Gedanken zur Demo am 1. Mai

Gedanken zur Demo am 1. Mai

 

Was war da los bei der Demo „Gemeinsam als Klasse kämpfen“, welche am 1. Mai vom Südplatz startete. In diesem Beitrag finden sich subjektive Einschätzungen und Gedanken zur Spektren-übergreifenden Demo und ihren Widersprüchen aus einer anarchistischen Perspektive. Im antiautoritären Block wurde der inhaltliche Schwerpunkt auf die Verbindung von sozialen Kämpfen gelegt, deren Bedingungen von Kapitalismus, Klassengesellschaft und Lohnarbeit stark mitbestimmt werden. Dass so viele Personen dem Aufruf folgten war angesichts vorheriger Unstimmigkeiten eine ziemliche Überraschung.

 

Ein erster Mai der vielen Positionen

In einem Statement hatte die Orgagruppe der A-Tage Überlegungen und eigene Positionen „Für einen ersten Mai der es in sich hat“ formuliert. Damit unterstützten sie die Jugendgruppe Aale, welche zum antiautoritären Block[¹] aufgerufen hatte. Auch Fridays for Future[²] geriet in dieses Spektakel und den Verdacht, sich im Vorfeld nicht ausreichend Gedanken gemacht zu haben, wo, wie und wozu sich an der spektren-übergreifenden Demo „Gemeinsam als Klasse kämpfen!“ vom Südplatz beteiligen. Klarere Positionen bezogen einerseits das Rojava-Solibündnis, welches sich mit Abya Yala im Internationalistischen Block organisierte und kontinuierlich zu diesem „Bündnis“ stand. Andererseits sprach sich ein anarchistischer Zusammenhang explizit gegen eine Beteiligung daran aus aussprach und organisierte stattdessen am 30.04. eine kleine, aber gehaltvolle Demo für einen 6-Stundentag. Darüber hinaus, gab es auch anarchistische Positionen, welche die politische Selbstbespaßung nochmals grundlegender kritisierten und ein „Ende der Lohnarbeit“ proklamierten und außerdem solche, die sich auch an diesem Tag ganz dem antifaschistischen Gegenprotest unter dem Motto „1. Mai Nazifrei“[³] auf dem Augustusplatz widmeten. Vom FAU-Syndikat Leipzig war in Bezug auf den 1. Mai, welcher explizit mit anarcho-syndikalistischen Gruppierungen und Kämpfen verbunden ist, nichts zu hören.

Somit ist festzustellen, dass es in Hinblick auf Aktivitäten zum 1. Mai und der Frage der Beteiligung an der besagten Demo mindestens sechs Positionen aus dem anarchistischen Spektrum gab. Diese reichten von der kontinuierlichen Beteiligung in internationalistischen Gruppen, über die vermittelnde Unterstützung des antiautoritären Blocks von Aale, hin zur Organisierung einer eigenen Demo, dem Fokus auf antifaschistischen Gegenprotest, einer Fundamentalkritik bis zur völlig Ignoranz des Geschehens. Diese Pluralität innerhalb des anarchistischen Lagers ist freilich nichts Neues. Keineswegs ist sie per se problematisch, sondern kann zu einem fruchtbaren Diskussionsprozess und zur Förderung unterschiedlicher Aktivitäten beitragen. Zugleich ist das damit verbundene Durcheinander, welches sich in einigen hitzigen Debatten im unmittelbaren Vorfeld zeigte, Ausdruck davon, dass bestimmte Diskussionen in unserer Szene nicht ausreichend geführt wurden. Dies betrifft nicht allein Anarchist*innen, sondern verschiedene Gruppen, die mit ihnen indirekt verbunden sind bzw. zeitweilig zusammenarbeiten.

Umso überraschender war es, dass die Demo viele hundert Personen angezogen hat. Unter den bis zu 1700 Teilnehmenden schlossen sich zahlreiche Leute dem antiautoritären Block an, welcher zwischendurch über 800 Personen gezählt haben dürfte. Wie in einem Zwischenstand angekündigt wurde, wurde das Konzept verfolgt, durch eine Moderation in Abständen knappe inhaltliche Beiträge aus einer antiautoritären / autonomen / anarchistischen Sicht vorzutragen. Zugleich kamen aus der Demo selbst heraus zahlreiche Rufe, in denen unterschiedliche Themen zur Sprache kamen, etwa Klassenkampf, Feminismus, Klimagerechtigkeit, Antirassismus und Antifaschismus. Ebenso wurde eine Kritik an einer selbst proklamierten Avantgarde artikuliert, die mit ihren roten Fahnen in der Mitte der Demo lief. Die von den Gruppen des „sozialistischen Blocks“ angestrebte gemeinsame Demo fand also statt, offenbarte aber sowohl in den Diskussionen zuvor, als auch in der praktischen Durchführung mehr Differenzen, als Gemeinsamkeiten.

