Energiekrise: Linke will in Leipzig protestieren – AfD und „Freie Sachsen“ aber auch

Die Partei „Die Linke“ mobilisiert zu Protesten gegen die Energiepolitik. Als Auftakt ist eine Demonstration am Montag in Leipzig geplant. Streit gibt es, weil auch AfD und „Freien Sachsen“ kommen wollen – und um Sahra Wagenknecht.

Leipzig. Deutschland steht ein „heißer Herbst“ bevor – so jedenfalls kündigen es die Parteien Die Linke und AfD an. Beide planen eine Protestwelle gegen die Energiepolitik der Bundesregierung. Für die Linke soll eine Demonstration am nächsten Montag in Leipzig der Auftakt sein. „Die aktuelle Krise geht an die Existenz von vielen Menschen“, sagt Adam Bednarsky, Linken-Stadtrat in Leipzig, der die Demonstration mit organisiert. Die Linke müsse deshalb Flagge zeigen, es sei ihre Daseinsberechtigung in dieser Gesellschaft.

Am Montagabend soll deshalb also gegen die Gasumlage, für gedeckelte Energiepreise und für eine Übergewinnsteuer protestiert werden. Weil sich die Linke dabei von Anfang auf die Historie der Leipziger Montagsdemonstrationen bezog, gab es viel Kritik: Darf eine SED-Nachfolgepartei sich an die Proteste von 1989 anlehnen? Und sind die Montagsdemonstrationen der Neuzeit nicht unumkehrbar besetzt von Rechtsradikalen? Kurz nach der Ankündigung der Demo durch den Leipziger Linken-Abgeordneten im Bundestag, Sören Pellmann, riefen auch andere dazu auf, nach Leipzig zu kommen: Jürgen Elsässer etwa, Chefredakteur des rechtsextremen Magazins „Compact“ und die rechtsextremen „Freien Sachsen“.

Bislang sechs Demo-Anmeldungen für Montag

Für Adam Bednarsky ist das kein Argument gegen die von seiner Partei geplante Demonstration. „Diese Gesellschaft darf den Montag nicht den Neonazis überlassen“, sagt er. Der berechtigte Protest gegen die Energiepolitik dürfe nicht allein deswegen delegitimiert werden, weil sich Rechtsextreme auch um das Thema bemühten. Bednarsky kündigte an, dass man sich am Montag gegen eine Demo-Teilnahme von „Rassisten, Nationalisten und Querdenkern“ wehren werde. Rechtlich ist es zwar schwierig, Personen von einer Versammlung auszuschließen, solange sie friedlich sind, aber: „Es wird keine Fahnen der ‚Freien Sachsen‘ auf unserer Demonstration geben“, sagt Bednarsky. Man werde das mit den eigenen Ordnerinnen und Ordnern, der Leipziger Zivilgesellschaft und auch den Ordnungsbehörden durchsetzen.

Inzwischen sind der Stadt Leipzig zufolge sechs verschiedene Demonstrationen für Montag angemeldet, unter anderem vom AfD Kreisverband Leipzig und einer linken Initiative. Auch die vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Kleinpartei „Freie Sachsen“ will nun ihr eigenes Ding machen. Zunächst hatte Parteichef Martin Kohlmann noch angekündigt, die Demonstration der Linken direkt unterstützen zu wollen. Jetzt steht sein einseitig versuchter Schulterschluss immerhin noch im Aufruf seiner Partei für Leipzig: „‚Freie Sachsen‘ unterstützen den Montagsprotest von Sören Pellmann und der Linken – Gemeinsam gegen die da oben“ heißt es dort. Sowohl die Rechtsextremen als auch die Partei Die Linke wollen sich auf dem Augustusplatz sammeln. Erste Gespräche mit den Veranstaltern dazu, wie das organisiert werden und welche Demorouten es geben kann, will die Versammlungsbehörde der Stadt am Mittwoch führen.

