Chef des ostdeutschen Abhörzentrums: „Wir sind keine pauschalen Datensammler“

Für die Verbrecherjagd soll eine staatliche Lausch-Zentrale in Leipzig eingerichtet werden. Das gemeinsame Projekt verzögerte sich mehrmals, Brandenburg stellte die Zahlungen ein. Nun erklärt der Leiter, wie die Abhörzentrale hochgefahren werden soll.

Die Flure strahlen klinisch rein, die Büros erinnern an normale Amtsstuben: Im Leipziger Norden hat der Testlauf für die neue Abhörzentrale begonnen – eines der umstrittensten Vorhaben auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit.

Hier wird künftig die polizeiliche Kommunikationsüberwachung (TKÜ) von fünf ostdeutschen Bundesländern gebündelt. Spätestens 2027 soll das „Gemeinsame Kompetenz- und Dienstleistungszentrum“ (GKDZ) ans Netz gehen. Das wäre mit achtjähriger Verspätung.

Das Abhörzentrum: großer Wurf gegen Mord und Totschlag?

Die Pläne reichen bis ins Jahr 2012 zurück, als eine erste länderübergreifende Kooperation vereinbart worden war. Fünf Jahre später gaben Brandenburg, Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen grünes Licht für das Großprojekt und unterzeichneten einen Staatsvertrag. Mecklenburg-Vorpommern beteiligt sich an einem Abhörzentrum der Nordländer. Es ging in diesem Jahr an den Start – nach 14-jähriger Vorbereitung.

Die Innenminister bezeichnen das Leipziger GKDZ als großen Wurf gegen Schwerverbrechen wie Terrorismus, Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Kinder- und Jugendpornografie sowie organisierte Kriminalität, beispielsweise Einbrecherbanden.

Zum Spektrum gehören das Entschlüsseln von Telefon- oder Internetverbindungen sowie der Versand von „stillen“ Nachrichten zur Ortung von Mobiltelefonen und das Erstellen von Bewegungsprofilen. Daneben wird es eine Zweigstelle in Dresden geben, die aber vorwiegend als Rechenzentrum dient.

Abhörzentrum: Messenger im Fokus

Im klassischen Sinn – à la Stasi 2.0 – ist keine Überwachung vorgesehen. Der GKDZ-Vorstandsvorsitzende Markus Pannwitz stellte kürzlich gegenüber der Leipziger Volkszeitung und der Sächsischen Zeitung klar: „Wir sind ein technischer Dienstleister. Keiner unserer Leute hört in irgendetwas rein oder liest mit. Wir sind auch keine pauschalen Datensammler.“ Das GKDZ werde erst aktiv, wenn es durch die Justiz – als Bestandteil von Ermittlungsverfahren – angeordnet wird. „Wir werten nicht aus, sondern stellen lediglich die Daten den Ermittlern zur Verfügung.“

Bislang hat jedes Bundesland eigene Rechenzentren und professionelle „Hacker“, um Kommunikationswege zu entschlüsseln und an Informationen heranzukommen. Durch die sozialen Medien, Metadaten und Messengerdienste wie WhatsApp, Signal oder Telegram wächst das Datenvolumen allerdings rasant.

IT-Experten bei der Polizei sind rar

Deshalb müssten die Polizeien der Bundesländer ständig Speicherkapazitäten erweitern und immer mehr eigene IT-Experten einstellen, die auch noch rar sind. Ziel des neuen Abhörzentrums ist deshalb nicht nur eine Zentralisierung von Kompetenzen, sondern auch eine Kosteneinsparung. Bis das Abhörzentrum irgendwann komplett arbeitet, sollen jeweils die bisherigen TKÜ-Systeme weitergenutzt werden – dabei droht absehbar eine technische Überalterung.

Das unterstreicht auch das Brandenburger Innenministerium. Die Vorteile lägen in der Bündelung von Fachpersonal und finanziellen Mitteln sowie in der gemeinsamen Nutzung neuester Technik. „Diese im gemeinsamen Staatsvertrag beschriebenen Ziele bestehen weiterhin fort. Das Trägerland Brandenburg hält am Staatsvertrag fest“, teilte Sprecherin Josefine Roggenbuck mit.

Abhörzentrum: Probleme führten zu Verzögerung

Bei der Umsetzung der Hightech-Pläne haben sich allerdings gravierende Probleme aufgetan: Bis heute gibt es noch keine funktionierende Software, die in der Praxis eingesetzt werden kann. Aktuell läuft – rein intern und nicht am Netz – eine Testvariante.

