Britische Firma übernimmt großen Asylheimbetreiber in Sachsen

Die Erstaufnahme von Flüchtlingen in Sachsen hat im vorigen Jahr 65 Prozent mehr gekostet als geplant. Und nun mischen da auch noch Finanzinvestoren mit.

Der Asylheimbetreiber European Homecare GmbH (EHC) ist von einem großen britischen Konzern übernommen worden. Der in Essen ansässige Heimbetreiber teilte mit, man werde mit einem gleichartigen Unternehmen aus Zürich zusammengeführt. Durch die Fusion entstehe ein „europäischer Marktführer“. Man wolle „Kräfte bündeln und künftig gemeinsam aus einer Hand Unterstützungsangebote für öffentliche Auftraggeber offerieren“.

Zu diesen Auftraggebern gehören in Sachsen die Landesdirektion (LDS) sowie die Städte Dresden und Leipzig. Für die Landesdirektion betreibt EHC fünf Erstaufnahmeeinrichtungen mit einer Kapazität von 1.920 Plätzen in Dresden. Zuletzt war eine Notunterkunft im Stadtteil Prohlis hinzugekommen. Seit Herbst ist EHC im Auftrag der Stadt Dresden auch für die Flüchtlingsbetreuung in der ehemaligen Cityherberge mit 280 Plätzen zuständig. In Leipzig leitet EHC acht kommunale Heime mit gut 1.000 Plätzen, im Februar kommt dort ein weiterer Standort hinzu.

Die künftige EHC-Eigentümerin Serco ist in England einer der größten privaten Dienstleister für die öffentliche Hand. Ihre Auftraggeber sind Verteidigungs- und Justizministerien, Logistikfirmen, Kommunen, Gesundheitsbehörden, Sozialämter. Zu ihren größten Aktionären gehörten Ende 2022 die US-Investmentfirmen Black Rock, Fidelity International in Luxemburg sowie Slater Investments in London.

Keine höheren Kosten durch Finanzinvestoren

Trotz der stark auf Rendite ausgerichteten Unternehmenspolitik von Serco befürchtet die Landesdirektion Sachsen keine höheren Kosten. „Die Leistungen und deren Vergütung sind in dem zwischen der Landesdirektion und EHC bestehenden, unverändert gültigen Betreibervertrag klar geregelt“, teilte Behördensprecherin Valerie Eckl auf Anfrage mit. Ähnlich äußerte sich die Stadt Leipzig. Sie kalkuliert in diesem Jahr mit gut acht Millionen Euro für ihre dann neun EHC-Standorte.

Die Kosten für die Erstaufnahme von Flüchtlingen waren in Sachsen bereits im vorigen Jahr deutlich gestiegen. Eckl zufolge hatte die Landesregierung dafür ursprünglich 79,65 Millionen Euro eingeplant. „Die tatsächlichen Ausgaben lagen im Jahr 2023 bei insgesamt rund 132 Millionen Euro“, schreibt Eckl. Für dieses Jahr seien 71,45 Millionen Euro veranschlagt.

Die Kapazität von rund 8.300 Plätzen in den 17 Erstaufnahmeeinrichtungen in Chemnitz, Dresden und Leipzig soll Eckl zufolge nicht verändert werden. Die Behörde habe jedoch damit begonnen, „einzelne temporäre Notkapazitäten vorläufig außer Betrieb zu nehmen“. Sie würden „ganz überwiegend“ weiter vorgehalten, „um bei steigendem Unterbringungsbedarf kurzfristig wieder in Betrieb genommen zu werden“.

EHC soll 40 Millionen Euro gekostet haben

EHC gehörte bislang einer Stiftung der Familie Korte in Essen. Der Verkaufspreis war im vergangenen Dezember von Serco auf voraussichtlich 40 Millionen Euro beziffert worden. Den Umsatz von EHC gaben die Briten in einer Mitteilung mit rund 175 Millionen Euro an. Die Essener beschäftigten demnach 2.000 Menschen, betreuen mehr als 100 Asylheime mit insgesamt rund 36.000 Plätzen.

Die im britischen Hampshire ansässige Serco Group ist an der Börse notiert. Sie machte nach eigenen Angaben 2023 umgerechnet rund 5,6 Milliarden Euro Umsatz. Das Betriebsergebnis bezifferte die Briten auf gut 304 Millionen Euro. Serco zufolge gibt es „weltweit komplexe und wachsende Anforderungen an die Unterstützung von Einwanderern und Asylbewerbern, und wir haben eine starke Erfolgsbilanz bei der Bereitstellung hoher Dienstleistungsstandards“.

Der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) brandmarkte Serco in einer Presseerklärung als „Rüstungskonzern, Gefängnisbetreiber, Kriegslogistiker“. SFR-Sprecher Osman Oğuz vermutet hinter dem Deal ein „florierendes Geschäft“. Serco arbeite an der Schaffung von Fluchtursachen durch Kriege, dann beteilige man sich am Einfangen und Abschieben von Geflüchteten an den Grenzen und schließlich betreibe man die Unterkünfte für Geflüchtete. „In jedem Schritt im staatlichen Auftrag.“


PM: Rüstungskonzern, (Insel-)Gefängnisbetreiber, Kriegslogistiker: Serco übernimmt Asylunterkünfte der European Homecare GmbH – auch in Sachsen

PM: Rüstungskonzern, (Insel-)Gefängnisbetreiber, Kriegslogistiker: Serco übernimmt Asylunterkünfte der European Homecare GmbH – auch in Sachsen

Nach eigenen Angaben und Medienberichten wurde die „European Homecare GmbH“ (mit bundesweit 120 Einrichtungen) von dem transnationalen Unternehmen „Serco„ übernommen: Für 40 Millionen Euro. Serco übernimmt im Auftrag verschiedener Staaten wie Großbritannien, USA oder Australien Aufträge in Bereichen wie Bau und Betrieb von (Abschiebe-)Gefängnissen und Asylunterkünften, Produktion und Management von Verteidigungstechnik, Entwicklung von Logistik und Management in Kriegsgebieten (u.a. im Nahen Osten). Darüber hinaus ist das Unternehmen im Rüstungssektor tätig und an der Entwicklung, Produktion und Wartung von Atomwaffen beteiligt. In einer Liste der 100 größten Rüstungskonzerne rangiert das Unternehmen auf Platz 62.

