Auslieferungsandrohung treibt Menschen in den Untergrund
Drohende Auslieferung von Antifaschist_innen nach Ungarn Angesichts des laufenden Auslieferungsverfahrens gegen einen jungen Menschen, dem die Beteiligung an Angriffen auf Neonazis in Budapest im Februar 2023 vorgeworfen wird, und angesichts der mit erheblichem Aufwand betriebenen Fahndung nach weiteren Beschuldigten sehen wir uns als Verteidiger_innen gezwungen, uns an die Öffentlichkeit zu wenden.
Initiiert durch das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen, wird seit dem vergangenen Sommer die sensationslüsterne Meldung verbreitet, mehr als 20 Linksextremisten seien zurzeit untergetaucht, es bestehe eine aus dem Untergrund agierende Gruppe, die aus der antifaschistischen Bewegung unterstützt werde. Die Aktionsformen dieser Gruppe hätten sich radikalisiert, es sei nicht auszuschließen, dass Menschen zu Tode kämen. Eine Öffentlichkeitsfahndung durch das sächsische LKA läuft.
Ganz davon abgesehen, dass es in keinem der bislang bekannten Fälle zu einem gezielten Tötungsversuch gegen angegriffene Nazis gekommen ist, zeigen diese offensichtlich immer wieder lancierten Meldungen, dass es den sächsischen Strafverfolgern in erster Linie darum geht, ein falsches Bild von angeblich aus dem Untergrund agierenden Antifaschist_innen zu zeichnen und damit gleichzeitig legal arbeitende antifaschistische Gruppen als „Unterstützersumpf“ zu kriminalisieren. Dass dabei auch immer wieder eine mögliche neue RAF heraufbeschworen wird, rundet dieses Bild ab. Das Ziel ist offensichtlich, eine antifaschistische „Terrorzelle“ zu propagieren und damit Repressions- und Ermittlungsmöglichkeiten gegen die gesamte linksradikale Bewegung als mutmaßliche „Unterstützer“ zu legitimieren.
Hintergrund: Im Februar 2023 wurden am Rande einer nationalsozialistischen Gedenkfeierlichkeit in Budapest mehrere Neonazis angegriffen und verletzt. Die ungarische Polizei nahm mehrere Personen fest. Zunächst wurden drei Personen in Untersuchungshaft genommen. Die festgenommene ungarische Staatsbürgerin musste nach einiger Zeit freigelassen werden, weil es keinerlei belastende Indizien gegen sie gibt. Eine italienische Staatsbürgerin sowie ein deutscher Staatsbürger sitzen seitdem in Ungarn in Untersuchungshaft. Gegen eine größere Anzahl weiterer Personen wird sowohl in Deutschland als auch in Ungarn wegen der Taten in Budapest ermittelt und es liegen von Ungarn ausgestellte Europäische Haftbefehle gegen diese Personen vor. Zurzeit sitzen in Italien und in Deutschland (Dresden) jeweils ein_e Antifaschist_in in Auslieferungshaft, die nationalen Gerichte, hier das Berliner Kammergericht, müssen entscheiden, ob eine Auslieferung nach Ungarn zulässig ist.
Die Staatsanwaltschaft in Budapest und das Landeskriminalamt Sachsen entwerfen in ihren Ermittlungen eine wilde Konstruktion: die angebliche kriminelle Vereinigung um Lina E. sei verantwortlich für die Angriffe in Budapest. Konkrete Beweise für die Begehung der vorgeworfenen Taten durch eine kriminelle Vereinigung wurden bislang nicht vorgelegt, obwohl der erste Prozess in Ungarn bereits Ende Januar beginnen soll. Die mageren Ermittlungsergebnisse, die der Verteidigung der Beschuldigten vorgelegt wurden, geben wenig her. Unter rechtsstaatlichen Bedingungen könnte einem Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung gelassen entgegengesehen werden.
Zwischenzeitlich hatte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Dezember an Angehörige von in diesem Zusammenhang gesuchten Personen gewandt und eine „Vermittlung“ angeboten. Der Verteidiger einer gesuchten Person nahm daraufhin Kontakt auf und fragte nach, welche Art von Unterstützung durch das BfV erfolgen könnte, machte aber auch klar, dass eine Zusammenarbeit, ein Geständnis oder gar eine Kooperation der Gesuchten nicht in Frage käme. Das BfV nahm daher zur Generalstaatsanwaltschaft Dresden Kontakt auf und versuchte einen Deal – Zusicherung der Verweigerung der Auslieferung nach Ungarn gegen Stellung in Deutschland – anzuregen. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat hierauf bislang nicht reagiert und betreibt weiter das Auslieferungsverfahren, obwohl sie das Verfahren in Dresden führen und aus diesem Grunde die Auslieferung ablehnen könnte.
Das ungarische Justizsystem entspricht nicht rechtsstaatlichen Standards. Einfachste rechtsstaatliche Selbstverständlichkeiten werden in Ungarn nicht eingehalten, die Untersuchungshaft kann beinahe nach Belieben ausgedehnt werden und die Haftbedingungen verstoßen eklatant gegen menschenrechtliche Standards. Dies führte in anderen Fällen dazu, dass deutsche Oberlandesgerichte die Auslieferung nach Ungarn verweigerten. Die ungarische Justiz zeigt mit ihrem Vorgehen gegen die beiden seit Februar 2023, also seit einem Jahr, in Untersuchungshaft sitzenden Antifaschist_innen, dass hier eine rein politische Strafverfolgung vorliegt. Ihnen wurden von der ungarischen Staatsanwaltschaft Haftstrafen zwischen 3,5 und 11 Jahren angedroht. Ein politisch motiviertes Strafverfahren gegen Antifaschist_innen entspricht der ungarischen Regierungspolitik. Eine Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren haben unsere Mandant_innen in Ungarn nicht.
Es darf keine Auslieferungen an das autoritäre Ungarn geben!
Wir fordern die zuständigen Generalstaatsanwaltschaften Dresden und Berlin auf, einer Auslieferung nach Ungarn eine dauerhafte und verlässliche Absage zu erteilen und das Strafverfahren in Deutschland zu führen!
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