Harte Linie – oder nicht? Artikelsammlung zur Entwicklung von Sachsens null Toleranz bei Kleinkriminalität

Harte Linie – oder nicht? Sachsens Innenminister fordert null Toleranz auch bei Kleinkriminalität

lvz 16.1.2023, Andreas Debsky

 

Sachsens CDU-Innenminister stellt sich gegen seine grüne Kabinettskollegin aus dem Justizressort: Auch bei sogenannten Bagatellfällen müsse null Toleranz herrschen. Die Polizeigewerkschaft unterstützt die harte Linie.

In der sächsischen Landesregierung ist eine Auseinandersetzung über das richtige Vorgehen gegen Kleinkriminalität entbrannt. Innenminister Armin Schuster (CDU) fordert, dass der Freistaat bei seiner Null-Toleranz-Strategie bleiben müsse. Hintergrund ist eine neue Richtlinie für die Staatsanwaltschaften: Seit Jahresbeginn ist der Ermessensspielraum für sogenannte Bagatelldelikte ausgeweitet worden – damit soll bei den ausgesprochenen Strafen nicht mehr ganz so hart durchgegriffen werden.

Innenminister warnt vor „nachlässigem Auftreten des Staates“

„Ein nachlässiges Auftreten des Staates bei der Strafverfolgung etwa beim Schwarzfahren, Graffiti, kleineren Diebstahl- oder Betäubungsmitteldelikten erzeugt eine Respektlosigkeit gegenüber staatlichen Institutionen“, erklärt Schuster gegenüber der LVZ, „diese Respektlosigkeit haben wir zu Silvester leider vielerorts ganz deutlich sehen können“. Deshalb dürfe es in der Strafverfolgung keine neue Milde anstatt null Toleranz geben. Gleichzeitig versichert der Innenminister: „Die sächsische Polizei verfolgt diese Straftaten weiterhin konsequent.“

Null-Toleranz-Strategie war 2019 eingeführt worden

Zum Jahreswechsel war in Sachsen ein im Koalitionsvertrag vereinbarter Kurswechsel vollzogen worden. Die Generalstaatsanwaltschaft und Vertreter der Staatsanwaltschaften hatten sich unter anderem auf neue Schwellenwerte verständigt, bei denen Ermittlungen wegen Geringfügigkeit oder mangelnden öffentlichen Interesses eingestellt werden. Die Grenzen liegen nun bei 25 Euro statt den 10 Euro, die seit 2019 gegolten hatten. Laut früheren Angaben des Justizministeriums hatten aufgrund der Null-Toleranz-Strategie etwa 10.000 Verfahren pro Jahr weitergeführt werden müssen, die ansonsten eingestellt worden wären.

Justizministerin: Plakative Strafen führen nicht weiter

„Plakative Straferhöhungen führen nicht weiter“, begründet Justizministerin Katja Meier (Grüne) die neue Linie und spricht von „ausreichend Raum für gerechte Entscheidungen im Einzelfall“. Aus der kriminologischen Forschung sei bekannt, „dass insbesondere in den Bereichen der Kleinkriminalität aber auch der Suchtkriminalität durch eine vermeintlich strenge Praxis kein positiver Effekt erzielt wird, im Gegenteil“. Die Ministerin betont zudem: „Strafe darf kein Gegenstand politischer Richtungsentscheidungen sein“.

Freistaat hatte bislang auf abschreckende Wirkung gesetzt

Auch der Besitz eines Joints oder eines Tütchens Cannabis, das erkennbar für den Eigenverbrauch gedacht ist, kann nun wieder unter die Geringfügigkeit fallen. Das Gleiche gilt für kleinere Schlägereien. Daneben ist die – als Abschreckung nicht nur bei Verkehrsdelikten gedachte – Beantragung von Fahrverboten eingeengt werden. Die neuen Richtlinien orientieren sich laut Justizministerium an den Regelungen anderer Bundesländer. Zudem können Ermittlungs- oder Strafverfahren „ohne klassische Strafe“ beigelegt werden, etwa durch einen Täter-Opfer-Ausgleich.

CDU-Rechtsexperte fordert „frühzeitige Stoppsignale“

Der CDU-Rechtsexperte Martin Modschiedler warnt hingegen vor den Folgen: „Oft sind es eben die Bagatelldelikte, die am Anfang krimineller Karrieren stehen. Es braucht frühzeitig Stoppsignale und die Gewissheit, dass Vergehen schnell und konsequent geahndet werden.“ Der Null-Toleranz-Strategie der vergangenen Jahre sei es zu verdanken, dass in Sachsen keine „Berliner Verhältnisse“ herrschten. Deshalb müsse diese Linie weiterhin gelten, verlangt Modschiedler: „Wir erleben zunehmend, dass der Respekt vor Polizei und Justiz schwindet“.

