Bushaltestelle als Zuhause: Obdachloser in Oschatz löst Welle der Solidarität aus
In Oschatz sorgt ein obdachloser Mann, der in einer Bushaltestelle lebt, für Diskussionen. Die Stadt will die Bank abbauen, doch Anwohner zeigen Solidarität und bieten Hilfe an. Wie geht es für den Mann weiter?
Er will lieber seine Ruhe haben, ist aber seit Tagen Stadtgespräch in Oschatz: der Mann, der sich mit seinen Habseligkeiten in der Bushaltestelle am Friedhof eingerichtet hat.
Nach der Ankündigung der Stadtverwaltung, die Bank dort vorübergehend abzubauen, schlugen die Wogen hoch. Am Montagabend kamen vor Ort über 30 Menschen zusammen, um ihre Solidarität mit dem obdachlosen Mann zu bekunden.
Ein Schlafsack und eine Wolldecke liegen auf der Bank am Busstop, unter der Sitzfläche ein kleiner Koffer und Tüten. Nein, zu kalt sei es nachts nicht. Jedenfalls noch nicht versichert der 53-Jährige. In die Notunterkunft will er nicht. „Da ist man mit wildfremden Menschen in einem Raum, außerdem muss man Angst um seine Sachen haben“, sagt er.
Während des Gespräches zündet er sich eine Zigarette an und greift nach dem Aschenbecher, der neben ihm steht. Lange habe er in Bautzen gelebt, dann in Oschatz und viele Jahre gearbeitet, bevor er krank wurde. Wie kam es dazu, dass er jetzt mit seinen Sachen in einer Bushaltestelle schlafen muss? Er erzählt von Verlusten und Schicksalsschlägen. „Das kann jeden treffen“, so der Mann.
Das weiß Peter Dreuw. Der Oschatzer wohnt ganz in der Nähe, in der Hospitalstraße. „Ich sehe täglich Menschen, die in der Stadt unterwegs sind und keine Perspektive haben. Da ist es mutig, dass er sich zeigt und auf die Situation aufmerksam macht“, findet er.
Erinnerungen an getöteten Obdachlosen in Oschatz
Peter Dreuw versichert, der Mann tue niemandem etwas. „Er trinkt nicht, er nimmt keine Drogen und ist höflich. Dass die Stadt das sogenannte Problem jetzt lösen will, indem sie die Bank an der Haltestelle abbaut, macht mich wütend“, sagt er.
Dreuw erinnert daran, dass 2011 sechs junge Männer André K., einen Obdachlosen, der in einem Wartehäuschen am Südbahnhof übernachtet hatte, totgetreten haben. „Das war so schrecklich, das kann ich nicht vergessen. Deshalb habe ich auch jetzt Angst, dass der Mann in Gefahr ist“, so der Anwohner.
Oschatzer Tafel im Kontakt mit wohnungslosem Mann
Auch Birgit Friedrich von der Tafel in Oschatz sorgt sich um den Wohnungslosen. Etwas ratlos ist sie, denn bisherige Angebote hat der 53-Jährige ausgeschlagen. Darüber urteilen will sie nicht. „Wir können alle in diese Situation kommen und jeder hat seine Geschichte“, sagt die Leiterin.
Die Stadt Oschatz, das seien auch die Einwohner, meint sie. „Deshalb sollten wir alle überlegen, was können wir tun, um wohnungslosen Menschen zu helfen.“ Montags um 17 Uhr soll es dazu künftig einen Austausch in der Tafel geben. Hier könnten Mitarbeiter Hilfesuchende beraten und Möglichkeiten ausgelotet werden.
Unterdessen bringen Oschatzer warme Getränke und Essen an die Bushaltestelle. Eine junge Frau schlägt vor, der wohnungslose Mann könne, zumindest zeitweilig, in einer Gartenlaube unterkommen, ein anderer Nachbar bietet ihm das Bad zum Duschen an. „Das ist gut, da komme ich morgen vorbei“, bedankt sich der 53-Jährige.
Cindy Friedrich, stellvertretende Vorsitzende der Tafel in Oschatz, kann von etlichen solcher Hilfsangebote berichten. „Ich weiß von Leuten, die ihm morgens immer einen Kaffee vom Bäcker mitbringen. Dass so viele Menschen Anteil nehmen, ist ein gutes Zeichen für unsere Stadt“, sagt sie.
Hilfe für in Not geratene Menschen in Oschatz
Auch wenn sie aktuell noch nicht wisse, wie es mit dem Mann weitergehe, wirbt sie für die Unterstützung durch die Tafel. „Wir beraten Menschen, die in Not geraten sind, helfen bei Anträgen oder dabei, eine Wohnung auszustatten“, nennt sie Beispiele.