Die “Erfolge” des Unternehmens

Das Unternehmen, das einer der Hauptakteure in der katastrophalen Flüchtlingspolitik Großbritanniens ist, betreibt auch im Auftrag des australischen Staates Inselgefängnisse für Geflüchtete im Pazifik, aus denen seit Jahren über Misshandlungen berichtet wird. Ärzt*innen und Sozialarbeiter*innen meldeten Fälle von sexueller Belästigung, nahezu endemischen Depressionskrankheiten und regelmäßigen Suizidversuchen. Ein Gesetz bedroht Lagerangestellte, die diese Missstände öffentlich machen, mit bis zu zwei Jahren Haft. Dennoch wurden die Menschenrechtsverletzungen unter anderem von Amnesty International und Human Rights Watch thematisiert. Das Unternehmen ist auch dafür bekannt, mittellose Geflüchtete für symbolische Löhne in den Lagern arbeiten zu lassen: In Großbritannien sparte das Unternehmen so in einem Jahr 3 Millionen Pfund.

Hogir ist in ihrem Camp gestorben

In Deutschland macht Serco durch die Übernahme von European Homecare GmbH nicht zum ersten Mal auf sich aufmerksam: Hinter dem von Serco betriebenen Flüchtlingslager in Kusel (bei Kaiserslautern) wurde die Leiche des 25-jährigen kurdischen Geflüchteten Hogir A. aus der Türkei erhängt aufgefunden. Der Tod von Hogir A. brachte zahlreiche Misshandlungen von Asylbewerber*innen ins Licht der Öffentlichkeit.

Es war schlimm, jetzt wird Schlimmeres befürchtet

Ohnehin gibt es zahlreiche Berichte über Missstände in den Einrichtungen der European Homecare GmbH, die nach dem gleichen Profitprinzip arbeitet wie Serco. In einem der Lager des Unternehmens in der Bremer Str./Dresden, das nun ebenfalls von Serco übernommen wird, herrschen beispielsweise seit Jahren menschenunwürdige Zustände:

Bewohner*innen berichten von restriktivem Verhalten des Sicherheits- und Betreuungspersonals, schlechter Qualität aller Lebensmaterialien, räumlicher Enge und mangelnder Privatsphäre und Hygiene. In welche Richtung sich die Verhältnisse durch die Übernahme von Serco entwickeln werden, ist angesichts der bisherigen internationalen Praxis des Unternehmens beunruhigend absehbar.

Ein florierendes Geschäft

„Das alles klingt nach einem florierenden Geschäft“, kommentiert Osman Oğuz vom Sächsischen Flüchtlingsrat die Übernahme durch Serco und fährt fort: „Zuerst arbeiten sie an der Schaffung von Fluchtursachen durch Kriege, dann beteiligen sie sich am Einfangen und Abschieben von Geflüchteten an den Grenzen und schließlich betreiben sie die Unterkünfte für Geflüchtete – in jedem Schritt im staatlichen Auftrag. Dabei machen sie einen Jahresumsatz von 4,5 Milliarden Dollar. Doch in ihren Lagern herrschen meist elende Zustände. Das Prinzip heißt Profitmaximierung, also je weniger für die Menschen, desto mehr Profit für das Unternehmen. Was sie den ‚Markt der Migrationssicherheit‘ nennen, ist eines der dreckigsten Geschäfte unserer Zeit.“

Faschistische Träume in Erfüllung

Oğuz bezeichnet das Ausmaß der Entwicklung dieses „Marktes“ seit Beginn der 2000er Jahre als „erschreckend“ und sagt: „Was in diesem weit verzweigten Geschäft ‚gemanagt‘ und mit dem Ziel billigster Effizienz umgesetzt wird, entspricht vielen faschistischen Träumen von Internierung, Vertreibung und Ausbeutung. Ganz im Sinne des Zeitgeistes: nach der Logik eines neoliberalen, transnationalen Unternehmens.”

Milliardengewinne mit Leid und Rechtsbruch

Durch die Übernahme verfügt das Unternehmen Serco nun auch in Sachsen über zahlreiche Einrichtungen, in denen Geflüchtete untergebracht werden. Ob das Unternehmen weitere Investitionen tätigen und expandieren wird, ist derzeit unklar. Es wird befürchtet, dass künftig auch die Abschiebehaft in Dresden von der Firma übernommen wird. Toni Kreischen von der Abschiebehaftkontaktgruppe betont, dass die Haftbedingungen schon jetzt freiheitsberaubend, rechtswidrig und traumatisierend sind und fügt hinzu: „Es ist grotesk, wie große internationale Konzerne mit Leid und Rechtsbruch Milliardengewinne machen – übrigens ist das meiste davon mit Steuern bezahlt.“