Sahra Wagenknecht als Rednerin ausgeladen

Auch das linke Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ will am Montagabend demonstrieren. „Unser Fokus liegt darauf, gegen die Nazis auf die Straße zu gehen“, sagt die Leipziger SPD-Politikerin Irena Rudolph-Kokot, die sich in dem Netzwerk engagiert. Sie bedauere, dass die Linken-Demonstration „eher eine Parteiveranstaltung“ sei. „Für einen breiten linken Protest hätte es ein Bündnis aus Netzwerken, Parteien, Gewerkschaften und Sozialverbänden gebraucht“, sagt sie. Sie sei aber überzeugt, dass sich das in den nächsten Wochen noch formieren werde.Für weitere Diskussion sorgt vor der Leipziger Demo eine brisante Personalie: Wie die Zeitung „Die Welt“ berichtete, ist Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht erst als Rednerin ein- und dann wieder ausgeladen worden. Wagenknecht ist in der Linken umstritten, unter anderem wegen ihrer Haltung zum Krieg in der Ukraine und weil sie seit Jahren in inhaltlicher Nähe zu Populisten argumentiert.

Der rechte Ideologe Jürgen Elsässer etwa, der für die Demo nach Leipzig mobilisiert, hatte sich neben einer Rede des Kabarettisten Uwe Steimle auch einen Auftritt Wagenknechts auf dem Augustusplatz gewünscht. Wagenknecht ließ ihr Büro die Ausladung bestätigen. Sören Pellmann sagte nichts dazu und Adam Bednarsky nur, das es zu Rednerinnen und Rednern „viele Überlegungen“ gegeben habe. Bestätigen wollte er nur, dass neben Partei-Urgestein Gregor Gysi auch die Linken-Köpfe Amira Mohamed Ali und Martin Schirdewan in Leipzig sprechen werden.


Montagsdemos: Über den „heißen Herbst“ wird nicht in Leipzig entschieden

Denise Peikert, 31.08.2022

Am Montag will die Partei Die Linke in Leipzig gegen die Energiepolitik der Bundesregierung demonstrieren. Auch Rechtsextreme haben sich angekündigt. Darüber, wer die möglichen Sozialproteste im Herbst und Winter dominiert, wird aber anderswo entschieden.

Leipzig. AfD und Linke rufen ihre Anhänger zum „heißen Herbst“ auf die Straße. Beide planen eine Protestwelle gegen die Energie- und Sozialpolitik der Regierung. Auftakt für die Linke ist am Montag in Leipzig. Neben der AfD wollen auch die rechtsextremen „Freien Sachsen“ kommen. Sie alle nehmen für sich in Anspruch, den Menschen in Zeiten steigender Preise beizustehen. Sofern der Protestherbst in Sachsen aber wirklich kommt, wird nicht in Leipzig entschieden, wer ihn politisch dominiert – sondern in Heidenau, Bautzen und Eilenburg.

Freilich, eine Kundgebung in Leipzig, dem Ort der 1989er-Montagsdemos, bekommt mediale Aufmerksamkeit. Wer hier viele Anhänger hinter sich vereint, schickt auch ein Signal der Stärke an die eigenen Leute. Und wenn es darum geht, gegen rechtsextreme Vereinnahmung von Protesten laut zu werden, ist auf die Stadt sicher Verlass.

Bei den Mit-vielem-Unzufriedenen in Sachsen haben sich aber in den vergangenen anderthalb Jahren die rechtsextremen „Freien Sachsen“ als die Gegner der Regierungspolitik etabliert, mit denen mindestens symbolpolitisch was zu holen ist. Geholfen hat der Kleinpartei dabei die Strategie, jede noch so winzige Versammlung in kleinen und mittelgroßen Städten als Teil eines großen Ganzen zu vermarkten: Seht her, wir sind überall, also sind wir die Mehrheit. Ob das dann stimmt, ist erstmal einerlei, das Gefühl sickert ein – auch bei denen, für die die Corona-Impfung vielleicht noch kein Stressthema war, die Gasrechnung es aber schon ist.

