Jens Spahn: SimpleBreath-Vergabe weist auf Vetternwirtschaft hin

Eine aktuelle Recherche von Spiegel TV liefert neue Informationen zu einer fragwürdigen Maskenvergabe unter Jens Spahn.
Dazu kommentiert Aurel Eschmann, Experte für Lobbyregeln:
„Jens Spahn und das Gesundheitsministerium müssen erklären, wieso ein 30-Millionen-Euro-Auftrag an eine Firma vergeben wurde, die zu diesem Zeitpunkt gerade mal eine Woche alt war und keinerlei Expertise in diesem Gebiet vorweisen kann. Dieser Vorgang ist schlicht unbegreiflich. Bisher ist die einzig ersichtliche Erklärung für diese Vergabe, dass einer der Gründer aus Spahns politischem Netzwerk kam. In dieser Situation ist es nicht ausreichend, wenn Spahn beteuert, er habe von nichts gewusst. Ein Minister muss seine Entscheidungen erklären können oder eben die Konsequenzen auf sich nehmen.”
Wenige Monate nach der Auftragsvergabe fand das Spendendinner statt. Der Mitgründer von SimpleBreath, Kevin Straßburger, war zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe der persönliche Referent von Peter Zimmermann, der wiederum ein enger Freund von Jens Spahn und Veranstalter des Spendendinners ist. Brisant und neu ist die Information, dass die beiden SimpleBreath-Gründer gemeinsam mit Zimmermann eine weitere Firma gegründet haben. Dazu kommentiert Eschmann:
„Durch eine solche Geschäftsbeziehung könnten Gewinne aus dem Maskenauftrag intransparent an Zimmermann zurückgeflossen sein. Damit entsteht der Eindruck, das Spendendinner könnte eine Gegenleistung für die Auftragsvergabe gewesen sein. Der Sachverhalt muss daher dringend weiter aufgeklärt werden.”
Hintergrund
– Wie eine neue Recherche von Spiegel TV darlegt, vergab das Gesundheitsministerium am 15. August 2020 einen Auftrag im Wert von 30 Millionen Euro für OP-Masken an die Firma SimpleBreath. Die Firma war zu diesem Zeitpunkt eine GbR, die nicht mal eine Woche alt war und weder im Handelsregister registriert war noch über Expertise in diesem Gebiet verfügte. Einer der Gründer, Kevin Straßburger, war zu dem Zeitpunkt persönlicher Referent von Peter Zimmermann, seines Zeichens Spahn-Freund und Veranstalter des bekannten Spendendinners im Oktober 2020.
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Jürgen Dahlkamp, Marvin Milatz und Adrian-Basil Mueller
04.09.2025
Dieses Foto zeigt Jens Spahn bei einem geheimnisumwitterten Spendendinner
Ein Leipziger PR-Mann hat Spenden für Ex-Gesundheitsminister Spahn beschafft, half ihm mit Plakaten im Wahlkampf. Hat er etwas mit einem lukrativen Maskenauftrag zu tun, den sein Ex-Mitarbeiter ergatterte?
Es ist ein altes Foto, das ihn nun einholt. Ein Foto, das heute ins öffentliche Bild von Jens Spahn passt: dass es da einer nicht so genau nimmt mit den Regeln, weil Regeln was für Bürokraten sind, für Bedenkenträger. Dass man auch mal fünf gerade sein lassen muss, damit die Dinge richtig laufen.
Es sei denn, es geht um 10.000 Euro, wie in diesem Fall. Dann sollten Parteispender der CDU offenbar doch besser krumme 9900 Euro zahlen. Denn ab 10.000 müssten die Namen der Spender veröffentlicht werden, und das wollten Spahns Gönner damals in Leipzig ganz offensichtlich umgehen.
Es ist das erste Foto von jenem bis heute geheimnisumwitterten Spendendinner, zu dem Jens Spahn am 20. Oktober 2020 nach Sachsen gereist war.
Am Morgen noch hatte Spahn, damals Gesundheitsminister, im ZDF gemahnt, wie vorsichtig alle sein sollten, um sich nicht mit Corona anzustecken. »Wir wissen vor allem, wo es die Hauptansteckungspunkte gibt. Nämlich beim Feiern, beim Geselligsein, zu Hause privat oder eben in der Veranstaltung, auf der Party im Klub.«
So war der offizielle Sound jener Tage: Auch Kanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der Länder hatten gerade empfohlen, »sehr konsequent auf die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zu achten, die Hygieneregeln stets einzuhalten und dort, wo es geboten ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen«.
Nun zeigt das Foto, dass die Regeln, die Spahn für andere aufstellte, für ihn selbst nicht galten. Er trug offenbar noch dieselbe Krawatte, denselben Anzug wie morgens im ZDF, als er die Öffentlichkeit belehrte, nun aber stand er dicht umringt von fünf Männern, ohne Mundschutz, ohne Mindestabstand, so als wäre er immun gegen Corona.
