10 Tage, die die Stadt verändern

Die Dondorf Druckerei Besetzung und Räumung – Der Versuch einer Einordnung und taktischen Analyse.*1

Im Dezember 2023 wurde die ehemalige Dondorf Druckerei in Frankfurt erneut besetzt. Die genaueren Hintergründe wurden an anderen Stellen behandelt oder lassen sich auch in den Mainstream-Medien nachvollziehen. Nur soviel: die vormalige Besetzung erreichte bereits eine beachtliche gesellschaftliches Aufmerksamkeit und eine in sich spannende Bewegungsdynamik. Ihre Räumung ging dann überraschend schnell voran, war jedoch von einer guten Widerständigkeit bis in hinein in lokale gesellschaftliche Initiativen getragen.

Das meiste hier geschriebene ist von einer gewissen „Außenperspektive“, im Sinne von solidarisch, aber nicht aktiv gestaltender Teil des entstehende Kollektivs Dondorf-Druckerei. Wir hoffen, dass wir aus diesen und anderen Analysen viel lernen können und beim nächsten mal alles noch besser machen.

Die Besetzung Mitte Dezember, fiel in einen Zeitraum in eine mittlerweile in liberalen Teilen der Stadtgesellschaft getragene Diskussion um Stadtentwicklung, sowie in die Akutphase der Situation nach dem Hamas Angriff am 7. Oktober. Im Gegensatz zur vorherigen Besetzung im Sommer, welche jahreszeitlich bedingt eine enorme Dynamik entwickelte, lief das „Programm“ eher schleppend an. Nach einigen Tagen hin und her mit der vermutlich verantwortlichen Uni-Leitung zeichnete sich eine baldige Räumung ab.

Zum Einsatz der Bullen:

Die akute Besetzung fand Samstags während eines Eintracht Heimspiels sowie des Weihnachtsmarkts statt. Zeitnah nach dem Spiel wurde zwar ein BFE-Zug herangezogen, der auch die überschaubare Menge an Unterstützer*innen erst mal mit deutlicher Gewalt beiseite drängte. Anschließend zeigte sich jedoch die strategische Konzeptlosigkeit dieser Einheit: Sie hatten das „Tor“ gesichert, während sich eine unbekannten Menge an Personen in einem sechsstöckigem Gebäude verrammelten… Ein konzeptloses Eindringen war offensichtlich nicht zielführend und selbst gefährdend – auch ohne die juristischen Probleme. So musste die lokale BFE-Einheit tatsächlich nach 2 h „Stand-off“ unverrichteter Dinge abziehen.

Der Mangel an Unterstützungskräften spielt unserer Meinung nach für den weiteren Verlauf eine größere Rolle. Denn im Verlauf der weiteren Tage war eine größere Anti-Polizei-Demo am 13.12. sowie verschiedenste Demos zum Nahostkonflikt angekündigt, welche alle zusätzlich Polizeikräfte banden oder Gefahrenpotential darstellten.

Aus der vorangegangenen Besetzung hatten Aktivist*innen gelernt und ließen weder alle zwei Stunden Räumungspanik aufkommen noch ließen sie sich verrückt machen, wenn irgendwo eine Streife langfuhr. Und doch nahm man die Bedrohung sehr ernst und war offensichtlich insofern vorbereitet, dass es am Tag der Räumung fast 20 Personen auf das Dach der Druckerei schafften, während weitere aus dem Inneren geräumt wurden. Die Personen auf dem Flachdach verweigerten das Herunterkommen, ein direktes Räumen erschien den Bullen aufgrund des Flachdachs nicht durchführbar ohne Fremd- und Eigengefährdung der eingesetzten Bullen. (Wirklich niemand kann dafür garantieren wie sich Menschen an einer Kante in 25m Höhe verhalten, die von vermummten Bewaffneten überfallen werden.)

