Neonazi-Schulung für Jugendliche Döbeln: Staatsschutz ermittelt gegen rechtsextreme Akteure
Nach dem Gemeinschaftstreffen der JN im Töpelwinkel ermittelt die Polizei. Auch Neonazis aus der Region Döbeln sollen verwickelt sein.
Nachdem die gewaltbereiten und als rechtsextrem eingestuften „Jungen Nationalisten“ (JN) im Natur- und Freizeitzentrum Töpelwinkel bei Döbeln ein als private Geburtstagsfeier getarntes Gemeinschaftstreffen veranstaltet haben (DNN.de berichtete), ermittelt jetzt das Dezernat Staatsschutz der Polizeidirektion Chemnitz.
Der Trägerverein Natur- und Freizeitzentrum Töpelwinkel, das Landratsamt Mittelsachsen als Gebäudeeigentümer und die Stadt Döbeln hatten sich von der Veranstaltung und den rechtsextremen Veranstaltern distanziert.
Landratsamt und Verein erstatteten am 1. Mai Anzeige bei der Polizei, nachdem sie durch einen Bericht des Nachrichtenmagazins Stern und von Stern-TV im Fernsehsender RTL davon erfahren hatten, dass eine von rechtsextremen Akteuren aus der Region angemeldete private Geburtsfeier als Schulung „im Geiste der Hitlerjugend” für Jungen und Mädchen aus ganz Deutschland genutzt wurde.
Staatsschutz ermittelt
Andrzej Rydzik, stellvertretender Polizeisprecher der Polizeidirektion Chemnitz, teilt auf Anfrage mit: „Grundlegend kann ich diesen sogenannten Gemeinschaftstag der JN im Natur- und Freizeitzentrum Töpelwinkel bestätigen. Die Zusammenkunft fand nach polizeilicher Erkenntnis vom 29. bis 30. März 2025 statt.“
Anzeige erstattet wurde unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. „Konkret geht es um verbotene Gestiken und Rufe während der Veranstaltungszeit im Natur- und Freizeitzentrum. Selbstverständlich führt die Polizei, konkret das Dezernat Staatsschutz der Chemnitzer Kriminalpolizei, weitere Ermittlungen zu den Geschehnissen während des sogenannten JN-Gemeinschaftstages”, so der Sprecher weiter.
Störung des öffentlichen Friedens sowie Anleitung zu Straftaten
Einerseits gehe es dabei um die Verfolgung mutmaßlich strafrechtlich relevanter Vorkommnisse, andererseits dienten die Ermittlungen dem Erkenntnisgewinn rund um die Veranstaltung und zu den Teilnehmern. „Zudem wollen wir im Sinne der Gefahrenabwehr ausreichend Erkenntnisse gewinnen, um derartige Zusammenkünfte künftig bestenfalls unterbinden zu können“, erklärt Andrzej Rydzik.
Das Dezernat Staatsschutz geht derzeit nicht nur dem Verdacht des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach, sondern prüft des Weiteren in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Chemnitz die Tatbestände der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten sowie die Anleitung zu Straftaten. Andrzej Rydzik
stellv. Pressesprecher der Polizeidirektion Chemnitz
Das Dezernat Staatsschutz gehe derzeit nicht nur dem Verdacht des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach, sondern prüfe des Weiteren in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Chemnitz die Tatbestände der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten sowie die Anleitung zu Straftaten.
Rechtsextreme Kommunalpolitiker unter Verdacht
Nach Informationen dieser Zeitung sollen drei einheimische Rechtsextreme die Veranstaltung im Natur- und Freizeitzentrum als private Geburtstagsfeier angemeldet haben. Unter ihnen der gerichtsbekannte und erst im April wegen Betruges verurteilte Stefan Trautmann, Stadtrat der rechtsextremen Freien Sachsen in Döbeln und Mitglied der Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) sowie eine Gemeinderätin der Freien Sachsen im Jahnatal und ein Leisniger Stadtrat der Freien Sachsen. Die Polizeidirektion bestätigt dazu, dass gegen identifizierte beziehungsweise bekannte Akteure aus der rechtsextremen Szene ermittelt werde.