Am Tag danach in Quarantäne
War er dann aber doch nicht: Am nächsten Tag meldete sich Spahn Corona-positiv ab; die Teilnehmer des Leipziger Abendmahls gingen in Quarantäne. So kam überhaupt raus, dass sich Unternehmer in Leipzig mit einer Spende von knapp 10.000 Euro an einen Tisch mit Jens Spahn setzten, der offiziell natürlich nicht als Minister, sondern als CDU-Spitzenpolitiker angereist war.
Wäre das Foto damals schon ans Licht gekommen, inmitten der erhitzten Debatten über Hotspots, Shutdowns und Kontaktverbote, es hätte Spahn den Ministerjob kosten können. Heute, im Jahr 2025, reichen für einen Spahn-Rücktritt nicht mal die sündhaft teuren Maskenkäufe, mit denen er dem Steuerzahler einen Milliardenschaden eingebrockt hat.
Dass Spahn, inzwischen Fraktionschef der Union im Bundestag, damals auf die Corona-Disziplin pfiff, wird ihm fünf Jahre später nicht mehr zum Verhängnis werden.
Das Problem mit diesem Foto ist heute ein anderes: Es wirft erneut ein Schlaglicht auf die Netzwerke, die Spahn knüpft. Netze, in die er sich einwickeln lässt und wohl auch andere einwickelt. Die ihn zu einem mächtigen Mann in der Politik gemacht haben. Aber auch zu einem Hinterzimmerpolitiker, der, wie er mal im SPIEGEL sagte, herausgefunden haben will: dass Angebote von Leuten, die »man kennt und einschätzen kann«, wesentlich besser funktionierten als von anderen, mit denen man noch nie zu tun hatte.
Es geht in diesem Leipziger Netzwerk um Wahlplakate, um Spenden, um das Geschäft mit Zugängen, Kontakten und – möglicherweise – auch mit Corona-Masken. Um ein Man-kennt-sich-hilft-sich-profitiert-voneinander. Spahn-typisch eben.
Netzwerken als Feldzug
Der Mann, der Spahn hier den Filzteppich ausrollt, steht auf dem Foto im Türrahmen hinter ihm. Er heißt Peter Zimmermann und hat das Spendendinner organisiert. Zimmermann war Regierungssprecher in den Ländern Sachsen und Thüringen , er diente unter Georg Milbradt, Stanislaw Tillich, Christine Lieberknecht, alle CDU.
2016 kaufte sich Zimmermann in eine Leipziger PR-Agentur ein, die Westend Communication, die 2019 ihren Namen änderte in Wolffberg Management Communication. Zimmermann ist der Chef, arbeitet für namhafte Unternehmer in Ostdeutschland und hat dank seiner Jahre in der Politik ein Adressbuch, das in Sachsen seinesgleichen sucht.
Menschen, die ihn kennen, beschreiben ihn als einen Mann, der das Netzwerken wie einen Feldzug betreibe. Nichts bei ihm sei Zufall, alles überlegt, selbst ob er »Hallo« oder »Guten Morgen« sage, sei eine bewusste Entscheidung, flachst einer, der mit ihm gearbeitet hat.
So wie Zimmermann ist auch Spahn einer, der Kontakte sammelt, augenscheinlich in informellen Netzwerken denkt und lebt. Vor etwa 20 Jahren habe man sich zum ersten Mal gesehen, lässt Zimmermann ausrichten. Auch Spahn spricht von »vielen Jahren gemeinsamer politischer Arbeit«.
Nach außen sichtbar wird die Connection im April 2017: Zimmermann macht für ausgesuchte Kunden, Honoratioren und Journalisten einen Promi-Talk. Das Ganze findet bei ihm Zuhause statt, unter dem Namen »Salon Brückenkopf«.
Zu den Promis, die Zimmermann seinen Gästen präsentierte, gehörten schon Sachsens amtierender Ministerpräsident Michael Kretschmer, die Grüne Katrin Göring-Eckardt, der Fußballtrainer Ralf Rangnick, der Sänger Clueso. Und 2017 Jens Spahn, da noch Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium. Nur eine lockere Plauderei, wie sich ein Teilnehmer erinnert.
Plakate aus Leipzig für Spahn
Tatsächlich verband Spahn und Zimmermann im Jahr der Bundestagswahl 2017 noch mehr: Wahlplakate. Spahn hat seinen Wahlkreis tief im Westen, an der niederländischen Grenze, mehr als 350 Kilometer von Leipzig entfernt. Und Wolffberg, damals noch Westend, war eine Agentur, bekannt dafür, Kunden aus dem Mittelstand zu betreuen, Firmenhefte zu machen.
Mit politischer Werbung, gar mit Wahlplakaten, habe die Agentur bis dahin nichts zu tun gehabt, sagen mehrere Personen, die damals dabei waren, aber nicht mit Namen auftauchen wollen.
Das habe sich 2017 geändert, für Spahn, vor der Bundestagswahl. Selbst Westend-Mitarbeiter seien überrascht gewesen. Es sei um Großplakate und Veranstaltungsplakate für Spahns Wahlkreis gegangen. Die Fotos habe damals ein Spahn-Mitarbeiter an die Agentur geschickt. Westend habe Motive ausgewählt, die Plakate gestaltet, in einem Fall zum Beispiel eine Brille fototechnisch ausgetauscht, damit Spahn besser aussah.