 

Kritik des autoritären Kommunismus

Zu betonen ist, dass sich die Unterschiede nicht anhand der Schwerpunktsetzung verschiedener Gruppen auf sogenannte „klassenkämpferische“ Perspektiven festmachen. Ein Strich sollte allerdings dort gezogen werden, wo offen geschichtsrevisionistische Positionen vertreten werden – wie bei der KO – oder es Gruppen um die instrumentelle Verbreitung ihrer eigenen Führungs- und Wahrheitsansprüche geht – z.B. dem „Kommunistischen Aufbau“. Eine Auseinandersetzung mit diesen Gruppen darf nicht die Form einer Identitäts-bezogenen Abgrenzung annehmen, sondern muss inhaltlich und anhand des konkreten Verhaltens festgemacht werden. Solches haben wir in den letzten Jahren auch kontinuierlich beobachten könnten. Offene DDR-Verherrlichung, beispielsweise bei Veranstaltungen bei dem Globale Filmfestival, Relativierung des russischen Angriffskrieges, verkürzte Verständnisse von Kapitalismus, Faschismus und Patriarchat, verbunden mit einem Nebenwiderspruchsdenken, widerliches Label-Dropping bei dem Hanau-Gedenken – all diese Positionierungen sind keine Kavaliersdelikte, sondern Folgen anti-emanzipatorischer und autoritärer Tendenzen in bestimmten Strömungen der gesellschaftlichen Linken. Dass autoritär-kommunistische Gruppierungen in den letzten Jahren wieder Zulauf erhalten ist auch der relativen inhaltlichen und organisatorischen Schwäche anarchistischer Zusammenhänge geschuldet. Weiterhin zeig sich dadurch, dass es kontinuierlicher Bewusstseinsbildung und gemeinsamer Debatten bedarf, trifft aber auch einen Zeitgeist, in welchem nach Orientierung für sozial-revolutionäre Sehnsüchte und Bestrebungen gesucht wird.

Von einer gezielten Sabotage der kommunistischen Gruppierungen durch Beteiligten des antiautoritären Blocks kann dennoch nicht die Rede sein. Die inhaltliche Abgrenzung der Moderation vom sogenannten „sozialistischen Block“ wurde kritisiert – kann umgekehrt aber ebenso als fauler Kompromiss gewertet werden. Sowohl die Startkundgebung, als auch die Abschlussveranstaltung im Rabet waren durch ihr Programm und ihre Sichtweisen geprägt und dominiert und wurden nicht gestört. Zur Auftaktkundgebung wurde ein Redebeitrag für den antiautoritären Block gehalten. Zum Ende kritisierte ein Mensch von FFF die Positionierungen bestimmter kommunistischer Gruppen.

 

Eigene Formen finden und bewusst einsetzen

Dass Einzelpersonen und Gruppen aus dem anarchistischen Spektrum wenig Lust verspürten, sich an der Organisation einer gemeinsamen Demo zum 1. Mai zu beteiligen, ist vor diesem Hintergrund verständlich. Zur Frage, was für anarchistische Anliegen dabei zu gewinnen ist, gibt es unterschiedliche Ansichten, weswegen diese zumindest offen gestellt werden muss. An dieser Stelle kann nur festgehalten werden, dass der nächste 1. Mai sicherlich anders verlaufen wird. Spaltung als Selbstzweck zu verstehen – wie es einige Anarchist*innen zu tun scheinen – ist hingegen ebenfalls problematisch, dient dies doch vor allem zur Bestätigung der eigenen Exklusivität durch Pseudo-Radikalität.

Andere Formen auszuprobieren – und damit auch festgefahrene Szene-Codes und Rituale zu hinterfragen – wie es zu einem gewissen Grad mit der 6-Stunden-Tags-Demo am 30.04. versucht wurde, ist gewinnbringend. Zugleich sollte in ihnen auf konkrete Lebenssituationen von ausgebeuteten und unterdrückten Menschen Bezug genommen werden und sollten diese selbst zu Wort kommen.

Der Zulauf, welchen der antiautoritäre Block auf der Demo am 1. Mai erhalten hat, verdeutlicht auch, dass viele Personen das Bedürfnis verspüren, an diesem Tag auf die Straße zu gehen. Jenes muss nicht krampfhaft, aus einem problematischen Verpflichtungsgefühl oder in einem Dienstleistungsverständnis heraus bedient werden. Es kann hingegen als Potenzial verstanden werden, diesem Tag Bedeutung zu verleihen, ihn inhaltlich und aktionistisch auszugestalten. Erarbeitete Vorschläge, ein vorgeschlagener Rahmen und vorbereitete Aktionsformen können helfen einen Raum zu schaffen, welcher ermächtigend und bestärkend wirkt, damit Beteiligte ihre eigenen Vorstellungen umsetzen können. So lässt sich eine lebendige und dynamische Demo ermöglichen, die von Vielen mitgestaltet wird und deren Ziel nicht primär darin besteht, Leute zu zählen und sich selbst zu vergewissern, sondern rebellische Leidenschaften ausdrücken kann. Dies kann sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Deswegen wäre es wichtig, mit dem Konservatismus zu brechen, mit welchem einige Menschen sich auf den Stil des schwarzen Blocks beschränken. Gerade um diesen als sinnvolle Taktik unter verschiedenen anderen zu begreifen, die im Zusammenhang mit dem Ausdruck stehen sollten, welcher für ein bestimmtes Ereignis sinnvollerweise gesucht werden kann. Dies muss weder einheitlich sein noch kann es dazu abschließende Ansichten geben. Vielmehr braucht ese mehr auch im anarchistischen Lager kollektive Diskussionsprozesse darüber – intern als auch öffentlich.

