Gastgeberin sei angeblich eine „Zecke“ : Wie Neonazi-Jugendliche in Sachsen eine Geburtstagsfeier stürmten

Am Karsamstag stürmen rechte Jugendliche eine private Geburtstagsfeier bei Zwickau. Serafina will eigentlich nur ihren 18. feiern, später entfernt sie Hakenkreuze im Badezimmer. Ein Bericht.

Hunderte uneingeladene Gäste, ein Polizeieinsatz bis in die Morgenstunden und eine Gastgeberin, die eigentlich nur mit ihren Freunden ihren 18. Geburtstag feiern wollte. Am Ostersonntag veröffentlicht die sächsische Polizei eine Meldung über einen Großeinsatz in der Gemeinde Bernsdorf im Landkreis Zwickau.

Bis zu 250 Menschen seien in dem kleinen Ort bei einer privaten Geburtstagsfeier erschienen und hätten sich widerrechtlich Zugang zum Wohnhaus der Gastgeberin verschafft. Sie randalierten, zündeten Pyrotechnik, trugen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und begingen Sachbeschädigungen, berichtet die Polizei.

Später werden die Beamten die Szenerie als schwereren Landfriedensbruch einstufen. Alarmierte Bereitschaftspolizisten stellten vor Ort rund 80 Personen fest, deren Personalien erhoben wurden. Darunter befand sich auch der mutmaßliche Rädelsführer. Der Rest der Störer hatte den Tatort zu dem Zeitpunkt bereits verlassen. Es entstand außerdem ein Sachschaden in Höhe von 1000 Euro.

Doch wie konnte die private Geburtstagsparty so eskalieren? Der Tagesspiegel hat mit Serafina gesprochen, die hier auf eigenen Wunsch nur mit Vornamen auftauchen möchte. Die junge Frau ist wenige Tage zuvor 18 Jahre alt geworden und wollte in der Wohnung ihrer Mutter die Volljährigkeit mit ihren Freunden feiern. Stattdessen endete der Abend für sie mit Befragungen durch Polizeibeamte. Im Interview erzählt sie, was passiert ist.

Wie haben Sie Ihre Freunde zu Ihrem 18. Geburtstag eingeladen?

Zwei Wochen zuvor, einzeln per WhatsApp-Nachricht. Ich habe nicht mal eine Gruppe erstellt. In der Einladungsnachricht habe ich unter anderem darum gebeten, dass in der Wohnung nicht geraucht wird und dass ich vorher gefragt werde, wenn meine eingeladenen Gäste noch jemanden mitbringen wollen.

Dann war der Samstag gekommen. Ich hatte mich vorher mehrmals bei meinen Gästen vergewissert, wie viel Freunde sie mitbringen. Ich wollte einfach einen Überblick haben. Insgesamt habe ich 50 Personen eingeladen. Weil einige abgesagt hatten oder im Urlaub waren, habe ich letztlich mit 32 Gästen gerechnet, die mir zugesagt hatten.

Wie ist die Situation dann eskaliert?

Am Samstagabend waren irgendwann alle meiner eingeladenen Freunde da. Nur meine beste Freundin fehlte noch, das weiß ich noch. Auf einmal kippte es. Die Party lief ungefähr eine Stunde zu dem Zeitpunkt. Auf einmal sah ich eine Person aus meinem Ort, die ich eigentlich meide und deswegen natürlich auch nicht eingeladen habe. Er trug eine abmontierte Tür aus meiner Wohnung heraus. Auf der Straße habe ich ihn konfrontiert und eine Ansage gemacht. Er hat die Tür wieder hereingetragen. Doch zu dem Zeitpunkt war es schon eskaliert.

Mehrere Freunde kamen dann plötzlich aufgeregt zu mir und sagten, mein Bad wäre voller Hakenkreuze. Ich hatte überhaupt keine Kontrolle mehr. Also habe ich geschrien, dass sofort alle die Wohnung verlassen sollen. Erst dann habe ich verstanden, wer da alles vor Ort war. Vor der Tür standen hunderte Menschen. Große Gruppen, die ich noch nie gesehen hatte. Einige von ihnen zündeten Pyrotechnik auf der Straße. Wir haben dann sofort die Polizei gerufen.

Im Vorfeld war offenbar die Rede davon, dass ich einen angeblich „linksversifften Gruppentreff“ veranstalte, eine linksradikale Feier. Deswegen sei es legitim, uns zu stürmen. Dabei war es einfach mein 18. Geburtstag. – Serafina

Die Polizei spricht in ihrem Bericht von verfassungsfeindlichen Parolen und rechten Jugendlichen. Sie fanden geschmierte Hakenkreuze in Ihrem Badezimmer. Gab es weitere Vorfälle dieser Art?