Aber warum ging Spahn dafür ausgerechnet zu den Polit-Novizen nach Sachsen? Spahn sagt zu den Plakaten nichts, verweist an seinen CDU-Kreisverband Borken. Der will von Leipziger Wahlkampfhilfe aber nichts wissen: Es habe damals keinen Auftrag für diese Agentur gegeben, keine Rechnungen, keine Zahlungen.
Fehlende Rechnungen und Zahlungen lassen sich aber erklären. Denn Spahn zahlte nichts. »Die Agentur Westend erbrachte verschiedene Leistungen durch den Einsatz eines Grafikers«, bestätigt Agenturchef Zimmermann über seinen Anwalt. Spahns Mitarbeiter habe Vorlagen der Bundes-CDU geschickt, der Grafiker daran gearbeitet, vier bis fünf Arbeitstage.
Ob auch Druckkosten anfielen? Soweit heute noch feststellbar, wohl nicht, heißt es etwas schwammig. Und wer bezahlte die Arbeit, laut Zimmermann nur rund 2400 Euro wert? Keiner. Nachdem Spahn als Gast im Salon aufgetreten sei, ohne Gage, habe es Zimmermann »als unhöflich empfunden, die letztlich geringe Summe in Rechnung zu stellen«, so sein Anwalt.
Einzugsermächtigungen für die CDU
Drei Jahre später kommt Spahn erneut in Zimmermanns Haus: das Spendendinner. Namen nennen Spahn und Zimmermann auch fünf Jahre danach nicht. Das sei ein privates Treffen gewesen, lässt Zimmermann ausrichten. Spahn behauptet, er könne »Details nicht mehr« nachvollziehen; dabei ist er Chef des CDU-Kreisverbandes Borken, an den die Spenden gingen.
Einige Namen kursieren: ein Immobilienmakler, ein Arzt, zwei Medienunternehmer, regionale Prominenz. Auf dem Foto stehen – neben Spahn und Zimmermann sowie dessen Mitgeschäftsführer Ulrich Müller ganz rechts – drei Männer, die nur im Profil oder von hinten zu sehen sind. Gleichwohl glauben Personen, die mit der damaligen Veranstaltung zu tun hatten, zwei identifizieren zu können.
Den Zweiten von rechts als Stephan Stubner, damals Rektor der HHL Leipzig Graduate School of Management, einer privaten Managerschmiede. Und den Bärtigen mit dem Rücken zur Kamera: Eric Malitzke, damals Chef des Paketdienstes DPD.
Anruf des SPIEGEL bei Stubner: Stubner nimmt nicht ab. SMS-Nachricht an Stubner: Stubner reagiert nicht. WhatsApp-Nachricht an Stubner: Stubner ignoriert sie. Auch einen Fragenkatalog dazu. Und das Foto, das man ihm schickt. Die Hochschule sagt, sie habe nicht gespendet. Ob Stubner, möge man Stubner fragen. Stubner antwortet nicht.
Eric Malitzke, der frühere DPD-Chef, Ende 2022 dort ausgeschieden, lässt wissen, es habe »weder an Herrn Spahn noch an die CDU noch an eine andere der CDU nahestehende Organisation je eine Spende« gegeben. Von einer Spende der DPD sei ihm nichts bekannt, »ich habe keine veranlasst«. Auch Malitzke schweigt hartnäckig dazu, ob er beim Dinner dabei war, ob privat oder dienstlich. DPD wiederum sagt, das heutige Management sei 2017 noch nicht im Dienst gewesen; Parteispenden oder ähnliche Zahlungen seien bei DPD verboten. Deshalb habe man nun eine interne Prüfung eingeleitet.
Gastgeber Zimmermann lässt dazu wissen, »gelegentlich« verbinde er so ein Salontreffen »mit dem Vorschlag, zur Unterstützung des Hauptgastes Spenden zu leisten«. Nichts Ungewöhnliches also, soll das heißen, vor allem aber: Niemand habe spenden müssen, um dabei zu sein. Es sei so gelaufen: An rund 15 Personen seien Einladungen rausgegangen, verbunden mit zwei möglichen Rückantworten: eine mit einem Einzugsermächtigungs-Formular für die CDU, eine ohne.
Alle Spenden unter der Meldegrenze
Nach SPIEGEL-Informationen sollen für die CDU Borken knapp 100.000 Euro zusammengekommen sein, 9900 Euro pro Spender, deshalb nicht meldepflichtig. Spahns Kreisverband dementiert auf Anfrage nur, dass es 9999 Euro gewesen sein sollen, wie die »Bild-Zeitung« mal schrieb. Die Zahl sei »falsch«, tönte Spahn schon in seinem Buch über die Corona-Zeit.
Aber 9900 Euro, dazu sagen Spahn und sein Kreisverband nichts mehr. Dabei röchen 9900 Euro genauso streng nach systematischer Vermeidung der Meldepflicht wie 9999.
