Null Bock auf HJ

Leipzig enthüllt ein Denkmal für die Meuten. Zur Eröffnung erinnert ein TdJW-Projekt an den Jugendwiderstand gegen den NS

»Wir haben uns natürlich gewehrt und zurückgeschlagen«, weht als akustischer Fetzen über den Lindenauer Markt. Jugendliche wuseln zwischen Podesten, bunten Paravents und einem Kiosk herum. »So wie sich die Sache entwickelte, ist auch das politische Denken gewachsen.« Von einem Barhocker aus dirigiert Schorsch Kamerun die Choreografie aus Körpern und Stimmen, die den Jugendwiderstand gegen den Nationalsozialismus thematisiert. »Wir haben nie den Kürzeren gezogen.« Es geht um die Leipziger Meuten und den Edelweißpiraten in Nordrhein-Westfalen.

Auf der Hauptprobe von »Sounds of Resistance« läuft vieles noch nicht rund – es ist eben eine Probe. Am Donnerstag wird die Inszenierung Premiere feiern und das Denkmal einweihen, das die Stadt Leipzig den Meuten setzt. Diese oppositionellen Jugendgruppen sind in den letzten zehn Jahren vermehrt in den öffentlichen Blick geraten. Vor allem Autor und Historiker Sascha Lange ist dafür verantwortlich.

Die Meuten erklärt er so: Das waren »Cliquen, die an irgendwelchen Ecken herumlungerten – nicht nur in den Großstädten. Zu denen kam man als Arbeiterjugendlicher fast zwangsläufig. Für Tanz und Kino fehlte das Geld. Am Wochenende ging es dann zum Zelten in die Natur. Um sich von anderen abzugrenzen, nutzte man bestimmte Kleidung: kurze Hosen, Schillerkragen, sportliche Bergsteigerklamotten. Das war die erste Generation der Northface-Jacken-Träger. Abzeichen wie Totenköpfe oder rote Halstücher kamen dazu.«

Man hob klar von der Hitlerjugend (HJ) und dem Bund deutscher Mädel ab, wollte nicht zu diesen gehören. Das erzwang Konflikte. Die Meuten prügelten sich mit der HJ, zerstörten deren Propagandawerkzeuge und verteilten eigene Flugblätter. Der NS-Staat reagierte mir Verfolgung und voller Härte. Jugendliche wurden in Arbeits- und Konzentrationslager eingewiesen. »Es wurden Prozesse gegen zwei Leipziger Meuten vor dem Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat abgehalten«, erzählt Lange. Ähnliches lässt sich über die viel bekannteren Edelweißpiraten sagen.

Auf dem Lindenauer Markt nun wird ein Monument für die Meuten eingeweiht – stellvertretend, es waren damals nicht nur in dem Viertel Jugendgruppen jenseits der HJ am Start. Am einrahmenden Theaterprojekt, das auch an kommenden Terminen zu sehen ist, war Lange als wissenschaftlicher Berater beteiligt. »Wie klingt Widerstand?«, ist die zentrale Frage von »Sounds of Resistance«.

Das Kooperationsprojekt vom Theater der Jungen Welt (TdJW) und dem Theater Duisburg erinnert an die Jugendopposition in beiden Städten. Federführend ist der Goldene-Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun, dessen spät erwachte Theaterambitionen ihn schon früher nach Leipzig führten; ironischerweise erstmalig 2011 mit der Installation »Das Ende der Selbstverwirklichung«.

Auf dem Lindenauer Markt wird die theatrale Installation »Wilde Bühne: Meuten Memorial Movement« begehbar sein. Eine »große musikalisch-performative Collage« nennt der Dramaturg Florian Heller das Projekt. Davon ist auf der Hauptprobe einiges zu erahnen. »Ordnung und Orden haben nie aufgehört, verhängt zu werden«, singt Kamerun den Eröffnungssong. Er wird auf dem Klavier begleitet. Song samt Text – wie die folgenden auch – klingen nach dem ironisierenden Krautrock, den man von Kamerun und den Zitronen gewohnt ist.

Da gibts »Kultur ohne Uhr«, eine schiefe Blockflöte simuliert ein Blasorchester – das zur Premiere tatsächlich anwesend sein soll. Die Jugendlichen des TdJW-Theaterclubs liefern sich einen kleinen Sprechbattle darüber, wer nun woke oder broke ist. Mit Kreide werden Visionen auf dem Platz festgehalten. Unmutsbekundungen über eine Gegenwart mit Kapitalismus, Männern im Heimatland, Rassismus usw. sind zu hören.

»Wann wissen wir, wenn es reicht. Wer bestimmt, wenn es reicht?«, ruft Schorch Kamerun ins Mikro. Es geht nicht ums System und die Verhältnisse, sondern darum, zu welchem Zeitpunkt er den Prolog abbricht und alle »Theater, Theater« rufen. Das Bühnengeschehen wirkt bei der Probe arg willkürlich, assoziativ ohne Verbindung. Stark sind die historischen Texte, die Erinnerungen ehemaliger Meutenmitglieder, die vor allem zwei TdJW-Schauspielende live sprechen.

Da gehts um Gefechte mit der HJ, illegalem Parolenmalen: »Nieder mit Hitler«. Und Verfolgung. Im Verhältnis dazu wirken die gegenwärtigen Bezüge leicht unpassend, wenn sie sich eher mit Befindlichkeiten zu beschäftigen scheinen. Gewiss, das ist ein Grundproblem von Aktualisierungen. Das konnte das TdJW aber schon mal klüger, als es vergangenen und gegenwärtige Erfahrungen nicht einfach in eins setzte, wie es im Meutenprojekt geschieht.

Stimmen zu »Macht und Ohnmacht« sind zu hören, so Theaterpädagogin Ronja Kindler. »Wir vertonen, was passierte, historisches Material, Gerichtsprozesse, aber auch, was die Jugendlichen heute bewegt.« Dazu haben sich 15 Personen zwischen 16 und 20 Jahren ein Jahr mit der Materie auseinandergesetzt. Das Abstraktionslevel ist hoch, meint Kindler.

Das erkennt man bei der Probe. Nicht alles erschließt sich, während das Publikum mit Kopfhörern zwischen Bühnenelementen über den Markt läuft. Vielleicht hat die Performance im weiteren Probenprozess noch an Inhalt und Formstärke gewonnen. Dem Anlass ist das zu wünschen.

Denn die öffentliche Erinnerung an jugendlichen Widerspruch, an den Unwillen, sich der Nazi-Konformität zu beugen, ist löblich. Und sie zu aktualisieren ebenso – ob besser mit Punkprominenz oder ohne, wird Premiere zeigen. Die Gegenwärtigkeit von Widerstand entspricht auch dem Ziel, mit dem das Meuten-Memorial gestaltet wurde. LED-Aufschriften auf den Steinbrocken sollen nicht nur an die Meuten erinnern, sondern auch aktuelle Anliegen junger Menschen sichtbar machen.

> »Wilde Bühne: Meuten Memorial Movement«, ab 24.4., 15 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung erwünscht, 0341/486 60 16 o. kartenanfragen@tdjw.de

> Einweihung des Memorials: 24.4., 13.30 Uhr, Lindenauer Markt