„Säxit“ In Deutschlands Osten erstarkt der Rechtsextremismus
Rechtsextremes Gedankengut ist in Sachsen stark verbreitet. Bei der Wahl am 1. September drängt eine Partei in den Landtag, die noch radikaler ist als die AfD – und für den Austritt aus der Bundesrepublik wirbt
Der Aufruf ist eindringlich. „Los, traut euch! Ihr seid Freie Sachsen!“ In der milden Abendsonne des kleinen sächsischen Städtchens Riesa steht Peter Schreiber mit einem Mikrofon und versucht, einen Aufstand anzuzetteln.
Den Diplom-Finanzwirt ist sauer, dass er gerade hochkant aus der Stadthalle geflogen ist. Dort diskutieren die Direktkandidatinnen und -kandidaten des Wahlkreises Meißen 1 mit Bürgerinnen und Bürgern. Schreiber aber war nicht eingeladen worden.
Lauter Protest
„Das lassen wir uns nicht gefallen!“, hatte er protestiert und sich kurzerhand auf das Podium gesetzt.
Schreiber tritt für die Freien Sachsen zur Landtagswahl am 1. September an – eine Partei, die laut Verfassungsschutz „fester Bestandteil der rechtsextremistischen Szene in Sachsen“ ist und unter Beobachtung des Inlandsgeheimdienstes steht.
Auf dem Podium konnte Schreiber nicht lange bleiben. Sicherheitspersonal zog den Freien Sachsen von der Bühne und eskortierte ihn hurtig nach draußen. Dort, vor der Halle, will Schreiber nun seine Gesinnungsgenossen aufwiegeln. Sie sollen hineingehen und fragen, warum er nicht erwünscht ist.
Gegen „Multikulti-Gedöns“
Gerne nämlich würde Schreiber vor größerem Publikum erklären, dass seine Partei gegen „Gender-Gaga, Multikulti-Gedöns und Klimapanik“ ist. Oder Asylwerbern nur noch für eine Übergangszeit einen Schlafplatz und eine warme Mahlzeit gewähren will.
Und dass sie mit der demokratischen Staatsform nichts zu tun haben möchte. Man träumt vom „Säxit“, also einem Austritt aus der Bundesrepublik Deutschland.
„Wir müssen uns als Sachsen so weit wie möglich von diesen Wahnsinnigen in Berlin und Brüssel abnabeln“, sagt ihr Vizeparteichef Stefan Hartung. Lieber will er mit den Nachfahren des letzten sächsischen Königs planen.
Verwehrter Zutritt
In der Stadthalle kommt Schreibers Aufruf derweil nicht so recht an. Viele starren verlegen auf den Boden, kein stolzer Sachse hat Lust, die Diskussion aufzumischen.
Vier Männer stapfen schließlich doch los. Aber die Polizei verwehrt ihnen den Zutritt: Die Veranstalter wollten nach Beginn der Diskussion niemanden mehr reinlassen. Weder „freie“ noch andere Sachsen.
„Aha. Mhhhmmm. Okay.“ Die Männer geben sich mit der Begründung sofort zufrieden und kehren zum Infostand der Partei zurück.
Dort singt man von „Sommer, Sonne Widerstand“ und „Rebellion in Ostdeutschland“. Auf Flyern steht: „Grüne an die Ostfront“. Fahnen mit dem Wappen des letzten sächsischen Königs wehen im Abendwind.
Rücktritt aus Angst
So zahm wie in Riesa verlaufen Auftritte der Freien Sachsen nicht immer. Im ostsächsischen Zittau drangen bei einer von Freien Sachsen organisierten Demo gegen eine Unterkunft für Geflüchtete so viele Protestierende in den Ratssaal der Stadt ein, dass der Bürgermeister die Polizei rufen musste.
Ende Juli trat im Landkreis Mittelsachsen der parteilose Landrat Dirk Neubauer zurück, weil er sich gegen Bedrohungen von Rechtsextremisten nicht mehr zu helfen wusste. Für sie, so Neubauer, seien „hauptsächlich Freie Sachsen verantwortlich“.
„Friedlicher Protest gegen die Vertreter des Establishments wirkt“, freuten sich die Freien Sachsen daraufhin im Messengerdienst Telegram, wo sie ihre Botschaften verbreiten. Dort ertönt auch regelmäßig der Ruf zu Protestmärschen gegen die „Asylflut“.
Rascher Aufstieg
„Rechts unten“ liege Sachsen auf der Landkarte Deutschlands, wird oft gewitzelt. Im Land selbst ist es für viele aber bedrückend.
So konnte in Leipzig oder Bautzen der Christopher Street Day wegen Aufmärschen von Rechtsextremen nur unter starkem Polizeischutz stattfinden.