Einerseits zahlte sich das Leipziger Essen also für Spahns politische Arbeit aus.
Andererseits dürfte sich der Abend für Zimmermann gelohnt haben, selbst wenn er sagt, er habe keinen wirtschaftlichen Nutzen daraus gezogen. Zum Marktwert einer Agentur gehört, dass man Mandanten zeigen kann, welche Verbindungen man ihnen eröffnen kann. Und dass alles mit allem zusammenhängt – wer weiß, wofür es mal nützlich sein könnte.
Ein direktes Geben und Nehmen ist weder nötig noch üblich; es geht um potenziell nützliche Zugänge oder schlicht darum, dass sich Kunden geschmeichelt fühlen, dabei zu sein, wenn große Namen in kleinen Zirkeln auftauchen.
So war es wohl auch hier: Nach Angaben aus Wolffberg-Kreisen waren sowohl DPD als auch die Hochschule Kunden der Agentur. Wolffberg-Chef Zimmermann hüllt sich dazu in Schweigen, auch DPD und die Uni machen daraus ein Geheimnis.
Millionendeal mit CDU-Mitgliedern
Zu den einerseits auffälligen, andererseits undurchsichtigen Verbindungen rund um Wolffberg-Chef Zimmermann könnte auch ein millionenschwerer Maskendeal passen, den Spahns Ministerium machte, ausgerechnet im direkten Umfeld von Wolffberg. Abgeschlossen wurde er im April 2020, ein halbes Jahr vor dem Spendendinner.
Ins Geschäft mit dem Bund kam damals die Firma SimpleBreath UG (haftungsbeschränkt) – das UG steht für Unternehmergesellschaft, beliebt bei Gründern, die keine 25.000 Euro Kapital für eine GmbH aufbringen können oder wollen. Auch SimpleBreath hatte anfangs nur 400 Euro Stammkapital, gründete sich gerade erst, hatte daher keinerlei Erfahrung im Maskengeschäft.
Es war die Zeit jener wilden Maskendeals, bei denen sich Spahn als Gesundheitsminister auch selbst ans Telefon hängte und mit Maskenhändlern Mengen und Preise verhandelte. Spahn ließ kaufen und kaufen, 5,8 Milliarden Masken für 5,9 Milliarden Euro, eine massive Überbeschaffung, wie der Bundesrechnungshof später rügte.
Darunter waren Abschlüsse, die im Nachhinein absurd wirken. Zum Beispiel, als das Ministerium schon mit Angeboten für 4,50 Euro pro FFP-2-Maske überflutet worden war, weitere Masken zu diesem Preis abgelehnt hatte, bei einer Firma mit besten CSU-Kontakten aber noch mal groß für 5,40 Euro pro Stück einkaufte.
In dieselbe Kategorie »rätselhaft« fällt offenbar der Deal mit der SimpleBreath aus dem Dunstkreis von Wolffberg. Möglicherweise erweckt er aber auch nur einen falschen Eindruck, so wie das passieren kann, wenn alle ständig mit allen netzwerken, es ausnahmsweise aber keine Verbindung gibt.
SimpleBreath im sächsischen Markranstädt gehörte zu den anfangs 44, später 37 Firmen, die mit einer Abnahmegarantie des Bundes Masken in Deutschland herstellen sollten. Der Gesellschaftsvertrag datierte auf den 7. April 2020. Nur acht Tage später schloss Spahns Haus den Vertrag mit ihr ab; da stand die Firma noch nicht mal im Handelsregister. Referenzen: null.
Gründer und Eigentümer war, wie das Onlineportal »apotheke-adhoc« schon 2022 herausfand, ein CDU-Mitglied, 24 Jahre alt. Erst deutlich später, im August 2021, kam mit der Änderung in eine GmbH offiziell ein zweiter Geschäftsführer hinzu. Sein Name: Kevin S., damals 33, Historiker, früher bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, auch er in der CDU. Tatsächlich scheint aber auch Kevin S. von Anfang an dabei gewesen zu sein. Im Karriereportal Linked-In gibt er seinen Einstieg mit Mai 2020 an, gleich nach dem Maskendeal mit dem Bund.
Dazu passt: Im April 2020 hörte Kevin S. bei seinem alten Arbeitgeber auf, und dieser Arbeitgeber hieß: Wolffberg. Dort war Kevin S. die rechte Hand von Zimmermann, »Referent der Geschäftsführung«.
Der zweitgrößte OP-Maskenauftrag – ohne Referenzen
Anders gesagt: Maskenbeschaffer Spahn hat einen alten Bekannten, Zimmermann, und der wiederum einen engen Mitarbeiter, der spontan umsattelt. Von PR-Agenturmann auf Atemmaskenhersteller. Er geht zu einer Firma, die groß ins Geschäft kommt, mit Masken für Spahns Ministerium. Und knapp ein halbes Jahr später beschafft Zimmermann Spenden. Für Spahns CDU-Kreisverband.