Die Linke will nun versuchen, diese Dominanz zu brechen. „Flächendeckend“, sagte Parteichefin Janine Wissler Anfang der Woche, wolle man in diesem Herbst und Winter protestieren. Mancherorts, in Altenburg etwa, haben lokale Linke schon angekündigt, Protestalternativen zu schaffen. Ob das gelingen wird, hängt von vielem ab, unter anderem davon, wie hartnäckig die Akteure sind. Denn es hat Monate gedauert, bis die „Freien Sachsen“ die Corona-Proteste schließlich zu ihrem Ding gemacht hatten.


Heißer Protest-Herbst – wem die Montagsdemos wirklich gehören

21.08.2022

Gegen die Energieteuerung regt sich zunehmend Protest – die Bundespolitik wird sich auf ungemütliche Wochen vorbereiten müssen. Dass dabei von Links und Rechts stark auf die Symbolik von Montagsdemonstrationen gesetzt wird, ist ein Hohn für DDR-Bürgerrechtler, findet André Böhmer.

Leipzig. Was ungefähr auf das Land im Herbst zukommen könnte, war am Mittwochabend in Neuruppin im Ansatz zu beobachten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte in der Brandenburger Idylle eigentlich über ein weiteres Entlastungspaket mit Bürgerinnen und Bürgern reden. Er konnte sich aber kaum verständlich machen, weil er von lautstarken Protestierern immer wieder überstimmt wurde. Das Pfeifkonzert– und das ist das eigentlich bemerkenswerte – kam aus prinzipiell zwei völlig gegensätzlichen politischen Lagern. AfD und Linke hatten sich an diesem Abend in ihrer Wut gegen die Entscheidungen der Bundespolitik zumindest verbal zusammengefunden und ihre Abneigung gegen Kanzler, SPD & Co. gemeinsam herausgeschrien.

Ramelow warnt vor Annäherung an AfD

War der Scholz-Auftritt in Neuruppin nur der Vorbote für einen stürmischen Protest-Herbst, vor dessen Gewaltpotenzial Verfassungsschützer in Sachsen und Thüringen warnen? Nähern sich in ihrer gemeinsamen Ablehnung gegen die Entscheidungen in der Energiepolitik Linke und AfD von ihren Außenpositionen an? Es wäre verfrüht, beide Fragen mit Ja zu beantworten. Denn erstens war die Zahl der Krawallmacher in der brandenburgischen Kleinstadt doch relativ überschaubar. Es waren kleine, wenn auch sehr laute Gruppen. Und zweitens haben kluge Köpfe unter den Linken, wie Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow, sofort erkannt, dass auch nur der Hauch „einer gemeinsamen Sache“ mit der AfD, rechten Querdenkern und Verschwörungstheoretikern der Partei schwersten Schaden zufügen würde.

Massenproteste am Montag auch 2004

Bleibt die Frage, wie die Proteste gegen die Folgen der Energieteuerung künftig politisch gesteuert werden. Dass sie legitim in einer Demokratie sind, zu der auch Kritik an den Entscheidungen der politischen Verantwortlichen gehört, steht außer Frage. Ja, auch Pfeifkonzerte müssen Politikerinnen und Politiker sich anhören, das haben schon die anderen Kanzler und die Kanzlerin vor Scholz erlebt und überstanden. Bei den Massenprotesten unter Gerhard Schröder (SPD) waren es 2004 übrigens die Linken, die zum ersten Mal die Montagsdemos wieder aktiv nutzten, um gegen die sozialen Auswirkungen der Hartz-IV-Reformen zu protestieren. Womit auch erstmals eines der großen Symbole der Friedlichen Revolution von 1989 diskreditiert wurde. Ein Symbol, das für die Ostdeutschen den Kampf für Freiheit und Demokratie abbildete und in dessen Folge das SED-Regime unterging.

Hohn für die Bürgerrechtler der DDR

Vor allem die Leipziger Montagsdemos vom Herbst 1989 schrieben Geschichte ein. Am 4. September 1989 entrollten mutige junge Frauen und Männer wie Gesine Oltmanns, Katrin Hattenhauer, Uwe Schwabe und Christian Dietrich ein Plakat gegen die SED-Machthaber. Die Bilder gingen dank anwesender West-Journalisten (es war gerade Herbstmesse) um die Welt. Es war quasi der Startschuss von Leipzig aus für die Friedliche Revolution in der DDR. Ein Tag für die Geschichtsbücher.

