„Ohne Rechtsruck wär’n wir gar nicht hier“: Das neue Selbstbewusstsein junger Neonazis
Junge Rechtsextreme werben bei Instagram und Tiktok um Gleichgesinnte. Sie gehen wandern, treiben Sport, fahren zu Demonstrationen. Cool soll das sein und Spaß machen – eine gefährliche Entwicklung. Jetzt gehen die Behörden gegen eine der Gruppen vor.
Statt auf einer rechtsextremen Demonstration gegen den Christopher Street Day (CSD) in Leipzig protestieren zu können, stehen 400 Menschen hinter Polizeigittern am Bahnhof. Aber zur Inszenierung taugt ihnen auch das. Hitlergrüße werden gezeigt und Sprechchöre angestimmt: „Ost-, Ost-, Ostdeutschland“, „Antifa, Hurensöhne“.
Dann bemerkt eine Gruppe junger Leute, Mädchen und Jungen um die 15, 16 Jahre, die Kameras der Journalisten. Extra für die Fotos formen sie das „White Power Zeichen“, ein Symbol von Rechtsextremen. Und sie halten ihre Reichskriegsflaggen ins Bild. Sie wollen gesehen werden.
Szenen wie diese gab es zuletzt an mehreren Orten. Die Bilder aus Bautzen etwa, als 700 Neonazis gegen den CSD protestierten, machten deutschlandweit Schlagzeilen. Immer sind es auffallend junge Menschen, die zu den Demonstrationen kommen. Was treibt sie an – und wer?
Es war Anfang August, noch vor dem Neonazi-Aufmarsch in Bautzen, als auf Telegram zur Demonstration gegen den CSD in Leipzig aufgerufen wurde. Vom „Active Club Leipzig“, der Kanal hat nur ein paar Dutzend Abonnenten. Beim Staatsschutz der Polizei kennt man ihn schon, hält ihn bislang aber eher für ein virtuelles Phänomen.
Eine gute Woche später haben es die Behörden dann ganz real mit zwei Männern zu tun: Sie melden die Gegendemonstration zum Leipziger CSD an. Das Motto: „Stolz, deutsch, national“.
Politische Botschaften weniger wichtig als Humor und Coolness
Einer der Anmelder ist Dominik Greschow. Er ist 23 Jahre alt, war Kandidat der rechtsextremen „Freien Sachsen“ für die Leipziger Stadtratswahl und betreibt den Kanal „Active Club Leipzig“. Mit der Demo gegen den CSD setzt Greschow nun einen Plan um, den die Erfinder der „Active-Club“-Bewegung ausgeheckt hatten: Gleichgesinnte sollen sich im sozialen Netzwerk kennenlernen und dann im echten Leben zusammenkommen.
Der Leipziger Ableger postete vor der CSD-Demo Videos von gemeinsamen Kampfsporttrainings und warb darum, „nationale“ Aufkleber zu verteilen. Absichtlich nachrangig dabei, jedenfalls bis zur CSD-Demo: konkrete politische Botschaften.
Wichtiger sei, so heißt es in einer Art Anleitungsvideo für die „Active Clubs“: „Die Leute müssen das cool finden.“
Genau diese Coolness besorgt auch Sachsens Sicherheitsbehörden. Denn die ideologische Ausrichtung der „Active Clubs“ ist laut sächsischem Verfassungsschutz klar: Erfunden haben das Konzept demnach zwei Rechtsextremisten aus den USA und Russland.
Gerade weil es auf die „subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene“ ausgerichtet sei, wegen der Mischung aus politischem Aktivismus und Kampfsport, so schätzt das die Behörde ein, könne die Anwendung von Gewalt durch die „Active-Club“-Anhänger nicht ausgeschlossen werden.
Jugendliche Rebellion oder gefestigter Extremismus?
Zwei „Active Clubs“ gibt es derzeit in Sachsen. Sie sind aber nur ein kleiner Teil einer rechtsextremen Jugendbewegung, die sich über soziale Netzwerke organisiert, in Gruppen auf Tiktok, Telegram und Instagram.
Eine davon gibt es seit Februar, sie ist inzwischen überregional bekannt und wird mit Straftaten jenseits von Protesten in Verbindung gebracht: die „Elblandrevolte“, eine Dresdner Gruppe, die sich der Jugendorganisation der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ (früher NPD) zuordnet. Am Montag haben Polizisten die Wohnungen mutmaßlicher Mitglieder durchsucht. Sie sollen an Attacken auf Reisende in Regionalzügen beteiligt gewesen sein.
Woher kommt das Phänomen rechtsextremer Jugendbewegungen? Fragt man bei den Sicherheitsbehörden nach, heißt es: Schon immer seien alle extremistischen Ideologien vor allem für junge Menschen attraktiv gewesen. Und ein Hitlergruß auf Demos und das in Schulbänken eingeritzte Hakenkreuz – so etwas sei gegen einen betont weltoffenen Zeitgeist aktuell die größtmögliche Provokation.
Zu den Szenen, die sich am CSD-Samstag in Leipzig abspielen, scheint das erst einmal zu passen. Ein Mann trägt einen Teil des SS-Totenkopf-Symbols auf dem Shirt. Ein anderer hat den rechtsextremen Code „1488″ tätowiert, offenbar recht frisch. Aber dann hallt ein beinahe selbstironischer Gesang durch die Bahnhofshalle: „Ohne Rechtsruck wär’n wir gar nicht hier“, brüllt die Neonazi-Gruppe. Es klingt gut gelaunt.