Was hinzu kommt: Selbst nach dem Wechsel zur Maskenfirma sollte Ex-Referent Kevin S. später noch eine führende Rolle in Zimmermanns Firmengeflecht spielen. Bis zum März 2025 war er – neben seinem Job als Maskenmanager – Chef einer Firma, die vor allem Plakatwände für Wahlkämpfe vermietet. Ihr Haupteigentümer: Zimmermanns Agentur.
Was sich auch auf dem Werkshof der Maskenfirma zeigt. Dort stehen die Plakatwände herum – jener Firma, die von Zimmermann dominiert wird. Man habe Lagerflächen an die Plakatfirma vermietet, zu üblichen Konditionen, sagt SimpleBreath dazu.
Nach SPIEGEL-Informationen kaufte der Bund 333 Millionen OP-Masken bei SimpleBreath. Das Start-up ergatterte damit den zweitgrößten Auftrag für OP-Masken aus heimischer Produktion, wie sich aus einer vertraulichen Liste des Bundes ergibt. Wie die Firma bestätigt, lag der Stückpreis bei 9 Cent, der Umsatz demnach bei knapp 30 Millionen Euro. Außerdem gab es einen Zuschuss des Bundeswirtschaftsministeriums über 1,045 Millionen Euro für den Maschinenpark.
Zwar war SimpleBreath nach SPIEGEL-Informationen unter den 37 heimischen Herstellern der zweitgünstigste Anbieter für OP-Masken. Von überzogenen Margen ist daher nicht auszugehen. Andere Fabrikanten, die ins Geschäft kamen, waren deutlich teurer.
Trotzdem soll der SimpleBreath-Gewinn, so Berechnungen auf Basis der veröffentlichten Geschäftszahlen, 2021 bei sechs Millionen Euro gelegen haben – eine Zahl, die SimpleBreath nicht bestätigen will. Später lief es nicht mehr so gut, auch wegen der Billigkonkurrenz aus Fernost; für 2022 und 2023 deuten die Zahlen auf Verluste hin. Aber ja, anfangs habe ihnen durchaus das Glück des Tüchtigen zur Seite gestanden, etwa mit sinkenden Preisen für die Rohmaterialien, lässt SimpleBreath mitteilen.
Wie viel Glück aber brauchte es, dass eine Firma aus dem Nichts solch einen Auftrag aus dem Spahn-Ministerium an Land zog?
Rätselhafter Vertrauensvorschuss
Zu einzelnen Vertragspartnern will das Ministerium keine Angaben machen. Insgesamt gingen – als Teil der 5,9 Milliarden Euro schweren Maskenbeschaffung – Aufträge über 1,237 Milliarden Euro an Firmen, die in Deutschland Schutzmaterial herstellten. Darunter waren sowohl einfache OP-Masken wie bei SimpleBreath als auch wesentlich teurere FFP-2-Masken.
Doch einen üblichen Bieterwettbewerb gab es zuvor nicht. Begründung: die Corona-Notlage, der Zeitdruck. Stattdessen sprach das Ministerium einige Unternehmen an, andere, so ein Sprecher, hätten sich gemeldet, nachdem die Vergabeunterlagen auf der Internetseite standen.
Am Ende suchte eine Anwaltskanzlei für den Bund die Firmen aus. Voraussetzung, so das Ministerium: »Die Verfahrensteilnehmer mussten insbesondere eine Produktion der Waren in Deutschland unter Berücksichtigung der vorgegebenen Qualitätsstandards sicherstellen können.«
Offenbar genoss SimpleBreath dabei einen enormen Vertrauensvorschuss. Wie sonst hätte eine Firma, die nicht mal im Handelsregister stand, am 15. April 2020 sicherstellen können, dass sie in der gewünschten Menge und Qualität produzieren würde? Dazu der Ministeriumssprecher: Man habe ja Firmen dazu motivieren wollen, »in die Maskenproduktion überhaupt erst einzusteigen«.
Darauf beruft sich auch SimpleBreath. Der damals 24-jährige Gründer habe »seit Längerem den Aufbau einer Maskenproduktion in Deutschland erwogen«, erklärt die Firma. So sei er auf das Bundesangebot gestoßen, auf der Internetseite des Ministeriums. Zwar hatte der Gründer vorher nichts mit Textilwirtschaft oder verwandten Branchen zu tun. Er habe aber Erfahrungen in den Bereichen »Beschaffung, Produktionssteuerung sowie Qualitäts- und Projektmanagement« vorweisen können.
Neben seinem Studium habe er außerdem eine Ausbildung im Rettungsdienst gemacht, »woher eventuell ein Stück weit die Expertise mit Schutzausrüstung kommt«, so SimpleBreath. Und: SimpleBreath sei auch nicht die einzige Firma gewesen, die einen Zuschlag bekam, obwohl sie noch nicht im Handelsregister stand. Bei mindestens einer weiteren Firma, aus Dresden, sei das genauso gewesen. Eine Ausnahme war es trotzdem.
Dementis, Dementis, Dementis
Zu der Frage, ob sich Spahn als Minister persönlich in die Vergabe eingemischt hat wie in anderen Fällen, sagt das Ministerium nichts. Spahn bestreitet das. Weitere Dementis folgen.