Wenn nun ausgerechnet am 5. September 2022 in Leipzig, fast genau auf den Tag nach 33 Jahren, wieder eine Montagsdemo den Protest der Linken gegen die Energieteuerung eröffnen soll, dann ist das mehr als nur ein Hohn für die Bürgerrechtler und -rechtlerinnen der DDR. Denn sie setzten ihr Leben aufs Spiel, um ihre Freiheitsziele zu erreichen. In Leipzig, in Plauen, Dresden und vielen anderen Ost-Städten. Nur sie haben das Copyright auf die Tradition der „Montagsdemo“. Alles andere sind durchsichtige Manöver, um sich mehr Protest-Zulauf über die Nutzung eines positiv besetzten historischen Begriffs zu verschaffen.

Auch rechte Gruppen instrumentalisieren Montagsdemos

Die Linken stehen damit übrigens nicht allein da. Bei den zurückliegenden Protesten gegen die Corona-Maßnahmen haben vor allem rechte Gruppen mit Corona-Leugnern, Querdenkern und Verschwörungstheoretikern den Geist der Montagsdemos für sich beansprucht und damit missbraucht. Zumindest in der Linkspartei ist aber einigen auch unwohl dabei. So hat Vize-Chefin Katina Schubert ein klares Statement abgegeben: Wenn Proteste gegen die Energieteuerung, dann nur mit Sozialverbänden und Gewerkschaften. Und der Tradition der Montagsdemonstration in der DDR könne sich die Linke nicht bemächtigen. „Wir sind nun mal die SED-Nachfolgepartei.“


Hohe Energiepreise: Linke rufen für 5. September zur Montagsdemo

Der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann (Linke) ruft für den 5. September zur Montagsdemo gegen hohe Strompreise nach Leipzig. Und erntet Kritik, die Demos vom Herbst ’89 „zu instrumentalisieren“.

19.08.2022

Leipzig. Für den 5. September ist in Leipzig eine Montagsdemonstration gegen hohe Energiepreise und die Gasumlage geplant. Veranstalter ist die Linken-Bundestagsfraktion, Versammlungsleiter der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann. „Die Bundesregierung will Energieunternehmen retten und die Leute noch mehr zahlen lassen – dem stellen wir uns entgegen“, schreibt Pellmann in einem Aufruf, der auf den sozialen Netzwerken bereits kontrovers diskutiert wird. Denn auch die AfD und rechte Gruppen haben zu Aktionen aufgerufen. Laut der Leipziger Linke soll die Demonstration um 18 Uhr auf dem Augustusplatz beginnen. Wie es im Leipziger Ordnungsamt heißt, solle eine Aufzugsroute Teilbereiche des Promenadenringes tangieren. Der tatsächliche Verlauf werde aber noch geprüft.

Die Linke erwartet bis zu 1500 Teilnehmer

Angemeldet ist die Kundgebung, die als Auftakt für weitere Demonstrationen steht, zunächst für etwa 500 Leute. Doch die Veranstalter rechnen bereits jetzt mit deutlich mehr Zuspruch. „Da es der Anfang eines heißen Herbstes ist, gehe ich von bis zu 1500 Menschen aus“, sagt Pellmann gegenüber der LVZ. Deshalb werde die Zahl im Kooperationsgespräch mit der Versammlungsbehörde noch detaillierter besprochen. Erwartet werden wahrscheinlich die Linken-Ikone Gregor Gysi und Bundesparteichef Martin Schirdewan. Eine finale Zusage gebe es aber von beiden noch nicht, so der Bundestagsabgeordnete.