Kleinkriminalität ist in den vergangenen Jahren gesunken

Eine Statistik des Innenministeriums belegt den Rückgang von Kleinkriminalität, die zu den sogenannten Bagatellen zählen. So sind die Fälle der registrierten Schwarzfahrten seit 2017 um 16,8 Prozent auf 10.400 zurückgegangen. Bei Ladendiebstahl sind es 37,5 Prozent auf 13.400. Sachbeschädigungen sanken im gleichen Zeitraum um sieben Prozent auf rund 30.000 Fälle, wovon Graffiti etwa 4000 Verfahren (minus 30,9 Prozent) ausmachten. Auch im Bereich der einfachen Körperverletzungen verzeichnete das Innenministerium einen Rückgang: um 10,2 Prozent auf 13.200 Straftaten im Jahr 2021. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor, da die Kriminalitätsstatistik für 2022 noch erstellt wird.

Polizei-Gewerkschaft hält neue Milde für „falsches Signal“

In diesem Zusammenhang spricht die Deutsche Polizei-Gewerkschaft (DPolG) von einem „falschen Signal“, das von der neuen Richtlinie zur Strafbemessung ausgehe. „Es darf keine Verharmlosung geben. Damit wird die Arbeit von Polizei und Justiz letztlich zur Katz gemacht“, kritisiert Sachsens DPolG-Vorsitzende Cathleen Martin. Die langjährige Erfahrung besage, dass sogenannte Bagatellen nicht selten der Einstieg zu größeren Straftaten seien. „Unsere Kollegen kämpfen immer wieder mit Fällen, bei denen in der Vergangenheit häufig beide Augen zugedrückt wurden. Deshalb sollte gezeigt werden, dass es eben keine Toleranz geben darf – für welche Tat auch immer“, fordert Martin.

Innenministerium will an „konsequenter Linie“ festhalten

Das Innenministerium macht gegenüber der LVZ wiederum klar, dass es sich bei der neuen Justiz-Richtlinie um „ein internes Arbeitsmittel der Staatsanwaltschaften“ zur Strafbemessung handele. Die Polizei werde weiterhin ihre konsequente Linie verfolgen und Ermittlungen einleiten. Ob und zu welchen Strafen es kommt, liege dann in der Hand der Justiz. Gleichzeitig verweist das Innenministerium auf eine seit vielen Jahren bestehende Vereinbarung mit dem Justizministerium, „um eine wirkungsvolle Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches zur Respektierung der Rechtsordnung“ zu gewährleisten.


Diebstahl, Schwarzfahren, Drogen – Neue Milde in der Strafverfolgung: Sachsen verabschiedet sich von Null-Toleranz-Strategie

Mit der Null-Toleranz-Strategie ist jetzt Schluss: Sachsen weicht bei der Strafverfolgung sogenannter Bagatelldelikte von seiner harten Linie ab – stattdessen soll eine neue Milde einziehen. Aber nicht in allen Bereichen.

In Sachsen gilt ab sofort ein neuer Kurs in der Strafverfolgung: Nach knapp vier Jahren Null-Toleranz-Politik, bei der auch geringfügige Vergehen nicht eingestellt werden durften, soll künftig bei sogenannten Bagatelldelikten nicht mehr ganz so hart durchgegriffen werden. Darauf haben sich die Generalstaatsanwaltschaft und die Vertreter der Staatsanwaltschaften in einer gemeinsamen Richtlinie geeinigt. „Plakative Straferhöhungen führen nicht weiter“, begründet Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) die Kehrtwende und spricht von „ausreichend Raum für gerechte Entscheidungen im Einzelfall“.

Schadenschwelle wird auf 25 Euro pro Fall angehoben

Von dem Kurswechsel sind konkret sogenannte Bagatelldelikte wie Diebstahl, Schwarzfahren, kleinere Schlägereien, Besitz von geringen Mengen an Drogen und Sachbeschädigungen wie Graffiti betroffen. In solchen Fällen soll eher Milde walten. „Aus der kriminologischen Forschung wissen wir, dass insbesondere in den Bereichen der Kleinkriminalität aber auch der Suchtkriminalität durch vermeintlich strenge Praxis kein positiver Effekt erzielt wird, im Gegenteil“, hatte Meier schon früher betont.

Dagegen hatte ihr Amtsvorgänger Sebastian Gemkow (CDU) im Jahr 2019 die Schwelle auf zehn Euro Schaden senken lassen. Damit sollte verhindert werden, dass viele Ermittlungen wegen Geringfügigkeit oder mangelnden öffentlichen Interesses eingestellt werden. Deshalb mussten die Staatsanwaltschaften rund 10.000 Verfahren pro Jahr weiterführen. Zudem waren damals auch die Möglichkeiten, als Strafe einen Führerscheinentzug auszusprechen, ausgedehnt worden.