Zunächst von SimpleBreath: Man habe keinen Kontakt gehabt, kenne Spahn nicht persönlich. »Unsachliche oder unseriöse Umstände« hätten nicht zum Auftrag geführt; vielmehr stelle das »Vorhaben insgesamt eine unternehmerische Erfolgsgeschichte dar«. Auch mit Agenturchef Zimmermann habe man dazu vor oder zum Zeitpunkt des Zuschlags im April 2020 null Kontakt gehabt.
Der nächste, der dementiert: Zimmermann, der Veranstalter des Spahn-Spendendinners ein halbes Jahr später. Er habe mit dem Maskendeal der SimpleBreath absolut nichts zu tun gehabt. Das untermauert er mit einer eidesstattlichen Versicherung gegenüber dem SPIEGEL. Er habe bis zum Sommer 2020 nicht mal gewusst, dass es die SimpleBreath gebe, habe deshalb auch keine Kontakte für sie gemacht, profitiere »weder direkt oder indirekt in irgendeiner Weise von etwaigen Gewinnen«, die SimpleBreath oder eine andere Firma der beiden SimpleBreath-Geschäftsführer machten. Kevin S. habe ihm nicht verraten, was er nach seinem Abschied bei Wolffberg machen wollte.
Erst im August 2020 habe Zimmermann überhaupt Kenntnis von der Maskenfirma bekommen, so sein Anwalt. Da nämlich sei Kevin S. mit dem SimpleBreath-Gründer zu ihm gekommen und habe der Agentur einen Einstieg angeboten; das habe Zimmermann aber abgelehnt.
Dass SimpleBreath-Manager Kevin S. später Geschäftsführer und indirekt Mitgesellschafter jener Plakatfirma wurde, die mehrheitlich Zimmermanns Agentur gehört, erklärt dessen Anwalt so: Die Plakatfirma habe Platz für ihre Stellwände gebraucht, das Gelände der Maskenfirma liege verkehrsgünstig, aber die Maskenchefs hätten die Flächen nur vermieten wollen, wenn sie selbst an der Plakatfirma beteiligt würden. So sei man sich handelseinig geworden.
Alles also nicht so, wie es auf den ersten Blick aussehen könnte: nach Klüngel. Glaubt man jedoch der Darstellung von Zimmermann und SimpleBreath, bleibt umso rätselhafter, wie sich zwei CDU-Jungspunde ohne jede Erfahrung, ohne nützliche Kontakte den Bundesauftrag angelten.
Paula Piechotta, bei den Grünen im Bundestag die treibende Kraft der Maskenaufklärung, hält das jedenfalls nicht für einen Zufall: »Jens Spahn bekommt aus Leipzig Plakate für seinen persönlichen Wahlkampf geschenkt, und später erhalten CDUler aus Leipzig lukrative Maskenverträge, mit denen sie aus dem Nichts Millionengewinne aus Steuergeld machen.«
Auf ein ähnliches Muster stoße man immer wieder, so Piechotta: »Für vergleichsweise kleine Geschenke und Spenden an die CDU durch Firma A revanchieren sich Menschen wie Jens Spahn anscheinend mit öffentlichen Aufträgen für das Umfeld der Firma A. So kann man keine unmittelbare Beziehung zwischen Parteispende und öffentlichem Auftrag nachweisen, aber das Geld bleibt im Netzwerk.«
Es seien viele Unionsmitglieder unter den Maskenhändlern, »es ist davon auszugehen, dass noch viele weitere Fälle aufgearbeitet werden«.
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Sven Becker
26.02.2021
Wie Minister Spahn auf die eigenen Mahnungen pfiff
Immer wieder appelliert Gesundheitsminister Spahn an die Bürger, unnötige Kontakte zu reduzieren. Er aber reiste nach SPIEGEL-Informationen im Oktober zu einem Unternehmerdinner. Tags darauf wurde er positiv auf Corona getestet.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: »Wir wissen vor allem, wo es die Hauptansteckungspunkte gibt«
Als Bundesgesundheitsminister ist Jens Spahn nicht nur verantwortlich für das politische Management der Coronakrise, sondern auch dafür, dass alle mitziehen im Kampf gegen das Virus. Immer wieder mahnt er seine Landsleute zur Vorsicht. So auch am 20. Oktober, als der CDU-Mann im ZDF-Morgenmagazin erklärte: »Wir wissen vor allem, wo es die Hauptansteckungspunkte gibt. Nämlich beim Feiern, beim Geselligsein, zu Hause privat oder eben in der Veranstaltung, auf der Party im Klub.«
An diesem Herbsttag war der sorgenfreie Corona-Sommer 2020 längst vorbei, die Zahl der Neuinfektionen stieg wieder deutlich an in Deutschland. Spahn ahnte da schon, dass ein düsterer Winter bevorstand. Wenige Wochen zuvor hatte Angela Merkel die Befürchtung geäußert, dass es an Weihnachten bis zu 19.200 Neuinfektionen pro Tag geben könnte. Es kam jetzt auf das Verhalten jedes einzelnen an.