Ja. Überall in meiner Wohnung waren Sticker verteilt. Ganz auffällig waren Aufkleber mit der Schwarzen Sonne. Die klebten an Fenstern, sogar am Fernseher. Dazu kamen Motive mit der Reichsflagge, dem rassistischen White-Power-Gruß oder Parolen wie „Macht Deutschland wieder weiß“ oder „Abschieben jetzt“. Zudem kamen unglaubliche viele Sticker von Fußballvereinen: Dresden, Zwickau, Chemnitz.

Wie haben Sie den Polizeieinsatz wahrgenommen?

Die Beamten waren relativ schnell da. Sie kamen jedoch zunächst nur mit zwei Streifenwagen. Das war natürlich viel zu wenig. Die Verstärkung war zwar schon unterwegs, kam aber erst anderthalb Stunden später an. Als die Bereitschaftspolizei aus Chemnitz endlich da war, hatte leider etwa die Hälfte der Menschen den Ort schon verlassen. Ich schätze, dass es insgesamt sogar 300 Personen waren. Hundert davon allein in meiner Wohnung.

Bis halb sieben morgens war ich mit Befragungen durch Beamte beschäftigt. Auch die Spurensicherung war vor Ort, am Dienstag kam noch die Kriminalpolizei. Die meisten Polizisten, mit denen ich zu tun hatte, sagten mir, ich hätte niemals über TikTok öffentlich einladen dürfen. Aber das entspricht nicht der Realität. Ich habe zu keinem Zeitpunkt über TikTok eingeladen, keine Adresse veröffentlicht. Nichts, das lief alles nur privat.

Welche Erklärung haben Sie für die Eskalation?

TikTok hat meiner Meinung nichts damit zu tun, dass die rechtsradikalen Gruppen vorbeigekommen sind. Das ging über sehr viele Freundesgruppen hinweg. Keinen der uneingeladenen Gäste habe ich zuvor jemals gesehen, viele kamen aus dem Erzgebirge. Aus Zwickau, aus Glauchau, aus Merane. Irgendwann habe ich herausgefunden, dass im Vorfeld offenbar die Rede davon war, dass ich einen angeblich „linksversifften Gruppentreff“ veranstalte, eine linksradikale Feier. Deswegen sei es legitim, uns zu stürmen. Dabei war es einfach mein 18. Geburtstag.

In den vergangenen Jahren gab es nochmal einen extremen Schub unter Jugendlichen. Das geht oft von den Elternhäusern aus. Das ist ein regelrechter Trend. – Serafina

Können Sie sich erklären, wie dieses Gerücht entstanden ist?

Die Behauptung, ich sei eine linksradikale „Zecke“, reicht zurück in meine Schulzeit. Ich war nie auf irgendeine Art und Weise politisch aktiv, aber habe mich regelmäßig in der Schule geäußert, wenn irgendwelche Leute aus meiner Klasse Sachen erzählt haben, die totaler Rotz waren.

Daraufhin wurden mir immer wieder an öffentlichen Plätzen oder im Jugendclub Kommentare hinterhergerufen. Auf meinem TikTok-Account habe ich mich nie als links positioniert, sondern einfach ein paar mal klargemacht, dass ich für allgemeine Menschenrechte einstehe und keinen Bock auf diesen ganzen Hass hier habe. Das reicht hier, um als linksradikale Zecke abgestempelt zu werden. So ist das leider.

Überall in Deutschland häufen sich rechtsextreme Vorfälle an Schulen. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern scheint es aktuell fast „cool“ zu sein, sich als rechts zu definieren. Wie nehmen Sie das wahr?

In den vergangenen Jahren gab es nochmal einen extremen Schub unter Jugendlichen. Das geht oft von den Elternhäusern aus. Das ist ein regelrechter Trend. Dazu gehört es, sich auch wieder so anzuziehen, wie rechte Skinheads. Nach der Kleidung folgt irgendwann die Sprache. Die Standardaussagen werden übernommen. „Die Ausländer machen nur Probleme, die Steuern sind zu hoch“, sowas halt.

Oft höre ich das auch von Frauen. Man sagt immer so schön, Frauen wählen gegen ihre eigenen Rechte, wenn sie zur AfD tendieren. Das Argument ist dann immer, sie möchten nachts auf der Straße herumlaufen, ohne Angst zu haben. Was soll ich da sagen? Ich muss nachts ständig Angst haben, weil hinter jeder Ecke jemand lauern könnte, der mich nicht leiden kann. Nur, weil ich meinen Mund zu dem Thema nicht halten kann.

Die Wohnung, in der Sie gefeiert haben, bewohnen Sie gemeinsam mit Ihrer Mutter und Ihrem Bruder. Wie haben die reagiert?

Meine Mutter war zum Zeitpunkt der Feier im Urlaub. Sie hat sehr entspannt reagiert, ist natürlich glücklich, dass mir nichts passiert ist. Gleichzeitig hat sie auch Sorgen, dass vielleicht irgendwann jemand vor unserer Tür stehen könnte. Wir sind schließlich in Sachsen.