Mittelsachsens Ex-Landrat Dirk Neubauer spricht über Rückzug aus der Politik: „Ich bin gescheitert“

Dirk Neubauer und die Bürgermeisterin von Lommatzsch, Anita Maaß, sprechen in Döbeln über ihre Beweggründe, sich aus der Kommunalpolitik zurückzuziehen. Dabei kommt es zu bewegenden Momenten und kontroversen Diskussionen.

Es ist das erste Mal seit seinem Rücktritt als Landrat von Mittelsachsen, dass Dirk Neubauer (parteilos) in einem öffentlichen Forum in Döbeln auftritt. Seine Gesprächspartnerin ist Dr. Anita Maaß (FDP), seit 20 Jahren Bürgermeisterin von Lommatzsch.
Beide eint der Rückzug aus der Lokalpolitik, den Neubauer vollzogen hat und Maaß für nächstes Jahr plant. Die Gründe sind sehr gegensätzlich, das Interesse der Bürger groß. Im Café Courage reichen am Dienstagabend die Stühle nicht.

Politische Querelen und persönliche Bedrohung

Den Vorwurf, der ihm gemacht wurde, dass er mit einer opulenten Pension in den Ruhestand geht, weist der 54-Jährige energisch zurück. Dafür müsste er noch mindestens zwei Jahre weitermachen. „Der Rücktritt war die schwerste Entscheidung meines Lebens“, sagt Neubauer. Danach hat er ohne eine Versorgung dagestanden.

Die Situation habe sich hochgeschaukelt, eine eine große Front im Kreistag gegeben: CDU, AfD, Freie Wähler und Freie Sachsen. Es sei absehbar gewesen, dass dies in den nächsten fünf Jahren so weitergehen würde. „Aber ich bin nicht angetreten, um für jemanden einen Job zu machen, sondern, um gemeinsam etwas zu bewegen“, so Neubauer.

Suche nach Waffenhändler im Internet

Mit vielen Sprechstunden habe er den Bürgerkontakt gesucht: „Das waren sehr einsame Abende.“ Solche Angebote funktionierten nie, es sei denn, das Thema der Veranstaltung richte sich gegen etwas, zum Beispiel die Windkraft. Die politischen Querelen seien aber nur die eine Seite. Als viel schlimmer und bedrohlich – auch für seine Familie – empfindet Dirk Neubauer die persönlichen Anfeindungen.

Er habe Unmengen Drohbriefe und E-Mails erhalten. Neubauer berichtet: Wenn er spätabends nach Hause kam, hätten täglich zwei Personen in einem Auto vor seiner Tür gesessen. Als er sie zur Rede stellen will, fuhren sie weg. Dann tut er, was er nie wollte und installiert Bewegungsmelder und Kameras an seinem Haus. Auf die schaut er auch eines Nachts. „In diesem Moment ist mir klar geworden, dass ich mich hier nicht mehr sicher fühle und meine Familie schützen muss“, so der Ex-Landrat.

Die Entscheidung zum Rücktritt sei das Ergebnis all dieser und weiterer Ereignisse, die er nicht benennen will. Einige Andeutungen konkretisiert seine Lebensgefährtin, die unter den Zuschauern sitzt: Dirk Neubauer wird in den sozialen Medien in Sträflingskleidung gezeigt – nur, weil er sich für Erneuerbare Energien einsetzt. Außerdem ist im Internet nach einem Waffenhändler gesucht worden, weil man einen Landrat loswerden muss. „Da wird jemand zum Abschuss freigegeben, und es stellt sich niemand vor ihn und sagt: Hier ist Schluss. Das ist eine ganz schlimme Entwicklung“, so die Lebensgefährtin.

Anfeindungen auf allen politischen Ebenen

Die ganze Situation ist schwer zu ertragen. „Als Familie hatten wir Sorge, dass wir das lebend überstehen“, erklärt sie. Neubauer ist seiner Familie, mit der er viel diskutiert habe, sehr dankbar.

„Wenn es sie nicht geben würde, wäre ich jetzt nicht hier in Döbeln“, verdeutlicht er die extreme Anspannung und ergänzt: „Die letzten zwölf Monate meines Lebens möchte niemand haben.“

Auf Nachfrage der Moderatorin des Abends Alexandra Gerlach erklärt er, ohne zu überlegen: „Ja, ich bin gescheitert. Es ist richtig, das zu erkennen.“ Es sei klar gewesen, dass im Kreistag weiterhin gegen fortschrittliche Projekte gestimmt wird. „Ich bin jeden Tag wegen irgendetwas durchs Dorf getrieben worden. Und das wäre die nächsten fünf Jahre so weitergegangen“, meint er.

Nach seinem Rücktritt habe er Tausende E-Mails von Kommunalpolitikern, angefangen bei Gemeinderäten über Stadträte bis zu Landräten erhalten. Sie bedanken sich bei ihm dafür, dass er die prekäre Situation öffentlich macht. Denn Anfeindungen gibt es auf allen politischen Ebenen. Aus Angst vor weiteren Repressalien traue sich aber niemand, darüber zu sprechen.

