“Es gibt viele absurde Sachen, die ich nicht versteh, doch ich weiß, heute Abend will ich tanzen geh’n!” (Egotronic)

Am heutigen Tag findet auf dem Angerdreieck eine Tanzdemo statt, die sich mit Merz und seiner Bundesregierung darum streiten will, wie das Stadtbild richtig auf „Sauberkeit“ getrimmt werden kann. Unter dem Motto „Für ein Stadtbild mit Herz statt Merz-Schmerz“ laden die Beteiligten zu Dj-Set und Tanz und betreiben neben ordentlich Selbstinszenierung auch einiges an Ideologieproduktion. Unsere Kritik an Merz, dem Protest sowie dem allgegenwärtigen Wahn in diesem Land gibt es im folgenden Beitrag.

Sechs Haftbefehle nach Angriff auf Flüchtlingsunterkunft im Ilm-Kreis: Nach mehreren Durchsuchungen wurden sechs Verdächtige festgenommen. Ihnen wird versuchter Mord und Brandstiftung vorgeworfen. (MDR, 24.10.2025)

Ukrainische Geflüchtete in Thüringen „Wie im Gefängnis“: ständigen Kontrollen, Willkür und Schikane. Zimmer würden durchsucht, Putzdienste als Strafe verteilt und auf medizinische Diäten keine Rücksicht genommen. (taz, 21.10.2025)

Gewalt gegen Obdachlose: Im Durchschnitt fast täglich ein Opfer: Die Brandanschläge gegen Obdachlose in Dortmund und Essen in dieser Woche zeigen, wie gefährlich Menschen auf der Straße leben. (WDR, 26.09.2025)

Hoher Bedarf: Erste Insassen in der Abschiebehaftanstalt Arnstadt untergebracht: Migrationsministerin Meißner zeigt, wie groß der Bedarf in Thüringen ist. (MDR, 20.08.2025)

Mann in Erfurter Straßenbahn angegriffen: Das Opfer war Richtung Europaplatz unterwegs, als gegen 6:30 Uhr ein unbekannter Mann zustieg. Dieser entdeckte nach ersten Erkenntnissen der Polizei bei dem 24-Jährigen einen Davidstern, beleidigte ihn, schlug mehrfach auf ihn ein und versuchte, ihn aus der Bahn zu ziehen. (MDR, 26.09.2025)

Polizei schaltet Kameras auf dem Erfurter Anger scharf: Eigentlich sollte es die gute Stube von Erfurt sein: Der Anger. Doch seit vielen Jahren ist der Platz als krimineller Schwerpunkt eingestuft. (MDR, 17.10.2025)

19-jährige Syrerin auf offener Straße in Oschersleben bedroht: In Oschersleben (Sachsen-Anhalt) beleidigt ein unbekannter Mann eine 19-jährige Frau auf offener Straße rassistisch. Der Mann hält einen Gegenstand hinter seinem Rücken versteckt und droht der Frau mit Gewalt, sollte sie nicht die Straße verlassen. (MZ, 23.06.2025)

Thüringer SPD-Landräte wollen Geflüchteten Bürgergeld als Darlehen auszahlen: Geflüchtete sollen die in Deutschland erhaltenen Sozialleistungen zurückzahlen: Das fordern zwei Thüringer SPD-Landräte. (Spiegel, 14.08.2025)

Regierung einigt sich auf Bürgergeld-Sanktionen: Wer drei Termine schwänzt, kriegt KEINE Stütze mehr. Jetzt kommen die Knallhart-Sanktionen (Bild, 09.10.2025)

Abschiebungen nach Afghanistan Deal mit Taliban wohl sicher: Berichten zufolge soll bereits in den nächsten Tagen ein Abschiebeflug nach Afghanistan starten. (taz, 23.10.2025)

“Wahn ist der Ersatz für den Traum, daß die Menschheit die Welt menschlich einrichte, den die Welt der Menschheit hartnäckig austreibt” (Adorno)

Eine kurze Presseschau der vergangenen drei Monate zeigt: In Deutschland ist der Mensch ganz bei sich – Traditionen werden gepflegt und zelebriert. Lederhosen und Dirndl verdecken dabei nur das, was seit jeher des Deutschen Kleider sind: Rassismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus.

Ideologie, die hier den besten Acker zum Gedeihen findet, einen Menschenschlag, der jeglichen Rest an Vernunft zugunsten der Identifikation mit Staat und Nation durchstreicht und sich seiner eigenen prekären Stellung im Verwertungsprozess bewusst seiend, fortwährend diesem „Volksstaat“ (Enderwitz) andient.

