Ein Leben für Großschirma: Die Geschichte hinter dem Tod des Bürgermeisters Volkmar Schreiter

Volkmar Schreiter war viele Jahre lang Bürgermeister von Großschirma. Dann kam die AfD in die Stadt. Welchen Preis zahlen Kommunalpolitiker, die sich dieser Partei entgegenstellen?

Am Abend, als Volkmar Schreiter noch einmal zum Bürgermeister gewählt wurde, schickte er ein Foto an seine Kinder. Die Stimmen waren noch nicht ausgezählt. Noch war alles offen. Auf dem Foto hielt Schreiter zwei Sektflaschen, eine in jeder Hand, auf der einen stand „Sieg“, auf der anderen „Freiheit“.

Vierzehn Jahre lang war Volkmar Schreiter zu diesem Zeitpunkt Bürgermeister von Großschirma, einer kleinen Stadt in Mittelsachsen. Er hatte lange überlegt, ob er noch einmal antreten sollte. Er ging auf die sechzig zu, hatte immer für seine Arbeit gelebt, erst als Geschäftsführer der Agrargenossenschaft, dann als Bürgermeister. Ein Job ohne Feierabend, mit vielen Abendterminen, am Wochenende Feuerwehrfeste und Dorffeste.

Schreiter fiel es schwer, sich ein anderes Leben vorzustellen. Mit seiner Familie hatte er viel darüber gesprochen, was danach kommen könnte: Er wollte eine Weltreise machen, Bücher lesen, vielleicht seine Memoiren schreiben. Er würde seinen Lebensinhalt verlieren, aber er wäre frei. Ein Neuanfang.

Doch dann, als 2018 in Großschirma gewählt werden sollte, gab es nur einen anderen Kandidaten, einen Mann von der AfD. „Er hat gesagt, jedem anderen würde ich es überlassen“, erzählt sein Sohn Cornelius. „Aber nicht einem Kandidaten von dieser Partei.“

Der Kandidat hieß Rolf Weigand, er war damals 34 Jahre alt, lebte erst ein paar Jahre in Großschirma. Er war zum dritten Mal Vater geworden, hatte an der Bergakademie in Freiberg promoviert und ein Start-up gegründet, das nicht viel Geld abwarf. Ein halbes Jahr vor der Bürgermeisterwahl war Weigand für die AfD in den sächsischen Landtag eingezogen, als Nachrücker, weil ein anderer Abgeordneter in den Bundestag wechselte. Er war ein Mann aus der zweiten Reihe, der jetzt die Chance hatte, der erste hauptamtliche AfD-Bürgermeister Deutschlands zu werden.

Und die Partei wiederum brauchte endlich einen Beweis, dass sie eine echte Volkspartei geworden war. Sie saß im Bundestag, in mehreren Landtagen – was ihr fehlte, war die Basis. Menschen, mit denen die AfD Politik machen konnte.

Die Kommunalparlamente sind dafür das ideale Trainingsfeld. „Kommunalpolitiker sind das Gesicht vor Ort“, sagt der Sozialwissenschaftler David Begrich. „Der Bürgermeister ist nicht Björn Höcke, er ist einer aus dem Ort, mit dem kann man reden.“ In der Kommunalpolitik bietet sich der AfD die Möglichkeit, nicht nur Weltanschauungspartei zu sein; sie kann sich dort normalisieren und breiter aufstellen. Und das, sagt Begrich, der seit Jahren Kommunalpolitiker im Umgang mit der AfD berät, brauche die Partei, um langfristig erfolgreich zu sein.

Der Weg an die Macht führt über die Kommunalparlamente. Als die AfD 2017 in den Bundestag einzog, sagte Alexander Gauland noch am Wahlabend: „Wir werden sie jagen.“ Und er meinte damals nicht nur Angela Merkel. Er sagte: „Wir holen uns unser Land zurück.“ Die Jagd findet nicht nur in Berlin statt. Sie beginnt in den Gemeinden.

Volkmar Schreiter, der Bürgermeister einer sächsischen Kleinstadt, ein Mann mit einem runden, freundlichen Gesicht und einem dicken grauen Schnauzbart, beschloss, sich der AfD entgegenzustellen, ihren Erfolg zu verhindern. Oder zumindest zu verzögern.

„Du warst ein Opfer dieser Zeit“

Großschirma: 5500 Einwohner, verteilt auf acht Gemeinden, die verstreut an der Bundesstraße 101 liegen. Jede ist ein kleines Dorf für sich, hier und da stehen Fachwerkhäuser entlang der Mulde. Das Neubaugebiet nennen sie hier „Klein Wandlitz“. An der Auffahrt zur A4 befindet sich ein großes Möbelhaus, ein Logistikzentrum, ein Einkaufszentrum mit viel Leerstand. Es gibt ein paar Windräder, ein Schwimmbad, das seit Jahren mit EU-Geldern saniert wird, mehrere Kitas und zwei Grundschulen. Zur Oberschule fahren die Kinder mit dem Bus in die zehn Kilometer entfernte Kreisstadt Freiberg.

Hier spielt Volkmar Schreiters Geschichte. Die Freie Presse hat mit einem Dutzend Menschen gesprochen, die ihn und die politische Situation in Großschirma gut kennen: mit seinen drei Kindern, mit aktiven und ehemaligen Stadträten, mit politischen Wegbegleitern, Pfarrern und auch mit Rolf Weigand, dem Mann von der AfD.

Volkmar Schreiter selbst kann nicht mehr erzählen, was sich verändert hat, seit die AfD in seiner Stadt auftauchte. Er hat sich im Oktober vergangenen Jahres das Leben genommen.

Wenn Sie das Gefühl haben, an einer Depression zu leiden oder sich in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation befinden, sollten Sie nicht zögern, Hilfe anzunehmen. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr kostenlos erreichbar unter 0800 1110111 und 0800 1110222 sowie per E-Mail und Chat unter www.telefonseelsorge.de

Danach gab es Gerüchte weit über die Stadtgrenzen hinaus. Die Menschen fragten sich, ob es stimmt, dass die AfD den Bürgermeister in den Burnout getrieben hat. Dass er sich umbrachte, weil die AfD ihn so lange vor sich hertrieb, bis er nicht mehr konnte.