An diesem Tag zeigte sich, das die Frankfurter Bullen sich auf ein solches Szenario nicht ausreichend vorbereitet waren. Möglicherweise spielte Kommissar Zufall auch eine Rolle, so landete der Ukrainische Präsident Selensky überraschend am Räumungstag morgens am Frankfurter Flughafen. Dies dürfte einige der vorhandenen SEK-Kräfte gebunden haben, schließlich hat die Sicherheit eines solchen Staatsgastes noch höhere Bedeutung als die Besitzrechte des Landes Hessen. Die Bullen spielten hierbei erstmal nonchalant auf Zeit und kalkulierten das die Besetzer*innen sich aufgrund der Witterung zeitnah vom Dach verziehen würden. Sie hatten offensichtlich nicht mit der Entschlossenheit der Menschen gerechnet. Bekannt ist dieses Vorgehen aus der Vergangenheit, vor ziemlich genau 10 Jahren wurden die Besetzer*innen in der Weilburger Straße auf ähnliche Art und Weise ausgehungert. Wir würden davon ausgehen, das die Polizeiführer erwarteten, dass nach spätestens einer Nacht sich die Sache erledigen würde. Nachdem die Besetzer*innen beharrlich aushielten und die Solidarität anfing anzulaufen wurden die Bullen mit einer für sie neuen Lage konfrontiert. Politisch, öffentlichkeitstechnisch wie auch organisatorisch wurde mit länger anhaltender Besetzung des Dachs der Druckerei die Zeitfrage wieder umgedreht. So versuchten die Bullen am Abend und Tag zwei der Räumung mit Trickserei, Vorspielung falscher Tatsachen, Einschüchterung usw. zu agieren. Zunehmend zeigte sich die Nervosität, so dass mehrfach Räumungsangebote per SEK mit Hilfe einer Drehleiter der Frankfurter Feuerwehr versucht wurden. Im weiteren Verlauf des Wochenendes war die Limitierung der Bullenkräfte deutlich zu erkennen, wurde der durchgehende Raumschutz mittlerweile von Kasseler Alarmhundertschaften durchgeführt. Diese waren mit der Situation, der Örtlichkeit und allem durchaus überfordert. So gelang es mehrfach die Eingeschlossenen auf dem Dach mit Lebensnotwendigem zu versorgen. Auch die Demonstration Sonntag Abend (Tag 4! der Räumung) wurde von auswärtigen Bullen ohne jeden Bock und Ortskenntnis durchgeführt. Eine für beide Seiten eigentlich ganz komfortable Situation, konnte der Unmut über die Räumung quasi stressfrei auf die Straße gebracht werden. Und gleichzeitig machten die sich seit Tagen im Einsatz befindlichen Hundertschaften (Plus BFE Kassel) keinen neuen Heckmeck und mussten nicht mehr tun als vor und auch mal hinter der Demonstration herlaufen.

Bezogen auf die Bullen lässt sich folgendes festhalten:

– Es zeigt sich nochmals deutlich das Verhandeln mit den Bullen überhaupt keinen Sinn hat, lediglich der eigene Faustpfand zählt. So wurden Aktivist*innen nach mehreren Tagen Aushalten auf dem Dach für einen Abbruch in Aussicht gestellt nicht in die GESA gebracht zu werden, um nur am Boden angekommen direkt hierin verfrachtet zu werden.

– Die Bullen spielten mit zunehmender Technisierung: Drohnen während der Räumung, Infrarotkameras auf einem gegenüberliegenden Dach zur Beobachtung der Besetzer*innen.

-Zusammenkommen von Kräftelimitierung allgemein wie auch Spezialkräfte: Selensky, Weihnachtsmarkt, Nahostdemos, Eintrachtkrawalle, weitere Lagen.

– Es ist möglich sie in speziellen Situationen an ihre Grenzen zu bringen. Finanziell und bezüglich ihrer Kapazitäten. Nicht wenige Bullen waren über ihre Arbeitszeiten und Bedingungen entsetzt. Einige brachte die Tatsache das ihr Einsatz lediglich dazu diente, das durstende Menschen kein Wasser und Brot bekommen, an ihre psychische Grenze.

Besonderheit ist die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr. Wir denken, das sich hier noch deutlich besser ein Keil in die Behörden treiben ließe, schließlich ist es die originäre Aufgabe der Berufsfeuerwehr Menschen zu retten – und nicht Erfüllungsgehilfe der Bullen zu sein. Dies zeigte sich auch nachdem ein Feuerwehrmann sich weigerte die der Drehleiter auf dem Dach abzusetzen, nur weil „eine Person darunter“ stehen würde. Wir glauben kaum das die Besatzung einer innenstädtischen Frankfurter Feuerwache dies „nicht kann“, sondern dann einfach nicht mehr will. Und unsere Aufgabe wäre es gewesen in der Öffentlichkeit verstärkt darauf hinzuweisen das dies nicht die Aufgabe der Feuerwehr ist.

Politische Analyse

Zunächst einmal war die Besetzung als solche ein großer Erfolg. Es konnte erneut eine größere Anzahl Aktivist*innen sich Handlungsmacht und Raum in dieser Stadt nehmen, die politischen Forderungen nach Erhalt des Gebäudes sowie neuen Zentren konnten deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Man muss jedoch dazu sagen, das der tatsächliche gesellschaftliche Widerhall in diesem Ausmaß erst durch die über 120 Stunden Dachbesetzung zustande kam. Die Besetzung selbst spielte zunächst die gewohnte Rolle in der links-liberalen aber doch marktorientiert bürgerlichen Stadtpolitik. Durch die andauernde Besetzung bzw. Räumung und die unhaltbaren Zustände sahen sich immer mehr Akteure genötigt Positionen zu beziehen. Ein letztlich sich selbst verstärkender Effekt (mit den Solidaritätsbekundungen namenhafter linker Künstler*innen als dessen Highlight).