„So versucht er, dem Apparat seinen Nutzen zu beweisen, indem er sich, in vorauseilendem Gehorsam, rassistisch gegen ,Minderwertige‘ und antisemitisch gegen die ,überwertig‘ Halluzinierten abgrenzt und ausagiert.“ (ISF) Wenn es die Syrer und Juden nicht gäbe, das bürgerliche Subjekt müsste sie zum Zweck seiner Integration erfinden.

Dass sich der Kampf um Verwertung nicht nur in einem permanenten Hauen und Stechen auf deutschen Straßen oder im gesetzgeberischen Ausdruck dieses permanenten Kampfes (CDU & SPD) äußert, sondern auch im vermeintlichen Protest gegen die rassistischen „Stadtbild“-Aussagen von Friedrich Merz, war in der letzten Woche zu beobachten. Nicht das verstärkte Abschieberegime oder der antisemitische Mob auf deutschen Straßen – schlicht der rassistische und antisemitische Normalzustand – empörte „die Töchter“ (wie sie von Merz für seine rassistischen Stadtbildaussage instrumentalisiert wurden), es war die Verwendung eben dieser pauschalisierenden Bezeichnung.

So ging es dann auch recht schnell nicht mehr um diejenigen, gegen die sich Merz’ Aussage gerichtet hat (die eh schon von rassistischer Politik betroffen sind – Stichwort Bezahlkarte), sondern um „die Anständigen“ selbst, die zum Zweck ihrer moralischen Selbstvergewisserung mal wieder ordentlich „Aufstand“ inszenieren konnten. Die gefühlte moralische Überlegenheit – wohlgemerkt in einer Gesellschaft, in der Hunger kein Grund zur Produktion ist – ist eben das, was im Selbstverständnis der dort aufgelaufenen Wirtschaftssubjekte den Vorteil im Verwertungsprozess ausmacht.

Dazu passt auch der auf Schildern herumgetragene Verfassungspatriotismus. „Die Würde des Menschen ist unantastbar…“ steht da wie im Grundgesetz auf einem Schild, wobei ja schon der Artikel “des” verrät, dass es nicht um die Menschen geht, wie sie real auf der Erde herumlaufen („der Menschen“), sondern um einen abstrakten Menschen – eine Abstraktion also, die ein Produkt allerhand Projektionen ist.

Und so ist es dann auch nur konsequent, wenn in den Begründungen in den Talk-Formaten, wenn die Betroffenen überhaupt mal Thema sind, zu deren Verteidigung vor allem die deutsche Volkswirtschaft herangezogen wird. So kommentiert der deutsche Chefideologe Richard David Precht in seinem Podcast mit Markus Lanz z.B. „All die Menschen, die dazu beitragen, unsere Gesellschaft am Laufen zu halten, die zum Teil immer noch Arbeiten machen, wo man kaum noch Leute, die deutscher Herkunft sind, zu bringt, diese Jobs noch zu machen, weil sie meistens schlecht bezahlt sind und was mit Dreck zu tun haben und so weiter. So, die sind alle Teil unseres Stadtbildes.“ (Lanz&Precht, 24.10.25.)

Nicht etwa, weil es Menschen sind, sollte man sie auch wie solche behandeln – nein, weil sie für Deutsche den „Dreck“ wegmachen und so „unsere Gesellschaft am Laufen halten“. Der Mensch verdient sich die Würde, indem er für die deutsche Volkswirtschaft produktiv ist; ansonsten wird er von eben dieser Würde ausgeklammert (zu Beginn des Podcasts wurden minutenlang Rechnungen angestellt, wie viele „Illegale“ noch abgeschoben werden müssten).

Da wundert es auch kaum, wenn auf Bildern von den Demonstrationen „der Töchter“ unter dem Schild „Wir sind das Stadtbild“ dem Äußeren nach, keine einzige migrantisierte Person steht und damit der „Stadtbild“-Aussage von Merz auch noch das bildliche Äquivalent gegeben wird.

Was ebenfalls nicht fehlen durfte, war das deutsche Ritual der Holocaustrelativierung, und so wurde ein Meme auf Social Media geteilt, welches Merz mit Goebbels verglich (Goebbels schrieb 1941 in sein Tagebuch: „Sie [die Juden] verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung.”) So wird noch aus den toten Juden moralischer Gewinn geschlagen, während man den Lebenden die Solidarität verweigert und lieber mobilisiert, zur „Pro-Palästina“-Demo, während man vom „Völkermord“ fabuliert. So offenbart sich diese Linke und ihr parlamentarischer Arm, die Partei Die Linke, als das, was sie nun mal seit jeher sind: der linke Flügel der Volksgemeinschaft, die mit den Rechten nur darum ringt, wie die Krise der deutschen Volkswirtschaft richtig zu managen sei. Dass nie etwas Gutes geschah, wenn sich die Deutschen bei etwas einig waren, nötigt Ines Schwerdtner anlässlich der anti-israelischen Großdemonstration in Berlin nicht etwa zum Zweifeln, sondern zum Kommentar: „Wir tragen die Stimme der Mehrheit auf die Straße.“ (https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2025/09/die-stimme-der-mehrheit-auf-die-strasse-bringen)

