Grenzkontrollen: Wozu der ganze Aufwand?

Die Stimmung an der Grenze ist schlecht: Polizisten sollen Flüchtlinge abweisen, finden aber oft nur Bagatellfälle. Teils müssen sie ihre Arbeit gar selbst unterlaufen.

Auf dem Gelände des ehemaligen Autobahn-Rastplatzes Heidenholz, vier Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt, ist an einem regnerischen Montagmorgen Mitte Mai einiges los. Unter den Blicken von Bundespolizisten in leuchtend gelben Westen wälzen sich Laster, Reisebusse, Kleintransporter und Pkws im Schritttempo nach Deutschland. Ein Beamter entziffert durch ein Fernglas Fahrzeugkennzeichen, mustert die Insassen durch die Frontscheiben. Eine andere Uniformierte stoppt ausgewählte Fahrzeuge mit einer rot-weißen Kelle – im Polizeideutsch: Anhaltestab. „Wohin? What’s your destination? Was ist drin?“, fragt sie, testet damit die Reaktion der Insassen. Einzelne Fahrzeuge dirigiert sie zu zwei gewaltigen Zelthallen hinüber, wo zwei Kontrollteams Pässe, Gepäck und Ladung überprüfen. Kameras überwachen das Geschehen.

So weit, so normal – seit Bundeskanzler Friedrich Merz eine „Migrationswende“ versprach und Bundesinnenminister Dobrindt die Kontrolle der deutschen Bundesgrenze ab dem 8. Mai verschärfen ließ, um das Wahlversprechen der Unionsparteien einzulösen: ungeregelte Migration eindämmen und – wie im schwarz-roten Koalitionsvertrag vereinbart – Asylsuchende gemäß deutschem Asylgesetz zurückweisen. Und dabei das europäische Recht übergehen.

Die Polizistin hebt die rot-weiße Kelle vor allem vor Fahrzeugen mit Kennzeichen aus der Türkei, Albanien und Serbien, vor Lastern, Kleintransportern und Reisebussen. Sie blickt in faltige Gesichter von Bauarbeitern aus Südeuropa, von Lkw-Lenkern, von Vätern am Steuer von Familien-Vans. Auch ein SUV mit Berliner Kennzeichen muss rausfahren, darin zwei junge migrantische Männer mit getrimmten Bärten. Auch sämtliche Flixbusse werden inspiziert. Doch rausgefischt werden hier an diesem Tag keine Geflüchteten.

Da ist ein Mittzwanziger aus Mexiko, der in Paris studiert und die Welt nicht mehr versteht. Er wollte seine letzten Wochen in Europa für einen Ausflug nach Berlin nutzen. Nun sitzt er in einem Bürocontainer fest, bewacht von einem Polizisten. Nebenan prüfen Beamte, ob er nach Tschechien zurückgewiesen werden kann. Sein Reisebus ist längst weitergefahren.

Ein aufgeregtes Ehepaar aus Belgrad sagt, es wolle in Berlin krebskranke Verwandtschaft besuchen. Bei der Passkontrolle ploppte im Polizeicomputer eine Einreisesperre auf. Auch die beiden müssen den Reisebus verlassen, ihr Gepäck ausladen.

Ein junger, drahtiger Bulgare mit eisigem Blick bekämpft seine Anspannung mit einer Zigarette. Die Polizei führt ihn als mehrfach vorbestraft: Raub, Drogenbesitz und Bandenkriminalität. Auf die Toilette darf er nur mit Polizeibegleitung.

Ein Albaner aus einem Kleintransporter hat seine visumsfreie Aufenthaltszeit in Deutschland längst überschritten. Mit mehreren Pässen versuchte er, das zu vertuschen.

Um Asyl bittet an diesem Tag keiner, auch den Rest der Woche nicht, auch nicht an den benachbarten Übergängen der sächsischen Gebirgsregion, wo im Stundenschnitt nur ein paar Pkws durchrollen. Abgewiesen werden Menschen nur wegen Visa-Vergehen. Wer einige Tage den Kontrollbetrieb der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel beobachtet, hat nach kurzer Zeit den Eindruck: Dobrindts Plan wird fehlschlagen, in den ersten Wochen der neuen schwarz-roten Koalition eine vorzeigbare Zahl an Asylsuchenden in die EU-Nachbarländer zurückzuweisen. Das gewollte, sichtbare Signal gegen irreguläre Migration, es wird ausbleiben.

Dabei ist die Grenzpolizei seit Mai auf 11.000 Beamte aufgestockt, 3.000 weitere will Dobrindt noch schicken. Zwar ist die Zahl der Zurückweisungen in der ersten Woche der neuen Regierung um 45 Prozent auf 739 Fälle gestiegen. Aber nur 32 davon waren Asylsuchende. Zeitgleich beantragten beim Migrationsamt des Bundes mehr als 1.500 Personen Asyl – Menschen also, die den Grenzern größtenteils durch die Lappen gegangen sein dürften.

