Milch-Milliardär Theo Müller über Deutschland: «Der Sozialismus und nun auch der Ökologismus haben das Land in Beschlag genommen»
Hintergrund: „Sachsenmilch“-Unternehmer Theo Müller, der den Sächsischen Verdienstorden erhalten hat, seit vielen Jahren Großspender der CDU Sachsen ist (2014: Sachsenmilch spendet 20k € an CDU 2019: Sachsenmilch spendet 12.5k € an CDU 2020: Sachsenmilch spendet 100k € an CDU), plaudert in der rechten Zeitung über seine Gespräche mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen und was er von seinen FreundInnen der AfD hält, hier dokumentiert.
Europas bekanntester Molkerei-Unternehmer gibt seit vielen Jahren kein Interview mehr. Mit der NZZ spricht der 84-Jährige nun über die Stärken der Schweiz, Angst als Antrieb und seine Freundschaft zur AfD-Chefin Alice Weidel.
Herr Müller, Sie leben seit zwei Jahrzehnten in der Schweiz. Fehlt Ihnen Deutschland manchmal noch?
Das kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Ich habe sechzig Jahre lang in Aretsried gelebt (ein Dorf in Bayerisch-Schwaben, Anm. d. Red.). Das ist und bleibt meine Heimat.
Was verbinden Sie mit diesem Wort?
Heimat ist Sprache, Dialekt. Heimat sind die Menschen, mit denen man aufwächst. Meine Schwester hat einen kleinen Bauernhof, da sind wir am Sonntag ab und zu zum Kaffeetrinken hingefahren. Das kann ich heute nicht mehr. Heimat kann man nicht ersetzen, das kann auch die Schweiz nicht. Viele Menschen wissen ja gar nicht mehr, was das ist: Heimat. Manager, die alle fünf Jahre woanders hinziehen, haben irgendwann keine Heimat mehr. Das ist schade, vor allem für die Kinder, aber es kann auch von Vorteil sein.
Wie das?
Wer keine Heimat hat, der kennt auch kein Heimweh.
Wir sitzen in Ihrer Villa in der Nähe von Zürich und haben einen phänomenalen Blick auf den See. Ist das hier, bei aller Verbundenheit zu Deutschland, heute eine Art zweite Heimat, falls es so etwas gibt?
Natürlich. Ich würde nicht mehr zurückwollen.
Wegen der Steuern?
Auch.
Sprechen Sie Schwyzerdütsch?
Auf keinen Fall. Das wäre für jeden Schweizer eine Zumutung. Mit dem Verstehen tue ich mich auch schwer.
Die Schweizer stehen nicht im Ruf, Zuzügler mit besonders offenen Armen zu empfangen, vor allem nicht jene aus Deutschland. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Überhaupt keine negativen. Beispielsweise: Einmal im Jahr kommt der Steuerkommissär, und da muss ich sagen, das ist ein ganz anderer Umgang als in Deutschland. Natürlich setzt die Schweiz ihre Rechtsstaatlichkeit durch, zu hundert Prozent. Aber der Kommissär gibt einem das Gefühl, man sei ein Kunde. Der bedankt sich fast, dass man Steuern bezahlt.
Und privat? Haben Sie Schweizer Freunde?
Da sind wir etwas mager aufgestellt.
Beate Ebert, selbst Unternehmerin und seit vergangenem Jahr die zweite Ehefrau von Theo Müller, ist beim Interview auch anwesend und schaltet sich ein: Wir haben keine Schweizer Freunde.
Wie kommt’s?
Theo Müller: Also, es liegt nicht an den Schweizern.
Sondern an Ihnen?
Da bleibt ja sonst keiner übrig.
Was ist aus Ihrer Sicht typisch schweizerisch, mal abgesehen von freundlichen Finanzbeamten?
Die Rechtsstaatlichkeit. Die NZZ; ich lese die Zeitung jeden Morgen, das prägt. Auch die Natur. Wir haben ein Haus in Klosters, und wir geniessen es sehr, wenn wir da sind. Die Schweiz ist fast ein Paradies, das kann man so sagen.
Die Schweiz ist auch ein reiches Land. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Ich war früher ein grosser Anhänger der parlamentarischen Demokratie im Gegensatz zur direkten. Heute bin ich nicht mehr sicher. Die direkte Demokratie scheint mir doch überlegen zu sein.
Inwiefern?
Die Schweizer Regierung wird von den Bürgern viel stärker kontrolliert. Sie traut sich deshalb nicht, allzu dumme Sachen zu machen, anders als in Deutschland.
Sie sind Milliardär.
Sagt man.
Gehen die Schweizer besser mit reichen Menschen um als die Deutschen?
Die marktwirtschaftlichen Gesetze werden in der Schweiz mehr geachtet. Wenn jemand reich wird, dann wird das als Leistung gesehen, die jemand für seine Kunden erbringt – egal, ob er Maschinen baut, einen Joghurt produziert oder eine Dienstleistung erbringt. Ein gutes Beispiel ist diese Abnehmspritze von Novo Nordisk aus Dänemark.
Haben Sie die schon probiert?
Ja, und ich habe fünf Kilo verloren.
Sie bekommen aber kein Geld dafür, dass Sie das sagen, oder?
Nein! Aber an dem Beispiel sehen Sie, wie Marktwirtschaft funktioniert: Novo Nordisk bietet etwas, das die Leute wollen. Das Unternehmen ist heute so viel wert wie drei deutsche Autofirmen zusammen. Gegen einen solchen Erfolg hat erst mal keiner etwas. Ein Skandal – in Anführungszeichen – wird es erst, wenn jemand dadurch reich wird. Das können manche Leute einfach nicht ertragen. Und in Deutschland sind das deutlich mehr als in der Schweiz.
Warum ist das so?
Ich vermute, es hat etwas damit zu tun, dass die Schweiz traditionell keine Arbeiter-, sondern eine Bauernnation war. Bauern haben einen direkten Bezug zu Eigentum und Leistung. Das sind Unternehmer.
Welche Eigenschaften braucht man, um als Unternehmer Erfolg zu haben?
Sie stellen mir lauter so philosophische Fragen.
Der Unternehmer und Vermögensforscher Rainer Zitelmann, den Sie kennen, unterscheidet bei wirtschaftlich erfolgreichen Menschen zwischen angestellten Managern und Unternehmern. Letztgenannte handelten unter anderem viel intuitiver.