Die ersten, die laut aussprachen, dass etwas aus den Fugen geraten war in Großschirma, waren die Pfarrer. Am Reformationstag, zwei Wochen nach Schreiters Tod, hielt der neue Freiberger Dompfarrer seine Antrittspredigt, er sprach über den toten Bürgermeister: „Wie unbarmherzig und widerwärtig sind doch manche Menschen im Umgang miteinander.“

Zwei Wochen später fand die Trauerfeier statt. Die Predigt hielt Justus Geilhufe, der Pfarrer von Großschirma, er hatte Volkmar Schreiter ein paar Tage zuvor beerdigt. „Wie soll das Leben gehen, wenn der andere kein Streitpartner mehr ist, sondern einer, der am Ende weg muss, weil er der Macht des anderen im Weg steht?“, sagte Geilhufe. „Es ist nicht dieser Tod, der unser Zusammenleben erschüttert. Dieser Tod ist das Ergebnis dessen, dass unser Zusammenleben lange schon erschüttert ist.“

In der voll besetzten Nikolaikirche im Zentrum von Freiberg saßen Menschen von der Feuerwehr, vom Heimatverein, vom TuS 1875 Großschirma, Schreiters Fußballverein; er spielte in der Abwehr. Schreiters Frau saß ganz vorne, neben ihr die drei Kinder, sie haben die gleichen weichen Gesichtszüge wie ihr Vater: Cornelius, 40 Jahre alt, der als Zimmermann in Australien gearbeitet hat und jetzt Erzieher in Markkleeberg ist. Konstantin, 36, ein Software-Entwickler, der vor Jahren nach Köln gezogen ist, aber jeden Montag im Internet nachschaut, was es Neues in Großschirma gibt. Und Josefine, 32, die in Magdeburg an der Uni forscht und gerade ein Kind bekommen hat, Schreiters fünftes Enkelkind. Die letzten Wochen waren schwer. Sie haben funktioniert, die Mutter getröstet, alles organisiert. Sie haben lange überlegt, ob sie verhindern können, dass jemand von der AfD kommt. Aber wie sollte das bei einer öffentlichen Trauerfeier gehen?

Rolf Weigand saß allein in der achten Reihe, rechts außen. Auch er hörte, was der Oberbürgermeister der Stadt Freiberg sagte: „Jedes Wort, das wir an einen Bürgermeister richten, richten wir auch an den Menschen. Worte, die wie Schläge sein können. Die der Empfänger als Amtsträger und als Mensch aushalten muss, auch wenn er es vielleicht nicht kann.“

Ins Kondolenzbuch schrieb einer: „Du warst ein Opfer dieser Zeit.“

Niemand kann mit Gewissheit sagen, warum sich Volkmar Schreiter das Leben genommen hat, auch nicht seine engsten Vertrauten. Er hat seine Entscheidung mit niemandem geteilt, keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Er war am Ende schwer an Depressionen erkrankt, hatte sich mehrmals in einer Klinik behandeln lassen und war trotzdem nicht wieder gesund geworden.

Auch Wissenschaftler wissen nicht, warum manche Menschen in eine suizidale Krise kommen, während andere mit einer Depression umgehen können. „Menschen begehen Suizid, wenn sie subjektiv eine Situation als aussichtslos empfinden“, sagt die Leipziger Suizidforscherin Heide Glaesmer, zum Beispiel weil grundsätzliche Lebensziele bedroht sind. „Man kann dann in einen Modus kommen, in dem man keine Alternative mehr sieht. Wenn jemand in diesem Tunnel steckt, wird es hochgefährlich.“

Viele haben versucht, Volkmar Schreiter aus dem Tunnel herauszuhelfen, seine Frau, die Kinder, seine Freunde, Kollegen. Es gibt Menschen, die haben ihm bis zum Schluss nicht angemerkt, wie schlecht es ihm ging. Er hat sich von niemandem verabschiedet. Was bleibt, ist eine Spurensuche: Warum hatte er sein Leben nicht mehr aushalten können?

Es hat sich etwas verändert im Land, und die Bürgermeister spüren es zuerst
Seit Jahren sind Kommunalpolitiker immer häufiger Anfeindungen ausgesetzt. Sie werden beschimpft und bedroht. Eine Studie zeigte 2021: 72 Prozent der Bürgermeister in Deutschland wurden schon mal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen, vor allem in kleineren Gemeinden haben Hass und Hetze zugenommen. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend verstärkt, aber schon 2016 wurde das Haus der damaligen Zwickauer SPD-Bürgermeisterin Pia Findeiß immer wieder von Rechten beschmiert; die Bürgermeisterin von Arnsdorf trat 2019 zurück, nachdem sie jahrelang von Rechten bedroht wurde.

Es hat sich etwas verändert in diesem Land. Und die Bürgermeister gehören zu denen, die es zuerst spüren.

Als im Juni 2018 die Bürgermeisterwahlen in Großschirma stattfanden, wusste Volkmar Schreiter, dass es kein einfacher Wahlkampf werden würde. Die AfD war bei der Bundestagswahl im Wahlkreis Mittelsachsen, in dem Großschirma liegt, stärkste Kraft geworden. Schreiter gehörte der FDP an, aber das hatte bisher keine große Rolle gespielt. Parteien haben ihn nie groß interessiert, erzählen Menschen, die viele Jahre mit ihm im Stadtrat saßen. Der Bürgermeister ist der Chef der Verwaltung. Er muss zusehen, dass der Laden läuft.

In Großschirma lief es gut. Als Schreiter 2004 das Bürgermeisteramt übernahm, war gerade die hoch verschuldete Stadt Siebenlehn eingemeindet worden. Alles musste saniert werden: Marktplatz, Turnhalle, die Straßen waren voller Schlaglöcher. Jahr für Jahr hatte Schreiter die Verschuldung gesenkt, Kitas modernisiert, Straßen und Sportplätze reparieren, eine Grundschule bauen lassen. Er sagte immer: „Ein Euro hat 100 Cent, die können wir ausgeben, mehr nicht.“ Er war niemand, der mehr versprach, als er einlösen konnte.

Als 2018 der AfD-Mann Bürgermeister werden wollte, holte Volkmar Schreiter seine alten Wahlplakate wieder raus. Sie zeigten ihn in dicker Jacke und Schal. Es war Sommer. Rolf Weigand, der junge Herausforderer, dachte sich einen Slogan aus: „Zeit für frischen Wind“. Sein Wahlkampf war professioneller, strategischer, moderner. Am Vatertag lud er zu einer Radtour ein: „Radeln mit Rolf“. Er drehte Videos, montierte ein Bild von sich in Anzug und Krawatte vor das Rathaus und postete es auf Facebook. In Großschirma hieß es damals: Es wird ein knappes Rennen.

Eine Woche vor der Wahl wurden Schreiters Plakate mit Parolen beklebt: „Volkmar der Selbstherrliche“. „Grinsen kann ich am besten“. Er stieg ins Auto und sah sich alles an. Die meisten Plakate ließ er hängen. Er habe gewollt, dass die Menschen sehen, mit welchen Mitteln seine Gegner arbeiten, sagt seine Tochter Josefine, die damals mit im Auto saß. Schreiter erstattete Anzeige gegen unbekannt. Der Staatsschutz ermittelte, ohne Erfolg.

Am Wahltag schickte Weigand seine Helfer in die Wahllokale, sie sollten die Stimmenauszählung beobachten – wie Donald Trump 2016. Weigand sagt, das sei legitim gewesen, er habe schnell das Ergebnis wissen wollen.

Seine Männer telefonierten ihm fünf Minuten nach der Auszählung das Ergebnis durch. Danach rief Weigand Volkmar Schreiter an und gratulierte. Schreiter hatte 59,3 Prozent der Stimmen erhalten. Es war ein Sieg. Aber das Wahlergebnis zeigte auch: Ein Kandidat der AfD konnte in Großschirma aus dem Stand über 40 Prozent der Stimmen holen.

Volkmar Schreiter muss gehofft haben, dass der Spuk vorbei war, zumindest für die nächsten sieben Jahre. Der Zeitung sagte er, dass er sich auf den Neuanfang freue. Er bekam den Sieg, die Freiheit musste warten.