Landkreis setzt auf Extremismus-Prävention
Der Bereich Extremismus-Prävention des Landratsamtes steht mit dem Betreiberverein des Natur- und Freizeitzentrums im engen Kontakt. „Wir möchten den Verein in der Prävention unterstützen, um solche Aktionen dort zu verhindern. Seien Sie versichert, dass wir uns sehr eng verzahnen und weitere Maßnahmen in einem Netzwerk abstimmen“, so Tina Knoßalla, Pressereferentin im Landratsamt.
Seit Gründung des Landkreises Mittelsachsen existiert eine Personalstelle, die sich mit der Extremismus-Prävention auseinandersetzt. Es gibt ein enges Netz aus Behörden, Kommunen, Vereinen und Verbänden für diese Arbeit. Eingeworben werden dazu Fördermittel, um lokale Projekte finanziell zu unterstützen. So erhält der Landkreis Mittelsachsen in diesem Jahr erneut rund 180.000 Euro von Bund und Land. Wie das Geld eingesetzt wird, entscheidet ein lokaler Begleitausschuss, der erst vergangene Woche tagte.
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Thomas Sparrer
09.05.2025
Undercover-Reporter decken auf – Döbeln: Rechtsextreme nisten sich unter Vorwand im Töpelwinkel ein
Die gewaltbereiten „Jungen Nationalisten“ veranstalteten ein Treffen im Natur- und Freizeitzentrum. Trägerverein, Landratsamt und Stadt Döbeln distanzieren sich klar und erstatten Anzeige.
Ein halbes Jahr lang haben Reporter des Nachrichtenmagazins „Stern“ und von SternTV verdeckt in der rechtsextremen Szene in Deutschland recherchiert. Sie bekamen erschütternde Einblicke in die Netzwerke der radikalen Neonazis. Diese reichen bis ins Döbelner Hinterland.
Eine Stern-Reporterin dokumentierte mit versteckter Kamera, wie junge Männer und Frauen, einige gerade mal 15 Jahre alt, rekrutiert und für das Bekämpfen von Demokratie und Rechtsstaat geschult werden.
Neonazi-Schulungstreffen im Töpelwinkel
Höhepunkt der jüngst auf RTL ausgestrahlten Reportage sind Aufnahmen von einem Kader- und Schulungstreffen der Jungen Nationalisten (JN), das Ende März im Natur- und Freizeitzentrum Töpelwinkel bei Döbeln stattfand.
Die JN ist die Jugendorganisation der Partei „Die Heimat“. Die wiederum ist eine rechtsextreme, in Teilen neonazistische Partei, die als NPD gegründet und 2023 umbenannt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat der NPD 2017 bescheinigt, dass sie verfassungsfeindlich ist. Die Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) ist nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2024 für sechs Jahre von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen.
Hitlerjugend offenbar Vorbild
Drei Tage lang quartierten sich die Neonazis der JN mit geschätzten zwei dutzend jungen Männern und Frauen aus ganz Deutschland im abgelegenen Freizeitzentrum Töpelwinkel an der Zschopau ein. Zu sehen ist im Film ein morgendlicher „Appell der Lagermannschaft“. Dabei spricht der Bundesvorsitzende der JN, Sebastian Weigler. Die Unterkunft habe in den 1930er Jahren schon die Hitlerjugend für ihre Schulungen genutzt. „Vielleicht habt ihr hier den Geist der HJ verspürt“, so Weigler zu den Nachwuchskadern. Offensichtlich ist die Hitlerjugend Vorbild für die JN.