Doch an diesem Tag schlug der Parteipolitiker Spahn die Warnungen des Gesundheitsministers Spahn in den Wind. Am Abend des 20. Oktobers folgte er einer Einladung nach Leipzig.
Ein Bekannter Spahns hatte bei sich zu Hause ein Abendessen organisiert. Rund ein Dutzend Gäste waren gekommen, darunter viele Unternehmer. Einige sollen im Zuge des Dinners auch an die CDU gespendet haben, wozu Spahn auf Anfrage nichts sagt. Den Termin bestätigt sein Abgeordnetenbüro aber, es habe sich um ein »privates, nicht öffentliches Abendessen« gehandelt.
Instinktlose Reise
Und der Infektionsschutz? Die Sicherheitsvorkehrungen? Ein Teilnehmer berichtet, die Besucher hätten Abstand gehalten und Maske getragen, bis sie an ihrem Platz gesessen hätten. Auch der Minister. Spahns Abgeordnetenbüro erklärt, die damals gültigen Regeln seien »nach Bestätigung des Gastgebers eingehalten« worden.
Gegen die Schutzverordnung des Landes Sachsen hat Spahn mit seiner Visite in Leipzig wohl nicht verstoßen. Damals waren private Zusammenkünfte in eigener Häuslichkeit ohne Begrenzung möglich. Zu Betriebsfeiern durften bis zu 50 Personen kommen, wenn die Hygieneregeln eingehalten werden. In Leipzig lag die Sieben-Tage-Inzidenz laut Stadtverwaltung bei 17,6, was weit unter dem Richtwert von 50 lag, den Experten als kritisch ansehen.
Doch instinktlos war die Reise allemal, in einer Zeit, als die zweite Welle anrollte. Vor allem für einen Bundesgesundheitsminister, der in der Pandemie eine Vorbildfunktion hat. Mit Kampagnen wie »Wir bleiben zu Hause« ruft sein Ministerium die Deutschen dazu auf, unnötige Reisen zu vermeiden.
Spahn war zwar als CDU-Spitzenfunktionär nach Leipzig eingeladen worden, soll an dem Abend in Leipzig aber vor allem über die Corona-Politik der Bundesregierung referiert haben. Der Lockdown sei ein großes Thema gewesen. Einige Unternehmer im Raum waren offenbar wenig begeistert von den Schutzmaßnahmen, doch der Minister habe seine Linie verteidigt, heißt es. Spahn habe sich gut geschlagen. Er habe »brilliert«, sagt einer, der dabei war.
Weniger erfreulich war die Nachricht, die den Gesundheitsminister am nächsten Tag erreichte. Spahn wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Der CDU-Mann musste sich in Isolation begeben und dem Gesundheitsamt eine Liste mit Kontaktpersonen schicken.
Auch die Teilnehmer des Spendendinners wurden informiert, wie Spahns Büro versichert. »Alle anwesenden Teilnehmer des Abendessens wurden nach der Positivtestung dem zuständigen Gesundheitsamt als Kontaktpersonen gemeldet und parallel auch unmittelbar direkt durch Herrn Spahn beziehungsweise den Gastgeber informiert.«
Mehrere Medien berichteten in der Folgezeit, welche Termine Spahn kurz vor seinem positiven Test wahrgenommen hatte. Er habe viele Interviews gegeben, hieß es, auch ein Restaurantbesuch in Berlin wurde bekannt, nachdem eine ältere Frau am Nachbartisch ebenfalls positiv getestet wurde und damit an die Öffentlichkeit ging. Die Berichte beruhten zum Teil auf Spahns Angaben.
Über das Unternehmerdinner in Leipzig jedoch erfuhr die Öffentlichkeit bis zur SPIEGEL-Anfrage nichts. Es hätte wohl einfach nicht gut ausgesehen.
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Steffen Winter
28.07.2013
Teuerste Lösung
Ministerpräsidentin Lieberknecht gerät wegen einer umstrittenen Personalentscheidung ins Visier der Justiz. Sie hatte Warnungen ihrer Beamten ignoriert.
Es gibt Beamte, auf die ganze Hymnen gedichtet werden. »Der Sachse ist hier gut bekannt als edler Erdenbircher, auf Stil da legt er größten Wert, sonst gibt es großen Ärcher.« Staatssekretär a. D. Peter Zimmermann ist Sachse, einer der bestangezogenen. Die Kollegen an seinem letzten Dienstsitz, der Thüringer Staatskanzlei, widmeten ihm die Verszeilen zur Weiberfastnacht 2011. Und im Kehrreim wurden sie noch deutlicher: »Sing, mei Sachse, sing! Der is‘ e eichen Ding. Und mit e bisschen Glick, da geht er bald zurück.«
Die Prophezeiung ist eingetreten. Nach dreieinhalb Jahren als schillernder Staatssekretär in Erfurt kehrt der 37-Jährige nach Sachsen zurück, um Vorsitzender der Geschäftsführung beim Internetunternehmen Unister in Leipzig zu werden. Thüringens Regierungschefin Christine Lieberknecht (CDU) hat ihn in den einstweiligen Ruhestand versetzt, was ihm eine Pension bis ans Lebensende sichert und ihr nachhaltigen Ärger.