Montagsdemos als Symbol für Friedliche Revolution

Kritisiert wird inzwischen von einigen Politikern, dass die Linken dabei den Begriff Montagsdemo verwenden, der seit der Friedlichen Revolution in der DDR und den Leipziger Demos gegen die SED hohe symbolische Bedeutung hat. So hat beispielsweise der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, davor gewarnt, die Montagsdemonstrationen für Proteste gegen die hohen Energiepreise zu instrumentalisieren. „Die Montagsdemonstrationen sind das Symbol für die Friedliche Revolution und den Kampf der Ostdeutschen für Freiheit und Demokratie“, sagte der aus Thüringen stammende SPD-Politiker der „Wirtschaftswoche“. Hinzu kommt: Die Rechte mobilisiert getrennt von der Linken ebenfalls gegen die Energiepolitik der Regierung – nutzt dazu vor allem Montagsspaziergänge.

Pellmann erinnert an Hartz-IV-Proteste

„Mir war es gerade in Bezug auf Leipzig wichtig, das Wort Montagsdemo zu verwenden“, sagt hingegen Pellmann. Allerdings nicht nur mit Blick auf den Herbst 1989, sondern auch aufs Jahr 2004. Damals gab es in Leipzig mehrere große Kundgebungen mit zehntausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern gegen die neuen Hartz-IV-Gesetze. Gemeinsam mit Gewerkschaften und Sozialverbänden werde derzeit ein Aufruf vorbereitet. Dort soll klar sein, dass es einen demokratischen Konsens aller Teilnehmenden und eine klare Abgrenzung gegen Rechtsaußen, Rassisten und Neonazis formuliert wird.

„Der Versammlungsleiter kann unfriedliche oder dem Aufruf zuwiderlaufende Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausschließen.“ Das Wort Montagsdemo dürfe man sich aber nicht von den Rechten wegnehmen lassen. Der ehemalige Thomaskirchenpfarrer Christian Wolff findet es wenig überraschend, wenn die Linke „an ihre zweite Geburtsstunde anzuknüpfen versucht: die Proteste gegen die sogenannten Hartz-IV-Gesetze vor 18 Jahren.“ Eins gibt er ihr aber auf den Weg: „Wer jetzt die Proteste lediglich auf die drohende soziale Schieflage ausrichtet, in die viele Menschen aufgrund der enorm gestiegenen Lebenshaltungskosten und Energiepreise geraten (sind), greift viel zu kurz.“ Die derzeitige dramatische Situation sei“ das Ergebnis von 30 Jahren rücksichtloser Verbrauchspolitik“.


Proteste gegen hohe Energiekosten: Droht Sachsen ein Wut-Winter?

In Sachsen hoffen Rechtsextreme auf Massenproteste im Herbst gegen hohe Energiepreise – und schmieden Pläne für den Umsturz. Ist das nur Getöse oder eine ernste Gefahr?

14.08.2022

Heidenau. Montagabend im Heidenau, südlich von Dresden. Rund 70 Menschen folgen Max Schreiber auf einer kleinen Runde durch die Stadt. Bald werden es mehr sein, daran glaubt Schreiber fest. Die nächste Energiekostenabrechnung könne leicht 5000 Euro hoch sein, sagt er in sein Mikrofon, „und wer das Geld nicht hat, kommt mit uns auf die Straße“. Sein Demonstrationszug zieht an Häuserblocks vorbei, auf den Balkonen stehen Sonnenschirme und Männer in Unterhemden. „Wir laufen hier auch für euch, denn die Energiepreise explodieren nicht nur für uns“, sagt Schreiber. 2019 wollte er für die NPD in den sächsischen Landtag, jetzt ist er aktiv für die vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Kleinpartei „Freie Sachsen“. Er werde nun bestimmt wieder zum Nazi gemacht, sagt Schreiber, „aber das ist mir egal“.