Maaß betrachtet Aufgabe in Lommatzsch als erledigt

Herausfordernde Situationen kennt auch Anita Maaß. Die erste gab es bereits im Jahr 2007. Damals geht es in Lommatzsch um die Einführung von Abwasserbeiträgen. Es gibt Petitionen, Demos und eine Stadtratssitzung in der Kirche. Nicht nur sie, auch Stadträte sind diffamiert worden – unter dem Motto: „Kaufen Sie nicht bei diesem Fleischer. Er befürwortet die Abwasserbeiträge.“ An diesem Thema ist sogar der weitere Kreis ihrer Familie zerbrochen.

Im März dieses Jahres sieht sich Maaß einem Abwahlantrag der AfD gegenüber. Die Stadtratsfraktion wirft ihr unzulässige Amtsführung vor. Letztlich stimmen 10 der 17 Anwesenden gegen die Abwahl. Beides und andere Unstimmigkeiten mit dem Stadtrat sind aber keine Gründe, im nächsten Jahr nicht wieder anzutreten. „Man hat mich nicht zum Aufgeben, sondern zum Kämpfen gewählt“, sagt die 49-Jährige.

Dass sie den Stuhl für einen Nachfolger freimachen wird, steht schon länger fest. Auch sie hat mit sich gerungen, „aber ich habe das Gefühl, meine Aufgabe in Lommatzsch ist erfüllt“, meint Maaß. Sie denkt, dass sie die Stadt so weit entwickelt hat, dass sie gehen kann. „Ich verlasse die Stadt auf dem Höhepunkt“, sagt sie.

Und sie ist noch jung genug, um sich noch einmal anderen Aufgaben zu widmen. Welche das sein werden, lässt sie offen. Dirk Neubauer hat sich inzwischen selbstständig gemacht. Er berät Kommunen in Bezug auf Erneuerbare Energien. Erste positive Ergebnisse sind sichtbar.

Neubauer plädiert für eine Staatsreform

Im Umgang mit der Politik und den gewählten Kommunalvertretern vertreten beide während der Diskussion mit den Gästen häufig unterschiedliche Meinungen. Während Neubauer die Hoffnung hatte, im Kreis wie zuvor als Bürgermeister in Augustusburg gemeinsam mit den Räten und Bürgern etwas bewegen zu können, spricht Maaß von der Notwendigkeit einer Leitfigur: „Sonst sägen wir selbst den Ast ab, auf dem wir sitzen.“

Neubauer plädiert für eine Staatsreform mit weniger politischen Ebenen, wodurch die Kommunen handlungsfähiger werden. Denn in ihnen findet das Leben statt. Die Verwaltungen haben aktuell keinen Spielraum mehr. „Sie werden gelenkt, vom goldenen Zügel der Finanzpolitik.“

Globale Themen wie der Klimawandel und Erneuerbare Energien müssen lokal gelöst werden. „Wir bekommen Probleme, wenn wir uns den Herausforderungen nicht stellen“, so Neubauer. Dafür müssen die Akteure auch kompromissbereit sein und unter der Prämisse agieren: „Ich habe nicht bekommen, was ich wollte, aber ich habe verstanden, weshalb nicht, und trage die Entscheidung mit.“

Das Thema Windenergie ist durch eine spezielle politische Strömung aufgeladen, so Maaß. Das Problem ist, dass es dazu in der politischen Führung Sachsens keine Klarheit gibt. Die Verantwortung wird an die Kommunen abgegeben. Die Verwaltungen sind aber der erste Ansprechpartner der Bürger „Und das schafft Frust“, so Maaß.

Gemeinsames Ziel: die Gesellschaft entwickeln

Menschen, die sich politisch engagieren wollen, rät Neubauer, ihre Ideale in dem großen Politikbetrieb nicht zu verlieren. „Die Stabilität, die wir brauchen, können wir nur selber herstellen. Dass ich das nicht ausgehalten habe, ist eine andere Sache“, erklärt er und fordert die Bürger auf, sich einfach mal mit den Themen ihrer Stadt zu befassen und zu schauen, wo sich der Einzelne einbringen kann.

Anita Maaß ist es wichtig, unabhängig zu sein, ein Ziel und Visionen zu haben. „Ohne kann man nichts voranbringen“, meint sie. „Wir haben eigentlich ein gemeinsames Ziel – die Gesellschaft zu entwickeln. Wir gehen nur verschiedene Wege.“ Sie ist es leid, Illusionen hinterherzujagen. Es braucht Führungskräfte, die sagen, wofür sie stehen. Dabei ist es wichtig, Verständnis für deren Handeln zu schaffen.

Dirk Neubauer hat das Gefühl, dass es immer mehr Menschen gibt, die etwas verändern wollen, aber nicht wissen, wie. „Ich bin auf vielen Demos. Dort sehe ich aber keine Vertreter aus der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik.“