Interne Unterlagen, die dem SPIEGEL vorliegen, belegen, dass die Ministerpräsidentin bei der Personalie eine einsame Entscheidung traf – gegen den ausdrücklichen Rat ihrer Fachleute, die eine Entlassung forderten. Das für Personalangelegenheiten zuständige Referat 11 der Staatskanzlei hatte am 20. Juni zu Papier gebracht, dass eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand »nicht in Betracht« komme.
Die Juristen fanden deutliche Worte: Die Vorschriften der Beamtengesetze seien nicht geschaffen worden, »um einem auf Lebenszeit verbeamteten Staatssekretär die Möglichkeit zu geben, vorzeitig aus dem Amt zu scheiden und die bis dahin erdienten Versorgungsansprüche zu behalten«. Da der Staatssekretär offenbar auf eigenen Wunsch ausscheide, müsse er einen Antrag auf Entlassung stellen.
Die Expertise des Fachreferats ging zunächst an die Chefin der Staatskanzlei und wurde, so ist es auf dem Papier handschriftlich vermerkt, der Ministerpräsidentin »am Rande des Juni-Plenums übergeben«. Lieberknecht setzte sich über das Votum hinweg, eine Begründung dafür will sie nicht liefern.
Dabei ist das Papier nicht der einzige Regierungsvermerk zur Causa Zimmermann. Auch das Justizministerium hat sich des Falles angenommen. Es kommt zu ähnlichen Ergebnissen. So sei die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand »nicht alternativlos« gewesen. Und: Die Regierungschefin habe »die für Thüringen teuerste Lösung gewählt«.
Die Ministerialen rechnen aus, dass der junge Mann nach knapp sechs Jahren als Beamter umfangreiche Ansprüche habe: drei Monate volle Staatssekretärsbezüge von 9602 Euro, drei Jahre 71,75 Prozent (6889 Euro), danach lebenslang mindestens 3361 Euro. Wobei es Abzüge wegen des neuen Jobs geben werde.
Lieberknechts Treue irritiert auf der politischen Bühne in Erfurt, weil Zimmermann wie schon zuvor in Sachsen viel verbrannte Erde hinterlassen hat. Legendär ist die Ankunft des Beamten in der Thüringer Staatskanzlei.
In Dresden war der zu Eitelkeit tendierende Mann einfacher Regierungssprecher bei Stanislaw Tillich gewesen; die dortigen Journalisten hatten ihn mit dem Negativpreis »Tonstörung 2008« bedacht. Lieberknecht hielt das 2009 nicht ab, Zimmermann gleich zum Staatssekretär zu befördern. Kaum eingetroffen, besichtigte der Beau sein Reich und blieb bei einem Referatsleiter stehen, dessen schickes Büro er wortreich lobte. Es dauerte nicht lange, bis es wieder an der Tür klopfte. Starke Männer trugen vor den Augen des perplexen Beamten die weiße Ledercouch aus dem Zimmer. Die sei beim Staatssekretär besser aufgehoben.
Von Zimmermanns robusten Umgangsformen mit Untergebenen wissen auch diverse Sekretärinnen zu berichten. In dreieinhalb Jahren verschliss der Beamte, der sein Handwerk beim Privatfunk erlernte und später in der Geschäftsleitung eines Vergnügungsparks optimierte, 13 Vorzimmerdamen. Die Fluktuation schob er auf seine hohen Ansprüche, Beteiligte zweifeln eher an der Kinderstube des politischen Aufsteigers. Hausintern fanden sich am Ende keine Bewerber mehr für die Stelle, selbst Urlaubsvertretungen waren nur mühsam zu beschaffen.
Umso mehr freute man sich in der Staatskanzlei auf jene regelmäßig anstehenden Wochen, in denen sich Zimmermann seit einem Dienstunfall zur Reha verabschiedete. Natürlich nach Donaustauf, wo sich Olympiateilnehmer und Fußballnationalspieler von ihren Verletzungen kurieren. Gesichtet wurde der Beamte auch in Cannes, wo er die Thüringer Filmproduzenten repräsentierte. Am Ende nahm die Chefin der Staatskanzlei ihrem reiselustigen Mitarbeiter die Zuständigkeit für die Medienpolitik ab. Er war zuletzt, wohl deutschlandweit einmalig, ein Staatssekretär mit Zuständigkeit fast ausschließlich für die Redenschreiber der Regierungschefin und für das Protokoll.
Christine Lieberknecht bringt ihr merkwürdiges Bündnis mit dem Sachsen in ernste Schwierigkeiten. Joachim Wieland, Professor an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, hält die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand schlicht »für rechtswidrig«; allerdings könne der Vorgang verwaltungsrechtlich nur von Zimmermann selbst angefochten werden.
Deshalb droht Gefahr für die Regierungschefin eher auf strafrechtlichem Terrain. Die Thüringer Grünen befürchten einen Schaden von mehr als einer Million Euro. Sie haben vergangene Woche Strafanzeige gegen Lieberknecht erstattet. Wegen Verdachts der Untreue.