Eher zufällig entstand für eine gewissen Zeit eine gesellschaftliche Zwickmühle für unsere Gegner*innen, da jedes Agieren ihrerseits wahlweise Zuspitzung einer unhaltbaren Position oder aber ein Entgegenkommen auf uns gewesen wäre. Diesen Effekt hätten wir als Bewegung, bzw. die Besetzer*innen durchaus noch deutlich ausbauen können. Auf die in regelmäßigen Abständen kommenden Beteuerungen und Verhandlungsangebote nicht einzugehen, sich nicht hertreiben zu lassen, sondern den schwarzen Peter immer wieder zurück spielen: Auf das Angebot von Verhandlungen nach Verlassen des Dachs hätten die Dachbesetzer*innen reagieren können, im Sinne: Liebe Stadt, liebes Land, Liebe Uni-Leitung, kommen Sie hier aufs Dach, wir reden und gehen gemeinsam herunter. Es ist sehr klar, das keine der gegnerischen Parteien das machen würde, aber die öffentliche „Schuld“ läge wieder bei ihnen. Wenn sie es doch machen würden, wären es gute Verhandlungsvoraussetzungen.

Hier würden wir folgende Verbesserungen anregen:

– Die Gegner vor sich hertreiben, nicht auf fadenscheinige Angebote eingehen.

– Selbst schwer erfüllbare. doch durchführbare Angebote machen, bei tatsächlicher und realer Verhandlungsbereitschaft auch entgegenkommen!

Das Pfand sich nicht aus der Hand nehmen lassen. Solange du auf dem Dach bist, verlieren sie!

Cleverer spielen: Wollen bspw. zwei Leute das Dach verlassen und die Forderung ist, das es keine Gewahrsamnamen gibt, sagen: Die erste Person meldet sich von der Mahnwache aus per Megafon, dann geht erst die andere. Die Bullen müssten sich dann entscheiden, ob sie lieber 2 vom Dach haben wollen, oder 1 Personalie (Sicherlich hätten die Bullen sich für ersteres entschieden – Ihr einziges Ziel war die kostenintensive Lage zu beenden).

– Sich nicht von immer neuen Verhandlungsangeboten übervorteilen lassen, sondern überlegen was die nächsten Schritte sind, sich darauf vorbereiten, bei einer klaren Strategie bleiben.

– Über den Tellerrand hinaus blicken was gesellschaftliche Wirkung und Politik ist, gleichzeitig nicht nur Insta Instan folgen.

– Selbst eine*n Mediator*in vorschlagen.

Die Bewegung

Wir denken das verschiedene Aspekte hervorgehoben werden müssen. Zunächst einmal das enorme Durchhaltevermögen sowie die Entschlossenheit der Personen auf dem Dach wie auch der solidarischen Menschen unten gewürdigt werden muss. Über 5 Tage hinweg wurde 24 Stunden lang Programm und Öffentlichkeit geschaffen, an einer der vielbefahrensten Kreuzungen der Stadt. Über 120 Stunden harrten bis zuletzt Besetzer*innen bei Regen und krassen Temperaturen unter 0 Grad auf einer Freifläche in 25 Metern Höhe aus, ohne jede (offizielle) Versorgungsmöglichkeit

In der Mahnwache als Dauerkundgebung waren enorme Kräfte gebunden. Es entstand auch ein Zusammenhalt verschiedener Gruppierungen, der so vorher nicht vorhanden war, bzw. politische Gruppen wie auch Einzelpersonen übernahmen sehr solidarisch Aufgaben.

Es mangelte an kollektiver Diskussion und Absprache. Diese waren in einer solchen „plötzlichen“ Situation schwer herzustellen. Insbesondere konnten so die oben genannten politischen Fragen deutlich schwerer in ihrer Tragweite diskutiert werden. Ebenso war es schwer die Konsequenzen für die Menschen oben als auch unten jeweils einzuschätzen mit der Bullenarmada zwischen sich in der Mitte.

Hierdurch konnten viele potentielle Chancen nicht genutzt werden, um entschlossener, wilder und kreativer Zwickmühlen für die Herrschenden zu erzeugen.

Was uns auch nicht verborgen geblieben ist, dass enorm viele Personen aus dem Stadtteil sich das Ganze wohlwollend angeschaut haben. Sehr gut. Jedoch hat vor allem die ehemalige politisch aktive Generation zwischen Anfang 30 und Ende 40 doch zu großen Teilen gefehlt. Dabei wäre dies doch sicherlich für viele ein guter Anknüpfungspunkt gewesen, der sich auch mit veränderten politischen Einschätzungen vertragen hättet. So fragen wir uns: wo wart ihr? Wir wissen, dass die Lebensrealität wohl kaum ergibt sich Sonntag Nacht auf eine Kreuzung zu setzen, doch eure politische Erfahrung und Gewitztheit wurde schmerzlich vermisst.