Verfahren können auch „ohne klassische Strafe“ enden

Als neue Untergrenze gelten nun 25 Euro Schaden. Auch der Besitz eines Joints oder eines Tütchens Cannabis, das erkennbar für den Eigenverbrauch gedacht ist, können laut LVZ-Informationen wieder unter die Geringfügigkeit fallen. Daneben soll die – als Abschreckung nicht nur bei Verkehrsdelikten gedachte – Beantragung von Fahrverboten eingeengt werden. „Die Richtlinien orientieren sich an den Regelungen anderer Bundesländer“, erklärt das Justizministerium. Die besondere Strenge des sächsischen Vorgehens werde nun auf das übliche Maß zurückgesetzt. Zudem könnten Ermittlungs- oder Strafverfahren „ohne klassische Strafe“ beigelegt werden, etwa durch einen Täter-Opfer-Ausgleich.

Justizministerin: Strafe darf keine politische Entscheidung sein

Meier hatte schon seit ihrem Amtsantritt Ende 2019 darauf gedrängt, die rigide Linie ihres Vorgängers zu revidieren. Als Oppositionspolitikerin hatte sie die Null-Toleranz-Strategie als „Law-and-Order-Gehabe“ bezeichnet, um in der Bevölkerung leichtfertig Ängste zu schüren. Mit ihrem Koalitionsvertrag hatten sich CDU, Grüne und SPD darauf geeinigt, ein grünes Wahlkampfversprechen einzulösen und die Ermessensspielräume in der sächsischen Strafverfolgung wieder auszudehnen.

Nach jahrelangen Auseinandersetzungen unter anderem mit dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Hans Strobl liegen nun die entsprechenden neuen Vorgaben vor. Strobl-Nachfolger Martin Uebele spricht von einer „behutsamen“ Modernisierung und einer Anpassung an die Kriminalitätsentwicklung im Freistaat. Die Justizministerin betont zudem: „Strafe darf kein Gegenstand politischer Richtungsentscheidungen sein. Sie soll mit Augenmaß angewandt werden, wenn es zur Einwirkung auf die Täterinnen und Täter und zur Verhinderung weiterer Straftaten notwendig ist“.

Härteres Vorgehen gegen Extremismus, Hass und harte Drogen

Parallel zu den neuen Regelungen für Bagatelldelikte treten weitere Vorgaben in Kraft – die eine strengere Strafverfolgung vorsehen. So sollen ab diesem Jahr unter anderem Angriffe auf Rettungskräfte und auf Journalisten von den Staatsanwaltschaften nicht mehr eingestellt werden dürfen. Das Gleiche gilt für Hass-Postings und -Kommentare im Internet, für Drohungen gegen Politikerinnen und Politiker sowie für Gewalt und Beleidigungen bei Groß- und Sportveranstaltungen. Insgesamt soll noch konsequenter gegen Reichsbürger und Extremisten durchgegriffen werden.

Einen besonderen Punkt nimmt auch die Drogenkriminalität ein. „Der Umgang mit Straftaten nach dem Betäubungsmittegesetz wird ebenfalls teilweise neu justiert, um der besonderen Gefährlichkeit bestimmter Drogen, wie Crystal Meth und Heroin, Rechnung zu tragen“, erklärt das Justizministerium. Dazu gehöre, dass gerade bei harten Drogen durchgegriffen werden soll.

Zusätzliche Stellen sollen der Justiz erhalten bleiben

Offen ist noch, was aus den 45 Stellen bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten wird, die Ex-Justizminister Gemkow für die Umsetzung der Null-Toleranz-Strategie – und der damit verbundenen Zunahme an Verfahren – neu finanziert bekommen hatte. Die Stellen sollten zumindest nicht gestrichen werden, ist zu vernehmen, da sich die Verfahren insgesamt wohl nicht reduzieren würden: Lediglich der Fokus verschiebe sich von den genannten Bagatelldelikten etwa zu Extremismus, Hass-Postings und auch harten Drogen.


08.07.2021 LVZ

Schwarzfahren und Ladendiebstahl – Heftiger Streit um mehr Milde bei Kleinkriminalität in Sachsen

Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) wollte sich von der Null-Toleranz-Strategie ihres CDU-Vorgängers Sebastian Gemkow (CDU) verabschieden – doch sie hat die Rechnung ohne Generalstaatsanwalt Hans Strobl gemacht. Jetzt ist ein heftiger Streit entbrannt.

Katja Meier hat schon als Oppositionspolitikerin keinen Hehl daraus gemacht, was sie von der Null-Toleranz-Strategie des Freistaates hält: Nichts. Die harte Gangart in der sächsischen Strafverfolgung sei nichts anderes als „Law-and-Order-Gehabe“, um in der Bevölkerung leichtfertig Ängste zu schüren, schimpfte die Grüne im März 2019 während einer Landtagsdebatte. Inzwischen ist Katja Meier seit gut anderthalb Jahren die Justizministerin im Freistaat – und kämpft um eine neue Milde, um sogenannte Ermessensspielräume vor allem bei Kleinkriminalität und Möglichkeiten der Resozialisierung.