 

Noch ein paar Worte zum Antifaschismus

Zurückzuweisen ist ebenfalls die Vorstellung, eigenständige Demonstrationen und sonstige Beiträge zum 1. Mai müssten per se dem Antifaschismus untergeordnet werden. Wer dies tut, hat das Wesen des Faschismus als Folge einer krisenhaften staatlich-kapitalistischen Gesellschaftsform nicht verstanden und kann diesen daher nicht an der Wurzel bekämpfen. Im Faschismus spitzt sich in seinen verschiedenen Ausprägungen alles zu, gegen das sich Anarchist*innen grundlegend richten: die Totalität im staatlichen Herrschaftsanspruchs, die Grausamkeit des Kapitals, die Gewalt und Ausgrenzung von Patriarchat und weißer Vorherrschaft, die Zerstörung der nicht-menschlichen Lebenswelt. Deswegen gilt es ihm weiterhin die konsequente Feindschaft zu erklären.

Der verkürzte Staats-Antifaschismus, welcher im letzten Jahrzehnt groß geworden ist, hat seine Berechtigung und stellt eine pure Notwendigkeit in der Situation der Schwäche einer emanzipatorischen und radikalen Linken dar. Wer dies ignoriert oder verleugnet sollte sich mit den Verhältnissen z.B. in sächsischen Kleinstädten beschäftigen. Antifaschismus darf aber nicht Selbstzweck bleiben oder gar zur Bestätigung bürgerlicher Politik dienen, wie es immer wieder geschehen ist. Die Organisation einer eigenständigen anarchistischen Demo zum 1. Mai ermöglicht dahingehend mehr Spielraum, um antifaschistisches Engagement in Leipzig oder anderen Städten mit eigener Positionierung zu verbinden.

Die Dynamik im antiautoritären Block hielt es dabei offen und ließ es zu, dass sich alle die wollten am Augustusplatz den Schwurbel-Nazis entgegenstellen konnten. Zugleich war für die Organisator*innen wichtig, ihre eigenen Anliegen vorzubringen und mit der gemeinsamen Demo weiterzugehen. Die eigenen Inhalte sollten nicht im Antifaschismus untergehen und diesem untergeordnet werden.

 

vorläufiges Fazit

Angesichts dessen, dass innerhalb kürzester Zeit drei Zusammenhänge – Aale, Orgagruppe der A-Tage und FFF – in die Beteiligung an der von autoritär-kommunistischen Gruppen dominierten Demonstrationen hineingeraten sind, erscheint dieses Ereignis als ziemlicher Erfolg. Vielleicht ist hierbei von mehr Glück als Verstand zu sprechen, vielleicht von Zufall. Wohlwollender ließe sich sagen, dass es offenbar doch einige tendenziell anarchistische Zusammenhänge gibt, welche auch spontan handlungsfähig sind. Man stelle sich vor, welchen Erfolg eine solche Aktion haben würde, wenn sie etwas bewusster gestaltet und vorbereitet worden wäre!

Der hauptsächliche Gewinn der Demo lag nicht im schwachen Medienecho. Für die Symbolpolitik hat es insofern nicht gereicht. Umso besser, denn das Zusammenkommen war zumindest für einige hundert Leute wichtig, welche sich begegneten und ihre Ansichten auf die Straße trugen. Dass es ein breit vorhandenes Bedürfnis gibt, am 1. Mai zu demonstrieren hat die Anzahl der Teilnehmenden gezeigt. Praktischerweise ließ sich die Demo (ungeplant) auch als Zubringer für den antifaschistischen Protest am Augustusplatz verbinden.

Wie erwähnt sollte vor dem 1. Mai nächsten Jahres ein ausgiebiger Diskussionsprozess stattfinden, um die verschiedenen anarchistischen Positionen zumindest bewusst zu machen und zu vermitteln, wo es sinnvoll erscheint. Gegebenenfalls sollte über eine eigenständige anarchistische Demo nachgedacht werden. Auch eine Beteiligung an einer Spektren-übergreifenden Demo oder deren Mitorganisation sollte nicht ausgeschlossen werden. Dies setzt jedoch voraus, klar Grenzen zu ziehen, sowie die eigenen Inhalte und Positionen deutlicher zu formulieren und zu kommunizieren. Hierbei sollte die Kritik am Kapitalismus als ökonomischem und am Staat als politischem Herrschaftsverhältnis anhand von Beispielen konkretisiert werden. Darauf aufbauend hinaus kann auch über Demonstrationen hinaus gedacht werden.

[¹] https://www.instagram.com/p/CrsbDVIIAJJ/?hl=de

[²] https://www.instagram.com/p/CrlRrgnoE1o/?hl=de

[³] https://platznehmen.de/2023/04/26/1-mai-in-leipzig-nazifrei/