Als Schreiter im Stadtrat vereidigt wurde, schickte Weigand, der selbst nicht dabei war, einen seiner Wahlkämpfer, er sollte dem Bürgermeister ein Geschenk überreichen: ein Vergissmeinnicht.

Weigand sagt, es sollte ein Versprechen sein, man sehe sich im Stadtrat wieder. Für andere sah es aus wie eine Drohung.

Weigand hielt Wort. Bei den Kommunalwahlen ein Jahr später zogen sieben Männer für die AfD in den Stadtrat ein, einer von ihnen war Rolf Weigand. Danach war im Stadtrat von Großschirma nichts mehr, wie es einmal war.

„So lange wir nicht an der Macht sind, gibt es keinen politischen Konsens“

Dass sich etwas verändern würde, war bereits ein paar Jahre vorher zu spüren. Menschen, die lange in Großschirma leben, sagen, dass schon nach der Wende etwas verloren ging, ein Gemeinsinn, der sie hier verbunden hatte und mit dem neuen System einer neuen Mentalität gewichen war: Jeder für sich.

Aber richtig angefangen hatte es vielleicht 2016. Die Pegida-Demos in Dresden, zu denen montags auch Busse aus Großschirma fuhren.

Oder 2017, als ein Mann aus der Stadt, Heiko Hessenkemper, für die AfD in den Bundestag einzog. Hessenkemper arbeitete als Professor an der Freiberger Bergakademie, einer seiner Doktoranden war Rolf Weigand.

Beide traten früh in die AfD ein, Weigand 2013, Hessenkemper kurze Zeit später. An der Uni arbeiteten sie gemeinsam im Labor, Hessenkemper wurde Gesellschafter in Weigands Start-up, neben der Uni verband sie die Politik. Wenn Hessenkemper Reden hielt – bei Pegida, auf Parteitagen, im Bundestag – vertrat er Positionen, die damals selbst in der AfD noch extrem waren. Er redete von „Umvolkung“, ein Begriff aus der NS-Zeit und eine der zentralen Verschwörungsmythen der Neuen Rechten: Die weißen Europäer sollen von Nicht-Weißen ersetzt werden, der „große Austausch“, vorangetrieben von den Eliten. Fragt man Weigand heute, was er damals von Hessenkempers Ansichten gehalten habe, sagt er: Er habe sie zur Kenntnis genommen. Sich klar zu distanzieren, das schafft er nicht.

Nach Großschirma kamen 2016 eine afghanische Flüchtlingsfamilie und drei Syrer.

Ein kleiner Helferkreis fand sich zusammen, um den Menschen eine Wohnung zu besorgen, bei Behördengängen zu helfen. Als einer der Helfer mit einem Afghanen in den Supermarkt ging, rief eine Kundin durch den Laden: „Jetzt sind sie da!“

Irgendwann in dieser Zeit saß Lüder Laskowski, damals Pfarrer in Großschirma, mit Weigand zusammen. Sie kannten sich, wie man sich kennt auf dem Dorf. Laskowski taufte Weigands Kinder, Weigand kam zu ihm in den Gottesdienst. Manchmal sprachen sie darüber, ob man AfD-Mitglied und Christ zugleich sein konnte.

Laskowski aber ist vor allem ein Gespräch in Erinnerung geblieben: Es sei um die Strategie der AfD gegangen. Wo das alles hinführen solle, wollte Laskowski wissen, wenn man Politik nur mit einem Feindbild machen kann. Er erinnere sich noch genau, was Weigand geantwortet habe: „So lange wir nicht an der Macht sind, gibt es keinen politischen Konsens.“

Es war ein Satz, der Laskowski noch Jahre später im Gedächtnis geblieben ist. „Ich denke, politische Arbeit muss zuallererst konstruktiv und für die Menschen da sein, erst recht auf kommunaler Ebene“, sagt er. „Da passte für mich etwas nicht zusammen.“ Weigand behauptet heute, er habe diesen Satz nicht gesagt. Er trat später aus der Kirche aus. Auf Facebook schreibt er über die Seenotrettung im Mittelmeer, für die sich die evangelische Kirche einsetzt: „Wer möchte schon eine Kirche unterstützen, die ihr Seelenheil in der Vergötzung alles Fremden sieht.“

Es ist der Ton, den Rolf Weigand in den sozialen Netzwerken anschlägt, auf Facebook, auf Twitter, auf Telegram. Es ist der Ton, in dem er seine Reden im Landtag hält: Die Grünen sind „Deutschlandhasser“, Gendersprache macht dumm, Migranten sind kriminell.

Volkmar Schreiter bekam davon nur etwas mit, wenn ihm andere davon erzählen. Er hatte lange nur ein altes Tastenhandy. Online machte er nur seine Überweisungen. Irgendwann nutzte er WhatsApp, ein Profil in einem sozialen Netzwerk besaß er nie. Er war ein Bürgermeister alter Schule, der Dinge gerne persönlich regelte. Der die Alten in der Stadt zu ihren runden Geburtstagen besuchte. Wenn jemand starb, verschickte er Trauerkarten mit persönlichen Erinnerungen.

Im Netz findet man nur wenige Bilder von ihm: Schreiter beim Spatenstich für das Logistikzentrum, Schreiter mit einem Fußball unterm Arm und FC-Erzgebirge-Schal um den Hals. Es sind Bilder, die andere von ihm gemacht und veröffentlicht haben. Schreiter selbst hatte kein Interesse daran, seine Arbeit im Netz zur Schau zu stellen.

Im Stadtrat wurde es schwierig, seit die Neuen da waren. Schreiter war immer auf Effizienz aus, suchte den Kompromiss. Gab es Meinungsverschiedenheiten, wurden sie direkt ausgemacht, meistens im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung. Das war jetzt vorbei.

Die Stadträte diskutierten stundenlang, oft ohne etwas zu erreichen. Sitzungen, die früher spätestens um 20.30 Uhr beendet waren, dauerten jetzt manchmal bis 23 Uhr. Für ihre Beschlüsse kämpften die Stadträte um jede Stimme. Wer ist auf unserer Seite, wer auf der anderen? Die AfD konnte jeden Beschluss blockieren, sobald sie drei Stadträte auf ihre Seite zog, was ihr immer wieder gelang.

Die Fraktionen sind in Stadträten keine geschlossenen Einheiten. Da sitzen ehrenamtlich engagierte Menschen, keine Politprofis. Sie sind Unternehmer, Bauern, Handwerker, Selbstständige, sie kommen aus unterschiedlichen Ortsteilen. Ein Stadtrat ist eh schon ein komplexer Mix aus Interessen. In Großschirma wurde die Stadtpolitik zu einer sächsischen Version von House of Cards.

Das lag nicht nur an der AfD. Im Stadtrat saß jetzt auch ein Mann von der SPD, der mehr Transparenz in die Kommunalpolitik bringen wollte und in die Politik gegangen war, um die AfD zu verhindern. Das machte es zusätzlich kompliziert, weil er entschlossen war, nicht gemeinsam mit Weigand und seinen Leuten zu stimmen. Über die gemeinsame Liste von SPD und Grüne war außerdem eine Kinderärztin neu dabei, sie stimmte mit der AfD.