„Radikalisierung passiert vor allem in Krisenzeiten“
Ist es also nicht eher eine Bestätigung aufgrund der gesellschaftlichen Stimmung statt Rebellion, die die jungen Neonazis antreibt? Zumal in Sachsen, wo die als rechtsextrem eingestufte AfD bei der Landtagswahl stärkste Kraft werden könnte?
Sicher ist: Die jungen Neonazi-Gruppen können hier an gefestigte Strukturen anknüpfen. Beispiel Bautzen: Dort schafft es Benjamin Moses, ein gut vernetzter Neonazi schon lange, junge Menschen an sich zu binden.
Wie Neonazis das gelingt, damit kennt Christian Weißgerber sich aus. Die Bilder aus Leipzig und Bautzen erinnern ihn an frühere Zeiten, als er mit seinen „Eidgenossen“, wie er sie nennt, auf die Straße gegangen war. Er kennt das Gefühl, einzustehen für das, was man für richtig hält, trotz aller Widerstände: „Wir gegen die Welt“. So beschreibt er es.
Weißgeber, 35 Jahre alt, war Neonazi. In seiner Heimatstadt Eisenach hatte er eine eigene Jugendorganisation aufgebaut. Seit seinem Ausstieg 2010 beschäftigt sich Weißgerber damit, wie Radikalisierung funktioniert. Und findet: Mit jugendlichem Leichtsinn hat das nur wenig zu tun. „Radikalisierung passiert vor allem in Krisenzeiten“, sagt er. „Wer das Gefühl hat, das eigene Leben im Griff zu haben, der ist weniger empfänglich.“
Zufällig rutscht niemand in die Neonazi-Szene
Weißgerber hat persönliche und gesellschaftliche Krisen erlebt. Bei Protesten gegen die Agenda 2010 (Konzept von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Reform von Sozialsystem und Arbeitsmarkt) waren auf dem Marktplatz in Eisenach auch Neonazis aufgetaucht. Dass sie auf Anfeindungen mit hämischen Grinsen reagiert hatten, selbstbewusst aufgetreten waren, das hatte ihm imponiert.
Heute sieht er die Corona-Pandemie als zentralen Faktor: keine Schule, keine Möglichkeit, sich zu treffen. „Besonders Jugendliche haben gecheckt, dass sie offenbar nicht so wichtig sind.“ Das schaffe Verdruss über staatliche Institutionen.
Zufällig, glaubt Weißgerber, rutsche aber niemand in die Neonazi-Szene. Er selbst hatte aktiv den Kontakt gesucht. Freunde hatten ihn zu Neonazi-Konzerten mitgenommen, ihn vorgestellt. Es hatte nicht lange gedauert, bis er selbst eine Party veranstaltet hatte, bei der die Nachbarn wegen „Sieg-Heil“-Rufen die Polizei alarmiert hatten.
Besonders im ländlichen Raum, sagt Weißgerber, stünden junge Leute auch heute noch vor der Frage, wem man sich anschließen solle. „Im Zweifel sind es dann die, die sich kämpferisch und revolutionär geben.“ Freizeitspaß und Ideologie gehören in solchen Gruppen zusammen: Man wandert zusammen, geht gemeinsam zu den Protesten.
Dass sich die Jugendlichen dabei offen inszenieren, wie etwa in Leipzig, überrascht Weißgerber nicht. Das habe es auch schon vor Tiktok gegeben. „Du hast ja das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, musst dich also nicht schämen“, sagt er.
„Elblandrevolte“ sucht womöglich absichtlich Parteischutz
Und doch spricht Weißgerber von einem gesteigerten Selbstbewusstsein innerhalb der rechtsextremen Szene. „Wir hatten damals nicht das Gefühl, in naher Zukunft den Staat stürzen zu können“, sagt er. Angesichts des politischen Klimas sei das jetzt anders.
Weißgerber findet, man müsse sich klarmachen, dass Rechtsextreme wirklich daran glauben, was sie sagen: „Dass dem von ihnen propagierten Kollektiv der Deutschen gerade großes Unrecht in Form eines Völkermordes widerfährt.“ Daraus speise sich eine große Wut, das Gefühl, jedes Mittel nutzen zu müssen. Es sei wichtig, konsequent aufzutreten, die Strukturen aufzubrechen, sagt Weißgerber „Da ist bisher nicht ausreichend gelungen.“
Die sächsischen Sicherheitsbehörden wollen nun ran an diese Strukturen. Im Innenministerium wird nach LVZ-Informationen auf Ministerebene diskutiert, wie man mit jugendlichen Neonazi-Gruppen umgehen könne.
Die Rädelsführer könnten etwa stärker ins Visier genommen werden, womöglich vor Demonstrationen Platzverweise ausgesprochen werden. Im Falle der „Elblandrevolte“ sieht etwa der Verfassungsschutz das Problem, dass die Gruppe mit der Parteianbindung einen „besonderen Schutz vor staatlichen Zugriffen“ habe.
Dennoch spielt strafrechtliche Verfolgung natürlich eine Rolle. Die Szene rechnete zuletzt offenbar selbst mit Hausdurchsuchungen. Eine Anleitung zum Verhalten in solchen Fällen wurde in den Gruppen herumgereicht – nichts sagen, nichts unterschreiben, Freunde anrufen. Am Montag dann ist die Polizei dann tatsächlich in zwei Dresdener Wohnungen gekommen.