Bagatelldelikte werden in Sachsen ab zehn Euro Schaden bestraft

Allerdings hat die Ministerin die Rechnung ohne den Justizapparat gemacht. Oder besser gesagt: Ohne Generalstaatsanwalt Hans Strobl. Aus dessen Feder stammte im Frühjahr 2019 eine Rundverfügung, die der damalige Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) goutiert hatte. Darin war unter anderem die strengere Verfolgung von sogenannten Bagatelldelikten geregelt worden. Die Verschärfung galt unter anderem für Schäden ab zehn Euro, bei Diebstahl, Schwarzfahren, kleineren Schlägereien, Besitz von geringen Mengen an Drogen und Sachbeschädigungen wie Graffiti.

Der Tenor des 16-seitigen Papiers lautete: Ermittlungen sollten nicht mehr so häufig wegen Geringfügigkeit oder mangelndem öffentlichen Interesse eingestellt werden. Das betraf etwa 45.000 Fälle pro Jahr. Seither musste mindestens ein Viertel aufgrund der neuen Regelung von den Staatsanwaltschaften weitergeführt werden.

Ministerin will Null-Toleranz-Strategie beenden

Nachdem sich die Justizministerin zum Jahreswechsel mit einer neuen Verwaltungsvorschrift, die die Null-Toleranz-Strategie beenden sollte, wundgerieben hatte, folgt jetzt der nächste Affront: Die besagte Strobl-Verfügung ist zwar mit dem 30. Juni außer Kraft gesetzt worden – doch an deren Stelle sind seit dem 1. Juli neue Richtlinien für die Staatsanwaltschaften getreten, die nahezu deckungsgleich mit den bisherigen Anweisungen sind. „Der Inhalt ist weitgehend unverändert geblieben“, bestätigt die sächsische Generalstaatsanwaltschaft auf LVZ-Nachfrage. Als Neuerung seien nur „Ausführungen zu der bislang wenig genutzten Möglichkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs“ aufgenommen worden.

Generalstaatsanwaltschaft sieht harte Linie „bewährt“

Doch damit lässt es die oberste Ermittlungsbehörde längst noch nicht bewenden. Mit Blick auf die kritische Haltung der Justizministerin wird erklärt: Die auf der bislang geltenden Rundverfügung beruhende Strafverfolgung habe sich „nach übereinstimmender Auffassung des Generalstaatsanwalts und der Behördenleiter der sächsischen Staatsanwaltschaften in der Praxis bewährt“. Mit den neuen Richtlinien werde „am eingeschlagenen Weg einer konsequenten Strafverfolgung festgehalten“ und den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten zugleich ausreichend Ermessensspielraum für den Einzelfall eingeräumt. Genau diese Formulierung findet sich auch im Koalitionsvertrag von CDU, Grünen und SPD aus dem Herbst 2019 – und ist damit nichts Geringeres als ein Totschlagargument.

Justizministerin: Neue Richtlinien entsprechen nicht Erwartungen

Die derart düpierte Ministerin spricht gegenüber der LVZ von einer „im Bundesvergleich auffälligen Konzentration auf die Verfolgung von Bagatelldelikten in Sachsen“, die sie nicht befürworte. Stattdessen müssten schwere Hass-, Gewalt-, Wirtschafts- und Cyberkriminalität in den Fokus genommen werden. Doch Katja Meier stellt ernüchtert fest: Die neuen Richtlinien des Generalstaatsanwalts entsprechen „inhaltlich ganz überwiegend seiner bisherigen Rundverfügung“ und „nicht in allen Bereichen den Erwartungen“.

Deshalb dringt die Justizministerin auf weitere Veränderungen und eine stärkere Einbindung des Landesstaatsanwaltsrates: „Aus der kriminologischen Forschung wissen wir, dass insbesondere in den Bereichen der Klein-, aber auch der Suchtkriminalität durch vermeintlich strenge Praxis kein positiver Effekt erzielt wird, im Gegenteil. Hier gilt es vor allem, präventiv zu arbeiten.“ Im Gespräch war zuletzt unter anderem, die Strafgrenze für Bagatelldelikte von zehn auf 50 Euro anzuheben. Letztendlich versucht Katja Meier, dem aktuellen Disput zumindest noch etwas Positives abzugewinnen: „Die Abkehr von der politisch vorgegebenen Null-Toleranz-Politik ist eingeleitet.“ Viel mehr Einflussnahme auf die Justiz lässt ihr Amt auch kaum zu.

Generalstaatsanwalt geht nächstes Jahr in Ruhestand

Aus der Generalstaatsanwaltschaft verlautet dagegen: Es seien keine kurzfristigen Änderungen beabsichtigt – damit geht die Auseinandersetzung über das richtige Strafmaß für Kleinkriminelle wohl oder übel in eine neue Runde. Allerdings genießt Strobl die Rückendeckung von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der ihm wiederholt zur Seite gestanden hat („Strafdurchsetzung ohne Rabatt“). Möglicherweise löst sich das Problem aber auch von allein: Der Generalstaatsanwalt verabschiedet sich in einem halben Jahr, Ende Januar 2022, in den Ruhestand. Es könnte durchaus sein, dass die Justizministerin bis dahin ausharren muss. Mit einer Nachfolgerin oder einem Nachfolgerin ließe sich der avisierte Abschied von der harten Gangart vielleicht einfacher umsetzen als unter dem Amtsinhaber. Sicher ist dies aber keineswegs.