Auch ist uns unangenehm die Personalisierung aufgefallen. Wir würden weniger die Respektbekundungen nach oben als kritisch einschätzen, eher die Ankündigung einer Redner*in in Fußballmanier und jetzt kommt unsere Pressesprecher*in Juuule! mit besonders starken Applaus. Wir denken das wir unsere Inhalte ohne unangenehme Personalisierung vorantreiben können, zumal wir Personen hiermit in den Mittelpunkt und in den Fokus staatlicher Repression rücken.

Im Gegensatz zum Text der Dondorfsche Held*innenkomplex glauben wir nicht, das die Aktionsform der Dachbesetzung nichts bringen würde. Ganz offensichtlich. Gesellschaftliche Zustände sind umkämpft, und da ist es eine Frage von Entschlossenheit und auch des Preises, den wir bereit sind dafür zu zahlen. Und der Gewinn wird nicht (ausschließlich) in Sachschaden gerechnet, aber auch nicht in Insta-Posts. Aber wenn am Ende ein Max-Plank-Institut keinen Bock mehr hat, sich solche Faxen zu geben, dann eröffnen sich faktische Möglichkeitsräume, und diese müssen eben geschaffen, verbreitert und genutzt werden. Im oben genannten Text wird ebenfalls kritisiert, dass man sich völlig ohnmächtig den Bullen ausgeliefert habe und massiv selbstgefährdend gewesen sei. Wir denken diese Kritik ist der aktuellen Situation in Frankfurt nicht angemessen. Die Aktivist*innen sind (NOCH!) von einer halbwegs liberal bürgerlichen Öffentlichkeit insofern gedeckt, dass die Bullen nicht vor aller Augen die krassesten Sachen tun. Und in diesem Fall waren die Aktivist*innen nur in Gefahr, wenn die Bullen sie an der Kante räumen wollten, jede Person hätte sich in die Mitte setzen und warten können, das würde nichts an der polizeilichen Gefahreneinschätzung (letztlich für ihre eigenen Bullen) und der Situation ändern. Wobei wir natürlich gerne zugeben das uns mehr als einmal ganz schön mulmig war unsere Gefährt*innen an dieser Kante stehen und rumlaufen zu sehen.

Auch den kritisierten Aspekt erlebter Ohnmacht teilen wir nicht, sondern betonen empowernde Erfahrungen mit kollektiven Momenten im Rahmen der Mahnwache oder den gelungenen Versorgungen der Dachbesetzer*innen.

Ja, wir wissen, viele haben sich in ihrer Sorge an der MaWa ausgebrannt, und wir wissen einige haben bei der Versorgung enorme Risiken auf sich genommen, und sicherlich nicht ausschließlich nur aus politischer „Überzeugung“. Doch wurde die Versorgung der Eingeschlossenen mehrmals und zwei mal im großen Stil sehr erfolgreich durchgeführt. Mit Witz, Kreativität, Entschlossenheit, zusammen-stark-sein und auch letztlich der simplen Überzeugung wonach es niemals falsch sein kann, einem durstenden Menschen eine Flasche Wasser zu reichen, konnten die Bullen überlistet werden und für die Leute auf dem Dach eine Möglichkeit des Ausharrens geboten werden. Und alle zusammen dürften den gemeinsamen Kampf verspürt haben. Insbesondere als die Versorgungsmaßnahmen nicht nur als Spezialoperation, sondern als kollektive Widerstandsaktion von mehreren dutzend Personen getragen wurden. Auch wenn der Preis wie bei vielen direkten Aktionen auch eine massive Polizeigewalt auf der anderen Seite war.

Eine deutlich bessere Kommunikation zwischen Dach und den Leuten hätte einiges an Stress gespart. Auch wäre ein politischer Umgang deutlich verbessert worden, die materiellen Bedingungen waren irgendwann vorhanden.

Zusammenfassend denken wir, dass es eine schöne große Dynamik im Häuserkampf dieser Stadt gibt. Wir denken, dass nicht jedes mal das Rad neu erfunden werden muss, Erfahrungen vorangegangener Kämpfe sind keine Besserwisserei sondern können schön in die aktuellen Kämpfe eingebaut werden. Gleichzeitig sind die Dynamiken jüngeren Leute und Kämpfe nie zu unterschätzen.

Sophie Hanger, 14.2.24

1  Oder zumindest die Szene dieser Stadt… <https://www.antifa-frankfurt.org/2024/02/18/10-tage-die-die-stadt-veraendern/#sdfootnote1anc>