Der Minimalkonsens auf den Anti-AfD-Protesten reicht nicht aus – Vielfältig rechts

Bei den Anti-AfD-Protesten begegnen einem sehr unscharfe Begriffe von »rechts«. Das führt mitunter dazu, dass man an der Seite anderer Unsympathen demonstriert.

An jedem Wochenende demonstrieren Hunderttausende »gegen rechts« – nicht nur in den Metropolen, auch in vielen kleineren Städten, selbst in Ostdeutschland. Eine durchaus beeindruckende Haltungsbekundung der sogenannten Zivilgesellschaft, die jedoch nicht mit den Ergebnissen bundesweiter Wahlumfragen korreliert. Bei der sogenannten Sonntagsfrage rangiert die Linkspartei derzeit zwischen drei und vier Prozent, bei den Grünen sind es 14 bis 15 Prozent und die SPD bringt es auf 15 bis 16. Folglich ist derzeit nur ein Drittel der Wahlberechtigten bereit, seine Stimme Parteien zu geben, die nach gängiger Auffassung eher »links« einzuordnen sind.

Würden sich die Demonstranten sich nur aus diesem Drittel rekrutieren, müsste die Zahl der Teilnehmer eigentlich deutlich niedriger ausfallen. Zumal der Blick in den eigenen Bekanntenkreis zeigt, dass dezidierte Linke und notorische Nichtwähler diesen Massenaufläufen eher fernbleiben.

Es beteiligen sich also offensichtlich auch viele Leute, die eher bürgerlich-rechts wählen. Für großstädtische Linke, die normalerweise in ihren eigenen Milieus verbleiben, mag das ungewohnt sein. Wer hingegen versucht, in der Provinz Bündnisse etwa zum Schutz von Flüchtlingen zu schließen, weiß schon länger, dass es zuweilen auch in CDU und FDP verlässliche Antifaschisten gibt.

Palästina-Fahnen, »Impfen tötet«-Sticker und Friedenstauben über den Konterfeis von Wagenknecht und Alice Schwarzer

Irritierender wirken da schon die neben all den Anti-AfD-Schildern mitlaufenden Anhänger der neuen Querfront-Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Deren Parteivorsitzende und Namensgeberin hat zwar in diversen Interviews jegliche Zusammenarbeit mit Rechtsextremen ausgeschlossen, dafür zuletzt aber in der FAZ die AfD-Bundesparteisprecherin Alice Weidel gegen den Vorwurf in Schutz genommen, rechtsextrem zu sein. Eine Zusammenarbeit mit der Werteunion, deren Vorsitzenden Hans-Georg Maaßen der Verfassungsschutz als Rechtsextremen führt, mochte sie in der Berliner Morgenpost auch nicht kategorisch ausschließen.

Damit nicht genug: Deutlich sichtbar nehmen zudem Leute an den Demons­trationen teil, die noch vor kurzem hemmungslos Fake News rechter Verschwörungsmedien verbreiteten, um vor einer »Corona-Diktatur« zu warnen, friedensbewegte Putin-Versteher und solche, die islamfaschistische Hamas-Killer für antikoloniale Freiheitskämpfer halten. Palästina-Fahnen, »Impfen tötet«-Sticker und Friedenstauben über den Konterfeis von Wagenknecht und Alice Schwarzer – das alles konnte man in den vergangenen Wochen auf den »Demos gegen rechts« sehen.

Und dann waren da noch diverse Regierungspolitiker, die es sich nicht nehmen ließen, zwischen ihren Sitzungen zur Sicherung der EU-Außengrenzen und Einführung von Bezahlkarten für Flüchtlinge sowie beschleunigten Abschiebeverfahren medienwirksam »gegen rechts« aufzutreten.

Eine skurrile Melange also, in der manche Teilnehmer genaugenommen gegen sich selbst demonstrieren. Postmoderne Beliebigkeit? Vielleicht. Vor ­allem aber zeigte sich hier eine bedenkliche Unschärfe des Begriffs »rechts«, der offensichtlich für viele einfach nur ein Synonym für »böse« und entsprechend frei auslegbar ist.

Das positive Bekenntnis zu »Demokratie und Vielfalt« wirkt nicht schlüssig

So beruhigend es also erscheinen mag, dass das Potsdamer »Geheimtreffen« von AfD-, CDU- und Werteunion-Politikern mit einem prominenten Rechtsextremen, bei dem sich erstere von Letzterem zu Strategien für die Deportation unerwünschter Mitbürger beraten ließen, offenbar für Millionen Menschen einen nicht hinnehmbaren Affront bedeutet – darüber hinausreichende politische Gemeinsamkeiten sind bei denen, die sich auf den Slogan »gegen rechts« einigen können, leider nicht zu erkennen.

Auch das positive Bekenntnis zu »Demokratie und Vielfalt« wirkt nicht wirklich schlüssig. Schließlich ist die AfD, gegen die sich die meisten Plakate und Transparente richteten, eine zugelassene Partei mit wachsendem Erfolg bei demokratischen Wahlen. Und die Positionen des rechten Lagers erweisen sich bei genauer Betrachtung als ausgesprochen vielfältig.

Nun muss, wer der Demokratie das Wort redet, bekanntlich leidensfähig sein. In jedem frei und ungegängelt gewählten Parlament gibt es einen rechten (konservativen) und einen linken (meist vage sozialdemokratischen) Block sowie oft noch verschiedene Gruppen, die sich irgendeiner Spielart des Liberalismus verschrieben haben. Dass dabei jeder aus den Reihen der jeweils anderen Interessengemeinschaften immer wieder Aussagen hört, die er völlig unerträglich findet, und sich dennoch mit diesen Leuten verständigen muss, liegt in der Natur der Sache. Das gilt es auszuhalten – im Parlament wie in der Gesellschaft.