Von Andreas Debski


09.03.2021 LVZ

Mehr Drogen, weniger Einbrüche – Kriminalität in Sachsen leicht gestiegen – jede vierte Straftat in Leipzig

Leipzig sticht bei der Kriminalitätsstatistik für 2020 heraus: Entgegen dem Sachsen-Trend geht die Zahl der Straftaten zurück. Dennoch bleibt die Stadt die Kriminalitätshochburg im Freistaat.

Gute Nachricht zur Sicherheitslage: In Leipzig ist die Kriminalität im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen – während die Zahl der Straftaten in ganz Sachsen leicht angestiegen ist. Petric Kleine, der Präsident des Landeskriminalamtes (LKA), hatte bei der Vorstellung des Jahresberichts am Donnerstag allerdings auch eine negative Botschaft: Leipzig bleibt die Kriminalitätshochburg im Freistaat.

LKA-Chef: Leipzig ist Kriminalitätshochburg

Immerhin jede vierte Straftat in Sachsen wird in Leipzig begangen. „Die Stadt ist am höchsten mit Kriminalität belastet“, sagte Kleine. Noch drastischer stellt sich die Lage in der gesamten Polizeidirektion Leipzig dar, die auch für Nordsachsen und den Landkreis Leipzig zuständig ist: Insgesamt 35 Prozent aller sächsischen Straftaten entfallen auf diese Region.

Gut vier Prozent weniger Straftaten

Das heißt in Zahlen: Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr allein in Leipzig 68.677 der sachsenweit 272.588 Straftaten. Daraus ergibt sich ein Rückgang um 3019 Fälle beziehungsweise gut vier Prozent im Vergleich zu 2019. Damit geht der durchaus positive Trend im gesamten PD-Bereich einzig und allein auf das Konto von Leipzig. Die detaillierten Fallzahlen will Polizeipräsident René Demmler demnächst präsentieren.

Deutlich weniger Einbrüche – aber mehr häusliche Gewalt

Die größten Rückgänge registriert die Leipziger Polizei bei den Wohnungseinbrüchen, beim Diebstahl und auch beim Auto-Klau. Das Sinken könnte allerdings mit den Corona-Maßnahmen – etwa Ausgangsbeschränkungen, Homeoffice, Geschäfts- und Restaurantschließungen – zusammenhängen. „Die veränderten Lebensgewohnheiten haben zu veränderten Tatgelegenheiten in einzelnen Phänomenbereichen geführt“, sagt Innenminister Roland Wöller (CDU). Dagegen sind die Fälle von häuslicher Gewalt, Internetbetrug und Drogen zum Teil erheblich gestiegen.

Innenminister: Leipzig linksextremistischer Schwerpunkt

Wöller machte zudem klar, dass Leipzig die Hauptstadt der Linksextremisten im Freistaat ist: „Hier ereignen sich 70 Prozent aller Fälle in diesem Bereich.“ Wöller warnte auch vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft der Szene: Die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten hat sich in Sachsen mit 231 Fällen im Vergleich zu 2019 nahezu verdoppelt, während rechtsextremistische Übergriffe von 70 auf 75 stiegen.

LKA-Chef: Sachsen können auf Sicherheit vertrauen

Im Gegensatz zum Leipziger Kriminalitätstrend ist die Zahl der Straftaten in Sachsen leicht gestiegen: Die Polizei registrierte im Jahr 2020 insgesamt 272.588 Fälle und damit 0,3 Prozent mehr als 2019. Mit einem Plus von 2900 Fällen verzeichnete Dresden einen erheblichen Anstieg.

„Dennoch liegt die Kriminalitätsbelastung im dritten Jahr in Folge auf dem niedrigsten Stand seit Anfang der 1990er Jahre“, machte LKA-Chef Kleine klar. Das sei ein Beleg dafür, dass „unsere Maßnahmen wirken“. Die Sachsen könnten auch weiterhin auf die Sicherheit im Staat vertrauen, versicherte Kleine, der seit knapp vier Jahren das LKA leitet und zuvor Leipziger Kripochef gewesen ist.

Von Andreas Debski


13.10.2019 LVZ

Null-Toleranz-Strategie – Leipziger Staatsanwälte gehen härter gegen Bagatelldelikte vor

In Leipzig werden, wie in ganz Sachsen, immer weniger Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt. Justizminister Gemkow hält das für den richtigen Weg, um kriminelle Karrieren zu verhindern.

Die ausgerufene Null-Toleranz-Strategie für Sachsens Justiz zeigt offenbar auch in Leipzig Wirkung. Seit 2016 ist die Zahl der wegen Geringfügigkeit eingestellten Ermittlungsverfahren im Bereich der Staatsanwaltschaft Leipzig deutlich zurückgegangen. Das geht aus einer Statistik des Justizministeriums vor, die der LVZ vorliegt.