Viele Menschen fürchten sich vor steigenden Energiepreisen. Rechtsextreme versuchen, diese Angst zu vereinnahmen. In Heidenau, Bautzen, Freiberg oder Zwickau, warnen sie vor einem „Energielockdown“, rufen zu sogenannten Bürgerprotesten auf und präsentieren „eine neue Wende“ als Lösung. Seit Wochen sorgen sich Politik und Verfassungsschutz deswegen öffentlich, befürchten radikale Proteste und klassischen Terrorismus. Die Rechtsextremen sind dankbar für diesen Alarm. „Regierung und Mainstreammedien zittern vor den kommenden Wutprotesten“, freuen sich die „Freien Sachsen“ in ihrem Telegram-Kanal. Die Frage ist nur: Befeuern sich da rechtsextremes Getöse und sicherheitspolitische Alarmiertheit gegenseitig? Oder drohen die „Wutproteste“ wirklich? Und wie gefährlich wäre das?

Es ist diese Ausgangslage, die Politiker und Sicherheitsbehörden so besorgt: 44 Prozent der Deutschen würden einer Umfrage des Instituts Insa zufolge gegen hohe Energiepreise auf die Straße gehen. Die Bereitschaft, gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren, lag in den vergangenen zwei Jahren einer Langzeitstudie an der Uni Erfurt zufolge nie mehr als 16 Prozent. Nun ist weder das eine noch das andere schlimm – Demonstrationen sind gutes Recht von jeder und jedem. Aber wo die Gefahr liegt, haben die Corona-Proteste gezeigt: In Sachsen übernahmen die „Freien Sachsen“ die Demonstrationen organisatorisch und benutzten sie, um ihre Umsturz-Gedanken unter die Leute zu bringen.

„Energiekrise kein so großes Mobilisierungspotenzial wie Corona“

Eignet sich die Energiekrise dazu genauso gut wie Corona? Benjamin Winkler arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen und beobachtet die rechtsextreme Szene, auch zusammen mit Forschenden der Universität Leipzig. „Zur Zeit glaube ich nicht, dass die Energiekrise ein so großes Mobilisierungspotenzial hat wie Corona“, sagt er. Von der Pandemie seien alle gleichzeitig und gleich stark betroffen gewesen. Steigende Energiepreise dagegen würden die Menschen unterschiedlich treffen und die Krise entwickele sich schrittweise. „Ich glaube trotzdem, dass ab Herbst wieder mehr Menschen auf die Straße gehen werden und dass es Rechtsextremen gelingen wird, eine gewisse Protestkultur zu etablieren“, sagt Winkler.

Das beobachten Soziologen längst: Ein festes Protestklientel, das für seine diffuse Unzufriedenheit immer neue Themen sucht und findet. Manchmal zieht das viele Menschen an – wie die Kritik an der Flüchtlingspolitik und den Corona-Maßnahmen. Manchmal bleibt die Sache klein – wie bislang beim Protest gegen die deutsche Haltung zum Krieg gegen die Ukraine. Wenn es Rechtsextremen oder anderen Demokratiefeinden aber gelingt, Proteste für sich zu vereinnahmen, liegen darin aus Sicht von Benjamin Winkler zwei Probleme. Zum einen böten Rechtsextreme keine Lösungen für tatsächlich existierende Probleme an. Stattdessen, und das führe zu Problem Nummer zwei, würden einfach aussehende Strategien angeboten, der ganz große Umsturz etwa oder die „Entsorgung“ bestimmter Personen. „Das ist geeignet, Menschen zu radikalisieren, und dann könnten Einzelne, die als Schuldige für die Misere benannt werden, zur Zielscheibe werden“, sagt Winkler.

„Freie Sachsen“: „Zwischen Bürgerkrieg und völkischer Selbstbehauptung“

Eines sieht Winkler derzeit aber nicht unmittelbar kommen: radikale Massenproteste gegen die Energiepolitik. Da ist sich er mit anderen Experten einig. Mit Dieter Rucht etwa, dem emeritierten Soziologieprofessor und einem der renommiertesten Protestforscher Deutschlands. Auch wenn die Energiekrise Unzufriedenheit und heftige Belastungen bedeuten könne, sagte Rucht dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), zu dem auch die LVZ gehört, übersetze sich das nicht automatisch in Protest. Ein Problem müsse dazu als menschengemacht wahrgenommen, „es müssen Schuldige ausgemacht werden“.