Die jungen Leute werden abends im Fackelschein eingeschworen: „Im Kampf – für Deutschland. Mit der JN – voran“, wiederholen sie die Eidesformel. Im Speiseraum des Natur- und Freizeitzentrums gibt es eine Schulung für die Jungen und Mädchen in ihren weißen Hemden und Blusen. Es geht um Verhalten bei Demonstrationen: „Wir sind nicht gewalttätig, aber wir müssen alle bereit sein, auch in solchen Situationen Gewalt anzuwenden. Das heißt, dass wir gewaltbereit sind“, so der Seminarleiter. Dann plaudert er aus der Praxis: Wie man Fahrradschlösser im Ärmel auf Demos schmuggelt und wie man damit politisch Andersdenkende schwer verletzen kann. Selbst ein Bleistift eigne sich dafür hervorragend.
Wir, der Natur- und Freizeitzentrum Töpelwinkel e.V., sind erschüttert und traurig und distanzieren uns eindringlich von den Geschehnissen. Unsere Einrichtung steht für Weltoffenheit und Toleranz. – Stellungnahme des Trägervereins des NFZ Töpelwinkel
Trägerverein distanziert sich deutlich
Der Verein Natur- und Freizeitzentrum Töpelwinkel ist entsetzt über die Extremistenveranstaltung, die sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in der Einrichtung eingenistet hatte: „Wir, der Natur- und Freizeitzentrum Töpelwinkel e.V., sind erschüttert und traurig und distanzieren uns eindringlich von den Geschehnissen. Unsere Einrichtung steht für Weltoffenheit und Toleranz“, so die Vereinschefin und Einrichtungsleiterin Anja Kirsten.
Hauptsächlich Schulklassen, Horte und Vereine nutzen die Einrichtung und ihre Angebote. Besonders an den Wochenenden fänden auch private Feiern auf dem Gelände statt. „Wir zeigen gegenüber unseren Gästen ein großes Vertrauen und respektieren deren Privatsphäre. Somit sind – auch aus organisatorischen Gründen – an den Wochenenden, wenn keine Bewirtung erwünscht ist, keine Mitarbeiter des Vereins auf dem Gelände“, heißt es in der Stellungnahme.
Neonazi-Schulung als Geburtstag getarnt
Besagte Veranstaltung sei als Geburtstagsfeier gebucht worden. Der Verein: „Uns ist erst vor Kurzem bekannt geworden, worum es sich tatsächlich handelte. Wir sind zutiefst entsetzt über diese Täuschung und lehnen derartige Veranstaltungen ausdrücklich ab.“
Der Verein erstattete Anzeige bei der Polizei. Die Verwaltung des Landkreises Mittelsachsen, der Eigentümer der Immobilie ist, distanziert sich ebenfalls ausdrücklich von den Ereignissen auf dem Gelände. Der Verein betreibe die Einrichtung mit einem Betreibervertrag. „Wir sprechen mit dem Verein, mit dem Ziel, diesen Vertrag anzupassen, um eine solche Nutzung auszuschließen“, erklärt André Kaiser, Sprecher des Landratsamtes.
Verträge werden überarbeitet
„Wir arbeiten die Ereignisse mithilfe der Extremismusprävention des Landratsamtes auf. Wir entwickeln gemeinsam Maßnahmen, um künftig solchen Veranstaltungen keinen Raum zu bieten”, verspricht Einrichtungsleiterin Anja Kirsten.
Die Betreiber hoffen, dass der Vorfall keine negativen Auswirkungen auf die Einrichtung und ihre Mitstreiter hat, „Wir geben mit Herz und Seele alles, um diesen Ort am Leben zu erhalten. Wir befinden uns bereits in schwieriger wirtschaftlicher Lage. Es wäre umso tragischer, wenn wir durch eine solche Täuschung den Verein aufgeben müssten“, heißt es weiter vom Verein.
Kein Platz für Rechtsextremisten in Döbeln
Döbelns Oberbürgermeister Sven Liebhauser (CDU) zeigt sich ebenfalls erschüttert: „Rechtsextremistisches Gedankengut hat bei uns keinen Platz.” Die Stadt hatte durch den RTL-Bericht von dem Vorfall erfahren.