Man wolle für Menschen in solchen Fällen eine faire Lösung finden. „Uns geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um ein gutes Miteinander in der Stadt“, betont Cindy Friedrich.
Stadt: Bank wird nicht abmontiert
Darauf setzt man auch im Rathaus. Wie Sprecherin Katja Suda mitteilt, gab es durch die Verwaltung bereits mehrere Versuche, den Mann in der städtischen Notunterkunft unterzubringen. Die Plätze dort sind aber begrenzt, wie lange eine Unterbringung noch möglich sein kann, ist daher offen.
„Es gab mehrere Gespräche mit dem Betroffenen. Sämtliche, auch darüber hinausgehende Hilfsangebote der Stadt oder auch des Landratsamtes wurden durch ihn abgelehnt“, so Katja Suda. Die derzeitige Situation sei für alle Beteiligten unbefriedigend. Weder stelle der Fahrgastunterstand einen witterungsfesten Aufenthaltsort dar, noch könne dieser aktuell durch die Busreisenden genutzt werden.
So deutet alles darauf hin, dass der Mann vorläufig weiter an der Haltestelle bleibt. An seinem Schlafplatz hier wird sich nichts ändern. Wie die Stadtsprecherin bestätigt, soll die Bank vorerst nicht zurückgebaut werden. „Eine für alle zufriedenstellende Lösung konnte bisher nicht erzielt werden, daran ist uns allerdings sehr gelegen“, macht sie deutlich.
———————————————————————————–
Kristin Engel
07.05.2024
13 Jahre nach brutaler Tat: Mahnwache für André K. in Oschatz
Es war eine grausame Tat: Sechs Männer schlugen in Oschatz auf einen 50-jährigen Obdachlosen ein und ließen ihn schwer verletzt zurück. Hilfe kam zu spät. Am 28. Mai wird eine Mahnwache gehalten.
Das Soziokulturelle Zentrum E-Werk Oschatz veranstaltet am 28. Mai um 17 Uhr gemeinsam mit der Kirchengemeinde und der RAA Opferberatung Leipzig eine Mahnwache am Südbahnhof Oschatz in Gedenken an André K., der vor 13 Jahren brutal zusammengeschlagen wurde und später verstarb.
Was war passiert? Als sich der Obdachlose André K. Ende Mai 2011 zum Schlafen in das Wartehäuschen im Oschatzer Südbahnhof legte, wurde er von sechs Männern im Alter zwischen 16 und 36 Jahren brutal angegriffen. Schwer verletzt und hilflos wurde er zurückgelassen. Erst am nächsten Morgen, am 27. Mai, wurde der damals 50-Jährige entdeckt. Offene Wunden im Gesicht und am Schädel, Knochenbrüche und zahllose blaue Flecken, die durch massive stumpfe Gewalteinwirkung hervorgerufen wurden.
Als Folge der Schädelbrüche sei eine Hirnhautentzündung entstanden, die schließlich zu einem Organversagen führte. André K. erlag fünf Tage nach dem Angriff im Krankenhaus seinen Verletzungen – am 1. Juni 2011.
Bezüge in die Neonazi-Szene
Es gab Hinweise darauf, dass die Täter ihr Opfer aufgrund seines sozialen Status als Wohnungsloser abgewertet und folglich angegriffen haben. Dies bestätigte Ulrike Sprenkmann vom Verein RAA Sachsen. Das Projekt „Support“ des RAA Sachsen unterstützt Betroffene rechts motivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, deren Angehörige und Zeugen.
„Bereits im Vorfeld des Gerichtsverfahrens wurde bekannt, dass mindestens einer der Haupttäter eindeutige Bezüge in die Neonazi-Szene hatte. Trotz dieser Umstände sah das Gericht im Laufe des Verfahrens keine hinreichenden Hinweise, dass eine rechte beziehungsweise sozialdarwinistische Einstellung der Beteiligten bei der Tat eine Rolle spielte, konnte jedoch auch kein anderes Motiv für den brutalen Gewaltakt benennen. Unter anderem aus diesem Grund wurden die Angeklagten schließlich wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt“, erklärt Ulrike Sprenkmann. Das bedeutet, dass zwei Jahre später fünf Männer wegen Totschlags verurteilt wurden. Gegen zwei wurden 13 beziehungsweise zehn Jahre Gefängnis verhängt und gegen drei weitere Mittäter mildere Jugendstrafen.
Um André K. und der Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren ist, zu gedenken, gibt es am 28. Mai um 17 Uhr eine Mahnwache am Südbahnhof Oschatz.