte Juliane Nagel über die montäglichen Aufzüge, die zur Corona-Zeit begannen und die lange Zeit nicht bei der Versammlungsbehörde angezeigt wurden. Dass die „Faschisten“ gerade an einem Gedenktag für die Opfer von Hanau ihre Versammlung abhalten, nannte Nagel eine „Verhöhnung der Opfer.“
Die Politikerin kritisierte auch die aktuelle Flüchtlingspolitik und Pläne der Bundesregierung, Flüchtlingen kein Bargeld mehr zu geben, sondern eine digitale Bezahlkarte. Dies bezeichnete Nagel als eine „Stigmatisierung“. Diese Karte soll die Anreize verringern, nach Deutschland zu fliehen. Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer (parteilos) hatte bereits im Januar dafür plädiert, diese für den Landkreis einzuführen.
Pullover hochgezogen
Auf der „Bunten-Perlen“-Demo gab es in der vergangenen Woche polizeirelevante Vorfälle. Teilnehmer hatten sich offenbar vermummt, was laut Versammlungsgesetz verboten ist. Das griff die Versammlungsleitung zu Beginn der Veranstaltung am Montag auf.
Es habe Maßnahmen der Polizei gegeben, weil „Menschen ihre Pullover hochgezogen“ hätten, damit „sie die Nazis nicht fotografieren“, hieß es. Das dürfe man aber nicht, hieß es aus Kreisen der Versammlungsleitung zu den Vermummungen.
100 Polizisten sichern Versammlungen ab
Strafrechtlich relevante Vorfälle gab es diesmal beim Versammlungsgeschehen in Waldheim nicht. Das bestätigte gleich am Abend Polizeipräsident Carsten Kaempf, Leiter der Polizeidirektion Chemnitz, gegenüber der LVZ. Rund 100 Polizisten sicherten die Versammlungen in Waldheim ab, Carsten Kaempf war sozusagen der ranghöchste Beamte.
Polizeipräsident Kaempf war nach Waldheim gekommen, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Ihn bewegte auch die Frage, was es mit einer kleinen Stadt macht, wenn sich solche konträren Lager gegenüberstehen.
150 gegen 220
In Zahlen drückte sich das laut Polizei folgendermaßen aus: Die AfD-Versammlung zählte rund 220 Teilnehmer, die der „Bunten Perlen“ etwa 150. Gleichwohl die Polizei nicht wegen Straftaten einschreiten musste, gab es wieder vereinzelte Stinkefinger gegen die Teilnehmer der AfD-Versammlung. Das berichten sowohl Polizeisprecherin Jana Ulbricht, die ebenfalls in Waldheim war, als auch Teilnehmer der Versammlung, welche die AfD angemeldet hatte.
Beleidigung wie der Stinkefinger ist kein Offizialdelikt, wegen dem die Polizei einschreiten müsste. Es wird strafrechtlich nur verfolgt, wenn die Betroffenen dies wünschen und Strafantrag stellen. Aus dem Kreis der Versammlung der „Bunten Perlen“ war diesmal nicht der Sprechchor zu hören, dass „ganz Waldheim“ die AfD hasse.
Dirk Wurzel 16.02.2024
„Bunte Perlen“ laden wieder zur Versammlung nach Waldheim – zum Gedenken an Opfer eines rassistischen Verbrechens
Der rassistisch motivierte Anschlag von Hanau kostete vor vier Jahren zehn Menschen das Leben. Ihrer wollen nun die „Bunten Perlen“ auf ihrer nächsten Versammlung in Waldheim gedenken.
Auch für Montag laden die „Bunten Perlen“ wieder zur Demonstration in Waldheim. Die Versammlung für Demokratie und gegen Rechtsextremismus soll diesmal im Zeichen des Gedenkens der Opfer des Anschlags von Hanau stehen, kündigt Eyk Fechner von den „Bunten Perlen“ an. Am Montag jährt sich dieses schreckliche Verbrechen zum vierten Mal.
Am 19. Februar 2020 erschoss ein 43-Jähriger in der hessischen Stadt zehn Menschen, von denen neun einen Migrationshintergrund hatten. Danach hatte sich der Täter selbst getötet. Das Bundeskriminalamt (BKA) bescheinigte den Morden ein rechtsextremistisches und rassistisches Motiv. „Das BKA bewertet die Tat als eindeutig rechtsextremistisch. Die Tatbegehung beruhte auf rassistischen Motiven“, schrieb BKA-Präsident Münch damals auf Twitter, das heute „X“ heißt.
Drohne flog legal
„Am kommenden Montag werden wir wegen der schändlichen Vorfälle in Hanau vor vier Jahren unsere Demonstration mit einer Gedenkveranstaltung kombinieren“, teilt Eyk Fechner auf Facebook mit. In Andacht an die Opfer und aus Respekt gegenüber der Hinterbliebenen bittet er die künftigen Teilnehmer darum, unpassende Transparente und Fahnen zu Hause zu lassen.