Nun kennen auch die Strategen unter den Rechtsextremen diese Mechanismen – und arbeiten daran, sie in ihrem Sinne zu bedienen. Ein Schuldiger für die Energiekrise etwa ist im Telegram-Kanal der „Freien Sachsen“ längst ausgemacht: Robert Habeck von den Grünen, der als „Bundeswirtschaftszerstörungsminister“ bezeichnet wird und dem Max Schreiber am Montagabend in Heidenau symbolisch den Prozess machen wollte. Kurz vorher war das „Volkstheater“ inklusive Entführungsvideo und Pranger vorerst verboten worden. Und am Freitag bestätigte das Verwaltungsgericht Dresden nun diese Entscheidung.

Auch beiläufiger arbeiten die „Freien Sachsen“ an dem Sound, den sie sich offenbar wünschen für ihren erträumten Umsturz: Im parteieigenen Online-Shop gibt es seit einigen Tagen auch Bücher zu kaufen. Darunter ist ein Roman, der eine Verschwörung zwischen Polizei und „der deutschen Rechten“ feiert und in dem laut Klappentext ein Szenario „zwischen Bürgerkrieg und völkischer Selbstbehauptung gezeichnet wird“.

Sinnsuche bei rechtsextremen Ideologen

Genau besehen gibt es bei den rechtsextremen und demokratiefeindlichen Ideologen aber auch eine Sinnsuche, die nicht zur auf den Straßen zur Schau gestellten Entschlossenheit passt. Bei Götz Kubitschek zum Beispiel, rechter Vordenker und Gründer des „Instituts für Staatspolitik“ in Sachsen-Anhalt, das vom Landesverfassungsschutz dort als rechtsextrem eingestuft wird. Kubitschek schrieb Ende Juli eine Text darüber, „was der Winter bringen wird“. Darin wünscht er sich zwar einerseits, die Lage im Land möge schlimmer werden, denn das sei der „Motor jeder ech­ten Wen­de“. Er zweifelte aber auch dran, ob man „der Dyna­mik wegen jeden Wider­stands­lärm“ beklatschen, sich also jede Protestbewegung zu eigen machen sollte. Einig im Umsturzplan ist man sich also nicht, weder bei der Wahl der Mittel noch bei der Idee davon, was statt des aktuellen Systems kommen solle. „Das ist auch eine Besonderheit der neuen Demokratiefeindlichkeit“, sagt Benjamin Winkler von der Amadeu Antonio Stiftung. „Die Vorstellungen sind vage.“ Der klassische Führerstaat, lange propagiert von der NPD? Längst nicht mehr mehrheitsfähig.

Die Protest-Routine auf Sachsens Straßen ist von all dem aktuell noch unbeeindruckt. Zu den montäglichen Protesten an verschiedenen Orten sind in den vergangenen Wochen zwar wieder leicht mehr Menschen gekommen, aber die Anzahl ist weiter überschaubar. Eine Sache ändert sich gerade aber schon, und das hat der Montagabend in Heidenau gezeigt: Die Protestformen werden radikaler. Der geplante Schauprozess gegen Robert Habeck alarmierte nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch die Bundesinnenministerin von der SPD, Nancy Faeser. Das Kulturbüro Sachsen, das die rechtsextreme Szene im Freistaat beobachtet und das normalerweise nicht für eine Überbetonung der Gefahr durch die Proteste der „Freien Sachsen“ bekannt ist, besorgte die Habeck-Inszenierung ebenfalls.

„Von der anfänglichen Devise, bei den Corona-Protesten ‚keine Gewalt‘ anzuwenden, hat die rechtsextreme Kleinstpartei sich inzwischen weit entfernt“, ordnet das Kulturbüro ein. „Sie wirbt offenkundig mit extremistischen Aktionen und Gewaltdarstellungen um neue Teilnehmer.“ Der schon bei Corona heraufbeschworene Umsturz dürfte also auch diesen Winter ausbleiben. Harmlos muss das, was gerne ein „Wutwinter“ sein will, deswegen aber längst nicht bleiben.