Wer sein persönliches Empörungsmaximum schon bei öden Stammtischwitzen eines konservativen Kabarettisten wie Dieter Nuhr erreicht und dem in Postings und Tweets überreichlich Ausdruck verleiht, tut damit ungewollt dasselbe wie der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, wenn er versucht, mit der Behauptung, abgelehnte Asylbewerber nähmen Deutschen die Zahnarzttermine weg, AfD-Wähler zu umgarnen: Beides trägt dazu bei, die ohnehin eher unscharfe Grenze zwischen demokratischem Konservatismus und Rechtsextremismus weiter zu verwischen.

Deutlich sinnvoller wäre es, sich näher mit den verschiedenen Spielarten des modernen Rechtsextremismus auseinanderzusetzen. Hätten zumindest die Redaktionen der großen Fernsehanstalten und Printmedien das ­irgendwann zwischen 2013 und heute getan, ein Großteil der Interviews mit und Talkshow-Auftritte von AfD-Politikern, die seither kontinuierlich deren Reichweite vergrößerten, wäre uns erspart geblieben.

Einigen Journalisten scheint inzwischen zu dämmern, wie sehr sie – meist ungewollt – zum Erfolg der AfD beigetragen haben. Deshalb werden immer neue »Kipppunkte« frei erfunden, an denen diese ursprünglich doch eher harmlose Partei angeblich erst ins rechtsextreme Lager übergegangen sei: nach Bernd Luckes Austritt 2015, Frauke Petrys Abgang 2017 oder dem von Jörg Meuthen 2022.

Konflikte zwischen verschiedenen rechtsextremen Fraktionen in der AfD
Das ist nicht nur schlicht falsch (offen Rechtsextreme wie der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke waren von Beginn an dabei), es affirmiert zudem die plumpe Selbstschutzbehauptung der genannten ehemaligen Parteisprecher, ihr Austritt sei eine Reaktion auf das Abrutschen der Partei nach rechts gewesen. Dabei ging es in Wahrheit immer nur um Konflikte zwischen verschiedenen, aber letztlich gleichermaßen rechtsextremen Fraktionen in der AfD.

Da sind zum einen die »Nationalkonservativen«, die grob gesagt in den geistigen Gefilden der in der Weimarer Republik virulenten »Konservativen Revolution« zu verorten sind und mithin zur »Neuen Rechten« um den rührigen Verleger Götz Kubitschek und den »Remigrations«-Referenten des Potsdamer »Geheimtreffens«, Martin Sellner, gezählt werden können (auch wenn diese beiden sich inzwischen offenbar entzweit haben).

Daneben gibt es den immer wieder direkt auf den historischen Nationalsozialismus rekurrierenden und besonders in Ostdeutschland sehr erfolgreichen völkischen Flügel um Björn Höcke. Und schließlich sind da noch die Anhänger eines wirtschaftslibertär geprägten Survival-of-the-Fittest-Trumpismus, zu denen Alice Weidel gehört, sowie allerlei Kleinstsektenangehörige aus dem Reichsbürgermilieu und frei flottierende »Querdenker«. Wirklich trennscharf voneinander abgrenzen lassen sich diese Gruppierungen kaum, eint sie doch alle die Ablehnung zentraler demokratischer und humanistischer Prinzipien.

Dennoch versuchen Medien, Politiker und Verfassungsschutz stets, die verschiedenen Gruppen differenziert zu betrachten, was zumindest für ein mögliches Parteiverbot gewiss nicht hilfreich ist. Weitgehende Einigkeit besteht bislang nur über den Rechtsextremismus der Höcke-Fraktion. Schon bei den »Nationalkonservativen« urteilt man dagegen eher abwägend. Schließlich waren nicht wenige von deren Vertretern einstmals in der Union aktiv, weshalb diese immer noch hofft, sie und die dazugehörigen Wähler mittels rechts­populistischer Rhetorik zurückzugewinnen.

Noch schwerer tut man sich damit, die Wirtschaftslibertären als rechtsextrem zu kategorisieren. Denn deren radikal antisoziale Positionen sind spätestens seit Donald Trumps Siegeszug 2017 im gern als »Mitte« missverstandenen Einfamilienhausmilieu der Habenden und damit in der Wählerschaft von Union und FDP ziemlich en vogue.

Für einen sinnvollen Protest »gegen rechts« müsste sich »die Zivilgesellschaft« zunächst einmal dieser komplexen Gemengelage bewusst werden und sich über »Demokratie und Vielfalt« hinaus auf ein paar zivilisa­torische Grundwerte verständigen – wenigstens im Sinne von Aufklärung und universalen Menschenrechten sowie der sozialen Verantwortung, die daraus folgt. Dazu gehört auch, dass die Medien Rechtsextremen jeglicher Couleur keine Bühne mehr bieten und man als Zuschauer abschaltet, wenn sie es doch tun.

Und natürlich, dass man nicht Seit’ an Seit’ mit Querfrontlern, Verschwörungsgläubigen sowie linken und arabischen Antisemiten »gegen rechts« demonstriert. Sicher, die Demonstrationen wären dann deutlich kleiner, würden damit aber immerhin zeigen, wo diese Gesellschaft tatsächlich steht. Es mag sich für den Moment gut anfühlen, gemeinsam die alte Mär vom »Wir sind mehr!« zu reproduzieren. Doch die gehört eben – leider – in den Bereich »alternativer Fakten«. Und auf diesem Feld sind die Rechten unschlagbar.