Gleiches war schon Monate vorher zu beobachten, als sich eine antisemitische Demo mit ähnlichem Motto in Jena auf die deutsche Mehrheitsmeinung bezog: „Mindestens 60 % der Bürger*innen sind gegen weitere Waffenlieferungen an Israel.“ Und so ist dann auch klar, dass diese Linke und ihre parlamentarische Vertretung dem rassistischen, antisemitischen und sozialdarwinistischen Hauen und Stechen nur die eigenen Varianten hinzuzufügen hat.

Der antirassistische Aktivismus begeht derweil immer noch denselben Fehler wie seit jeher (https://dissens.noblogs.org/post/2023/07/26/keine-asylpolitik-ohne-unmenschlichkeit-warum-die-brutalitat-der-eu-grenzen-zum-humanismus-dieser-gesellschaft-gehort/):

In Erfurt lädt er zum Tanzen auf dem Anger und appelliert mit Forderungen an den Staat, “funktionierende Bleiberechtsregelungen” zu schaffen, obwohl es eben dieser Staat ist, der die permanente Entrechtung Geflüchteter vollzieht. Und so verkommt der Tanz-Protest zur Ideologie, die wie jede andere Ideologie, in der Verdrängung der Gewalt sich gründet. Das Recht ist die juristische Form der kapitalistischen Verwertung selbst – es verkörpert den Schein der individuellen Freiheit, den die bürgerliche Gesellschaft braucht, um ihre Verhältnisse und damit ihr Gewaltmonopol zu legitimieren.

Doch in dem Maße, in dem die Akkumulation des Kapitals auf eine fortgesetzte Zufuhr von Menschen, Arbeitskraft und Mobilität angewiesen ist, wächst in der kapitalistischen Krise beim Pöbel der Drang (https://dissens.noblogs.org/post/2025/03/02/nie-wieder-ist-1933-die-afd-ist-so-jetzt/) danach, seine eigene Austauschbarkeit für das Kapital erahnend, sich mit allen Mitteln den Platz im Kreislauf der Verwertung zu sichern.

Das bietet der politischen Klasse Möglichkeiten “das Profil zu schärfen”, hat sie doch mit dem Gewaltmonopol das definitiv letzte Argument. “Dass sich die Verfolgten, so gut es eben noch geht, an die Garantien des Rechtsstaates klammern, liegt in der Natur der Sache, und ihr fataler Irrtum kann kein Gegenstand der Kritik sein. Dass allerdings die Ausländerfreunde in ihrer staatsbürgerlichen Verblendung so unfähig wie unwillig sind, die Forderung nach noch mehr Rechtsstaat zu überschreiten, ist ein Skandal, der das genaue Maß anzeigt, in dem sogar die Opposition zu den treuesten Fans des Nationalstaats gehört“ (ISF).

Was dieser Opposition nicht zum Skandal, nicht zur bundesweiten Demonstration reichte, für die nationale Raserei jedoch schwerwiegende Auswirkungen haben wird, war die Abschaffung des Bürgergeldes durch die aktuelle Bundesregierung. Die neue „Grundsicherung“ mit ihren geplanten 100 %-Sanktionen wird die Panik in den bürgerlichen Subjekten weiter kultivieren und provozieren: Panik vor dem Ausschluss eben jener Gesellschaft, der man nur durch die konstante Verwertung angehört – auf die man als weißer deutscher Mann immer noch am ehesten Anrecht hat.

Und so besorgt die Produktion der Panik “die Nazifizierung der Subjekte, die sodann vermittels ihrer Verstaatlichung in den Formen von Law & Order in die geordnete und volksgemeinschaftliche Aggression nach innen und außen gegossen werden wird“ (ISF). Die volksgemeinschaftliche Aggression trifft zuerst diejenigen, die unmittelbar erreichbar sind – Geflüchtete und die als unproduktiv Abgestempelten – und zuletzt diejenigen, und das war seit jeher der stärkste Kitt für die Volksgemeinschaft: die Juden.

Dem Wahn allerdings zum Trotz, bleibt neben der Kritik der Flüchtlingspolitik (https://kritischetheorie.wordpress.com/2016/03/10/kritik-der-fluechtlingspolitik/) das notwendige Mittel derzeit, die selbstorganisierte Solidarität gegen einige der aktuellen Zumutungen für Geflüchtete zu unterstützen.

Tauscht Bargeld gegen Gutscheine (https://www.instagram.com/seebruecke_erfurt/p/DAygfmjIF_p/) und unterstützt die Organisierung gegen Abschiebungen! (https://soliasyl.noblogs.org/)