In Großschirma war die Brandmauer zur AfD sofort porös. Weigand wurde zweiter stellvertretender Bürgermeister, er bekam drei Stimmen mehr als die AfD Stadträte hatte.

Wer ist Rolf Weigand?

Rolf Weigands politische Karriere hatte inzwischen Fahrt aufgenommen. Anfang 2020, wenige Monate nachdem er in den Stadtrat von Großschirma eingezogen war, wurde Weigand Vorsitzender der Jungen Alternative in Sachsen, der Jugendorganisation der AfD, die im Frühjahr 2023 als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden sollte.

Er besuchte Treffen des sogenannten Flügels, man sei „ganz unter Patrioten“ gewesen, schrieb er auf Facebook, bei den Landtagswahlen werde man sich das Land zurückholen – der Gauland-Satz. Dazu ein Foto, das Weigand mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz zeigt, dem Brandenburger Fraktionschef der AfD, der ein paar Monate später aus der Partei ausgeschlossen wurde, weil er Mitglied in einer Neonaziorganisation war. Am Wahlkampfstand bekam Weigand Besuch von Alice Weidel.

Weigand war ständig im Wahlkampfmodus. Er kämpfte um politische Ämter und Parteiposten. 2022 wollte er Landrat werden und scheiterte.

In Großschirma machte er Kommunalpolitik, im Landtag stellte er Anfragen, die ihm Schlagzeilen brachten: Mal forderte er eine Auflistung aller Frauen im gebärfähigen Alter nach Nationalitäten und Staatsangehörigkeit. Mal wollte er Plakate aufhängen lassen, gegen eine Initiative der Landesregierung, die über geschlechtliche Vielfalt aufklären soll; auf den Plakaten der AfD war ein Kind zu sehen, es hielt einen Teddy, der einen Penis hatte. Über den Teddy berichteten Medien deutschlandweit. Selbst die Bild-Zeitung nannte die Aktion eine „widerliche Kampagne“.

Das ist der eine Weigand: ein rechter Scharfmacher und Populist. Der andere gibt sich bodenständig, ist der Familienvater, der in seiner Freizeit Hühner und Kürbisse züchtet; seit der letzten Diätenerhöhung im Landtag verschenkt er das Extrageld in Form von Gutscheinen und postet Bilder davon in den sozialen Netzwerken.

Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, sagt Weigand, die Oppositionspolitik im Landtag mit seiner Arbeit im Stadtrat.

Aber von außen betrachtet ist die Trennung nicht so klar: Sein Abgeordnetenbüro hat Weigand im Einkaufszentrum von Großschirma, in den Fenstern kleben blaue Herzen: Unser Land zuerst. Jeder hier kann sehen, wofür er steht. Und man fragt sich, wie das gehen soll: Lässt er seine politischen Ansichten an der Eingangstür zum Bürgerhaus zurück, wenn der Stadtrat tagt?

Da sind zum Beispiel die Videos, die Weigand mit Marie-Thérèse Kaiser dreht, einer jungen Frau, die mal ein Model war, bevor sie zur Vorzeigefrau der Neuen Rechten aufstieg. Sie wurde wegen Volksverhetzung verurteilt.

Wenn Kaiser nicht für Weigand arbeitet, dreht sie Videos für den rechtsextremistischen Verein „Ein Prozent“. Auch eine Frau, die lange in der Identitären Bewegung aktiv war, tauchte an Weigands Seite auf: Reinhild Boßdorf aus Nordrhein-Westfalen. Sie besuchten zusammen Burg Kriebstein, Boßdorf unterstützte Weigand im Landratswahlkampf.

Mit diesem Mann, der bestens vernetzt ist in die Parteispitze und Kontakte zur Identitären Bewegung hatte, sollte Volkmar Schreiter Sachpolitik machen: Wo wird eine Photovoltaikanlage aufgebaut? Bekommt die Stadt eine Oberschule? Reicht das Geld für die Schwimmbadsanierung? Und für den Jugendclub?

„Weigand hat Schreiter den Krieg erklärt“

Die anstrengenden Sitzungen hinterließen Spuren. Schreiter war froh, wenn sich mal ein Stadtrat zu Wort meldete und seine Meinung teilte. Dann bedankte er sich. Er wirkte müde. Und er machte Fehler.

Schreiter, der nicht auf Facebook war, schrieb seine Meinung ins Amtsblatt, das der Neutralität verpflichtet ist. Weigand reichte Beschwerden bei der Kreisaufsicht ein.

Insgesamt bekam Schreiter von 2019 bis 2023 acht Dienstaufsichtsbeschwerden, sechs davon stammten von Weigand.

Die politische Großwetterlage, die sich draußen im Land zusammengebraut hatte, war im Stadtrat zu spüren. Die AfD spielte mit den Ängsten der Deutschen, zog die Wütenden und Unzufriedenen an. Sie machte Stimmung gegen „die da oben“. Und dazu gehörte jetzt auch der Bürgermeister von Großschirma.

Der Stadtrat Volker Scharf beschreibt es so: „Weigand hat Schreiter den Krieg erklärt und nur nach der nächsten Gelegenheit gesucht, ihn anzuzählen.“

Margot Schleicher, die stellvertretende Bürgermeisterin, sagt: „Die vielen Dienstaufsichtsbeschwerden haben uns allen nicht gefallen.“ Sie ist seit 35 Jahren in der Kommunalpolitik, sie erinnert sich an keine einzige Dienstaufsichtsbeschwerde in den vierzehn Jahren, die Schreiter davor im Amt war.

„Da setzt man sich ein und nur, weil man mal eine Kleinigkeit vergisst, gibt es eine Beschwerde, so kann man nicht miteinander umgehen.“ Sie fragte sich: Was haben die mit ihm vor? Wollen sie ihn loswerden? Dann versuchte sie, Schreiter Mut zu machen.

Dienstaufsichtsbeschwerden haben keine juristischen Konsequenzen. Sie werden geprüft und die Person, gegen die sie gerichtet sind, wird über ihr Fehlverhalten belehrt. Als würde man jemandem auf die Finger klopfen.

Volkmar Schreiter wurde immer wieder auf die Finger geklopft. Für ihn muss sich jedes Mal angefühlt haben wie ein Schlag.

Mit jeder Beschwerde wurde Schreiter ein Stück kleiner

Schreiters Kinder erzählen, wie sehr die Beschwerden ihren Vater gekränkt haben. „Ich habe ihm manchmal gesagt: Vati, du musst dich dagegen wehren“, erzählt Cornelius, „aber das konnte er nicht, er gehörte zu der Generation, die immer alles runterschluckt, nie sagt, so geht das nicht, dazu war er zu gutherzig.“

Auch Ingrid Bleiber, eine Freundin der Familie, die mit Schreiter viele Jahre im Stadtrat saß und lange seine Stellvertreterin war, beschreibt ihn so: „Er war kein Typ für Konfrontationen, das war nichts für ihn. Er hat auch den Leuten geglaubt, die nicht ehrlich zu ihm waren.“

Mit seinem Sohn Konstantin sah Schreiter gerne Filme. „Aguirre, der Zorn Gottes“, „Gladiator“. Er mochte Heldengeschichten, die großen Männer. „Das war ihm irgendwie wichtig“, erzählt Konstantin, „vielleicht weil er selbst immer ein großer Mann sein wollte. Für mich war er das auch.“ Mit jeder Dienstaufsichtsbeschwerde wurde sein Vater ein Stück kleiner.