Und dafür streicht die Bundespolizei derzeit sämtliche Fortbildungszeiten und lässt die Beamten jede Menge Überstunden anhäufen?

David Bresinski ist einer von ihnen, ein 46-Jähriger mit aufrechter, sportlicher Haltung. Als Truppführer dirigiert er eine Handvoll junger Grenzpolizisten. In einer der beiden Zelthallen wuseln sie um die Fahrzeuge, scannen mit ihren Diensthandys Ausweisdokumente von Busreisenden, inspizieren die Ladung von Kleintransportern, prüfen die Siegel an Lkws. Feuchtkalter Wind weht durch die Halle. In einem halb offenen Büdchen aus transparentem Plastik steht ein Heizstrahler zum Aufwärmen. Zwölf Stunden dauert eine Schicht, nach sieben Tagen Arbeit gibt es einige Tage frei.

Bresinski schildert, wie die Beamten mit dieser Belastung umgehen. „Ein gutes Hotel ist wichtig“, sagt er. Die Truppe wohnt im Hotel in Pirna, 20 Kilometer Richtung Dresden, mit Fitnessbereich, die Verpflegung sei exzellent. Zwölf Stunden Arbeit, sieben Stunden Schlaf, da bleibt nicht viel Freizeit. „Um den Kopf freizukriegen, ist Sport oder eine Sauna wichtig“, sagt Bresinski. „Und wenn mal einer hadert, weil ein Einsatz nicht so gut gelaufen ist, tut es gut, mit Kollegen zu reden.“

Im Gespräch mit mehreren Grenzern zeigt sich: Die Stimmung ist schlecht. „Wir hätten nach dem Einsatz hier normalerweise länger freigehabt“, sagt Bresinski, der offen redet. „Jetzt geht es aber schon nach fünf Tagen weiter.“ Wohin, erfahre man oft erst drei Tage vorher. Als Nächstes muss sein Trupp an die polnische Grenze, für weitere sieben Tage, nach Forst in Brandenburg. „Viele Familien kommen damit nicht klar“, sagt Bresinski. „Den Kindern fehlen ihre Väter, den Vätern fehlen die Kontakte ins soziale Umfeld, denn die pflegt man ja meist am Wochenende.“

Und das alles für 32 Zurückweisungen? Fühlt man sich da als Bundespolizist nicht von Dobrindt verheizt? Bresinski zögert, er will seinem obersten Dienstherrn nicht untreu sein. „Ich würde es nicht so direkt sagen, aber eigentlich schon, ja.“

Warum aber gehen den Grenzern nur Bagatellfälle und Kriminelle ins Netz, aber keine Asylsuchenden, obwohl sie so streng kontrollieren wie seit Jahrzehnten nicht? „Die Schleuser haben Urlaub genommen“, lautet eine Erklärung aus der Polizei. Um ihr Milliardengeschäft an der Grenze zu Polen, Österreich und Tschechien abzusichern, hielten die Kriminellen Migranten jetzt in der Slowakei zurück oder anderswo auf der Mittelmeer- oder der Balkanroute, bis der deutsche Kontrolldruck nachlässt.

Offiziell will es keiner bestätigen, doch Verantwortliche aus der Bundespolitik räumen ein: In den Flüchtlingsunterkünften melden sich größtenteils Menschen, die über die Grüne Grenze kommen – ausgesetzt von Schleusern, die ihr Geschäft nun über Waldwege und Nebenstraßen abwickeln, abseits der großen Routen. „Wenn insbesondere im Osten Deutschlands stärker kontrolliert wird, verdrängen wir die Menschen in den Bereich Freilassing in Bayern oder nach Norden“, sagt Truppführer Bresinski. Von „Ausweichbewegungen“ ist im Bundesinnenministerium die Rede.

Auch international haben die Kontrollen ihren Preis. Die Regierungen in Polen, Tschechien und der Schweiz sind wenig amüsiert über Grenzstau und Zurückweisungen, Dobrindt reiste am Freitag nach Prag, Wogen glätten. „In Abstimmung“ mit den Nachbarstaaten wolle man Asylsuchende zurückweisen, so steht es im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Von Einverständnis war keine Rede.

Wie das abläuft, zeigt sich in Berggießhübel bei dem albanischen Mann aus dem Kleintransporter. In einem nagelneuen Pass hat er einen Stempel von der serbisch-ungarischen Grenzkontrolle, seiner Einreise in die EU. Als eine Polizistin der Zelthalle in Berggießhübel seinen Pass scannt, ploppt am Computerbildschirm im daneben gelegenen Bürocontainer ein Treffer auf: Der Mann wurde schon Anfang Januar im bayerischen Kempten kontrolliert – ist also weit länger als die 90 Tage in Deutschland, die ihm ohne Visum erlaubt sind.