Beate Ebert an ihren Mann gerichtet: Das tust du auch. Du verzettelst dich nicht lange in kleinteiliger Due Diligence wie so mancher Manager. Du entscheidest schnell, und dann wird sofort umgesetzt.
Müller: Das ist so. Natürlich habe ich die Leichtigkeit, dass ich primär mir gegenüber Rechenschaft schuldig bin und nicht beispielsweise 200 Aktionären. Aber das Wichtigste für den Erfolg ist Innovation. Man muss etwas anbieten, was es so noch nicht gibt.
Wie den Joghurt mit der Ecke?
Zum Beispiel.
Wie wichtig ist Werbung?
Im Mittelpunkt steht das Produkt. Aber wir müssen dem Verbraucher sagen: Mein lieber Freund, bis jetzt hast du vielleicht ganz gut gelebt, aber wenn du dieses Produkt von mir nicht probierst, dann entgeht dir ein Genuss (lacht). Ein bisschen werbliche Übertreibung ist notwendig.
Sie waren einer der ersten Unternehmer, die Milchprodukte in Markenartikel verwandelt haben. Aus einer Molkerei mit vier Mitarbeitern haben Sie einen Konzern mit mehr als 32 000 Mitarbeitern gemacht. Wie wichtig war Ihr eigenes Talent, und wie sehr haben andere geholfen?
Beides war wichtig. Mein erstes Markenprodukt war Dickmilch. Die Idee kam von einem Handelsvertreter: «Schau, es gibt da diese Wörishofer Dickmilch», hat er gesagt, «aber sie haben Defizite in der Vermarktung. Kannst du nicht eine Dickmilch produzieren, und ich verkaufe die?» Wir haben meine Dickmilch dann als «Kneipp-Dickmilch» verkauft. Vorher haben wir noch bei einer berühmten Anwaltskanzlei in München nachgefragt, ob wir das überhaupt dürfen. Den Wortlaut der Antwort kenne ich noch. Ja, sicher, hat die Kanzlei geschrieben, Kneipp sei ein «Synonym für eine gesunde Lebensweise». Kaum war mein Produkt auf dem Markt, kam ein Brief von Nestlé. Wie sich herausstellte, war der Pfarrer Sebastian Kneipp ein tüchtiger Unternehmer. Der hatte seinen Namen an Nestlé zur Verwendung bei Lebensmitteln verkauft. Ich habe also verhandelt und am Ende eine Lizenz für zwei Jahre bekommen. Danach habe ich gesagt: Weg mit Kneipp, meine Dickmilch heisst Müller-Dickmilch. Das war 1972. Als Nächstes kam die Buttermilch.
Wie macht man aus Buttermilch ein Markenprodukt?
Buttermilch gab es überall. Mir ist es jedoch gelungen, Buttermilch länger haltbar und cremiger zu machen. Der Erfolg war riesig. Wir haben innerhalb von drei Jahren 100 Millionen Stück jährlich verkauft und 5 Millionen Mark Gewinn gemacht. Das war eine Sensation.
Als Sie die Molkerei Ihrer Familie übernommen haben, lag der Gewinn bei etwa 200 000 Mark im Jahr. Wenn man als Unternehmer so schnell erfolgreich ist – wie bleibt man es dann?
Unter anderem war Angst ein wichtiger Antrieb: Angst, dass man das Aufgebaute wieder verlieren könnte. Die Idee mit der verbesserten Buttermilch haben damals viele nachgemacht, aber wir haben uns durchgesetzt.
Wie?
Sie dürfen sich als Unternehmer nie zurücklehnen. Ich hatte in der Anfangszeit auch das Glück, einen tüchtigen Geschäftsführer zu haben: Gerhard Schützner. Der kam von Oetker und sass in seinem Büro manchmal vor einem leeren Schreibtisch und hat einfach nur nachgedacht. Er hatte ständig neue Ideen. Und was noch wichtiger war: Er konnte sie auch durchsetzen. Vor zwei Jahren ist er leider gestorben.
Hatte Ihr Geschäftsführer Fähigkeiten, die Sie nicht haben?
Selbstverständlich. Sie müssen als Unternehmer Leute um sich haben, zu denen Sie aufschauen können.
Sind Sie heute noch involviert ins operative Geschäft der Unternehmensgruppe Theo Müller?
Nur sehr selektiv. Mein ältester Sohn Stefan hat die Führung übernommen.
Stefan Müller ist seit 2020 Vorsitzender der Gesellschafterversammlung. Die Firma gehört aber nach wie vor Ihnen.
Mir gehören knapp 90 Prozent der Anteile, der Rest gehört den Kindern.
Sie sind neunfacher Vater. Sind noch mehr Ihrer Kinder im Unternehmen aktiv?
Einige meiner Kinder sind im Unternehmen sowie zwei Schwiegersöhne.
Wie präsent waren Sie früher im Leben Ihrer Kinder?
Leider wenig. Bei mir ging es immer ums Geschäft. Ich wollte den Kindern von der Firma erzählen, von der Marktwirtschaft, von Ludwig von Mises. Und die haben gesagt: «Wir sind doch nicht in der Schule!»
Was war Ihnen in der Erziehung wichtig?
Ich hatte wenig Aktien in der Erziehung. Das war damals Aufgabe der Mütter.
Von Otto von Bismarck ist ein böses Bonmot überliefert: «Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt.» Sie sind die erste Generation. Sehen Sie die Gefahr?
Ich bin nicht die erste, ich bin die vierte Generation!
Sie sind die erste Generation, die ein Vermögen geschaffen hat.
Die Vorarbeit haben meine Vorfahren geleistet: mit ihren Genen.
Dann noch einmal zurück zu Ihrer Heimat. Was ist für Sie typisch deutsch?
Wenn ich böse sein will, sage ich: Deutschland ist das Land von Karl Marx und Friedrich Engels. Der Sozialismus und nun auch der Ökologismus haben das Land in Beschlag genommen. Die Folge ist, dass immer mehr Wohlstand auf der Strecke bleibt – nicht bei den Vermögenden, sondern bei den mittleren Einkommensschichten. Der Staat nimmt den Bürgern die Hälfte dessen, was sie erwirtschaften. Dazu kommt eine Politik des Schuldenmachens, die die Inflation anheizt und das Geld der Sparer entwertet.