Im Januar 2023 reichte Weigand seine letzte Beschwerde ein. Auf Facebook nannte er Schreiter ein „bockiges Kleinkind“, er sei als Bürgermeister überfordert und schade dem Amt. Schreiter missbrauche das Bürgerblatt und er, Weigand, erwarte eine Entschuldigung.

Weigand fuhr zu einer Vater-Kind-Kur, er brauchte Erholung, 2023 sollte endlich entspannter werden.

Volkmar Schreiter war noch einmal bei ihm. Er habe ihn gebeten, die Streitereien ruhen zu lassen, erzählt Weigand. Er habe eingewilligt. Vielleicht war es dafür schon zu spät.

Am 3. März wählt Großschirma einen neuen Bürgermeister

An Weihnachten sei noch alles gut gewesen, erzählt Konstantin. Seinem Vater, der aus einem Dorf im Erzgebirge stammte, war Weihnachten immer wichtig. Sie tranken Rotwein, hörten zusammen Rilke-Gedichte. In der Literatur fand Volkmar Schreiter Ruhe. Zu seinem 50. hat er sich selbst einhundert Bücher geschenkt. Feuchtwanger, Hesse. Cornelius, der Zimmermann, sagt, dass sein Vater handwerklich nicht sehr begabt war. „Sein Werkzeug waren Füller und Papier.“

Im Mai sah Konstantin seinen Vater wieder. Volkmar Schreiter war dünn geworden, er sagte, dass es ihm schwerfalle, einzuschlafen. Er habe davon geredet, als Bürgermeister zurückzutreten. Endlich die Weltreise machen, vielleicht zu Josefine nach Magdeburg ziehen. In Großschirma wollte er nicht mehr leben, wenn er kein Bürgermeister mehr ist.

Es war ein anderer Mensch, der da saß. „Auf einmal war mein Vater weg“, sagt Konstantin, „stattdessen war da nur noch eine Hülle.“

Volkmar Schreiter war krankgeschrieben und konnte dennoch nicht loslassen. Er rief oft bei seiner Stellvertreterin an. Sagte seiner Frau, er würde spazieren gehen und schaute dann im Rathaus vorbei. Einmal sah er, dass in seinem Büro die Regale leer geräumt waren. Der Fußboden sollte neu gemacht werden. Er muss gedacht haben, dass sie ihn schon abgesetzt hatten.

Im September besuchte er eine Reha, danach wollte er wieder arbeiten gehen. Der 16. Oktober 2023 sollte der Tag sein, an dem Volkmar Schreiter die erste Stadtratssitzung seit einem halben Jahr leitet. Am Morgen ging er ins Rathaus. Es sei ein gutes Gespräch gewesen, sagen Margot Schleicher und Rolf Weigand, die beiden Stellvertreter. Sie hätten besprochen, wie sein Wiedereinstieg aussehen könnte. Gemeinsam hätten sie entschieden, es langsam angehen zu lassen. Er ging nach Hause, aß zu Mittag, ging spazieren. Am Abend, während die Stadtratssitzung lief, die er hatte leiten wollen, nahm er sich das Leben. Volkmar Schreiter wurde 62 Jahre alt.

Am 3. März wählt Großschirma einen neuen Bürgermeister. Es treten an: Gunther Zschommler, ein 60 Jahre alter Landwirt von der CDU. André Erler, ein Polizist, der neu ist in der Politik. Und Rolf Weigand, der Profipolitiker von der AfD.

Quelle: https://www.freiepresse.de/mittelsachsen/freiberg/ein-leben-fuer-grossschirma-die-geschichte-hinter-dem-tod-des-buergermeisters-volkmar-schreiter-artikel13239942


03.01.2024 Heike Hubricht

Großschirma: Kandidaten für Bürgermeisterwahl stehen fest

Der Gemeindewahlausschuss Großschirma hat am Mittwoch über die Kandidaten für die Bürgermeisterwahl beraten.

GroßschirmaDie Kandidaten für die Bürgermeisterwahl am 3. März 2024 in Großschirma stehen fest. Der Gemeindewahlausschuss hat am Mittwochnachmittag in einer öffentlichen Sitzung im Rathaus über die Bewerber beraten. Das Ergebnis: Von vier Anwärtern fiel einer durch. Denn er erfüllte nicht die Kriterien für eine Zulassung.

Für den Posten des Rathauschefs werden somit André Erler für die Unabhängige Bürgervereinigung (UBV), Gunther Zschommler für die CDU und AfD-Politiker Rolf Weigand als Einzelkandidat kandidieren.

Als Einzelbewerber musste Weigand 60 Unterstützungsunterschriften für seine Kandidatur vorweisen. Laut der Vorsitzenden des Gemeindewahlausschusses, Katrin Schlegel, erhielt er 330 gültige Unterstützungsunterschriften. Sechs Unterschriften waren ungültig, weil die Einwohner die Formulare in den Briefkasten des Rathauses geworfen hatten – und die Unterschrift nicht vor Ort geleistet wurde. Der zweite Einzelbewerber, Thomas Seidel (parteilos), erhielt lediglich 41 Unterstützungsunterschriften. Deshalb wurde er nicht als Kandidat für die Wahl zugelassen.

In Großschirma soll am 3. März ein neuer Bürgermeister gewählt werden. Falls dann keiner der Bewerber mehr als die Hälfte aller gültigen Stimmen bekommt, erfolgt ein zweiter Wahlgang am 24. März. Hintergrund für die Wahl ist der Tod des Amtsinhabers Volkmar Schreiter (FDP). Er starb am 16. Oktober 2023.

Die Verwaltung entschied sich für einen schnellstmöglichen Wahltermin. „Das Amt soll so schnell wie möglich besetzt werden, um die Arbeitsfähigkeit und Stabilität der Verwaltung zu gewährleisten“, so Hauptamtsleiterin Susanne Lippmann im November. Bis 28. Dezember, 18 Uhr, konnten potenzielle Kandidaten ihre Wahlvorschläge einreichen.

Die drei Anwärter

André Erler (47) ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er arbeitet als Kriminaltechniker in der Polizeidirektion Dresden.

Landwirt Gunther Zschommler (60) ist verheiratet, hat eine Tochter und sitzt im Stadtrat und im Kreistag.

Der AfD-Landtagsabgeordnete Rolf Weigand (39) ist verheiratet und hat drei Kinder. Er ist derzeit zweiter stellvertretender Bürgermeister von Großschirma und im Kreistag vertreten.

Wahlausschuss-Chefin Katrin Schlegel sagte am Mittwoch in die Runde: „Ich wünsche uns einen guten Wahlkampf.“

Quelle: https://www.freiepresse.de/mittelsachsen/freiberg/grossschirma-kandidaten-fuer-buergermeisterwahl-stehen-fest-artikel13192267


14.11.2023 Heike Hubricht und Wieland Josch

Bewegender Abschied von Großschirmas Bürgermeister Volkmar Schreiter

Rund 350 Angehörige, Freunde, Mitarbeiter, Einwohner, Kommunalpolitiker, Wirtschaftsvertreter und andere Wegbegleiter nahmen am Dienstag an der Gedenkveranstaltung für Volkmar Schreiter in Freiberg teil.

