Enkel des Moped-Designers über Simsontreffen in Zwickau: Rechtsextremisten missbrauchen Clauss Dietels Lebenswerk

Schon als Kind saß Bruno Dietel im Atelier in Chemnitz auf einer Simson. Er erzählt vom offenen Gestaltungsprinzip seines 2022 verstorbenen Großvaters – und von dessen Furcht vor neu aufkeimendem Totalitarismus.

In Thüringen posiert der AfD-Spitzenkandidat auf dem Moped seines Großvaters, in Sachsen gehören beim größten Simson-Treffen Naziparolen zum Alltag: Das treibt Bruno Dietel um. Nach den Ereignissen von Zwickau fand der 31-Jährige bei Twitter (X) „sehr persönliche Worte zur Simson-Symbolik und deren Aneignung durch den westdeutschen Faschisten Höcke und andere Rechtsextreme“. Jetzt legt der Enkel des Simson-Designers nach. An die „Freie Presse“ schrieb er: „Wie das Simson-Moped gerade instrumentalisiert, umgedeutet und angeeignet wird, würde meinen Großvater Karl Clauss Dietel entrüsten.“

Die Simson mit ihren Modellen S 50 und S 51 ist bis heute das meistgebaute deutsche Moped. Rund 1,6 Millionen Stück wurden bis 1990 im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ in Suhl produziert. Der Formgestalter Karl Clauss Dietel, 1934 in Reinholdshain bei Glauchau geboren, hatte ab 1962 Kleinkrafträder mit Zweitaktmotor der so genannten SR4-Baureihe mit den Vogelnamen Star, Spatz, Sperber und Habicht gestaltet. Zusammen mit Lutz Rudolph entwarf er später auch Konzept und Design der Simson S 50 und S 51 – „nach dem offenen Prinzip“, wie sein Enkel erläutert.

„Die Bauteile sind leicht zugänglich, reparier-, austausch- und veränderbar: Das Ziel ist Langlebigkeit des Mopeds.“ Aus heutiger Sicht folgt die Simson demnach einem frühen Konzept von Nachhaltigkeit, auch wenn Ressourcenschonung in der DDR auch andere Motive hatte.

Dietels solidarischer, demokratischer Gestaltungsbegriff

Bruno Dietel wuchs in Brandenburg auf. Er arbeitet als Radiojournalist und lebt in Berlin. „Schon sehr früh in meiner Kindheit habe ich im Atelier meines Großvaters in Chemnitz auf einer Simson gesessen“, erzählt er. Hinter dem offenen Prinzip seines Großvaters stehe ein solidarischer, demokratischer und in Ansätzen auch ökologischer Gestaltungsbegriff – und darüber hinaus „ein offenes Verständnis von Gesellschaft“. Das bedeute Offenheit für Veränderungen, Offenheit für Weiterentwicklung und Fortschritt. „So habe ich meinen Großvater immer erlebt.“

Karl Clauss Dietel schuf viele Designs für Industriegüter wie Textil- und Büromaschinen, Heimelektronik und Leuchten, darunter die Schreibmaschine Erika, Robotron-Computer und einen Eisenbahnwaggon. Sein berühmtestes gestalterisches Werk sollte jedoch die Simson S 50/S 51 werden, die vor 50 Jahren erstmals auf der Leipziger Herbstmesse vorgestellt wurde.

Dass dieses Moped auf ostdeutschen Straßen noch heute ganz selbstverständlich unterwegs ist, habe seinen Großvater stets erfreut, sagt der Enkel. Die Worte „Kult“ und „Ostalgie“ habe Karl Clauss Dietel aber in Bezug auf die Simson abgelehnt. Eher hielte er das Moped für ein über Generationen weitergegebenes „Symbol von junger Mobilität außerhalb der Städte“.

