Zombie-Che is back
Zeitzeuge und Analytiker Volkmar Wölk über autoritäre K-Gruppen und ihr Erstarken
Eine lange Menschenschlange zieht sich über den Hof des Conne Island. Ungewöhnlich für einen Montagabend, zumal nicht einmal eine Band spielt. Mit »Return of the K-Gruppen« ist die politische Diskussionsveranstaltung betitelt, die derart großes Interesse weckt. Thema ist die Wiederkehr autoritär-kommunistischer Gruppen, die nach dem Vorbild der Siebzigerjahre auf straffe Hierarchien und Lenin- und Stalin-Prinzipien setzen. Bundesweit ist ein kleines Revival dieser Avantgarde von gestern zu beobachten. Auch in Leipzig sind einige unter Namen wie Young Struggle, Zora und Solidaritätsnetzwerk aktiv.
In der Reihe »Good bye Stalin?!« – organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Linxxnet – soll Volkmar Wölk in einer Mischung aus biografischen Erinnerungen und analytischem Blick das Phänomen erhellen. Ersteres gelingt besser als das zweite Unterfangen. Wölk, Jahrgang 1952, war einst selbst Mitglied in einigen K-Gruppen und ist seit langem vor allem als antifaschistischer Publizist aktiv. Er schildert, wie das »Rote Jahrzehnt« als Reaktion auf das Scheitern der antiautoritären 68er-Bewegung folgte. Zwischen 1970 und 1980 gründeten sich viele sogenannte Kader-Gruppen, um die Revolution endlich anzustoßen. Bis zu 200.000 Menschen »durchliefen« sie, schätzt Wölk.
Die Vereinigungen und Kleinstparteien verstanden sich als Speerspitze des Marxismus und zeichneten sich durch straffe Organisationsformen aus. »Die Mitglieder waren bereit, ein hohes Maß an Entindividualisierung in Kauf zu nehmen«, erklärt Wölk. Man konnte innerhalb sogenannter »Kaderverschickung« in eine andere Stadt beordert werden, um dort Mitglieder zu gewinnen oder um in Betrieben zu agitieren.
Man musste die Proletarier ja noch von ihrem Glück überzeugen, die wahren revolutionären Subjekte zu sein. Wölk führt als weitere Beispiele der Persönlichkeitseinschränkung Maßnahmen wie Promotionsverbote an, damit der Betreffende nicht vom bürgerlichen Leben verführt werden konnte. Manchmal sei man gezwungen worden, seinen Hund wegzugeben, weil das Gassigehen zu viele Zeit beanspruchte, die für die Parteiarbeit fehlte. Auch auf Liebesbeziehungen konnten die Gruppen Einfluss nehmen, etwa wenn einer der Partner der Partei abtrünnig wurde.
»Trotzdem verfügten die Gruppen über hohe Attraktivität«, sagt Wölk vor erstauntem Publikum. »Man verstand das Verschicken als Auszeichnung und Aufstieg innerhalb der strikten Hierarchie.« Und man hatte ein klares Programm, dem man folgen konnte. Das Gruppengefühl war stark und damit auch der Gruppendruck. Man hatte irgendwann kein soziales Leben mehr außerhalb des Zirkels. Dass sich die Gruppen damals als Patrioten verstanden, betont Wölk noch. Außerdem seien sie patriarchal organisiert gewesen, weshalb Geschlechtergerechtigkeit keine Rolle spielte.
Das ist auch der entscheidende Unterschied, den Referent Wölk zu den neuen, heutigen autoritären roten Gruppen erkennt: Sie haben alle Untergruppen mit feministischen oder vorgeblich feministischen Bezügen. Ohne geht es 2024 offensichtlich nicht mehr. Für Wölk ist ihr relativ plötzliches Erscheinen der Versuch, auf das »Scheitern der autonomen Bewegung« mit alten Organisierungsmitteln zu reagieren.
Breite Antifabündnisse sieht er nicht mehr, oft sei alle Tätigkeit auf Kiez-Politik reduziert. Diese Aussagen stoßen bei der Diskussion mit dem Publikum teilweise auf Skepsis – sowohl, was das Scheitern angeht als auch die Frage, ob Akteure nicht gezielt mit einfachen Antworten junge Menschen ködern wollen. Denn es sind vor allem Jüngere, die es in die roten Gruppen zieht, zum Teil erfahren sie hier ihre erste Politisierung.
In den einfachen Antworten sieht Wölk die Attraktivität der Gruppen damals wie heute. »Sie erfüllen eine Suche nach Verbindlichkeit und Verlässlichkeit in der Politik.« Neben dem identitätsstiftenden Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt es den Einzelnen ein Gefühl der Stärke, wenn man mit Fahnen in Blöcken auftritt.
»Die tun was«, suggeriere ein solcher Ansatz, der auf Aktionismus statt Plenumsdiskussion fokussiert. Den Rest erledige die Dogmatik: »Wenn ich lese, dass da zum Stalin-Lesekreis eingeladen wird mit den Worten, ›Vorkenntnisse nicht erforderlich‹, ist klar, worum es geht. Da schrillen bei mir alle Alarmglocken.«, sagt Wölk.
Wie man der Wiederkehr der K-Gruppen politisch begegnen und ihnen die Attraktivität nehmen kann, bleibt vor vollem Haus im Conne Island allerdings eine Leerstelle.
»Good bye Stalin?!«, weitere Veranstaltungen: https://www.linxxnet.de