Freiberg/Großschirma.Eine ergreifende Andachtsfeier für den verstorbenen Großschirmaer Bürgermeister Volkmar Schreiter hat am Dienstagvormittag in der Freiberger Nikolaikirche stattgefunden. Rund 350 Angehörige, Freunde, Mitarbeiter, Einwohner, Kommunalpolitiker, Wirtschaftsvertreter und andere Wegbegleiter nahmen an der Gedenkveranstaltung teil. Die Beisetzung ist bereits im engsten Familienkreis erfolgt.
Volkmar Schreiter war am 16. Oktober tot aufgefunden worden. Er wurde nur 62 Jahre alt.

Seit 2004 war Volkmar Schreiter (FDP) Bürgermeister von Großschirma und gehörte damit zu den dienstältesten Bürgermeistern Mittelsachsens. Zudem bekleidete der gebürtige Erzgebirger viele Funktionen, war Mitglied der FDP-Kreistagsfraktion, die er lange Jahre leitete, Vorsitzender des Abwasserzweckverbandes „Muldental“ und früherer Chef des TuS 1875 Großschirma. Der langjährige Torhüter der Großschirmaer Alt-Herren-Mannschaft war FC Erzgebirge-Aue-Fan. Volkmar Schreiter hinterlässt seine Ehefrau, eine Tochter, zwei Söhne und fünf Enkelkinder.

Pfarrer: Volkmar Schreiter hatte sein Leben noch vor sich

Großschirmas Pfarrer Justus Geilhufe blickte in die vollen Besucherreihen und sagte: „Wir alle haben uns nicht vorstellen können, dass wir heute diesen Abschied begehen müssen. Es schmerzt, dass wir es jetzt tun müssen.“ Er fügte hinzu: „Wir nehmen Abschied von einem Menschen, der sein Leben noch vor sich hatte. Einem Menschen, der sich dieses Leben aber nicht mehr vorstellen konnte, der es beenden musste, weil das Leben für ihn zu schwer war. Das Schlimmste, was passieren konnte, ist passiert. Vor unser aller Augen. Während wir alle dabei waren.“ Die Frage nach dem Warum bewege die Trauernden. „Wie konnte das passieren? Wie kann mitten unter uns einer, der die Geschicke unserer Stadt in der Hand hat, so einsam werden?“

Er zitierte aus der Bibel und erinnerte daran, dass Schreiter immer der Stadt Bestes gesucht habe. Auf eine ganz einfache, unnachahmlich unaufgeregte Art und Weise. „Sicher nicht perfekt, aber pragmatisch und mit einem großen Herzen für die, die ihm anvertraut waren, hat er gearbeitet.“ Schreiter sei ein Kulturmensch gewesen, habe gern fremde Länder entdeckt. Zugleich beschrieb der Pfarrer den Verstorbenen als Menschen, „der die anderen gesucht hat, die Beziehung zu anderen nie verloren gegeben hat, damit das Zusammenleben, damit das Leben ein Gutes wird“.

„Verletzende Worte nicht mehr aushalten können“

Doch als Amtsträger und Mensch habe Schreiter verletzende Worte nicht mehr aushalten können. „Wie soll das Leben gehen, wenn der andere kein Streitpartner mehr ist, ein Mitbewerber mit anderen Ideen, sondern einer, der am Ende weg muss, weil er der Macht des anderen im Weg steht?“ Geilhufe: „Dieser Tod ist das Ergebnis dessen, das unser Zusammenleben schon lang erschüttert ist.“ Er erinnerte an den Brief Jeremias an das Volk Israel vor 3000 Jahren. Darin sagt Gott: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.“ Geilhufe sprach sich dafür aus, dass wir die anderen wieder suchen und nicht verloren geben: „Wenn wir uns gegenseitig eine Heimat schenken, bekommen wir Hoffnung auf das, was auf uns noch wartet.“

Oberbürgermeister Sven Krüger: „Hinter jedem, der in der Verwaltung arbeitet, steht ein Mensch und kein Prellbock“

Freibergs Oberbürgermeister Sven Krüger (parteilos) fand im Namen der anderen Bürgermeister der Region bewegende Worte. Volkmar Schreiter habe für seine Ideen und Überzeugungen gekämpft und sei immer sehr stolz auf seine Familie gewesen. Als Bürgermeister habe er sich für die Stadt eingesetzt.

Krüger: „Worte können wie Schläge sein. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig zu wissen, dass hinter jedem, der in der Verwaltung arbeitet, ein Mensch steht und kein Prellbock.“ Er schaute auf das Bild des Verstorbenen und sagte: „Lieber Volkmar, vielen Dank, dass du uns viele Jahre begleitet hast.“ Und er fügte ein leises Glück auf! hinzu. (hh/wjo)

Menschen, die über Suizid nachdenken, finden unter anderem Hilfe bei der Telefonseelsorge unter den kostenfreien Rufnummern 0800 1110111 und 0800 1110222 oder im Internet: www.telefonseelsorge.de.


31.10.2023 Steffen Jankowski

Neuer Dompfarrer in Freiberg prangert unbarmherzigen Umgang mit Bürgermeister an

Gunnar Wiegand ist am Dienstag bei einem Festgottesdienst in den Kirchgemeindebund Freiberg eingeführt worden. Ein Thema seiner Predigt war der Tod des Großschirmaer Rathauschefs Volkmar Schreiter.

Freiberg.Einen sanftmütigen Umgang in der Gemeinde hat der neue Dompfarrer von Freiberg, Gunnar Wiegand, am Dienstag in seiner Predigt beim Festgottesdienst zu seiner Einführung anlässlich des Reformationsfestes gefordert. Der Tod des Bürgermeisters von Großschirma habe gezeigt, so der promovierte Theologe und Kirchenmusiker, wie unbarmherzig doch manche Menschen im Miteinander sein könnten. Volkmar Schreiter war am 16. Oktober dieses Jahres leblos aufgefunden worden. Der FDP-Politiker war nur 62 Jahre alt geworden; wegen einer schweren Erkrankung hatte er seine Amtsgeschäfte seit Ende Mai dieses Jahres nicht mehr führen können.

Pfarrer Wiegand verwies auf die Seligpreisungen, in denen es heißt: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Die Mahnung zur Friedfertigkeit betreffe sowohl die Hamas und Israel sowie den Krieg Russlands gegen die Ukraine als auch jeden Einzelnen in der Gemeinde, so der 45-Jährige weiter. „Ich mag keine Überheblichkeit“, erklärte der gebürtige Münchner im voll besetzten Freiberger Dom; ihm seien das Miteinander wichtig und Dinge anzupacken.

