Razzien in mehreren Bundesländern Innenministerium verbietet rechtsextremes „Compact“-Magazin: Durchsuchungen auch in Sachsen
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat das als rechtsextremistisch eingestufte „Compact“-Magazin verboten. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums durchsuchen Einsatzkräfte seit den frühen Morgenstunden Räume der Organisation sowie Wohnungen führender Akteure – auch in Sachsen.
Wenn es darum geht, Angst zu schüren, dann sind sie beim rechtsextremen „Compact“-Magazin echte Profis. „Deutschland am Ende: Rette sich, wer kann!“, war vor wenigen Tagen eine Ausgabe des täglichen „Compact“-Newsletters übertitelt. Der Inhalt, grob zusammengefasst: Deutschland säuft ab, nur die „Asylmigranten“ werden „rundumversorgt“.
Um sich zu schützen, sei Bewaffnung notwendig, so geht die „Compact“-Erzählung sodann weiter. Das Magazin bewirbt schon seit Wochen einen „Ratgeber“ aus dem rechten Kopp-Verlag: „Freie Waffen für den Eigenschutz“ – vorgestellt werden darin unter anderem Armbrüste, Teleskopschlagstöcke und andere frei verkäufliche aber teilweise tödliche Waffen.
Jetzt ist das rechtsextreme Geschäft mit der Angst vorbei: Das Bundesinnenministerium hat die „Compact“-Magazin GmbH und die dazugehörige Conspect Film GmbH verboten. Polizeikräfte durchsuchten am frühen Dienstagmorgen unter anderem das Haus des „Compact“-Gründers und Chefredakteurs Jürgen Elsässer im brandenburgischen Falkensee, außerdem weitere Häuser und Büros in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen. Laut einer Mitteilung des Bundesinnenministeriums handelt es sich dabei um die Räumlichkeiten von „führenden Akteuren, der Geschäftsführung und wesentlichen Anteilseignern“, es sollten Vermögenswerte und weitere Beweismittel beschlagnahmt werden.
Faeser spricht von hartem Schlag gegen rechtsextreme Szene
In der bereits am 5. Juni unterzeichneten, aber erst an diesem Dienstagmorgen im Bundesanzeiger veröffentlichten Verbotsverfügung des Ministeriums heißt es, das „Compact“-Magazin richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete das Magazin in der Mitteilung ihres Ministeriums als zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene. „Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie“, so Faeser.
Das Verbot sei ein harter Schlag gegen die Szene. „Das Verbot zeigt, dass wir auch gegen die geistigen Brandstifter vorgehen, die ein Klima von Hass und Gewalt gegenüber Geflüchteten und Migranten schüren und unseren demokratischen Staat überwinden wollen.“
Faeser dankte „den Sicherheitsbehörden im Bund und in den beteiligten Ländern für die eng abgestimmten, konsequenten Maßnahmen“.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte „Compact“ bereits 2020 als Rechtsextremismus-Verdachtsfall und dann ab Ende 2021 als erwiesen rechtsextreme Bestrebung eingestuft.
Enge Verbindungen zur AfD
Bis zuletzt unterhielt das Magazin enge Verbindungen zur AfD. Seit dem vergangenen Jahr rührte „Compact“-Chef Elsässer die Werbetrommel für eine Veranstaltungsreihe zur Unterstützung der Partei in diesem Wahljahr. Unter dem Titel „Blaue Welle“ wollte Elsässer Volksfeste und politische Kundgebungen in mehreren Städten veranstalten – inklusiver Parteiprominenz aus der AfD. Weil das als verdeckte Parteienspende hätte gewertet werden können, lehnte die AfD nach öffentlicher Kritik und interner Diskussion schließlich ab. Veranstaltungen unter dem Titel fanden trotzdem statt: Erst vor rund einer Woche zündete der frühere AfD-Politiker André Poggenburg gemeinsam mit zwei weiteren Männern auf einer der Kundgebungen in Dresden eine Regenbogenfahne an.
Ende Juli sollte der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah gemeinsam mit dem österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner auf dem Sommerfest des „Compact“-Magazins auftreten. Beim Bundesparteitag der AfD in Magdeburg im Juli 2023 hatte das „Compact“-Magazin noch einen eigenen Verkaufsstand. Geworben hatte das Magazin dort unter anderem mit Titelseiten, die Alice Weidel und Björn Höcke zeigten. In seinem Onlineshop verkaufte das „Compact“-Magazin bis zuletzt auch einen „Höcke-Taler“ – eine Silbermünze mit dem Konterfei des Thüringer AfD-Chefs, außerdem eine deutsch-russische Freundschaftsmünze. Nach dem Anschlagsversuch auf den US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump am vergangenen Wochenende gesellte sich jüngst auch eine „Compact“-„Heldenmedaille“ für Trump hinzu. Die ersten Besteller werden sie aber wohl nicht mehr erhalten. Die Auslieferung sollte am 25. Juli beginnen.
Jürgen Elsässer und das „Compact“-Magazin haben in den vergangenen Jahren immer wieder ein Gespür dafür bewiesen, wie sich gesellschaftliche Stimmungen anheizen – und geschäftlich ausnutzen lassen. Rechtsextreme Talking Points und gesellschaftliche Spannungsthemen verwandelte das „Compact“-Magazin regelmäßig in eigene Sonderausgaben, stets beworben mit großspurigen Worten.