Damals sah die Behörde noch in 9075 Fällen von einer Strafverfolgung ab, weil „die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht“, wie es in der Strafprozessordnung heißt. Schon im folgenden Jahr betraf das nur noch 6324 Verfahren, 2018 waren es 5032. Im ersten Halbjahr 2019 wurden in Leipzig 2194 Strafverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Gemkow: Kriminelle Karrieren verhindern

„Karrieren von Straftätern beginnen häufig schon mit kleinen Delikten“, erklärte Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) gegenüber der LVZ. „Wenn rechtzeitig interveniert wird, besteht die Chance, kriminelle Lebenswege zu verhindern. Deswegen lohnt es sich, auch gegen geringfügige Straftaten vorzugehen.“

Dieses härtere Durchgreifen schlägt sich auch in den Zahlen für den gesamten Freistaat nieder. Wurden 2016 landesweit 29 522 Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt, waren es 2018 nur noch 18 715. Ähnlich ist die Situation bei Verfahren, die dann beendet werden, wenn die Strafe neben dem Urteil für eine andere Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. 19 897 Fälle betraf dies 2016 in Sachsen (Leipzig: 7006), 2018 waren es nur noch 16 326 (Leipzig: 5282).

Mangelnder Tatverdacht

Noch immer werden die meisten Ermittlungsverfahren allerdings wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt. 2016 erledigte die Leipziger Staatsanwaltschaft insgesamt 76 792 Verfahren, es ist bis heute die Behörde mit den meisten Verfahren im Freistaat. In 8387 Fällen erhob sie Anklage, in 9564 Fällen wurde ein Strafbefehl beantragt. 2017 erhoben Leipziger Staatsanwälte bei 68 067 Verfahren 7690 Anklagen und beantragten 9072 Strafbefehle, 2018 waren es 8008 Anklagen und 9438 Strafbefehle bei insgesamt 65 189 Verfahren. Weil sich gegen Beschuldigte kein Tatverdacht erhärten ließ, stellte die Behörde 2018 insgesamt 18 398 Verfahren ergebnislos ein, 2017 waren es noch 19 001 – im Jahr 2016 sogar 20 864.

Tatverdächtige nicht greifbar

Stetig zugenommen hat die Zahl jener Verfahren, die zumindest vorläufig eingestellt werden mussten, weil der Beschuldigte nicht greifbar war. Von 1927 Fällen im Jahr 2015 ging es hoch auf 2848 im Jahr 2018. Damit liegt Leipzig im sachsenweiten Trend. Insgesamt 7320 Verfahren wurden 2018 im Freistaat vorläufig eingestellt wegen Abwesenheit des Beschuldigten „oder ein anderes in seiner Person liegenden Hindernisses“, wie es in der Strafprozessordnung heißt. Zum Vergleich: 2015 waren es noch 6570 Fälle. 153 Ermittlungsverfahren wurden 2018 in Leipzig wegen einer attestierten Schuldunfähigkeit des Tatverdächtigen eingestellt, sachsenweit betraf das 399 Fälle.

Kritik an Praxis

Seit einiger Zeit sind sächsische Justizbehörden dazu angehalten, Ermittlungen nicht mehr so häufig wegen Geringfügigkeit oder mangelndem öffentlichen Interesse einzustellen. Dazu zählen etwa Bagatelldelikte mit geringeren Sachschäden, kleinere Diebstähle, Schwarzfahren, der Besitz von geringen Mengen an Drogen sowie Graffiti-Schmierereien. Im Sinne dieser härteren Gangart hat der Minister 30 zusätzliche Stellen in der Justiz geschaffen. Bestandteil der neuen Strategie sind auch Schnellverfahren. Diese sind jedoch an der Basis durchaus umstritten.

Es gibt allerdings auch generelle Kritik an der rigideren Praxis. Demnach existierten keine Belege dafür, dass eine solche Politik strafrechtliche Rückfälligkeit verhindert. Zudem hätten die sächsischen Staatsanwaltschaften auch bisher schon vergleichsweise konsequent durchgegriffen.

Von Frank Döring


09.05.2019 LVZ

Strafverfolgung – Debatte an der Uni Leipzig: Was nützen härtere Strafen bei Bagatelldelikten?
Kommen zu viele Täter ungeschoren davon? Sind Ungesetzlichkeiten inzwischen der Normalfall? Mancher sieht das so. Und um dem Eindruck entgegen zu wirken, hat Sachsen eine härtere Gangart bei der Strafverfolgung eingelegt. Aber was bringt das?

Soll man Bagatelldelikte wie Ladendiebstähle härter bestrafen – oder eher entkriminalisieren? Um diese Frage ging es am Mittwoch in der Reihe „Rechtspolitische Gespräche“, zu denen die Leipziger Strafrechts-Professorin Elisa Hoven eingeladen hatte. Martin Machowecz, Leiter des Leipziger Büros der Wochenzeitung „Die Zeit“, moderierte die Veranstaltung.