Freiberger Dom muss saniert werden

Eine große Aufgabe wird dabei die Sanierung des Gotteshauses am Untermarkt sein. Es gebe einen großen Wasserschaden über einer der beiden Silbermannorgeln, Salze machten den Pfeilern und der Goldenen Pforte zu schaffen, warb Wiegand um Spenden. Das Gebäude und die Kunstschätze erinnerten daran, dass Freiberg einst nach Leipzig die von der Bedeutung her zweitgrößte Stadt in Sachsen gewesen sei: „Der einstige Reichtum entspricht nicht dem Vermögen unserer Kirchgemeinde.“

Gunnar Wiegand hatte sich auf die 2. Pfarrstelle des Kirchgemeindebundes Freiberg beworben. Der Bund vereint die evangelisch-lutherischen Kirchgemeinden am Dom, Petri-Johannis und Jakobi-Christophorus in Freiberg sowie die Kirchgemeinden Halsbrücke, Oberschöna-Langhennersdorf und Bobritzsch. An dem Festgottesdienst am Sonntag waren alle sechs Kirchgemeinden beteiligt.

Nachfolger von Urs Ebenauer

Nach einem Gespräch im Kirchenvorstand, dem Vorstellungsgottesdienst am 30. Juni und einem entsprechenden Votum des Kirchenvorstandes habe der Vorstand des Kirchgemeindebundes Dr. Gunnar Wiegand gewählt, hatte Superintendentin Hiltrud Anacker mitgeteilt. Er werde somit Nachfolger von Pfarrer Urs Ebenauer, der nach sieben Jahren in Freiberg im März vorigen Jahres seinen Dienst im Dom quittiert hatte. Einer der Gründe dafür sei, sagte der scheidende Dompfarrer damals im Interview mit der „Freien Presse“, dass er nach Bad Sachsa im Kirchenkreis Harzer Land gehen wolle. Seine alte Mutter lebe in der Region, und er könne sie dann häufiger besuchen.

Pfarrer Wiegand wohnt mit seiner Frau Barbara und dem Sohn und der Tochter schon seit August in Freiberg. Da er noch Aufgaben im Kirchenbezirk Pirna zu erfüllen habe, so Hiltrud Anacker, werde er erst im Januar 2024 vollumfänglich in der Kirchgemeinde beginnen können. Mit dem neuen Amt, das ihm das Landeskirchenamt per Urkunde vom 13. Juli dieses Jahres übertragen habe, sei auch die Funktion des Pfarramtsleiters im Kirchgemeindebund Freiberg verbunden. Die Superintendentin dankte Pfarrer Michael Stahl ausdrücklich dafür, dass er die Pfarramtsleitung während der Vakanz übernommen hatte.

Erste Stelle als Pfarrer in Langenleuba-Oberhain

Er sei in Pfaffenhofen an der Ilm aufgewachsen, erzählte der neue Dompfarrer über sich selbst; seine Eltern wohnten auch noch dort in Oberbayern. Seine Schwester lebe in der Schweiz. Nach seinem Abitur 1998 habe er zunächst ein Praxisjahr am Golf von Neapel absolviert und dann Theologie, Musikwissenschaften und Philosophie unter anderem in Rom, Leipzig und Gießen studiert. Später sei er beispielsweise Kantor in Gießen und Leipzig gewesen. 2012 habe er geheiratet und 2014 seine erste Stelle als Pfarrer in der Kirchgemeinde Langenleuba-Oberhain angetreten, zu der auch Niedersteinbach, Obergräfenhain und Oberelsdorf gehören. In der Zeit bis 2018, als er Schulpfarrer in Pirna wurde, seien auch seine beiden Kinder geboren worden.

Quelle: https://www.freiepresse.de/mittelsachsen/freiberg/neuer-dompfarrer-in-freiberg-prangert-unbarmherzigen-umgang-mit-buergermeister-an-artikel13110121


Heike Hubricht 17.10.2023

Großschirmas Bürgermeister Volkmar Schreiter ist tot

Der langjährige Großschirmaer Bürgermeister Volkmar Schreiter (FDP) ist am Montagabend nach schwerer Krankheit verstorben. Er wurde nur 62 Jahre alt.

Großschirma.Volkmar Schreiter ist tot. Der langjährige Bürgermeister der Stadt Großschirma wurde am Montagabend leblos aufgefunden. Das bestätigte der zweite stellvertretende Bürgermeister, Rolf Weigand (AfD): „Mit großem Bestürzen und Bedauern haben wir die Nachricht vom Tode von Bürgermeister Volkmar Schreiter erhalten.“

Der 62-Jährige war schwer erkrankt. Seit Ende Mai war der FDP-Politiker nicht mehr im Amt. Seine beiden ehrenamtlichen Stellvertreter übernahmen gemeinsam die Amtsgeschäfte und leiteten die Stadtrats- und Ausschusssitzungen.

Volkmar Schreiter war seit 2004 Bürgermeister von Großschirma. Zudem begleitete der Großschirmaer viele Funktionen, war beispielsweise Mitglied der FDP-Kreistagsfraktion, die er auch lange Jahre leitete, Vorsitzender des Abwasserzweckverbandes „Muldental“ und früherer Chef des TuS 1875 Großschirma. Der Agraringenieur, der im erzgebirgischen Arnsfeld aufwuchs, kam nach dem Studium nach Großschirma, wo er bei der damaligen LPG anfing. Später war er Vorstandschef der örtlichen Agrargenossenschaft. 2004 wurde er erstmals zum Großschirmaer Bürgermeister gewählt und 2011 im Amt bestätigt. 2018 setzte Schreiter sich gegen seinen AfD-Herausforderer Rolf Weigand aus Kleinvoigtsberg mit 1811 zu 1242 Stimmen durch und wurde für weitere sieben Jahre zum Chef der rund 5500 Einwohner zählenden Stadt gewählt. 59,3 Prozent der Wähler votierten für den Liberalen. Allerdings stellt die AfD im jetzigen Stadtrat mit sieben Mitgliedern die größte Fraktion. Der langjährige Torhüter der Großschirmaer Alt-Herren-Mannschaft war FC Erzgebirge-Aue-Fan. Volkmar Schreiter hinterlässt seine Ehefrau, eine Tochter, zwei Söhne und fünf Enkelkinder.

In einem Nachruf schreiben die erste stellvertretende Bürgermeisterin Margot Schleicher (Freie Liste Reichenbach-Seifersdorf) und Rolf Weigand: „In diesen schmerzvollen Stunden sind unsere Gedanken bei seiner Frau, seinen Kindern sowie der gesamten Familie. Unser allerherzlichstes Beileid und unser tiefstes Mitgefühl gelten der Familie Schreiter.“ Sie betonen: „Wir werden das Schaffen und Wirken von Bürgermeister Volkmar Schreiter für die Stadt Großschirma mit allen Stadtteilen in seiner Amtszeit von 2004 bis 2023 in ehrenvoller Erinnerung behalten.“

Die beiden Stellvertreter kontaktierten die Kommunalaufsicht, also das Landratsamt Mittelsachsen, und führten Gespräche mit den Mitarbeitern der Stadtverwaltung. „Wir werden sehen, wie wir die nächsten Wochen gestalten“, so Weigand.

Quelle: https://www.freiepresse.de/mittelsachsen/freiberg/grossschirmas-buergermeister-volkmar-schreiter-ist-tot-artikel13091977


Tino Moritz 10.05.2023

Sachsen: AfD-Kampagne gegen angeblichen „Genderwahn“ an Schulen

Die Eltern sollen demnächst mit provozierenden Plakaten auf dem Schulweg „wachgerüttelt“ werden. Was Kultusminister Piwarz zu ihrem fehlenden Vetorecht für schulische Sexualerziehung sagt.