Offiziell gibt es in Deutschland die soziale Marktwirtschaft.
Reine Marktwirtschaft wäre mir lieber. Marktwirtschaft ist sozial. Das hat schon Friedrich von Hayek gesagt. Das Wort sozial in Bezug auf Marktwirtschaft ist ein Pleonasmus. Es gibt keine unfreie und unsoziale Marktwirtschaft. Dieses Wissen ist in Deutschland in den Hintergrund getreten. Die Politik ist leider eine Katastrophe geworden. Schade.
Seit wann?
Das Drama fing mit Angela Merkel an. Sie war diejenige, die die sogenannte Energiewende auf den Weg gebracht und den Ausstieg aus der Kernenergie durchgesetzt hat. Allein das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat seit 2010 für die deutschen Stromverbraucher zusätzliche Kosten von deutlich mehr als 200 Milliarden Euro verursacht. Zudem hat Frau Merkel die Kontrolle über die Zuwanderung verloren.
Was stört Sie an der Energiewende?
Die gigantischen Kosten sind nur ein Punkt: 500 Milliarden Euro konservativ gerechnet, einige Schätzungen gehen sogar von 2 Billionen aus. Das ganze Konzept geht nicht auf. Sie können nicht gleichzeitig aus der Kernkraft und der Kohle aussteigen und Kraftwerke bauen für Gas, das wir nicht mehr haben. Die erneuerbaren Energien werden das, was wegfällt, nicht ersetzen können. Meine Frau ist Ingenieurin, wir haben das ausgerechnet: Um den gesamten Energiebedarf mit erneuerbaren Energien zu decken – es geht ja nicht nur um Strom –, würde Deutschland 750 000 Windräder benötigen. Rund 30 000 Anlagen gibt es heute. Und selbst wenn es irgendwann 750 000 Windräder gäbe, würden die nichts bringen, sobald der Wind mal nicht wehte. Für jedes Windrad brauchen Sie eine konventionelle Energiequelle auf Stand-by, um bei Flaute einspringen zu können.
Die seriöse Klimaforschung ist sich einig, dass die Menschen den CO2-Ausstoss reduzieren müssen, um die Erderwärmung zu bremsen.
Davon habe ich mich in Gesprächen mit Professoren der Physik und Chemie auch überzeugen lassen. Aber der Wandel muss mit Mass und Vernunft geschehen. Deutschland ist verantwortlich für 1,9 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, und es wird diesen Ausstoss nicht auf null runterfahren können. Sonst müssten 84 Millionen Menschen aufhören zu atmen. Wenn Deutschland seine Emissionen um die Hälfte reduzieren würde, dann würde das reichen. Und natürlich braucht es Kernkraftwerke. Wir hatten siebzehn, jetzt haben wir noch drei, die man wieder in Betrieb nehmen könnte, jedoch wurden sie vor einem Jahr abgeschaltet. Wahnsinn.
Und was stört Sie am deutschen Umgang mit der Zuwanderung?
Der deutsche Staat schaut seit Jahren zu, wie millionenfach das Recht gebrochen wird. Einen Anspruch auf Asyl hat laut dem Grundgesetz niemand, der aus einem EU-Staat oder einem anderen sicheren Drittland einreist. Trotzdem kommen Migranten ins Land, rufen «Asyl!» und dürfen bleiben. Dann beginnt ein jahrelanges Verfahren, um festzustellen, ob sie in der Heimat politisch verfolgt werden. Und selbst wenn das am Ende nicht der Fall ist, dürfen die Leute in der Regel bleiben.
Die Befürworter der «Willkommenskultur» argumentieren einerseits mit dem Gebot der Nächstenliebe und andererseits mit dem wirtschaftlichen Interesse des Landes: Man dürfe Notleidende und bedrohte Menschen nicht einfach zurückweisen. Ausserdem sei Deutschland als alterndes Land auf Migration angewiesen.
Das Gutmenschentum steckt in uns allen, auch in mir. Wir wollen helfen, wo es geht. Aber eines ist doch klar: Die Deutschen sind ein Volk von 84 Millionen, sie können die Not der Welt nicht allein beenden.
Und der deutsche Mangel an Arbeitskräften?
Den gibt es. Nur man löst das Problem nicht, indem man den Rechtsbruch duldet. Wir hatten bei Müller in den Anfangsjahren viele Pakistaner. Die waren legal da, sehr tüchtige Leute. Dagegen habe ich natürlich nichts.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat Ausschaffungen «im grossen Stil» angekündigt.
Das habe ich auch gelesen.
Sie sind skeptisch?
Natürlich. Wie will er das gegen seine eigene Partei und gegen die Grünen in der Regierung durchsetzen?
Haben Sie schon einmal damit geliebäugelt, in die Politik zu gehen?
(Lacht.) Ich hätte keine Chance.
Beate Ebert: Nein, das wäre keine gute Idee.
Warum?
Theo Müller: Mein Sohn Stefan würde sagen: wegen meiner Ehrlichkeit.
Sind Sie Mitglied einer Partei?
Ich bin seit dreissig Jahren Mitglied der CSU.
Was halten Sie von Ihrem Parteivorsitzenden Markus Söder?
Kommt darauf an, wie der Wind gerade weht, oder?
Sie würden den Unionsparteien CDU und CSU davon abraten, Söder zu ihrem nächsten Kanzlerkandidaten zu machen?
Unbedingt. Markus Söder soll in Bayern bleiben und dort für gute Politik sorgen.
In dem Fall würde es auf Friedrich Merz hinauslaufen. Was halten Sie vom CDU-Chef?
Ich war früher ein Merz-Fan.
Und heute?
Er hatte einen sehr schweren Start. Als er gesagt hat, er gehöre zur «gehobenen Mittelschicht», habe ich gedacht: Was soll das? Der Mann ist Millionär. Warum sagt er das nicht? Er kann ja stolz darauf sein. Dann gibt es diesen Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der CDU. Carsten Linnemann, der Generalsekretär der CDU, hat mir im November bei einer Veranstaltung auf meine Frage, was denn drinstehe, gesagt, mit dem neuen Programm werde alles gut. Nur zwei Dinge hat er genannt: das christliche Menschenbild und ein soziales Pflichtjahr für junge Menschen. Ein bisschen mager.