Die Polizisten packen daraufhin das volle Besteck aus: Im Bürotrakt der Kontrollstelle scannen sie seine Fingerkuppen, sie fordern einen Dolmetscher an, der Mann wird fotografiert, anschließend durchsucht, dann verhört, sein Name durchläuft die internationalen Polizeidatenbanken. In einem kahlen, grau gefliesten Gewahrsamsraum muss er auf einer Holzpritsche warten, bis die Beamten die notwendigen Papiere fertig haben. Er muss nach Tschechien zurück.

Die Beamten schicken eine E-Mail ins Nachbarland, zweisprachig. Empfangen wird sie im Gemeinsamen Zentrum – einem dreistöckigen Zweckbau direkt hinter dem zwölf Kilometer entfernten Nebenstraßen-Grenzübergang Hellendorf. Dort arbeiten deutsche und tschechische Polizisten unter einem Dach zusammen. So weiß die tschechische Seite früh Bescheid, das gibt weniger diplomatische Verstimmung.

Weil der Albaner im Verhör sagte, dass er kürzlich in Berlin gewesen sei – also weitläufig illegal nach Deutschland einreiste –, wird er nicht einfach ins Nachbarland zurückgewiesen, sondern der tschechischen Polizei direkt übergeben. Im Polizeideutsch ist das eine Zurückschiebung, wie sie auch allen illegal Eingereisten blüht, die im Grenzgebiet der Schleierfahndung ins Netz gehen. So rollt am Nachmittag um 16.15 Uhr, sechs Stunden nach dem Aufgriff des Albaners, ein blau-weißer Kleinbus in Hellendorf über die Grenze, stoppt vor dem Gemeinsamen Zentrum. Die Bundespolizisten führen den Mann durch die Eingangshalle in ein Zimmer, das „Überstellungsraum“ genannt wird. Dann übernehmen die tschechischen Beamten.

Auch der junge mexikanische Student muss Deutschland verlassen, er scheitert an der Nulltoleranz der Bundespolizei. Er wird zurückgewiesen, weil sein EU-Studierendenvisum abgelaufen ist. Er glaubte zwar, danach Anspruch auf 90 Tage visafreie Einreise nach Deutschland zu haben. Die Bundespolizei aber sagt: falsch. Die Deutschen schicken auch hier eine Mail über die Grenze ins Gemeinsame Zentrum. Dann bringt ein Dienstfahrzeug den Mann über die Gegenspur der Autobahn in den nächstgelegenen tschechischen Ort. Von dort muss er sich selbst kümmern, wie er nach Frankreich zurückkommt.

Das serbische Ehepaar dagegen darf weiter. Seine Einreisesperre gehörte zu einer Abschiebung von 2015. Bresinski sagt, sie sei seit Jahren abgelaufen gewesen, aber noch nicht aus den Polizeicomputern gelöscht. Nach einer halben Stunde steigen die beiden wieder in ihren Reisebus, Richtung Berlin, wo ihre Verwandten warten sollen.

Gleich, wie viele Grenzpolizisten der Innenminister noch schickt – ihre Wirkung dürfte begrenzt bleiben. Die Zahl der Migranten, die Asyl beantragen, sinkt ohnehin seit Jahren. Das bilanzierte Dobrindts Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD) in den letzten Tagen ihrer Regierungszeit. Bis 2023 – dem Beginn der Grenzkontrollen in Deutschland – griff die Polizei im Grenzgebiet täglich zweistellig Flüchtlinge auf, die Hinweise kamen per Telefon aus der Bevölkerung, von Taxifahrern, Ladenbesitzern. Die Polizei stellte Schleuser in teils wilden Verfolgungsjagden, im Juli 2023 stürzte ein Kleinbus einen Hang hinab, einer der sieben Insassen brach sich das Genick, der Tacho blieb bei 114 km/h stehen. Bis zu 140 Menschen hätten sich damals in den Gewahrsamsräumen gedrängt, erzählt Polizeisprecherin Yvette Biesold.

Derzeit wirken sich Dobrindts Zurückweisungen kaum aus. Und es gibt sogar Zeiten, da machen die Grenzer sich selbst überflüssig: Am Mittag ist der Stau vor dem Kontrollpunkt Berggießhübel auf fünf Kilometer angewachsen, er reicht bis an die Grenze, bis zum Tunnel dort. Stau im Tunnel sieht die Polizei als Gefahr. Und weil die Deutschen Ärger mit der tschechischen Seite unbedingt vermeiden wollen, setzen Bresinski und seine Leute die Grenzkontrolle vorübergehend aus. Die rot-weißen Sperrbaken auf der Autobahn werden beiseite geräumt, der Verkehr fließt ungehindert nach Deutschland rein. Für mehr als drei Stunden. Bis sich der Stau aufgelöst hat.

Die Versorgung an der Kontrollstelle Berggießhübel hat unter den Polizistinnen und Polizisten einen guten Ruf. Täglich liefert eine Polizeiküche aus Bad Düben hier Mittagessen an. Eingenommen wird es zwar aus Papp-Einweggeschirr. Aber es schmecke bestens, heißt es hier.