Vom Feed auf die Straße: Die völkischen KI-Memes von „Wilhelm Kachel“
(Die „Medienagentur“ aus Leipzig)
Muskulöse Männer, zarte Frauen, die traute Familie – Wilhelm-Kachel-Accounts gibt es auf Instagram, Telegram und X. Sie zeigen ein Deutschland im völkischen Look. Was kreativ-verspielt daherkommt, folgt einer Strategie.
Die Ideologie der Neuen Rechten wird auch über Popkultur verbreitet. Vor allem an jüngere Menschen lassen sich Gefühle und Botschaften am besten mit Memes bringen. Begriffe, Bilder und Clips, die geteilt, kreativ verändert und weitergepostet werden, in immer anderen Kontext erscheinen und dabei im Sinn mutieren können.
Zuerst vollkommen unpolitisch, können Memes zu politischen Bedeutungsträgern mit Massenverbreitung werden. Ein Bild vom hässlichen Comicfrosch „Pepe“ und ein Song namens „L’amour toujours“ wurden so zu Chiffren rechtsextremistischer Gesinnung.
Längst werden Memes auch professionell produziert. Im rechten Spektrum gilt „Wilhelm Kachel“ als einer der wichtigsten Content Creators, „Memes für Deutschland“ nennt er sein Produkt. Kachel-Bilder sehen aus wie Propagandaplakate der 1920er- oder 1930er-Jahre, aufwändig entworfen, gestaltet, gemalt.
Alles im nostalgischen Gelbstich gehalten
Tatsächlich werden sie mit KI-Bildgeneratoren wie Midjourney oder Dall-E erstellt. Die zwei Bilder, die Kachel an einem durchschnittlichen Tag ins Netz lädt, lassen sich so in wenigen Minuten generieren, wenn es sein muss in der Mittagspause.
Wilhelm-Kachel-Accounts gibt es auf Instagram, Telegram und X, vormals Twitter. Sie zeigen ein Deutschland im völkischen Look: Zu sehen sind muskulöse Männer, zarte Frauen, die „Keimzelle“ namens Familie. Es gibt Ritter (einer davon mit dem Gesicht des AfD-Politikers Björn Höcke), Soldaten, historische Ereignisse und Mythen – „Gedenkgrafiken“ wie der Kachel-Account das nennt.
Der Begriff „Remigration“ steht auf einer Mauer im Abendlicht. Omnipräsent zu sehen ist Schwarz-Rot-Gold, die Farben der Nation. Irgendwo dazwischen taucht das AfD-Logo auf – alles im nostalgischen Gelbstich.
Extremismusexperte: Bezüge zur NS-Arbeiterästhetik
Für Jerome Trebing von der Amadeu Antonio Stiftung*, seit vielen Jahren Experte für rechtsextremistische Popkultur, sticht Kachel aus der Schar rechter Meme-Produzenten wegen seiner Radikalität heraus. Trebing diagnostiziert „ein völkisches bzw. auch nationalsozialistisch aufgeladenes Bild von Körperdarstellungen: Also, muskulöse, blonde Männer, viele Bezüge auf eine klassische Arbeiterästhetik – und zwar eine Arbeiterästhetik, wie sie der NS propagiert hat.“
Dem Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen gilt Wilhelm Kachel als „der vermutlich am meisten geteilte Bilderproduzent der Szene“. Über dieses Teilen gelangen die Memes zuerst in die rechtsextreme Blase und dann darüber hinaus.
Die Parolen auf den Bildern sind weiß auf blau geschrieben. Die Farben auch der Jungen Alternative (JA), der Jugendorganisation der AfD. Die JA wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.
Wilhelm Kachel und die Junge Alternative stehen sich nahe. Beide haben einen eigenen Markenshop auf der Website des Onlinehändlers „Patria Laden“, den der Verfassungsschutz Brandenburg als „offiziellen Materialversand der ‚Jungen Alternative Deutschland’“ bezeichnet.
Als Wilhelm Kachel im Oktober 2023 ankündigt, jetzt auch Aufkleber, T-Shirts, und Kaffeetassen zu verkaufen, heißt es auf X: „Mit jeder Bestellung zeigt ihr dem Wilhelm Kachel Team, dass das Projekt seine Berechtigung hat. Und was noch viel wichtiger ist: Ihr unterstützt die Junge Alternative.“
AfD-Abgeordneter verteilt Kachel-Motive vor dem Bundestag
Auch an der Mutterorganisation ist die Kunde von den nostalgischen Memes nicht vorbeigegangen. Bevor die professionelle Merchandiseproduktion anlief, hatte der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp auf eigene Faust Aufkleber mit Wilhelm-Kachel-Motiven drucken lassen und sie vor dem Bundestag verteilt. Ein Video auf seinem Instagram- sowie auf den Social-Media-Accounts von Wilhelm Kachel zeigt, wie er sie öffentlich verteilt.
Wilhelm Kachel stehe für „Glaube, gute Laune und Hoffnung“, sagt Beckamp in die Kamera. Er ist stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags.
All das ist bekannt, die Antwort auf die entscheidende Frage aber fehlt:
„Wer ist Wilhelm Kachel?“
Ein „Meme-Projekt“, so die Selbstbeschreibung der Accounts auf Instagram und X. Diese folgen jeweils nur einem einzigen anderen Account: Der Tannwald Media UG, einer Medienagentur aus Leipzig.
Gründer und Geschäftsführer von Tannwald ist Alexander Kleine, einschlägig bekannt als Vorsitzender der Regionalgruppe Sachsen der rechtsextremen Identitären Bewegung. Als Youtuber und Social-Media-Persönlichkeit tritt Kleine unter dem Namen „Malenki“ auf, russisch für „klein“.
Als der Wilhelm-Kachel-Account Anfang August 2024 eine Spendenkampagne startet, fungiert Tannwald Media als Organisatorin und Zahlungsempfängerin. Wir fragen Alexander Kleine, ob er hinter Wilhelm Kachel steckt und ob Tannwald Media das Projekt betreibt.
Kleine schreibt zurück, er antworte dem Deutschlandfunk aus Prinzip nicht. Unsere Fragen seien „erschreckend kaltschnäuzig und frech“, die Recherche „Schnüffelei und fehlplatzierte Spitzfindigkeit“.
T-Shirts mit völkischen Instagram-Bildern
Allerdings ist Propaganda mittels Memes nur halb so gut, wenn sie nicht den Sprung vom virtuellen in den realen Raum schafft. Mit T-Shirts werden die völkischen Instagram-Bilder spürbar auf der Haut, sichtbar auf der Straße. Mode kann alle denkbaren Signale und Zitate versprühen und ist im Repertoire rechtsextremer Bilderverbreitung daher unverzichtbar.
„Mode schöpft aus Bildern und aus Bilderinnerungen“, erklärt Elke Gaugele, Professorin für Moden und Styles an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. „Von daher passt es sehr gut, über Mode zu agieren, weil es ja nicht nur um das Kleidungsstück an sich geht, sondern auch um ganze Bildwelten, die wiederaufgeführt werden.“
Im Sommer 2024 geht der sogenannte Stolzmonat in die zweite Runde, eine aggressive Kampagne gegen den Pride Month der LGBTQ+-Bewegung. Für Elke Gaugele ist der Stolzmonat „das absolute Beispiel, wie über Mode nicht nur Geschichtsrevisionismus betrieben wird, sondern auch aktiv, aggressiv militarisiert wird“.
Auf der Website „Stolz-Merch“ werden T-Shirts und Hoodies, die „Preußische Stolzfahne“, Kissen, Gürteltaschen und Tassen verkauft. Statt in sechs Farben des Regenbogens in sechs Schattierungen von Schwarz-Rot-Gold.
Der „Patria-Laden“ mit seinen Markenshops von Junger Alternative und Wilhelm Kachel ist auch Verkäufer von „Stolz“-Produkten. Was im Blog des Onlineshops dazu zu lesen ist, ist exemplarisch für die Bedeutung, die Memes und Mode für rechtsextreme Propaganda haben können. Dort heißt es:
„Das Internetphänomen ‘Stolzmonat‘ kannst Du nun auch offensiv in die analoge Welt tragen. Wir haben mehrere Shirts bereitgestellt, mit denen Du einmal etwas dezenter und einmal etwas mehr ‘mit dem Vorschlaghammer‘ Deine Meinung der Welt da draußen zeigst. (…) Erst wird getwittert, dann geht es raus auf die Straße!“
Der Begriff „Stolz“ wird von rechts neu geframt
Auch ohne den Bezug zum Monat ist „Stolz“ ein relevanter Begriff. Eigentlich politisch neutral wird versucht, ihn mit einer völkischen Konnotation zu „branden“. Jerome Trebing sagt, bezeichnend für „Stolz“ sei, dass der Begriff ganz unterschiedlich gemeint und gebraucht werden könne. Im rechtsextremen Kontext ist Stolz dann „die Politisierung einer Emotion“: „Wenn man zum Beispiel sagt: ‚Ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein‘, sind das alles Momente, für die persönlich eigentlich keine Leistung erbracht wurde.“
Mit Memes und Mode, so Trebing, fische die extreme Rechte nach Leuten, die sich auf Demonstrationen und mit Gewalt eher unwohl fühlten, aber auf anderen Wegen aktiviert werden könnten, „eher auf einer kreativen Ebene. Da haben wir noch mal ganz andere Aktionsräume, die Leute an solche Szenen anbinden können.“
„Lustige“ Bilderwelten verbinden Rechte mit Rechtsextremen
Bildwelten des nationalsozialistischen Deutschlands, brandaktuell und sekundenschnell produziert mit KI, werden eingespeist in die lustig-spielerische Welt der Memes. Massenhaft weiterverbreitet in Social Media landen manche von ihnen in Form von Aufklebern und T-Shirt-Aufdrucken sichtbar im öffentlichen Raum.
Das Repertoire des rechten Spektrums, mit Ästhetik und Medien zwischen On- und Offline-Welt zu operieren, erweitert sich. Eine Kette von Connections wird erkennbar, die von organisierten Neonazistrukturen über die Junge Alternative bis hin zu Bundestagsabgeordneten reicht.
Kurz vor der Landtagswahl in Thüringen zeigt ein neues KI-Bild von Wilhelm Kachel den Kopf von Björn Höcke im Stil des heroischen Realismus, darunter steht in den blau-weißen Farben der Jungen Alternative: „Höcke oder Solingen“.
* Wir haben die Schreibweise der Stiftung korrigiert.