Der Begriff «Leitkultur» steht auch drin.
Ah ja. Was steht da genau?
Der Text ist vage. Es geht um ein «Bewusstsein von Heimat», um ein Verständnis von Tradition.
Das kann alles bedeuten. Warum sagt die CDU nicht, was sie will?
Sie würden selbst nicht in die Politik gehen, sagen Sie. Allerdings sind Sie 2023 zum Politikum geworden, als die «Bild»-Zeitung ein Foto von Ihnen und der AfD-Co-Vorsitzenden Alice Weidel beim gemeinsamen Restaurantbesuch in Cannes veröffentlicht hat. Waren Sie von dem medialen und politischen Echo überrascht?
Das war unglaublich. Eine solche Empörung hätte ich nicht für möglich gehalten.
Wie lange kennen Sie Frau Weidel?
Vier Jahre. Sie wohnt in der Nähe und kommt öfters zu Besuch.
Reden Sie dann über Politik?
Klar. Und über andere Sachen. Wirtschaft, zum Beispiel. Das ist ja mein Thema: Wie wird ein Volk reich? Ich unterhalte mich gerne mit ihr.
Sind Sie befreundet?
Ja. Alice Weidel ist eine Freundin.
Wenn Sie mit Frau Weidel über Politik reden, sind Sie sich im Grossen und Ganzen einig, oder streiten Sie auch?
Auch wenn ich mit Frau Weidel rede, heisst das bei weitem nicht, dass ich alle Vorstellungen teile. Ich habe das Programm der AfD gelesen. Da stehen einige Punkte drin, wo ich sage: Was soll das? Die wollen den Bundespräsidenten direkt wählen lassen. Wer so etwas sagt, versteht die Architektur unseres Grundgesetzes und die Lehren aus der Weimarer Republik nicht. Oder ein weiteres Beispiel: ein Verbot von Glyphosat, solange nicht nachgewiesen sei, dass es absolut unschädlich sei. So etwas können Sie nicht nachweisen.
Die AfD steht nicht wegen ihrer Vorstellungen vom Amt des Bundespräsidenten oder vom Umgang mit einem Unkrautvernichter in der Kritik. Gibt es noch andere Punkte, die Sie ablehnen?
Es wäre doch eher ungewöhnlich, wenn man bei einem so umfangreichen Programm alle Punkte unterstützen würde. Es gab ja dieses sogenannte Geheimtreffen in Potsdam, wo Massendeportationen geplant worden sein sollen. Da hat die Partei klargestellt, dass sie nichts dergleichen fordert, sondern bei der Migration einfach den Zustand der Legalität wiederherstellen will. Natürlich gibt es in der AfD Einzelne, die dummes Zeug reden, rechtsextremistische Parolen verbreiten und zum Beispiel Deutsche, die woanders geboren wurden, abschieben wollen. So etwas geht nicht, das lehne ich strikt ab. Ich bin selbst Immigrant. Wenn die Schweizer mir plötzlich sagen würden: «Ab mit dir, du kannst ja nicht einmal Schweizerdeutsch», täte ich mich aber bedanken! Die Frage, um die es geht, lautet: Steht die AfD auf dem Boden des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats oder nicht? Wenn die Innen- und Verfassungsministerin Nancy Faeser zu dem Schluss kommt, dass die Partei das nicht tut, dann muss sie einen Verbotsantrag beim Verfassungsgericht stellen; da hat sie überhaupt keinen Spielraum. Aber: Sie tut es nicht. Stattdessen fordert sie Unternehmen auf, sich von der AfD zu distanzieren.
Die deutsche Wirtschaft müsse «Haltung» zeigen, sagt Frau Faeser. Andernfalls drohe eine «Normalisierung» rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen. Haben Sie sich da angesprochen gefühlt? Normalisieren Sie Populismus und Extremismus?
Natürlich nicht! Die AfD ist eine Partei, die bei der Willensbildung des Volkes mitwirkt. Und solange sie nicht verboten ist, befindet sie sich in einem legalen Zustand. Ein Verbot der Linkspartei fordert auch niemand. Und deren Mitglieder rufen öffentlich dazu auf, Reiche zu erschiessen.
Das war vor ein paar Jahren bei einer Parteiveranstaltung in Kassel, und es war wohl ironisch gemeint.
Bernd Riexinger, damals einer der Chefs der Partei, fand es auch witzig. Der sagte ungefähr: Wir erschiessen die Reichen nicht, wir setzen sie für nützliche Arbeit ein. Ich habe die Frau, die das mit dem Erschiessen gesagt hat, damals wegen Volksverhetzung angezeigt.
Und?
Und nichts. Die Staatsanwaltschaft Kassel hat kein Strafverfahren eingeleitet. Also haben wir uns beim Generalstaatsanwalt beschwert. Der hat auch nichts unternommen. Stellen Sie sich vor, ein AfD-Mitglied würde so etwas fordern wie diese Frau von der Linkspartei. Da wäre was los.
Kennen Sie Björn Höcke, den thüringischen AfD-Chef, der im Herbst Chancen hat, die Landtagswahl in seinem Bundesland zu gewinnen?
Nicht persönlich.
Diejenigen, die ein AfD-Verbot fordern, begründen das nicht mit dem Programm. Das Problem seien einflussreiche Kader wie Herr Höcke, die mal eine 180-Grad-Wende in der Geschichtspolitik fordern und mal die etablierten Parteien als transatlantisch ferngesteuertes Kartell verunglimpfen. Mal ehrlich: Sollten solche Leute wirklich politische Verantwortung übernehmen?
Ich kenne mich da zu wenig aus. Es gibt dieses Zitat von Herrn Höcke über das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Das sei ein «Denkmal der Schande». Wenn er es so gemeint hat, dass der Holocaust eine nationale Schande war, sehe ich kein Problem mit seiner Aussage. Wenn er jedoch den Holocaust verharmlost und somit die Erinnerung durch das Denkmal als Schande bezeichnet, ist das natürlich vollkommen inakzeptabel.