Auch auf der letzten Demo der „Bunten Perlen“ am Montag sorgte eine Drohne für Irritationen, die über den Köpfen der Versammlungsteilnehmer kreiste. Aber: „Es gab einen genehmigten Drohnenflug eines Pressemediums“, sagt Andrzej Rydzik, stellvertretender Pressesprecher der Polizeidirektion Chemnitz.
AfD auch wieder am Start
Im Vorfeld des Drohnenfluges stimmten sich Versammlungsbehörde und einsatzführende Polizeibeamten ab. „Der Pilot erfüllte alle rechtlichen Erfordernisse, um die Drohne ordnungsgemäß zu steuern“, so Andrzej Rydzik. „Ein verbotenes Überfliegen von Versammlungsteilnehmern fand nicht statt.“
Anders war das bei der ersten Demo der „Bunten Perlen“ am 29. Januar. Damals kreiste eine Drohne über den Köpfen der Teilnehmer dieser Versammlung. Und das offenbar illegal. „Wir konnten aber keinen Drohnenpiloten feststellen“, sagt Jana Ulbricht, Pressesprecherin der Polizeidirektion Chemnitz. Auf der Versammlung war damals zu beobachten, wie Einsatzkräfte nach der Person suchten, die das Fluggerät steuerte.
Die Versammlung der „Bunten Perlen“ findet am Montag, 18.30 Uhr, in Waldheim statt. Auch die AfD hat wieder eine Versammlung bei der Versammlungsbehörde angezeigt.
Dirk Wurzel 14.02.2024
Demo wichtig – Verhalten inakzeptabel: Ein Kommentar zur Versammlung in Waldheim
Die Demonstrationen für Demokratie sind wichtig. Denn man darf den Radikalen an den politischen Rändern nicht die Straße überlassen, meint DAZ-Reporter Dirk Wurzel.
Es ist absolut richtig und in Ordnung, für unsere Demokratie, unser Grundgesetz, unsere liberale und offene Gesellschaft auf die Straße zu gehen, Menschenfeindlichkeit und totalitäre Herrschaftsformen abzulehnen, von denen der sogenannte Faschismus eine ist.
Es ist aber inakzeptabel, wenn in Waldheim Gegendemonstranten durch Worte und Gesten beleidigt werden, wie dies zum wiederholten Mal geschehen ist. Für diese Leute gilt auch Artikel 8 des Grundgesetzes, der Versammlungsfreiheit garantiert, ob man ihre Ansichten nun teilt oder nicht.
In dieser Beziehung gab die letzte Versammlung für ein buntes Waldheim, für Demokratie und gegen Rechtsextremismus in Waldheim ein schlechtes Beispiel ab. Den Stinkefinger zu zeigen und „Ihr Wichser“ zu rufen, sind einfach unmögliche Umgangsformen.
Dazu kommen jetzt noch die Vermummten mit Schutzwaffen, welche die Polizei zum Glück greifen konnte, die aber auch kein gutes Licht auf die Demokratie-Demo werfen. Verständlich, dass sich Bürger aus der Mitte nicht in einem solchen Umfeld bewegen, nicht in einem solchen Umfeld gesehen werden wollen.
Schade, denn so ist es wahrscheinlich, dass in Waldheim den wichtigen Demos für Demokratie auch künftig die große gesellschaftliche Mitte fernbleibt.
Dirk Wurzel 13.02.2024
Live-Musik und Strafanzeigen bei Demo in Waldheim – trotz Beleidigungen verliefen Versammlungen friedlich
Hunderte Menschen haben am Montagabend wieder in Waldheim demonstriert. Einige von ihnen haben dabei anscheinend Straftaten begangen. Obwohl die Lage friedlich blieb, musste die Polizei einschreiten.
In Waldheim waren am Montagabend über 400 Menschen auf der Straße. Etwa die Hälfte davon folgten dem Aufruf der „Bunten Perlen“ und demonstrierten auf dem Obermarkt für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Die anderen hatten sich auf dem Niedermarkt unter dem Motto „Die Ampel muss weg; Erhöhung der Maut; Abschaffung Dieselrückerstattung“ versammelt, wo der AfD-Landtagsabgeordnete Lars Kuppi sprach.
Es blieb im Großen und Ganzen friedlich, wenngleich Teilnehmer der „Bunten-Perlen“-Versammlung den Gegendemonstranten Stinkefinger zeigten und Beleidigungen wie „Ihr Wichser“ zuriefen, als diese durch Waldheim zogen. „Ich bin entsetzt, wie viel Hass uns entgegengebracht wurde“, sagte eine Teilnehmerin dieser Demonstration.