Höcke auf der „Simme“ – so geht Instrumentalisierung im Wahlkampf

Abgasgeruch und Motorengeräusch dieser Zweitakter seien in die soziokulturelle DNA der ostdeutschen Nachwendekinder übergegangen. „Noch viel mehr hat meinen Großvater aber gefreut, dass sich mit der über Jahrzehnte nach dem Ende der DDR weiter anhaltenden Nutzung der Simson-Mopeds in der Alltagsmobilität junger Ostdeutscher eines der zentralen gestalterischen Versprechen erfüllt hat.“ Was er damit meint, ist ebenjenes offene Prinzip und die daraus erwachsende Langlebigkeit.

All das, so beklagt Bruno Dietel, werde in diesen Tagen allerdings instrumentalisiert. Der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke sitzt als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in einem Werbespot auf einer „Simme“ und „inszeniert sich als Interessenvertreter junger Ostdeutscher“, wie der Enkel des Designers anpangert. Er sagt, die AfD missbrauche das Simson-Symbol. Rund um das Simsontreffen in Zwickau hatte sie mit dem Slogan „Simson statt Lastenrad“ plakatiert.

Auf dem Treffen der Mopdefans war es am vorvergangenen Wochenende einmal mehr zu rechtsextremen Vorfällen gekommen. Nachdem die „Freie Presse“ dort bereits im Vorjahr Nazi-Symbolik dokumentiert hatte, fotografierte diesmal ein MDR-Reporter, der auf dem Gelände ohne Presse-Kennzeichnung unterwegs war, wie junge Leute ungestört den Hitlergruß zeigten.

Ein Teilnehmer trug demnach den Schriftzug „Alle Schwarzen sollen hängen!“ auf dem nackten Rücken, ein anderer ein T-Shirt mit einer schwarzen Sonne und der Aufschrift „Auch ohne Sonne braun“. Zudem waren ein Aufkleber „NS-Camp“ und SS-Runen zu sehen. Auf einer Simson war der Slogan „Raus mit die Viecher!“ abgedruckt – die menschenverachtenden Worte einer Frau einer „Stern-TV“-Reportage“ über Geflüchtete. Ordner auf dem Simsontreffen, so der Vorwurf des MDR-Reporters, sollen nicht eingegriffen haben.

„Wie Gesellschaften kippen, erlebt er nicht mehr, es bleibt ihm erspart“

Im Nachgang berichtete die Polizei zunächst nur von Feuern auf dem Gelände. Bei den Löscharbeiten seien Rettungskräfte, Polizeibeamte und Feuerwehrleute von bis zu 400 Personen bedroht und angegriffen worden. Nach dem MDR-Bericht über die rechtsextremen und rassistischen Vorfälle schaltete die Polizei ein Hinweisportal im Internet frei. Bei den bekannt gewordenen Delikten handele es sich um mögliche Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und den öffentlichen Aufruf zu Straftaten, hieß es, der Staatsschutz ermittle.

Die Polizeidirektion Zwickau erklärte am Montag auf Anfrage, man habe erwartet, dass sich Menschen auf dem Simsontreffen von den Nazisymbolen gestört fühlten und daher ihre Beobachtungen der Polizei melden würden. Bislang habe man allerdings keine Hinweise erhalten.

Bruno Dietel beklagt: „In der sächsischen Landespolitik, in der im Wahlkampf auch auf ostdeutsche Identität und Prägung gesetzt wird, sind die Ausschreitungen in Zwickau kein Thema.“ Die Zustände würden offenbar als neue Normalität hingenommen. Was er über seinen Großvater schrieb, zeigte er auch seiner Großmutter, der Witwe von Karl Clauss Dietel. Sie sei mit dem Statement einverstanden.

Karl Clauss Dietel starb 2022 in Chemnitz. Im Herbst wäre er 90 Jahre alt geworden. „Was gerade in Sachsen und auch Thüringen passiert, wie Gesellschaften kippen, das erlebt mein Großvater nicht mehr mit, es bleibt ihm erspart“, sagt sein Enkel. „Er hat zeitlebens von seinem Aufwachsen in der NS-Zeit erzählt und hatte in den letzten Jahren Sorge um den neu aufkeimenden Autoritarismus und Totalitarismus in seinem Sachsen.“