„Bürger sind unzufrieden mit der Strafverfolgung“

In vielen Gesprächen habe er den Eindruck gewonnen, dass Bürger mit der Strafverfolgung unzufrieden seien, erklärte Sachsens Generalstaatsanwalt Hans Strobl. Man wolle dem Eindruck entgegnen, dass Täter ungeschoren davon kämen, dass rechtsfreie Räume entstünden oder dass sich Ungesetzlichkeiten einbürgern würden. Davon hingen das Vertrauen in den Rechtsstaat und der soziale Friede ab. Strobl hatte Staatsanwälte und Richter zum 1. März angewiesen, bestehende Gesetze konsequent und rasch anzuwenden. Das gilt auch für Bagatellen. Künftig sollen weniger Taten gegen Auflagen und noch weniger mangels öffentlichem Interesses eingestellt werden. Schon bei zehn statt bisher 25 Euro Schaden soll eine Geldstrafe mit Bewährung die Regel sein, bei über 100 Euro Strafbefehl gestellt oder angeklagt werden. Bei Tätern, die sich durch Geldstrafe oder Anklage nicht erreichen lassen, kann es auch ein Fahrverbot geben. Um diese härtere Gangart durchzusetzen, hat Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) 30 zusätzliche Stellen in der Justiz geschaffen.

„Resozialisierung gelingt mit geringeren Sanktionen besser“

Jörg Kinzig bezweifelte während der Veranstaltung die Wirkung dieser Maßnahmen. Der Tübinger Kriminologie-Professor zitierte eine Studie der RuV-Versicherung, nach der die Angst vor Straftaten zwischen 1993 und 2018 von 45 auf 28 Prozent gesunken ist. Der Sachsen-Monitor 2018 habe gezeigt, dass 76 Prozent der Bürger im Freistaat mit der Sicherheit auf Straßen und öffentlichen Plätzen zufrieden oder sehr zufrieden sind. Zudem zeige sich etwa im Jugendstrafrecht, dass man mit Blick auf die Resozialisierung mit geringeren Sanktionen besser fahre. Und: Wer eine Geldstrafe nicht zahlen könne und deshalb eine Ersatzfreiheitsstrafe antrete, koste den Steuerzahler rund 110 Euro pro Tag. Die Unzufriedenheit über eingestellte Verfahren habe in ganz vielen Fällen damit zu tun, dass gar kein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte.

Von Björn Meine


26.02.2019 LVZ

Interview mit Sachsens Justizminister – „Straftaten werden ab sofort konsequenter verfolgt“
Weniger Verfahren einstellen, mehr Fälle aburteilen – Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (40, CDU) kündigt eine schärfere Strafverfolgung auch bei sogenannten Bagatelldelikten an. „Die Erkenntnis muss sein: Straftaten lohnen sich nicht“, sagt Gemkow im LVZ-Interview.

Sachsen will ab Freitag auch schon bei sogenannten Bagatelldelikten härter durchgreifen – und nicht mehr Tausende Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellen. Justizminister Sebastian Gemkow (40, CDU) erklärt, weshalb er diese Verschärfung für notwendig hält und dafür das Personal in Gerichten und Staatsanwaltschaften nochmals aufstockt.

Herr Gemkow, ab dem 1. März soll in Sachsen härter gegen Straftaten vorgegangen werden – weshalb sind die Verschärfungen überhaupt notwendig?

Der Generalstaatsanwalt des Freistaates Sachsen hat eine Rundverfügung erlassen, damit die Staatsanwaltschaften in Zukunft einheitlich vorgehen – so sollen vor allem Ungerechtigkeiten und Ungleichbehandlungen abgeschafft werden. Die Botschaft lautet: Die Strafverfolgung in Sachsen wird ab dem 1. März 2019 entscheidend verschärft. Das heißt, Straftaten werden ab sofort konsequenter verfolgt.

Heißt das im Umkehrschluss, dass die Staatsanwaltschaften zu lasch vorgegangen sind? Immerhin gab es die Gesetze bislang auch schon.

Die Staatsanwaltschaften haben zu häufig Verfahren eingestellt, was mit mangelndem öffentlichen Interesse oder Geringfügigkeit begründet wurde. Davon soll künftig erheblich weniger Gebrauch gemacht werden. Unrecht muss bestraft werden – und das möglichst zügig.

Nochmal: Es wurde also zu wenig durchgegriffen?

In dieser Absolutheit würde ich das nicht sagen. Aber es hat in den Staatsanwaltschaften offenbar der Eindruck vorgeherrscht, dass bei leichteren Fällen den Tätern häufig die Chance eingeräumt werden sollte, das Handeln zu überdenken und nicht gleich die Wucht des Rechtsstaates angewendet wurde. Dass dieser Ansatz nicht funktioniert hat, zeigt sich an etlichen kriminellen Biografien, die über Jahre hinweg gewachsen sind: Die Taten wurden immer schwerwiegender, steigerten sich zusehends. Deshalb müssen wir ein deutliches Zeichen setzen. Der generalpräventive Ansatz, den wir jetzt verfolgen, soll sofort das richtige Signal setzen: Wir dulden solche Verhaltensweisen nicht.