„Wir haben bei null angefangen. Es gibt keine Blaupausen oder Vorbilder in diesem besonderen Bereich der polizeilichen Technikbereitstellung. Das ist Pionierarbeit“, sagt GKDZ-Chef Pannwitz.

Nachdem das Musterprojekt zunächst wegen Abstimmungsproblemen unter den Landesregierungen gestockt hatte, erfolgte 2021 eine europaweite Ausschreibung. Der Auftrag ging an die Leipziger Firma Ipoque, die zum Branchenriesen Rohde & Schwarz gehört und sich selbst als „Weltmarktführer für Deep Packet Inspection (DPI) Software“ bezeichnet.

Doch es hakte unter anderem bei der Programmierung. Lieferverträge konnten nicht eingehalten werden. Ein Anbieterwechsel wurde diskutiert. Da auch andere Firmen kein konkretes Lieferdatum garantieren konnten, sei es letztlich bei dem Auftrag geblieben, erklärte Klaus Zimmermann (CDU), Innenstaatssekretär in Sachsen-Anhalt. GKDZ-Chef Pannwitz räumt ein: „2024 waren wir in einer sehr schwierigen Lage.“

Abhörzentrum: Brandenburg stellt Zahlung vorübergehend ein

Der Bund der Steuerzahler hat das Abhörzentrum in sein neues Schwarzbuch der Verschwendung aufgenommen: Das GKDZ habe Millionen verschlungen, lautet die Kritik – ohne dass das System einsatzbereit sei. Neben den Kosten für die Technik musste lange Zeit auch das bereits eingestellte Personal – 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – bezahlt werden.

Der Software-Dienstleister hat wegen der massiven Verzögerungen schon 13 Millionen Euro Schadensersatz überwiesen. Darüber hinaus werden von der Firma pro Monat rund 250.000 Euro für laufende Kosten übernommen.

Wegen der Verzögerungen hat Brandenburg – wie Sachsen – die Zahlungen für das Projekt auf Eis gelegt. In diesem und im nächsten Jahr soll kein Geld fließen.

Wie hoch die Kosten für das Projekt inzwischen liegen, ist nicht bekannt. Details, „etwa zu den konkreten Investitionen in die Polizeirechenzentren werden aus Gründen des Geheim- und Sabotageschutzes nicht veröffentlicht“, heißt es aus dem Potsdamer Ministerium. Für den Aufbau waren ursprünglich 16 Millionen Euro veranschlagt worden.

Laut einer Wirtschaftlichkeitsanalyse soll das GKDZ den beteiligten Bundesländern einmalig 32,7 Millionen Euro und zusätzlich pro Jahr insgesamt sieben Millionen Euro einsparen. „Die pauschale Aussage, dass das GKDZ teurer wird, ist nicht haltbar. Die erwarteten Einsparungen wird es in der Zukunft auch weiterhin geben. Das gemeinsame Projekt bleibt wirtschaftlich“, versichert GKDZ-Chef Pannwitz: „Bis 2027 soll die Systemsoftware abgenommen und in den Wirkbetrieb überführt sein.“

Kritik am Abhörzentrum der Länder

Die Kritik zielt aber nicht nur auf die Kosten. So haben Datenschützer auch rechtliche Bedenken. Die sächsische Datenschutzbeauftragte Juliane Hundert forderte etwa, dass genau geklärt werden müsse, welche Informationen erhoben und verarbeitet werden: „Das macht mir Sorgen.“

Dies betreffe etwa Daten, die möglicherweise bei Online-Durchsuchungen gewonnen wurden. Linke und Grüne verlangen eine Klärung, welche Befugnisse das GKDZ ganz konkret haben soll – und ob diese Befugnisse überhaupt verfassungskonform sind.
Daneben muss das GKDZ eine entscheidende Hürde nehmen:

Neben Bundesgesetzen gibt es für seine künftige Arbeit jeweils auch eigene Landespolizeigesetze – und diese sind im Detail unterschiedlich. Das betrifft beispielsweise Regelungen zur Gefahrenabwehr, etwa zum präventiven Hacken eines Handys oder Computers („Online-Durchsuchungen“).

Start des Abhörzentrums bis 2027?

GKDZ-Chef Pannwitz macht klar: „Unser Anspruch ist es, den Ermittlern ein zukunftsfähiges Werkzeug an die Hand zu geben.“ Dafür stehe der rechtliche Rahmen fest. Am Ende gehe es häufig darum, hält Pannwitz entgegen, „Menschenleben zu retten“.
Geht es nun 2027 wirklich los mit dem gemeinsamen Abhörzentrum? Einen konkreten Starttermin will das Brandenburger Innenministerium nicht nennen.