Dresden. Gut 15 Monate vor der nächsten Landtagswahl in Sachsen will die AfD-Fraktion vor Schulen vor einem angeblichen „Genderwahn im Stundenplan“ warnen. Ihr Fraktionsvize Rolf Weigand sprach bei der Vorstellung am Mittwoch in Dresden von einer „provokanten Kampagne“, die „ab Ende Mai, Anfang Juni“ im Freistaat sichtbar sein werde.
Dazu sollen Eltern auf dem Schulweg mit Plakatmotiven auf mobilen Anhängern „abgepasst“ werden. Dazu könnten die 35 AfD-Landtagsabgeordneten aus drei Motiven eines auswählen. „Wir wollen jetzt Eltern und Großeltern informieren. Wir wollen die Schamgrenzen von Kindern schützen“, kündigte Weigand an. Dass sich bisher in Sachsen nur 17 Menschen auf Standesämtern als „divers“ umschreiben ließen, belegt nach Ansicht des Bildungspolitikers, dass es sich dabei nur um eine „verschwindend kleine Minderheit“ handele, die jedoch eine „schreiende Lobby hat, die massiv unsere Kinder sexualisiert – gegen den Willen der Sachsen“.

„Werbung für Geschlechtsumwandlungen“

Laut Fraktionschef Jörg Urban geht es bei der Kampagne darum, „die Eltern wach zu rütteln“. Vielen fehle das Gefühl für die bereits bestehende Dimension dieses „Genderwahns“. Die AfD plädiere dafür, dass „das Leitbild der Familie aus Vater, Mutter, Kind gelehrt wird und dass eben die Gender-Ideologie und auch die Werbung für Geschlechtsumwandlungen und die Frühsexualisierung nicht in die Schulen oder vielleicht sogar in die Kindergärten kommen“, sagte Urban. Zustände wie in Bayern, wo bereits Vierjährige mit Transsexualität konfrontiert würden, müssten in Sachsen verhindert werden.

Das Kultusministerium teilte auf Anfrage mit, dass die Familien- und Sexualerziehung an Schulen „geschlechtersensibel und altersangemessen“ erfolge. „Sie wahrt die natürlichen Schamgrenzen der Schülerinnen und Schüler.“ Politische Werbung auf dem Schulgelände sei zwar verboten, außerhalb der Schule und in angemessenem Abstand zum Eingangsbereich würden aber die Rechtslagen des öffentlichen Raums gelten.

Was steht im Orientierungsrahmen?

In einem aktuellen Antrag, der der Kampagne zugrunde liegt, wird von der AfD-Fraktion im Landtag ein „generelles Mitsprache- und Vetorecht“ für Eltern und eine entsprechende Aktualisierung des „Orientierungsrahmens für die Familien- und Sexualerziehung an sächsischen Schulen“ verlangt. Der Rahmen war 2016 vorgelegt worden. In ihm ist vom „natürlichen Erziehungsrecht“ der Eltern genauso die Rede wie davon, dass Sexualerziehung auch zu den Aufgaben der Schule gehöre. Ein Mitbestimmungsrecht bei Zielen, Inhalten, Methoden und eingesetzten Medien gebe es für die Eltern nicht, auf eine Vorabinformation auf Elternabenden müssten sie sich freilich verlassen können. Lehrer dürften „ihren persönlichen Lebensentwurf nicht zum Maßstab für Schülerinnen und Schüler erheben“, mit abwertenden Meinungen etwa durch die Verwendung des Wortes „normal“ hätten sie sich zurückzuhalten, heißt es weiter.

„Lebensstil jenseits heterosexueller Normen“

Schüler sollten sich „nicht nur aus naturwissenschaftlicher Sicht“ eben auch mit „Homosexualität und anderen Ausdrucksformen sexueller Vielfalt“ altersgerecht auseinandersetzen. Zu beachten sei für die Pädagogen dabei, dass es Kinder und Jugendliche geben könne, die sich „physisch oder psychisch nicht den traditionellen Kategorien von männlich und weiblich zuordnen lassen“. Beim Sprechen über Geschlechter müsse deshalb auf jene Rücksicht genommen werden, die „einen Lebensstil jenseits heterosexueller Normen leben beziehungsweise leben werden“. Ausdrücklich erwähnt werden neben Homo- und Bisexualität auch Intersexualität (Menschen mit weiblichen und männlichen Körpermerkmalen), Transgender (Menschen, bei denen das körperliche Geschlecht nicht mit dem gefühlten übereinstimmt) und Transsexualität (Menschen mit dem Wunsch, lieber dem anderen als dem angeborenen Geschlecht anzugehören). Im vorherigen Orientierungsrahmen von 2006 waren lediglich Hetero- und Homosexualität angesprochen worden. Sexuelle Vielfalt kam darin nicht vor.

Die Autoren des zwölfseitigen Orientieurngsrahmens nennen es angemessen, wenn die Schule bestimmte Themenfelder wie Empfängnisregelung, Infektionsschutz oder „das erste Mal“ vorziehen. Der Einsatz von Internet im Unterricht wird grundsätzlich begrüßt, aber auch auf eine spezielle Vorbereitung der Lehrer gepocht. Die bildliche Vorführung sexueller Handlungen sei nicht nötig, Zeichnungen sollten Fotografien vorgezogen werden. Es wird zudem darauf verwiesen, dass das Alter, in dem Jungen und Mädchen sexuell aktiv werden, in den vergangenen Jahren „kontinuierlich gesunken“ sei. Entsprechende Erfahrungen gehörten „mittlerweile zum Selbstverständnis von Minderjährigen“ .

Karlsruher Urteil zum Diskriminierungsverbot

Dass man mit dieser Erkenntnis und anderen damals auf der Höhe der Zeit war, hatte sich das Kultusministerium seinerzeit extra von zwei externen Gutachtern bestätigen lassen. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, Dr. Jakob Pastötter, lobte seinerzeit ausdrücklich die „wissenschaftlich fundierte und ideologievermeidende Position“ des überarbeiteten Orientierungsrahmens.

In einer inzwischen vorliegenden Antwort auf den AfD-Antrag verweist Kultusminister Christian Piwarz (CDU) darauf, dass Eltern für den Orientierungsrahmen kein Mitsprache- und Vetorecht eingeräumt werden könne, wenn dies auch bei lehrplanbezogenen Inhalten nicht getan werde.

Allerdings müsse Ziel, Inhalt und Form der Familien- und Sexualerziehung den Eltern rechtzeitig mitgeteilt und mit ihnen besprochen werden, dies schreibt das Schulgesetz vor. Zudem führt Piwarz ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017 zum Diskriminierungsverbot von Personen an, deren Geschlechtsidentität weder weiblich noch männlich ist. Die AfD-Forderung, ausschließlich biologische Aspekte zum Gegenstand der schulischen Familien- und Sexualerziehung zu machen, sei „nicht umsetzbar“. Ferner könne seit 2018 neben „weiblich“ oder „männlich“ auch die Option „divers“ im Personenstandsregister hinterlassen werden. „Diese demokratisch beschlossenen Sachverhalte müssen in der schulischen Familien- und Sexualerziehung Beachtung finden“, schreibt der Minister.