Es geht nicht um ein Zitat. Die Summe der Äusserungen von Herrn Höcke ergibt das Bild eines radikalen, völkischen Politikers, der die liberale Gesellschaft verachtet. Ihre Freundin Alice Weidel hat das früher auch erkannt und ihn intern bekämpft. Später hat sie aufgegeben, weil das Netzwerk um Herrn Höcke längst zu mächtig geworden war. Sie haben das Potsdamer «Geheimtreffen» erwähnt. Man braucht diese fragwürdige Geschichte gar nicht, um die Radikalität der AfD zu belegen. Björn Höcke schwärmt von Martin Sellner, der in Potsdam seine Pläne zur «Remigration» präsentiert haben soll. Der wiederum erklärt in Texten offen, dass er auch «nichtassimilierte Eingebürgerte» loswerden will. Das ist alles kein Geheimnis.
Ich glaube Ihnen das. Sie machen auf mich keinen ökosozialistischen Eindruck. Wenn Herr Höcke so schlimm ist, sollte die Regierung in Thüringen Artikel 18 des Grundgesetzes zur Anwendung bringen und ihm die Grundrechte entziehen.
Eine entsprechende Petition gibt es schon, mit bald zwei Millionen Unterschriften. Hat Frau Weidel Sie eigentlich eingeladen, in die AfD einzutreten?
Nein. Ich bin kein AfD-Mitglied, und ich möchte keines werden.
Haben Sie der Partei schon einmal Geld gespendet?
Nein.
Was sind Sie: ein interessierter Beobachter oder ein Sympathisant?
Irgendwas dazwischen.
Würden Sie im Herbst nach einer der ostdeutschen Landtagswahlen gerne eine AfD-Regierung sehen?
In Sachsen könnte die Partei auf eine parlamentarische Mehrheit kommen, wenn einige andere Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wenn die CDU dann zweitstärkste Kraft wird, könnte sie der AfD anbieten, in einer Koalition mitzuwirken – unter der Voraussetzung, dass die CDU den Ministerpräsidenten stellt. Als der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer im Herbst 2021 mit dem Fraktionsvorsitzenden der CDU bei mir war, habe ich eine Minderheitsregierung ins Spiel gebracht, indem er die Koalition mit den Grünen aufkündigt und allein mit der SPD weitermacht.
Was hat der Ministerpräsident gesagt?
Herr Kretschmer wirkte auf mich zumindest aufgeschlossener als der Fraktionschef der CDU. Der sagte, ohne die Grünen bekämen sie kein Gesetz mehr durch den Landtag.
Warum haben die Herren Sie in der Schweiz besucht?
Um mir den Sächsischen Verdienstorden zu übergeben. Da waren auch Musiker dabei, und die Linken haben getobt.
Weil Sie ein Rechter sind?
Weil sie mich für den Bösewicht halten.
Stört Sie so ein Protest?
Gar nicht. Schlimm wäre es, wenn mich die Linken und die Grünen loben würden.
RND 03.02.2024
„Sie kommt öfters zu Besuch“ – Molkereimilliardär Theo Müller nennt Alice Weidel „eine Freundin“
Wegen seiner Nähe zu Alice Weidel steht Molkereimilliardär Theo Müller in der Kritik. Wirklich nachvollziehen kann der 84‑Jährige die Aufregung darüber nicht und bezeichnet die AfD-Chefin als „eine Freundin“.
Von angeblicher Steuerflucht bis hin zu Milchpreisdumping – der Molkereimilliardär Theo Müller, dem Marken wie Müllermilch, Weihenstephan oder Landliebe gehören, stand in der Vergangenheit immer wieder in der Kritik. Zuletzt sorgten Müllers Kontakte zu AfD-Chefin Alice Weidel für Aufsehen um den 84‑Jährigen, der die Kritik nicht nachvollziehen kann, wie er in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) erzählt.
„Sie wohnt in der Nähe und kommt öfters zu Besuch“, so der Unternehmer. Er unterhalte sich gern mit ihr, nicht nur über Politik, sondern auch über Wirtschaft und Fragen wie „Wie wird ein Volk reich?“. Auf die Frage, ob er und die AfD-Politikerin befreundet seien, antwortet Müller: „Ja, Alice Weidel ist eine Freundin.“
„Natürlich gibt es in der AfD Einzelne, die dummes Zeug reden“
Trotz seiner Nähe zu AfD-Chefin Weidel teile Müller, selbst seit rund 30 Jahren Mitglied der CSU, aber nicht alle politischen Ansichten der Partei, wolle kein AfD-Mitglied werden und habe der Partei auch noch nie Geld gespendet. Er habe das Programm der AfD gelesen und darin einige Punkte gefunden, „wo ich sage: Was soll das?“. Müller weiter: „Natürlich gibt es in der AfD Einzelne, die dummes Zeug reden, rechtsextremistische Parolen verbreiten und zum Beispiel Deutsche, die woanders geboren wurden, abschieben wollen. So etwas geht nicht, das lehne ich strikt ab.“ Immerhin sei er „selbst Immigrant“, so der Unternehmer, der 2003 aus steuerlichen Gründen in die Schweiz gezogen ist.
Auch wenn Müller verschiedene Parteipunkte der AfD ablehne, sei sie seiner Meinung nach dennoch eine Partei, „die bei der Willensbildung des Volkes mitwirkt. Und solange sie nicht verboten ist, befindet sie sich in einem legalen Zustand. Ein Verbot der Linkspartei fordert auch niemand.“
Hinsichtlich der umstrittenen Rolle der AfD gehe es laut Müller vor allem um die Frage, inwiefern die Partei auf dem Boden des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats stehe. „Wenn die Innen- und Verfassungsministerin Nancy Faeser zu dem Schluss kommt, dass die Partei das nicht tut, dann muss sie einen Verbotsantrag beim Verfassungsgericht stellen; da hat sie überhaupt keinen Spielraum. Aber: Sie tut es nicht. Stattdessen fordert sie Unternehmen auf, sich von der AfD zu distanzieren“, so Müller.
Spiegel 02.02.2024
Müllermilch-Chef nennt Alice Weidel »eine Freundin«
Theo Müller steht wegen seiner Kontakte zu AfD-Chefin Alice Weidel in der Kritik. Der Milchmilliardär kann die Aufregung darüber nicht verstehen – und plaudert in einem Interview ungeniert über die Treffen.