„Alle Parteien arbeiten intensiv daran, den entstandenen Verzug zu minimieren und den Wirkbetrieb schnellstmöglich zu erreichen“, teilte die Sprecherin mit. „Gegenwärtig macht das Unternehmen gute Fortschritte, sodass ein stabiles Projektgeschäft vorliegt.“

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Andreas Debski
06.11.2025

Millionengrab oder Polizei-Hightech? Neues Abhörzentrum soll bis 2027 in Leipzig starten

Für die Verbrecherjagd soll die staatliche Lausch-Zentrale in Leipzig künftig ein Schlüssel sein. Doch es gibt reichlich Kritik und jahrelange Verzögerungen. Was steckt dahinter? Jetzt redet der Vorstandschef.

Die Flure strahlen klinisch rein, die Büros erinnern an ganz normale Amtsstuben: Im Leipziger Norden hat der Testlauf für die neue Abhörzentrale begonnen – eines der umstrittensten Vorhaben auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit.

Hier wird künftig die polizeiliche Kommunikationsüberwachung (TKÜ) von fünf ostdeutschen Bundesländern gebündelt. Spätestens 2027 soll das „Gemeinsame Kompetenz- und Dienstleistungszentrum“ (GKDZ) – so der offizielle Name – ans Netz gehen. Das wäre mit achtjähriger Verspätung.

Das Abhörzentrum

Die Pläne reichen bis ins Jahr 2012 zurück, als eine erste länderübergreifende Kooperation vereinbart worden war. Fünf Jahre später gaben Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Berlin Sachsen grünes Licht für das Großprojekt. Sachsen war dabei stets federführend.

Ursprünglich war der Start für 2019 vorgesehen, wurde danach aber immer wieder verschoben. Für Norddeutschland ist in diesem Jahr ein Rechen- und Dienstleistungszentrum nach 14-jähriger Vorbereitung in Betrieb genommen worden, das beim Landeskriminalamt Niedersachsen angesiedelt ist, aber anders als die Ost-Länder arbeitet.

Die Innenminister bezeichnen das Leipziger GKDZ als großen Wurf gegen Schwerverbrechen wie Terrorismus, Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Kinder- und Jugendpornografie sowie organisierte Kriminalität, beispielsweise Einbrecherbanden.

Zum Spektrum gehören das Entschlüsseln von Telefon- oder Internetverbindungen sowie der Versand von „stillen“ Nachrichten zur Ortung von Mobiltelefonen und das Erstellen von Bewegungsprofilen. Daneben wird es eine Zweigstelle in Dresden geben, die aber vorwiegend als Rechenzentrum dient.

Die Überwachung

Im klassischen Sinn – à la Stasi 2.0 – ist keine Überwachung vorgesehen. Der GKDZ-Vorstandsvorsitzende Markus Pannwitz stellt gegenüber der Leipziger Volkszeitung und der Sächsischen Zeitung klar: „Wir sind ein technischer Dienstleister. Keiner unserer Leute hört in irgendetwas rein oder liest mit. Wir sind auch keine pauschalen Datensammler.“ Das GKDZ werde erst aktiv, erklärt Pannwitz, wenn es durch die Justiz – als Bestandteil von Ermittlungsverfahren – angeordnet wird. „Wir werten nicht aus, sondern stellen lediglich die Daten den Ermittlern zur Verfügung.“

Bislang hat jedes Bundesland eigene Rechenzentren und professionelle „Hacker“, um Kommunikationswege zu entschlüsseln und an Informationen heranzukommen. Durch die sozialen Medien, Metadaten und Messengerdienste wie WhatsApp, Signal oder Telegram wächst das Datenvolumen allerdings rasant.

Deshalb müssten die Polizeien der Bundesländer ständig Speicherkapazitäten erweitern und immer mehr eigene IT-Experten einstellen, die auch noch rar sind. Ziel des neuen Abhörzentrums ist deshalb nicht nur eine Zentralisierung von Kompetenzen, sondern auch eine Kosteneinsparung. Bis das Abhörzentrum irgendwann komplett arbeitet, sollen jeweils die bisherigen TKÜ-Systeme weitergenutzt werden – dabei droht absehbar eine technische Überalterung.

Die Probleme

Bei der Umsetzung der Hightech-Pläne haben sich gravierende Probleme aufgetan: Bis heute gibt es noch keine funktionierende Software, die in der Praxis eingesetzt werden kann. Aktuell läuft – rein intern und nicht am Netz – eine Testvariante.