Gegründet wurden die Freien Sachsen 2021 vom Rechtsanwalt Martin Kohlmann, der schon bei den Republikanern aktiv war.
Bei der Kommunalwahl im Juni erzielten sie in einigen Gemeinden zweistellige Ergebnisse. Außerdem zogen sie in alle Kreistage ein. Das ist die kommunale Volksvertretung in einem deutschen Landkreis, der in Österreich einem Bezirk entspricht.
Proteste gegen Corona-Politik
Groß geworden sind die Freien Sachsen mit ihren Protesten gegen die Corona-Politik der deutschen Regierung. „Täter bestrafen“, fordern sie noch heute und meinen damit jene, die für das Impfen eintraten.
„Die Protestkultur wird in Sachsen schon lange auch von rechts außen zelebriert, oftmals auch durch eine Vereinnahmung der Montagsdemonstrationen gegen die DDR im Jahr 1989“, erklärt Manès Weisskircher, Politikwissenschafter an der TU Dresden, den Nährboden für die Partei.
Die Freien Sachsen seien auch sehr gut vernetzt. Weisskircher: „Sie greifen teilweise auf die früheren Strukturen in NPD-Hochburgen zurück.“ In Sachsen saß die NPD von 2004 bis 2014 im Landtag. In der Landeshauptstadt Dresden marschierte ab 2014 Pegida gegen die „Islamisierung“ des Abendlandes.
„Die Freien Sachsen sind sehr gut vernetzt. Sie greifen auf die Strukturen in früheren NPD-Hochburgen zurück.“ Manès Weisskircher, Politologe
Vieles, was die Freien Sachsen fordern, findet sich auch bei der AfD, die sich kurz vor der Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer liefert. Beide Parteien kommen auf rund 30 Prozent. Die Freien Sachsen hoffen auf den Einzug in den Landtag, der ihnen aber in Umfragen nicht vorausgesagt wird.
„Wir sind einen Tick härter und konsequenter“, sagt Schreiber über die AfD. Eine Rentnerin aus Riesa findet das lobenswert. „Die Freien Sachsen würden schneller mit den Asylanten aufräumen. Heidewitzka und ab durch die Mitte“, lacht sie.
Auf die AfD ist sie nicht gut zu sprechen: „Die labert nur, aber macht nichts, weil sie sich der CDU anbiedert.“ Sie selbst, so die Frau, sei bei einer Anti-Corona-Demo von der Polizei verletzt worden. „Ich habe auf einen Untersuchungsausschuss im Landtag durch die AfD gehofft. Aber nichts ist geschehen“, meint sie frustriert.
Politikwissenschafter Weisskircher beschreibt das Verhältnis ganz rechts außen in Sachsen so: „Eigentlich sind die Freien Sachsen und die AfD Konkurrenten. Die AfD hat die Freien Sachsen sogar auf ihre ‚Unvereinbarkeitsliste‘ gesetzt. Aber auf Demonstrationen sieht man dennoch regelmäßig Politiker beider Parteien gemeinsam.“
Viele Versäumnisse
Warum aber konnten sich rechtsextremes Gedankengut und Gewalt gerade in Sachsen so ausbreiten? „Das hat auch mit Versäumnissen seit der Wiedervereinigung zu tun. Es gab hier lange eine Politik des Wegschauens und Kleinredens“, sagt Henriette Rodemerk vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung an der Uni Leipzig.
Über Jahre hinweg galt der legendäre Satz des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der 2001 erklärt hatte: „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus.“
Ein fataler Irrtum mit fatalen Folgen. „In Sachsen gab es lange Zeit für antifaschistische Projekte und demokratische Initiativen wenig politische Unterstützung. Zudem fand die Extremismustheorie großen Anklang“, sagt Rodemerk. Bei dieser werde „von einer angeblich gemäßigten sogenannten ‚Mitte der Gesellschaft‘ ausgegangen, die politisch von einem rechten und linken Rand extremistisch bedroht wird“.
Von Rechtsextremismus will man bei den Freien Sachsen natürlich nichts hören. „Ich bin ein ganz normaler Deutscher, der stolz auf sein Land ist und nicht will, dass es vor die Hunde geht“, erklärt ein junger Mann.
Einen „Säxit“ fände er gut, dann „könnten die Sachsen unter sich bleiben“. Dass dies eher Wunschdenken ist, räumt auch Schreiber ein. Obwohl, er hat eine Idee, wie es klappen könnte: „Wenn wir Freien Sachsen sehr stark werden, dann will der Rest von Deutschland vielleicht Sachsen gar nicht mehr behalten.“