Dass der Molkerei-Unternehmer Theo Müller Kontakte zur AfD pflegt, sorgte vor wenigen Wochen verbreitet für Empörung. Wirtschaftsbosse bundesweit distanzierten sich in den Wochen danach von der in weiten Teilen rechtsextremen Partei, Continental-Chef Nikolai Setzer sagte der aktuellen »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«, Rassismus schade dem Wirtschaftsstandort Deutschland.
Und Müller? Der Milchmilliardär traf sich mit der »Neuen Zürcher Zeitung
«, plauderte über Abnehmspritzen (»Ich habe fünf Kilo verloren«) – und über die Treffen mit AfD-Chefin Alice Weidel, zu der er auch weiterhin Kontakt halten wolle. »Sie wohnt in der Nähe und kommt öfters zu Besuch«, sagte er der Zeitung. Er unterhalte sich gern mit ihr, über Politik, Wirtschaft und gesellschaftlichen Wohlstand. »Ja, Alice Weidel ist eine Freundin«, wird der für Marken wie Müllermilch, Landliebe oder Weihenstephan bekannte Unternehmer zitiert.
»Ich bin selbst Immigrant«
Die Aufregung über seine Kontakte zu AfD-Politikern kann er nicht verstehen. Müller, der seit rund 30 Jahren Mitglied der CSU ist und laut dem Interview auch kein AfD-Mitglied werden will, sagte: »Natürlich gibt es in der AfD Einzelne, die dummes Zeug reden, rechtsextremistische Parolen verbreiten und zum Beispiel Deutsche, die woanders geboren wurden, abschieben wollen. So etwas geht nicht, das lehne ich strikt ab.« Er sagte aber auch: »Die AfD ist eine Partei, die bei der Willensbildung des Volkes mitwirkt. Und solange sie nicht verboten ist, befindet sie sich in einem legalen Zustand. Ein Verbot der Linkspartei fordert auch niemand.«
Unter anderem Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte zuletzt von den Unternehmen eine klare Haltung gegen die AfD gefordert. Die SPD-Politikerin warnte, »das Klima der Spaltung und der Ressentiments, das die AfD schürt, schreckt hoch qualifizierte Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland ab«. In der Wirtschaft entwickelt sich – nach langem Schweigen – inzwischen immer mehr ein Bewusstsein, dass die Partei für den Wirtschaftsstandort schädlich ist
. In Deutschland kam die Partei zuletzt in bundesweiten Umfragen auf mehr als 20 Prozent; neben dem von Björn Höcke geführten Landesverband Thüringen wird inzwischen auch der Landesverband Sachsen-Anhalt vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.
Dass er durch seine Haltung zur AfD Populismus und Extremismus normalisiere, wies Unternehmer Müller zurück. »Ich bin selbst Immigrant« Der süddeutsche Unternehmer lebt aus steuerlichen Gründen in der Schweiz, hat dort nach eigenen Angaben aber keine Freunde.
Zugleich machte Müller keinen Hehl aus seiner kritischen Haltung zur aktuellen Migrationspolitik. »Der deutsche Staat schaut seit Jahren zu, wie millionenfach das Recht gebrochen wird. Einen Anspruch auf Asyl hat laut dem Grundgesetz niemand, der aus einem EU-Staat oder einem anderen sicheren Drittland einreist. Trotzdem kommen Migranten ins Land, rufen ›Asyl!‹ und dürfen bleiben«, sagte er. In Brüssel wird eine gemeinsame Asylpolitik verfolgt, die unter anderem darauf zielt, die Aufgaben, die sich aus politischem Asyl ergeben, nicht allein jenen Mitgliedstaaten mit besonders langen EU-Außengrenzen aufzubürden. Deutschland hat lediglich eine EU-Außengrenze – zur Schweiz.
Sächsische Zeitung Karin Schlottmann 21.08.2021
Ehrung für „Milchbaron“ Müller am Zürich See
„Sachsenmilch“-Unternehmer Theo Müller erhält den Sächsischen Verdienstorden – in einem Fünf-Sterne-Hotel in der Schweiz.
Theo Müller gefällt es in der Schweiz. In seinem „Exil“ an der Zürcher Goldküste findet er es besonders schön. „Ich lebe nicht schlecht hier“, sagte der deutsche Molkerei-Unternehmer vor acht Jahren in einem Interview mit der Schweizer Handelszeitung. Die Lebensqualität in seinem Wohnort in der Nähe von Zürich sei weltweit eine der besten. An eine Rückkehr in die Heimat denke er nicht.
Müller ist ein überaus erfolgreicher Unternehmer und meinungsstark obendrein. Aus der kleinen Molkerei seines Vaters im bayerischen Aretsried schuf er einen weltweit agierenden Konzern, der Milchprodukte und weitere Lebensmittel herstellt. Eine der wichtigsten sächsischen Fabriken, Sachsenmilch in Leppersdorf im Landkreis Bautzen, gehört ebenfalls zu seinem Reich. 2.500 Menschen arbeiten dort für die Müller-Gruppe, die ihren Sitz in Luxemburg hat. Knapp sechs Milliarden Euro Umsatz gab sein Unternehmen im Jahr 2018 an.
Es war die Erbschaftssteuer, die den „Milchbaron“ 2003 aus Deutschland vertrieb. 200 Millionen Euro Schenkungs- und Erbschaftssteuer würden an das Finanzamt fließen, wenn der Konzern eines Tages an seine Kinder übergeht. Müller, der im vorigen Jahr seinen 80. Geburtstag feierte, hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er diese Steuer als persönliche Zumutung empfindet. Er investiere das Geld lieber in sein Unternehmen, als es dem Staat zu geben. Er werde enteignet und beraubt, warf er der Regierung im Nachrichtenmagazin Spiegel vor. Große Konzerne hätten diese Probleme nicht.
„Asozial“, „unpatriotisch“, schimpften Politiker der damaligen rot-grünen Bundesregierung offen über Müller. Er sei ein „Absahner“, denn die Investitionszulagen für die Molkerei in Leppersdorf habe er vom Staat gern genommen.
„Reiche Leute braucht das Land“
Müller dagegen verteidigt den Reichtum Einzelner. Er halte es für Unsinn, dass Vermögenskonzentration in Deutschland politisch bekämpft werde. „Nur der, der mehr hat, als er eigentlich braucht, investiert doch. Das heißt, reiche Leute braucht das Land“, sagte Müller 2004 gewohnt deutlich in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung.
Sachsenmilch ist einer der größten Arbeitgeber in Ostsachsen. Für seine „herausragenden Verdienste um den sächsischen Wirtschaftsstandort und die Schaffung von Tausenden von Arbeitsplätzen im Landkreis Bautzen“ soll er nun den Sächsischen Verdienstorden erhalten. Mit der Auszeichnung werde er für seine sozialen und kulturellen Projekte, beispielsweise sein Engagement für die sächsische Blasmusik, geehrt, teilte Regierungssprecher Ralph Schreiber auf Anfrage mit.
Der Sächsische Verdienstorden wird regelmäßig an prominente oder unbekannte Menschen verliehen, die sich engagieren oder besondere Leistungen vorweisen. Die Veranstaltungen finden in Sachsen statt. Zuletzt zeichnete Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) an zwei unterschiedlichen Orten in Dresden Anfang Juli elf Männer und Frauen aus. Müller dagegen muss nicht nach Sachsen reisen. Kretschmer bringt ihm den Orden praktisch nach Hause. In einem Fünf-Sterne-Hotel am Zürich See wird er ihm dort am 31. August die Ehrung überreichen.
Kein zweiter Boris Becker
Wegen seines Schweizer Wohnsitzes darf sich Müller nicht mehr allzu häufig in Deutschland aufhalten. Er dokumentiere seine Fahrten in die Heimat zu hundert Prozent, erklärte er die Folgen seines Steuersparmodells kurz nach seinem Umzug im Gespräch mit der SZ. „So etwas wie bei Boris Becker kann mir nicht passieren“. Der einstige Tennisprofi war vor fast 20 Jahren wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden, weil er zwar seinen Wohnsitz nach Monaco verlegt hatte, sich aber regelmäßig in Deutschland aufhielt.
Regierungssprecher Schreiber sagte dazu, die Ordensverleihung finde in Zürich statt, da der Ministerpräsident mit einer Delegation der Wirtschaftsförderung Sachsen eine Kurzreise in die Schweiz unternehme. Während einer Abendveranstaltung mit Gästen aus der Schweizer Wirtschaft werde Müller der Verdienstorden überreicht. „Herr Müller wird voraussichtlich in einer kurzen Rede auch über den Wirtschaftsstandort Sachsen berichten“, teilte Schreiber mit.
Kretschmers Reise dauert drei Tage, das Programm ist übersichtlich. In Begleitung von Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft fliegt er vom 30. August bis 1. September in die Schweiz. Es geht bei den Terminen um Kontaktpflege und den Ausbau politischer und wirtschaftlicher Beziehungen, heißt es im Programm. Geplant sind ein Besuch des Technoparks Zürich, des Kunstmuseums Fondation Beyeler in Basel sowie Gespräche mit der Leitung der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Beim Müller-Abend im Hotel Baur au Lac geht es um Standortwerbung – mit Musikern der Staatskappelle inklusive.
Sächsische Zeitung 08.11.2021
„Schleudersachse“ für Orden an Theo Müller
Sachsens Steuerzahlerbund kürt jedes Jahr die ärgerlichste Steuerverschwendung. Diesmal geht sie an Ministerpräsident Michael Kretschmer.
Die Verleihung des sächsischen Verdienstordens an den Molkerei-Unternehmer Theo Müller wird mit dem Negativpreis „Schleudersachse 2021“ bedacht. In einer Abstimmung entschieden rund 37 Prozent von 4000 Bürgerinnen und Bürgern, dass die Ordensübergabe die ärgerlicheste Steuerverschwendung des Jahres in Sachsen war, wie der Steuerzahlerbund am Montag mitteilte. Mit dem «Schleudersachsen» kürt der Verein Verschwender öffentlicher Gelder im Freistaat.
Die Auszeichnung Müllers war in der Landespolitik heftig umstritten. Unabhängig davon seien aber auch die Umstände der Ordensübergabe für den sächsischen Steuerzahler «mehr als ärgerlich», hieß es. Angeführt von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sei eine 15-köpfige Delegation dafür in die Schweiz gereist. Mitsamt einem Oboen-Quartett der Staatskapelle Dresden und Wein von Schloss Proschwitz habe die Ordensübergabe in Zürich mindestens 20 000 Euro gekostet.
Auf den zweiten Platz kam bei der Abstimmung zum „Schleudersachsen“ eine Großbestellung an FFP2-Masken, von denen sich 6,5 Millionen Stück im Wert von 15,7 Millionen Euro als unbrauchbar erwiesen. Kritisiert wurden zudem teure, in den einstweiligen Ruhestand versetzte Ex-Staatssekretäre, eine Dauer-Baustellenampel auf der Staatsstraße 222 sowie ein Personalzuwachs beim Freistaat Sachsen.
sächsische Zeitung Michael Rothe 15.09.2021
Das Weltbild von „Milchbaron“ Theo Müller
Sächsische.de liegt ein Mitschnitt der Verdienstordens-Verleihung in Theo Müllers Steuerexil vor. Die Danksagung des Ex-Müllermilch-Chefs spricht für sich.
Was ist ein guter Unternehmer? Die Klärung dieser Frage gehörte zwar nicht zum Besuchsprogramm von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) jüngst in der Schweiz. Er und seine 15-köpfige Delegation bekamen sie dennoch und überraschend beantwortet – von einem, der es wissen muss: Theo Müller, Herr über ein Molkerei-Imperium, zu dem auch die Sachsenmilch AG in Leppersdorf mit 2.800 Beschäftigten gehört. Multimilliardär. Und seit 31. August Träger des Sächsischen Verdienstordens.
Der Regierungschef hatte den Unternehmer für die höchste Auszeichnung des Freistaats vorgeschlagen und sie ihm in sein Steuerexil gebracht. Um Erbschaftssteuer zu sparen, war Müller 2003 an den Zürichsee gezogen. Den Konzernsitz hatte der Schwabe 2011 nach Luxemburg verlegt. Sächsische.de liegt nun ein Mitschnitt der umstrittenen Ehrung im Züricher Edelhotel Baur au Lac vor, die den Freistaat 20.000 Euro kostet. Es sei ihm „eine große Freude“, Müller den Sächsischen Verdienstorden zu verleihen, sagt Kretschmer, „für Ihr Engagement für den Freistaat Sachsen und für die Menschen vor Ort“.
Zu hochgesteckte ethische Ziele?
Der Geehrte bedankt sich für „eine großartige Auszeichnung“. „Dass Sie extra dafür – fast extra muss ich jetzt dazu sagen – nach Zürich gekommen sind, möchte ich mich bei Ihnen auf das Herzlichste bedanken“, so der Geehrte. Die hastige Korrektur löst bei rund 100 Zuhörern Heiterkeit aus.
Es folgt eine Lehrstunde zum Unternehmertum – von einem Mann, der die Molkerei des Vaters 1970 mit 15 Leuten übernommen hatte und heute über einen Konzern mit weltweit 34.000 Beschäftigten und sechs Milliarden Euro Umsatz bestimmt. Immer mehr Teile der Gesellschaft würden ihr Handeln an hochgesteckte ethische Ziele knüpfen, kritisiert Müller. Es bilde sich ein „zunehmend verbindlicher Wertekodex heraus, zu dessen Einhaltung man – wenn schon nicht rechtlich, so doch moralisch – verpflichtet ist“.
Wer sich außerhalb des Mainstreams stelle, müsse mit gesellschaftlicher Ächtung rechnen. „Ein Unternehmer ist nicht dazu da, Arbeitsplätze zu schaffen“, stellt der 81-Jährige klar. „Der Unternehmer schafft Güter und Dienstleistungen mit so wenig wie möglich Aufwand.“
Dann lässt sich der neue Ordensträger über angeblich verlangte Werte aus: mehr Freizeit für Arbeitnehmer, Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich, faire Löhne in der Lieferkette, Ausschluss von Kinderarbeit, artgerechte Tierhaltung, Beiträge für Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Einsatz für die Region, in der das Unternehmen angesiedelt ist. „Zusammengefasst: Der gute Unternehmer findet die Erfüllung seiner unternehmerischen Aufgaben darin, dass die Allgemeinheit oder zumindest Teile der Allgemeinheit, mit denen er zu tun hat, Lob über ihn äußern.“
Gewinn, Gewinn, Gewinn
Das entspreche „nicht unbedingt meinen Überzeugungen“, sagt Müller. Aus seiner Sicht müsse sich ein guter Unternehmer nur um drei Dinge kümmern: „Erstens um Gewinn, zweitens um Gewinn, drittens um Gewinn.“ Dass klinge „reichlich egoistisch“, räumt er ein. Aber durch nichts trage der Unternehmer so nachhaltig zur Erreichung dieser Ziele bei wie durch seine Gewinnorientierung. Müller nimmt eine Anleihe in der Bibel: „Sucht zuerst das Reich Gottes und alles andere wird Euch hinzugegeben werden.“ Seine „Variation eines fast Ungläubigen“: „Sucht zuerst den Gewinn, und alles, was der Gemeinschaft dient, wird sich von selbst ergeben.“
Es brauche „Unternehmerpersönlichkeiten, die ins Risiko gehen, die anderen Arbeit geben, die mit ihren Steuern dafür sorgen, dass das Gemeinwesen blühen kann“, hatte Laudator Kretschmer vor der Verleihung erklärt. Lag der Premier mit seiner Nominierung doch falsch? Behalten jene Recht, die meinen, Müller habe in Sachsen viel verdient, aber kaum Verdienste?
Laut Regierungserlass vom 27. Oktober 1996 würdigt der Orden „außergewöhnliche Leistungen“, die „dem Wohl der Allgemeinheit dienen“. Ferner heißt es: „Die Erfüllung einer Berufspflicht oder das Wirken für das eigene Erwerbsunternehmen allein rechtfertigen die Verleihung nicht.“
Freimütig beschreibt der Milchbaron in seiner Rede, wie er in Leppersorf 1,7 Milliarden Euro investiert hat: aus eigenem Geld und der Verwertung von Verlustvorträgen. „Da half mir die sächsische Staatsregierung, das war nicht selbstverständlich“. Der Konkurs der Vorgänger habe „natürlich auch einen Vorteil gebracht“, räumt er ein. Und es habe Sonderabschreibungen gegeben, „was wir mit den Gewinnen verrechnen konnten“ – und „last but not least Investitionszulagen, und Zuschüsse, die gab es in den 90er-Jahren enorm“.
Für Die Linke im Landtag bewegt sich Müller „hart an der Grenze zum Subventionsbetrug“. Die Fraktion hat eine Erklärung der Staatsregierung zur Verleihung beantragt. Die Frist endet am 6. Oktober.
Müller schon länger in der Kritik
Im Freistaat steht Müller auch in der Kritik, weil er Gewinne und Steuerschuld kleinrechnet, bei Staatshilfen aber die Hand aufhält. Gut 70 Millionen Euro sind in seine Firmen in Leppersdorf geflossen. Laut Gewerkschaft NGG beträgt der Ecklohn, die unterste Lohngruppe für einen über 21 Jahre alten Facharbeiter, bei Sachsenmilch 15,74 Euro gegenüber 18,53 Euro im Flächentarif Milch Ost – das sind 483 Euro im Monat weniger.
Die insolvente Sachsenmilch AG mit der halb fertigen größten Molkerei Europas soll Müller 1994 für zwei D-Mark, 1,02 Euro, gekauft haben. Er zahlt Milchbauern nicht mehr, als er muss und drängt die Kleinaktionäre aus der AG. Und mancher sieht den Orden im Zusammenhang mit einer Spende von 100.000 Euro, welche die Sachsenmilch Anlagen Holding 2020 an Sachsens CDU überwiesen hat.
Davon hätten die meisten Anwesenden nichts gewusst, sagt ein Gast der Verleihung. Und sie erfahren beim „Sächsischen Abend“ mit eingeflogenem Oboe-Quartett der Staatskapelle, Wein von Schloss Proschwitz und Menü aus Maissuppe, Geflügelsalpicon, Kalbsteak, Butternudeln, Wurzelgemüse und Dessertvariation auch nur am Tisch hinter vorgehaltener Hand davon.
Wie sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer unmittelbar vor der Zeremonie und mit Bezug zum großen Schweizer Potenzial in Technologien und Wissenschaft: „Man fährt von so einer Reise schlauer zurück, als man gekommen ist. Und man stellt sich noch mehr Fragen. Wenn man sie am Ende beantworten kann, kommt man auch ein Stück weiter.“