„Es irritiert mich, wenn hier in Sprechchören Menschen beschimpft werden, die ein anderes Gedankengut haben“, sagte Ingo Ließke. Der Stadtrat aus der FDP-Fraktion hat das Versammlungsgeschehen beobachtet, um sich davon ein Bild zu machen.
Wenn er sich zwischen den Versammlungen entscheiden müsste, würde er die der „Bunten Perlen“ wählen. Dennoch beunruhigt Ingo Ließke, wie Leute, die früher vielleicht zusammen gefeiert haben, jetzt in gegensätzlichen Lagern demonstrieren. Ihn stört auch die Radikalität, die bei den Versammlungen zum Teil zum Ausdruck kam. Diese erschwere die Kommunikation und Möglichkeiten der Versöhnung.
Ziel: „Rechte Spaziergänge“ sollen aufhören
Eyk Fechner von den „Bunten Perlen“ hatte die Demo für Demokratie und gegen Rechtsextremismus eröffnet. Die „Bunten Perlen“ sind ein parteiunabhängiger Zusammenschluss junger Menschen aus Waldheim und Umgebung. Sie wollen in Waldheim Demokratie und Vielfalt zeigen.
Die „rechten Spaziergänge“ in Waldheim sollen aufhören – das gab Eyk Fechner als ein Ziel der „Bunten-Perlen“-Versammlung aus und bekräftigte dies im Gespräch mit der LVZ. Mittlerweile als Versammlung angemeldet, begannen in der Corona-Zeit Menschen gegen die Schutzmaßnahmen zu protestieren, indem sie Aufzüge veranstalteten, die nicht angemeldet waren und die sie „Spaziergänge“ nannten.
Staatssekretärin spricht
„Immerhin haben die ,Bunten Perlen’ die bessere Musik“, sagte Ingo Ließke. Diesmal spielte die Banda Communale. Wie Eyk Fechner sagt, konnten sie die Band über soziale Netzwerke im Internet gewinnen, wo die „Bunten Perlen“ für Unterstützung aus den Großstädten geworben hatten.
Als prominenteste Rednerin sprach Gesine Märtens, Staatssekretärin im Sächsischen Justizministerium. Das heißt seit der letzten Landtagswahl Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung. Seit dieser Wahl regiert in Sachsen eine Kenia-Koalition und Katja Meier (Grüne) hatte das Justiz-Ressort übernommen.
Demokratie retten und entwickeln
„Ich bin froh, dass wir jetzt das Wort Demokratie im Namen des Ministeriums haben“, sagte Gesine Märtens. Sie verwies zudem auf das neue Programm „Orte der Demokratie.“ Man müsse die Demokratie retten und weiter entwickeln. „Unsere polnischen Nachbarn haben acht Jahre gebraucht, um sich von der rechtspopulistischen Regierung zu befreien“, sagte die Staatssekretärin.
„Ganz Waldheim hasst die AfD“, skandierten Sprechchöre nach ihrem Redebeitrag. Wobei Einheimische bezweifelten, dass auf dem Obermarkt überwiegend Waldheimer standen. Es waren viele normale Leute, die sich dort friedlich versammelt hatten. Aus Döbeln waren beispielsweise die „Omas gegen Rechts“ zum Demonstrieren nach Waldheim gekommen.
Polizisten jagen durch Waldheim
Anders schätzten die stadtkundigen Einheimischen die Waldheim-Beteiligung an der Gegendemo ein, die unter dem Motto „Die Ampel muss weg“ stand. Bei dieser seien mehrheitlich Waldheimer mitgelaufen.
Wie Thomas Kunze, Erster Kriminalhauptkommissar und Einsatzleiter der Polizei, gegen Ende der Versammlungen sagte, seien diese ruhig und ohne Straftaten verlaufen. Minuten später rannten aber gegen 20 Uhr plötzlich Bereitschaftspolizisten durch Waldheim. Offenbar schienen sie jemanden zu verfolgen. Kurz darauf hatten die Beamten mindestens eine Person gestellt und kontrollierten diese auf dem Rossmann-Parkplatz.
Mit Schutzwaffen auf Demokratie-Demo
Was war da los? „Im Zusammenhang mit dem Versammlungsgeschehen gab es vier Anzeigen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz“, erklärt Doreen Stein von der Pressestelle der Polizeidirektion Chemnitz auf Anfrage der LVZ. In einem Fall stellten die Beamten bei der Kontrolle sogar Schutzbewaffung wie Quarzhandschuhe, Pyrotechnik und einen Holzstock fest.
Nach Doreen Steins Worten kamen die Vermummten aus dem Kreis der Versammlung der „Bunten Perlen“. Bei den Tatverdächtigen handelt es sich um deutsche Staatsbürger.
Nach Paragraf 28 des Sächsischen Versammlungsgesetzes macht sich strafbar, wer an einer Versammlung in einer Aufmachung teilnimmt, „die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern“ oder Schutzwaffen mit sich führt. Als Strafe sieht das Gesetz Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor.