6 oder 7,5 Quadratmeter: Was bietet Leipzig einem Flüchtling zum Leben?
Die CDU will die Standards in Leipzigs Asylunterkünften verringern. Damit greift die Partei einen Ratsbeschluss aus dem Jahr 2012 an, der geflüchteten Menschen mehr Wohnraum zugesteht als vom Gesetzgeber vorgeschrieben. Eine Debatte um kommunale Zwänge und Menschenwürde.
Die hohe Zahl an Flüchtlingen, die Leipzig unterbringen muss, stellt die Stadt vor wachsende Herausforderungen. Viele von ihnen harren lange Zeit sogar in Zelten aus, weil es nicht genug Wohnraum für alle gibt. Die CDU-Fraktion im Stadtrat hat nun vorgeschlagen, mehr Menschen als bisher in einer Gemeinschaftsunterkunft unterzubringen – und damit eine Debatte über kommunale Zwänge und Menschenwürde im Stadtrat ausgelöst.
Sechs Quadratmeter – so viel Fläche steht einem Asylbewerber in Sachsen in einer Gemeinschaftsunterkunft zu. Diese Mindestempfehlung nicht nur zur Größe, sondern auch zur Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften ist in einer Verwaltungsvorschrift des sächsischen Innenministeriums geregelt. Der Leipziger Stadtrat hatte sich 2012 jedoch für großzügigere Mindeststands entschieden. Demnach stehen jedem Flüchtling in Leipzig 7,5 Quadratmeter zu.
Die CDU, die damals zugestimmt hatte, will davon jetzt angesichts der seitdem dramatisch angestiegenen Flüchtlingszahlen abrücken und zum sächsischen Mindeststandard zurückkehren. Sozialbürgermeisterin Martina Münch (SPD) hält davon nichts. Die 1,5 Quadratmeter weniger, lässt sie im Verwaltungsstandpunkt zum CDU-Antrag wissen, würden nichts an der Situation ändern, keinen Spielraum in der Kapazitätsplanung schaffen. Ergo auch keine Asylbewerberheime überflüssig machen, wie die Union weiszumachen versucht.
CDU: „Wie erklären wir das den Leipzigern?“
Das sieht CDU-Stadtrat Karsten Albrecht ganz anders. „Zimmer mit 12, 13 oder 14 Quadratmetern können momentan nur mit einer Person belegt werden“, wendet er ein. Mit der Rückkehr zum sächsischen Standard könnten dort aber zwei Personen leben. Warum die Debatte geführt werden müsse, beschrieb er so: „Wir haben in Leipzig einen Platzmangel an vielen Stellen“, sagte Albrecht. „Wir haben Standardabsenkungen. Wir haben unsere Schulen mit 120 Prozent überbelegt, wir haben zu wenig Sportflächen, wir haben zu wenig Schwimmhallen. Auch unsere Wohnungen sind überbelegt. Wir leisten uns aber für die Asylbewerber höhere Flächen. Wie erklären wir das den Leipzigern?“
Linke beklagt „asylfeindlichen Ton“
Juliane Nagel (Linke) warf ihm daraufhin einen „asylfeindlichen Ton“ vor. Sie erinnerte daran, wie das Leipziger Konzept zur Asylunterbringung zustande kam. Es habe Druck aus der Zivilgesellschaft gegeben, ein Unterbringungskonzept zu erstellen, „das auf das Wohnen im eigenen Wohnraum orientiert“. Die Flüchtlinge sollten demnach vorrangig eigenen Wohnraum bekommen, und wenn das schon nicht immer funktioniert, dann mehr Wohnfläche in Gemeinschaftsunterkünften.
Als der Stadtrat das Konzept beschloss, hatte die Stadt weniger als 1000 Flüchtlinge unterzubringen, heute sind es mehr als 6000.
Trotzdem will auch die SPD von dem Wohnkonzept nicht abrücken. „Wir sprechen hier nicht über Sofas oder Küchenmöbel, wir sprechen hier über Menschen“, sagte SPD-Stadträtin Pia Heine und benannte Probleme, die entstehen, „wenn man mehr Menschen auf engerem Raum zusammenquetscht“: fehlender Platz für Kinderspielecken, für Krankenzimmer, Hygieneprobleme und Konflikte. An den Unterbringungskapazitäten der vorhandenen Objekte würde eine Absenkung der Standards „null komma nichts“ ändern. Heine: „Es handelt sich hierbei wieder einmal vor allem um eins: um das Ausspielen der Schwächsten in unserer Gesellschaft gegeneinander.“
Auch Grünen-Stadträtin Katharina Krefft ging mit dem CDU-Vorschlag hart ins Gericht: „Das ist ein fauststarker Schlag in die Gesichter der Akteure der Flüchtlingsarbeit und eine ganz miese Nummer gegen Geflüchtete.“
Straftäter im Knast haben mehr Platz als Flüchtlinge
„Die allermeisten Geflüchteten sind unbescholtene Menschen, die in ihren Heimatländern oft alles verloren haben“, sagte Thomas Kumbernuß und verglich die Lage der Flüchtlinge mit Gefangenen in Deutschland. Laut Bundesverfassungsgericht betrage das Mindestmaß einer Zelle für eine Einzelunterbringung neun Quadratmeter Bodenfläche, bei einer gemeinsamen Unterbringung habe jeder Gefangene Anspruch auf sieben Quadratmeter. Kumbernuß: „Eine Unterbringung unterhalb des Mindeststandards verstößt gegen die Menschenwürde.“
Die Ratsversammlung sah es letztlich genauso und ließ den Antrag durchfallen. Außer CDU, AfD und Freie Sachsen stimmte niemand dafür.
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LZ René Loch 17.01.2025
Der Stadtrat tagte: Wohnraum für Geflüchtete wird nicht verkleinert
Vor 13 Jahren hatte der Stadtrat beschlossen, Geflüchteten pro Person mindestens 7,5 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung zu stellen. Das wollte die CDU wieder rückgängig machen: sechs Quadratmeter seien ausreichend. Abgesehen von der AfD fand dieser Vorstoß im Stadtrat aber keine Unterstützung.
Das sächsische Innenministerium empfiehlt in einer Verwaltungsvorschrift mindestens sechs Quadratmeter pro Person. Die 7,5 Quadratmeter, die der Leipziger Stadtrat im Jahr 2012 beschlossen hatte, sind aus Sicht der CDU „überhöht“.
Wir haben in Leipzig an vielen Stellen einen Platzmangel“, argumentierte Karsten Albrecht (CDU) in der Ratsversammlung. Schulen seien überbelegt, es gebe zu wenig Schwimmhallen und an Wohnungen mangele es ebenfalls. „Aber für die Asylbewerber leisten wir uns größere Flächen. Wie erklären wir das den Leipzigern?“
Unchristliche Politik
Widerspruch erhielt die CDU von Linken, Grünen, SPD und der Freien Fraktion. Mehrere Redner*innen bezeichneten den Antrag als unchristlich und rückten die CDU in die Nähe von AfD-Positionen. Pia Heine (SPD) wies darauf hin, dass die CDU mehr Parkraum für ein Auto als Wohnfläche für einen Geflüchteten fordere. Thomas Kumbernuß (Freie) zog einen Vergleich zu Gefangenen, die beispielsweise in Dresden neun Quadratmeter zur Verfügung hätten.
Juliane Nagel (Linke) forderte eher das Gegenteil als der CDU-Antrag. Bezüglich der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten müsse sich Leipzig wieder stärker am Beschluss von 2012 orientieren. Sie sagte zudem, dass die Größe des Wohnraums für Geflüchtete – anders als von Albrecht behauptet – nicht nur eine untergeordnete Rolle spiele. Vor allem die in Zelten untergebrachten Menschen hätten zuletzt ihre Unzufriedenheit geäußert.
Die vier genannten Fraktionen und drei der sieben BSW-Stadträte stimmten gegen den CDU-Antrag. Die vier anderen BSW-Stadträte enthielten sich.
Abgelehnt wurde somit auch der Beschlusspunkt des CDU-Antrags, dass keine Sitzungen von Ortschafts- und Stadtbezirksbeiräten mehr genutzt werden sollen, um die Bürger*innen über neue Unterkünfte zu informieren. Die CDU forderte dafür „eigene und angemessene Formate“.