„Wir haben bei null angefangen. Es gibt keine Blaupausen oder Vorbilder in diesem besonderen Bereich der polizeilichen Technikbereitstellung. Das ist Pionierarbeit“, sagt GKDZ-Chef Pannwitz.

Nachdem das Musterprojekt zunächst wegen Abstimmungsproblemen unter den Landesregierungen gestockt hatte, erfolgte 2021 eine europaweite Ausschreibung. Der Auftrag ging an die Leipziger Firma Ipoque, die zum Branchenriesen Rohde & Schwarz gehört und sich selbst als „Weltmarktführer für Deep Packet Inspection (DPI) Software“ bezeichnet.

Doch es hakte unter anderem bei der Programmierung. Lieferverträge konnten nicht eingehalten werden. Ein Anbieterwechsel wurde diskutiert. Da auch andere Firmen kein konkretes Lieferdatum garantieren konnten, sei es letztlich bei dem Auftrag geblieben, erklärt Klaus Zimmermann (CDU), Innenstaatssekretär in Sachsen-Anhalt. GKDZ-Chef Pannwitz räumt ein: „2024 waren wir in einer sehr schwierigen Lage.“

Die Kosten

Der Bund der Steuerzahler hat das Abhörzentrum in sein neues Schwarzbuch der Verschwendung aufgenommen: Das GKDZ habe Millionen verschlungen, lautet die Kritik – ohne dass das System einsatzbereit sei. Neben den Kosten für die Technik musste lange Zeit auch das bereits eingestellte Personal – 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – bezahlt werden.

Der Software-Dienstleister hat wegen der massiven Verzögerungen schon 13 Millionen Euro Schadensersatz überwiesen. Darüber hinaus werden von der Firma pro Monat rund 250.000 Euro für laufende Kosten übernommen.

Für den Aufbau des Abhörzentrums waren ursprünglich 16 Millionen Euro veranschlagt worden. Zuletzt hatte Sachsen knapp 3,9 Millionen Euro im Jahr für den Weiterbetrieb eingeplant. Dieser Anteil hat sich zumindest vorläufig erledigt:

„Für das Wirtschaftsjahr 2025 zahlt der Freistaat Sachsen im Ergebnis rechtlicher Maßnahmen keinen Finanzierungsbeitrag“, stellt Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) klar.

Laut einer Wirtschaftlichkeitsanalyse soll das GKDZ den beteiligten Bundesländern einmalig 32,7 Millionen Euro und zusätzlich pro Jahr insgesamt sieben Millionen Euro einsparen. „Die pauschale Aussage, dass das GKDZ teurer wird, ist nicht haltbar. Die erwarteten Einsparungen wird es in der Zukunft auch weiterhin geben. Das gemeinsame Projekt bleibt wirtschaftlich“, versichert GKDZ-Chef Pannwitz: „Bis 2027 soll die Systemsoftware abgenommen und in den Wirkbetrieb überführt sein.“

Die Kritik

Die Kritik zielt aber nicht nur auf die Kosten. So haben Datenschützer auch rechtliche Bedenken. Die sächsische Datenschutzbeauftragte Juliane Hundert fordert, dass genau geklärt werden müsse, welche Informationen erhoben und verarbeitet werden: „Das macht mir Sorgen.“

Dies betreffe etwa Daten, die möglicherweise bei Online-Durchsuchungen gewonnen wurden. Linke und Grüne verlangen eine Klärung, welche Befugnisse das GKDZ ganz konkret haben soll – und ob diese Befugnisse überhaupt verfassungskonform sind.
Daneben muss das GKDZ eine entscheidende Hürde nehmen: Neben Bundesgesetzen gibt es für seine künftige Arbeit jeweils auch eigene Landespolizeigesetze – und diese sind im Detail unterschiedlich. Das betrifft beispielsweise Regelungen zur Gefahrenabwehr, etwa zum präventiven Hacken eines Handys oder Computers („Online-Durchsuchungen“).

Für das Abhörzentrum gelten für den einzelnen Auftrag künftig die Vorgaben des Bundeslandes, das das Ermittlungsverfahren führt. Sachsen plant, die Polizei mit mehr Befugnissen auszustatten.

GKDZ-Chef Pannwitz macht klar: „Unser Anspruch ist es, den Ermittlern ein zukunftsfähiges Werkzeug an die Hand zu geben.“ Dafür stehe der rechtliche Rahmen fest. Am Ende gehe es häufig darum, hält Pannwitz entgegen, „Menschenleben zu retten“.