Wieviel Verfahren wird dies betreffen?

Nach unserer Untersuchung ist damit zu rechnen, dass rund 10 000 Verfahren pro Jahr nicht mehr eingestellt werden. Zuletzt waren jährlich immerhin etwa 45 000 nicht abgeurteilt, sprich eingestellt worden. Das sind eindeutig zu viele. Eine Verfahrenseinstellung, wie sie sogar bei Körperverletzungen erfolgte, muss zur Ausnahme werden. Es ist nicht gut, wenn der Eindruck entsteht, dass sich der Staat nicht kümmert oder für den Einzelnen interessiert.

Für welche Fälle gilt die Verschärfung?

Es wird jetzt nicht maßlos alles verfolgt werden – aber schon bei Schäden ab zehn Euro. Dabei kann es sich zum Beispiel um Diebstahl oder um Sachbeschädigung handeln. Die vergleichsweise niedrige Untergrenze kann für Menschen, die wenig Geld haben, schon einen großen Schaden darstellen. Unabhängig von der Schadenshöhe spielt es für jedes Opfer keine Rolle, ob es sich um ein leichtes oder schweres Delikt handelt. Daneben soll auch viel härter gegen Drogenhändler, insbesondere von Crystal, vorgegangen werden. Die abschreckende Wirkung für solche Straftaten muss deutlich erhöht werden. Das beinhaltet auch, dass mehr Haftstrafen für Crystal-Handel durch die Staatsanwaltschaften beantragt werden sollen.

Es gibt allerdings den Vorwurf, dass mit dem sächsischen Sonderweg unter anderem die Unabhängigkeit der Richter ausgehebelt wird.

In die Unabhängigkeit der Gerichte gibt es eindeutig keinen Eingriff. Die Richtlinie gilt für Staatsanwaltschaften, um die Strafverfolgungspraxis der Ermittlungsbehörden zu verschärfen – erst danach werden die Fälle an die Gerichte übergeben. Ich kenne auch den Einwand, dass wir es mit der Strafverfolgung übertreiben würden. Ich sage aber deutlich: Das Gesetz sieht Strafverfolgung vor und es ist die Aufgabe des Staates, das Gesetz durchzusetzen. Meine Auffassung dazu findet auch in vielen Bürgergesprächen Zustimmung.

Auf Staatsanwaltschaften und Gerichte wird mehr Arbeit zukommen – sind sie darauf vorbereitet, zumal die Aktenberge schon jetzt hoch sind?

Es ist klar, dass mehr Personal benötigt wird. In den vergangenen drei Jahren sind bereits 120 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte geschaffen worden. Im Zuge der aktuellen Verschärfung kommen noch einmal 30 weitere Stellen hinzu, davon sind neun Staatsanwälte und fünf Richter. Damit sollte ausreichend Personal zur Verfügung stehen. Denn was nicht passieren darf, ist, dass die neue Praxis zu Lasten der schwerwiegenden Verfahren geht.

In Sachsen werden schon jetzt Geldstrafen häufig in den Gefängnissen abgesessen. Bedeutet die Verschärfung auch, dass die bereits vollen Justizvollzugsanstalten sich weiter füllen werden?

Die Anstalten sind derzeit nicht ganz so gefüllt wie vor ein oder zwei Jahren. Aktuell liegt die Auslastung bei gut 88 Prozent. Aber es geht nicht darum, mehr Straftäter zu inhaftieren – sondern um ein frühes Zeichen, damit es erst gar nicht zu Haftstrafen kommt. Die Erkenntnis muss sein: Straftaten lohnen sich nicht. So sollen kriminelle Karrieren frühzeitig gestoppt werden.

Es gebe auch andere Möglichkeiten, unter anderem Resozialisierungen. Weshalb setzen Sie auf den harten Weg?

Es geht darum, möglichst viele Werkzeuge zur Strafverfolgung und für Strafen zur Verfügung zu haben. Für Sachsen machen wir klar: Es gibt null Toleranz. Alle Straftaten müssen konsequent verfolgt werden – denn es kann nicht sein, dass sich der Rechtsstaat zurückzieht. Natürlich ist auch Resozialisierung wichtig. Aber wenn die Menschen vor der eigenen Haustür feststellen, dass der Staat nicht durchgreift und Straftaten nicht in dem Maß verfolgt werden, wie es sein müsste, dann ist die Akzeptanz des Rechtsstaates gefährdet. In diesem Zusammenhang sind auch die beschleunigten Verfahren immens wichtig, die im September 2018 eingeführt wurden. Innerhalb eines halben Jahres wurden fast 200 solcher schnellen Verfahren durchgeführt. Zum Vergleich: Zuletzt gab es pro Jahr nicht einmal 20 pro Jahr. Man sieht also: Auch an dieser Stelle passiert etwas.

Von Andreas Debski