Verlag »Der Schelm«: Ein rechtes Hetzer-Netzwerk vor Gericht
In Dresden beginnt der Prozess gegen drei Betreiber wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung
Im Herbst 2021 hatte Enrico B. schon einmal einen Auftritt im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichtes (OLG) Dresden am dortigen Hammerweg. Der frühere Leipziger NPD-Stadtrat war Zeuge im Prozess gegen eine Gruppe von Antifaschisten um Lina E. Die Bundesanwaltschaft sah in dieser eine kriminelle Vereinigung, die gewalttätige Überfälle auf Nazis verübt und so mit unzulässiger Selbstjustiz auf rechtsextreme Umtriebe reagiert habe. Auch B. war im Oktober 2018 vor seinem Wohnhaus brutal verprügelt worden.
Mitte März kehrt B. in den Hochsicherheitssaal zurück – nunmehr als einer von drei Angeklagten in einem Prozess, der ebenfalls am OLG stattfindet und in dem es um ebensolche rechtsextremen Umtriebe geht.
Das Trio gehörte zum Betreiberkreis des Verlags »Der Schelm«, den die »Tagesschau« einmal als »mutmaßlich größten Verlag für rechtsextreme Bücher in Europa« bezeichnete.
Er wurde von Sicherheitsbehörden zum Zeitpunkt des Überfalls auf »Schelm«-Mitarbeiter Enrico B. im Herbst 2018 bereits als kriminelle Vereinigung eingestuft. Erst fünfeinhalb Jahre später hat das nun juristische Konsequenzen.
Der Generalbundesanwalt (GBA), der den Fall wegen dessen besonderer Bedeutung im Jahr 2021 an sich zog und im vergangenen Juli die Anklageschrift beim OLG einreichte, wirft den Angeklagten vor, sie hätten »eine nationalsozialistische und antisemitische Ideologie durch den Verkauf entsprechender Bücher« zu verbreiten gesucht. Vertrieben wurden etwa unkommentierte Ausgaben von Hitlers »Mein Kampf«, antisemitische Schriften wie »Der Aufstieg der Juden« von Ferdinand Fried oder das für Kinder gedachte Machwerk »Der Giftpilz«.
Im Sortiment des Verlags sollen unter einer Rubrik namens »St. Holoklaus« Werke vertrieben worden sein, die den Holocaust leugnen. All das war ein sehr einträgliches Geschäft. Allein zwischen 2018 und 2020 soll »Der Schelm« Umsätze von 800 000 Euro verbucht haben. Die 47 000 Bücher auf 80 Paletten, die bei einer Durchsuchung Ende 2020 beschlagnahmt wurden, hätten einen Verkaufswert von 900 000 Euro gehabt, heißt es.
Die Ermittlungen des GBA richteten sich zunächst gegen fünf Beschuldigte. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion vom April 2023 hervor. Dort heißt es auch, dass »Der Schelm« zweimal Thema im »Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und -terrorismus« (GETZ-R) gewesen sei.
Weitere Fragen der Abgeordneten um Martina Renner, etwa dazu, wer der Hauptbetreiber des Verlags ist, ob sich Beschuldigte im Ausland aufhalten oder wo der aktuelle Verlagssitz ist, wurden nicht beantwortet, weil, wie es hieß, ansonsten »weitergehende Ermittlungsmaßnahmen erschwert oder gar vereitelt« würden.
Der 2014 im Leipziger Stadtteil Gohlis gegründete Verlag hatte später eine Anschrift in Tschechien und residiert inzwischen offiziell in Thailand. Der Gründer Adrian P., ein in Bayern gebürtiger Nazi, der 2002 in Dresden schon einmal wegen der »Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen« zu drei Jahren Haft verurteilt wurde und mit Haftbefehl gesucht wird, soll aktuell in einem Moskauer Vorort leben.
In der Prozessankündigung des OLG heißt es, er werde »gesondert verfolgt«.
Wenn das Verfahren vor dem Staatsschutzsenat des OLG am 14. März beginnt, werden auf der Anklagebank nur Enrico B., seine Lebensgefährtin sowie der Brandenburger Matthias B. sitzen, der die Bestellungen bearbeitet haben soll.
Die beiden Männer saßen nach einer Durchsuchungsaktion im Juni 2022 bereits zeitweise in Untersuchungshaft, sind derzeit aber auf freiem Fuß. Für die Verhandlung hat das OLG zunächst neun Tage bis Mitte April angesetzt.
Die mittlerweile zwei Razzien, die U-Haft für zwei Beteiligte und die fertiggestellte Anklageschrift hatten auf den Betrieb des Verlags indes offenbar keine gravierenden Auswirkungen.
Die Homepage und der Online-Shop von »Der Schelm« seien erreichbar, ergaben Recherchen der »Leipziger Volkszeitung« im Januar; auch bestellte Bücher wurden ausgeliefert. Der offenkundig ungestörte Geschäftsbetrieb war bereits Thema der Linke-Anfrage im Bundestag im April 2023.
Die Fragestellerinnen wollten wissen, ob nach Erkenntnissen der Bundesregierung der »Vertrieb von volksverhetzender, antisemitischer und nationalsozialistischer Literatur« fortgesetzt werde.
Eine Antwort gab es unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht.