Tauziehen um ehemaliges KZ-Außenlager: Kann Leipzig die Hasag-Immobilie zurückholen?
Wo die Schlagersängerin Melanie Müller den Hitlergruß gezeigt hat, mussten im Zweiten Weltkrieg Tausende Häftlinge für die Nazis Granaten bauen. Nun nimmt Leipzig den Kampf um die Sicherung der Immobilie als Erinnerungsstätte auf.
Kaum etwas an dem zweistöckigen Ziegelbau an der Kamenzer Straße 10/12 erinnert heute an die schreckliche Vergangenheit dieses Ortes. Lediglich eine Stele am Straßenrand vermittelt eine Vorstellung darüber, welches Leid vielen Menschen hier im Zweiten Weltkrieg widerfahren ist.
Der Stadtrat will das ändern, handelt es sich doch um das letzte bauliche Zeugnis eines Konzentrationslagers der Nationalsozialisten in Leipzig. Das wird perfider Weise seit Jahren auch noch dazu missbraucht, NS-Opfer zu verhöhnen.
Größtes Frauen-Außenlager des KZ Buchenwald
In den Schlagzeilen war der Ort zuletzt durch einen Auftritt von Ballermann-Sängerin Melanie Müller. Sie hatte im Herbst 2022 auf dem Oktoberfest eines ansässigen Motorradclubs den rechten Arm zum Hitlergruß erhoben. Dafür wurde sie jüngst vom Leipziger Amtsgericht zu einer Strafe von 80.000 Euro verurteilt.
Geradezu zynisch wirkt die Straftat, weil sie an dem Ort begangen wurde, wo im letzten Jahr des Zweiten Weltkrieges 5000 inhaftierte Frauen und Mädchen sowie 700 Männer Munition und Granaten für die Kriegsmaschinerie der Nazis herstellen mussten. Der Leipziger Standort der Hugo Schneider AG (HASAG), des damals größten sächsischen Rüstungsbetriebs, war auch das größte Frauen-Außenlager des KZ Buchenwald. Nun hat der Stadtrat das Tauziehen um den HASAG-Standort eröffnet.
„Heute gehört der Komplex einem Neonazi“, sagte Linken-Stadträtin und -Landtagsabgeordnete Juliane Nagel. „Des Öfteren fanden dort in den letzten Jahren Rechtsrockkonzerte statt, Treffen von rechten Rockergruppen, auch eine extrem rechte Kampfsportgruppe nutzte den Ort lange Zeit als Trainingszentrum.“
Kauf der HASAG-Immobilie scheiterte am Preis
Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit, die sich in der Permoserstraße am Umweltforschungszentrum befindet, fordert seit Jahren den Ankauf der HASAG-Immobilie durch die Stadt. Sie müsse als „zentraler historischer Erinnerungsort“ gewürdigt werden, so der Tenor einer Petition, mit der sich der Stadtrat am Donnerstag befasste.
Alle Versuche der Kommune dazu liefen bislang jedoch ins Leere. Ein Kauf scheiterte nach Angaben der Stadt an der Preisvorstellung des Eigentümers, die „erheblich über dem Marktwert der Immobilie“ lag. Für das Rathaus ist das Thema damit abgehakt. Einen Antrag, die Immobilie als Kulturdenkmal einzustufen, lehnte das Landesamt für Denkmalpflege ab. Begründung: Das Bauwerk wurde nach 1945 in Teilen durch die Alliierten gesprengt und mit Veränderungen wieder aufgebaut, vom Original sei im Grunde nichts mehr da.
CDU und Linke ziehen an einem Strang
Insbesondere CDU und Linke wollen den Kampf um den erinnerungspolitisch wichtigen Ort in Schönefeld-Ost nicht aufgeben. Beide Fraktionen ziehen dafür an einem Strang. Der Stadtrat – mit Ausnahme der AfD – stellte sich schließlich hinter ihre Forderung, das Verfahren zur Anerkennung als Denkmal noch einmal aufzurollen. Denn bislang entschied die Landesbehörde nur nach Aktenlage.
An Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne) erging daher die Aufforderung, „unverzüglich“ ein Gutachten zur Denkmaleigenschaft in Auftrag zu geben, das eine Begehung der Immobilie mit einschließt. Nagel: „Das ist bislang verschlafen worden.“ Von der Bestandsausnahme, die aufzeigt, wie viel von der baulichen Substanz aus der Zeit von vor 1945 tatsächlich noch übrig ist, erhofft man sich möglicherweise eine Neubewertung durch die Denkmalbehörde. Der Denkmalstatus würde den Druck auf den Eigentümer verstärken, da er dessen Pflichten zum Umgang mit der Immobilie verändern würde.
Kommune soll sich Vorkaufsrecht für Kamenzer Straße 10/12 sichern
CDU-Stadtrat Falk Dossin forderte auch, dass „wir die Tür offen lassen“ für weitere Gespräche zum Ankauf der Immobilie. Die Stadtverwaltung muss zudem juristisch prüfen, ob sich die Kommune oder das Land wegen der historischen Bedeutung der Immobilie ein Vorkaufsrecht im Grundbuch eintragen lassen kann.
Darüber hinaus sprach sich der Rat für eine Aufwertung der Gedenkstätte für Zwangsarbeit, die in der Permoserstraße eine kleine Ausstellung betreibt, aus. Möglichkeiten sollen bis Mitte kommenden Jahres ausgelotet werden. Er finde es „sehr beschämend“, sagt Dossin, dass eine so wichtige Institution in einem kleinen Pförtnerhäuschen untergebracht ist. „Wir sollten das Ziel, sie auf die Kamenzer Straße oder in die Nähe zu bringen, niemals aus den Augen verlieren“, warb der CDU-Politiker.
Auch die Linksfraktion, so Nagel, wolle die beengten Verhältnisse überwinden, möchte dies aber nicht vom Erwerb der Kamenzer Straße 10/12 abhängig machen wollen – „damit wir in der wichtigen Aufarbeitung der Verbrechen der Zwangsarbeit in Leipzig weiterkommen“.