Nahrungsergänzungsmittel und ein Neonazi-Kochbuch
Besonders von der Corona-Pandemie und der in großen Teilen von Verschwörungsideologien dominierten Protestbewegung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen profitierte „Compact“. Das Magazin warb auf diversen Demonstrationen für sich, rief seine Leserinnen und Leser zur Teilnahme auf und nutzte die verbreitete Skepsis gegenüber dem professionellen Gesundheitssystem für Schleichwerbung für Nahrungsergänzungsmittel aus dem Onlineshop eines „Compact“-Gesellschafters.
Zu den regelmäßig von „Compact“ beworbenen und im eigenen Shop verkauften Produkten gehört auch ein Kochbuch des Thüringer Neonazis Tommy Frenck mit den „88 besten Fleischgerichten aus dem Reich“.
Nach rund 14 Jahren ist nun das Ende des „Compact“-Magazins besiegelt – vorbehaltlich des Rechtswegs, den Elsässer nun beschreiten kann. Die Verfügung des Innenministeriums verbietet es auch, Ersatzorganisationen zu gründen. Dasselbe Geschäftsmodell unter anderem Namen weiterzuführen, ist deshalb keine Option.
Das Ende der oftmals schrillen öffentlichen Karriere von „Compact“-Chef Jürgen Elsässer dürfte es aber nicht sein. Dafür liebt der 67-Jährige die Öffentlichkeit zu sehr. Bis in die 2000er Jahre arbeitete Elsässer zunächst lange für eine ganze Reihe linker und linksradikaler Medien. Er schrieb zunächst für die Zeitung „Arbeiterkampf“ des Kommunistischen Bundes, war in den 1990er Jahren Redakteur der „Jungen Welt“, gehörte dann zu den Mitgründern der Abspaltung „Jungle World“ und arbeitete für die „Konkret“. Ab 2007 sprach sich Elsässer dann zunehmend öffentlich für eine sogenannte Querfront aus Rechten und Linken aus und positionierte sich immer eindeutiger nationalistisch.
LVZ
Faeser verteidigt „Compact“-Verbot – Sachsens AfD kritisiert Entscheidung
Das vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte „Compact“-Magazin darf nicht mehr erscheinen. Während Bundsinnenministerin Faeser diesen Schritt verteidigt, sieht die AfD die Demokratie in Gefahr.
Nach dem Bekanntwerden des Verbots des als rechtsextremistisch eingestuften „Compact“-Magazins gab es am Dienstag erste Reaktionen aus der Politik. So bewertete Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen die Entscheidung des Bundesinnenministeriums als richtigen Schritt. Das Magazin sei „Hass und Hetze in Hochglanz“, sagte der CDU-Politiker. „Diese Plattform der Demokratiefeinde verfolgt ein Ziel und das ist die Zerstörung unserer freiheitlichen Gesellschaft.“
Polizeikräfte hatten am frühen Dienstagmorgen unter anderem das Haus des „Compact“-Gründers und Chefredakteurs Jürgen Elsässer im brandenburgischen Falkensee durchsucht, außerdem auch weitere Häuser und Büros in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen. Mehr als 200 Einsatzkräfte der Brandenburger Polizei und der Bundespolizei seien daran beteiligt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete das Magazin in der Mitteilung ihres Ministeriums als zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene. „Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie“, so Faeser.
Die Bundesgeschäftsführerin der Partei Die Linke, Katina Schubert, meint, nun sei die Prüfung eines AfD-Verbots „unumgänglich“. Sie findet: „Das Verbot vom rechten Hetzblatt darf nicht nur ein symbolischer Paukenschlag bleiben“. Die sächsische Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz schätzte das Verbot bei X als „richtig“ und „notwendig“ ein.
AfD und Elsässer kritisieren „Compact“-Verbot
Jürgen Elsässer selbst bewertete das Verbot der „Compact“-Magazin GmbH und der dazugehörigen Conspect Film GmbH als „ungeheuerlichen Vorgang“. Während der Razzia der Polizei sagte er vor seinem Wohnhaus in Falkensee: „Im Augenblick sind wir geschwächt durch diese diktatorische Maßnahme, aber die Wahrheit lässt sich nicht verbieten.“ Bei „Compact“ handle es sich um eine legale Zeitung, die noch nie strafrechtlich verurteilt worden sei, etwa wegen Volksverhetzung, Rassismus oder Aufruf zur Gewalt.
Sachsens AfD-Chef Jörg Urban wurde bei X mit den Worten zitiert: „Frau Faeser befindet sich strammen Schrittes auf dem Weg in den Gesinnungsstaat. Es ist entlarvend, dass sie einzig und allein angeblich problematische Ansichten unterstellt, ohne die Vorwürfe zu belegen. Das Bundesinnenministerium tritt damit sowohl die Presse- als auch die Meinungsfreiheit mit Füßen.“
Auch die AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel äußerten sich ähnlich: „Das Verbot des Compact-Magazins ist ein schwerer Schlag gegen die Pressefreiheit. Bundesinnenministerin Nancy Faeser missbraucht damit ihre Kompetenzen, um kritische Berichterstattung zu unterdrücken“.
Die AfD wird aktuell vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet. Ob perspektivisch eine Einstufung der Gesamtpartei als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch den Inlandsgeheimdienst folgen könnte, ist momentan noch nicht absehbar.
Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller kritisierte das Verfahren. „Ich halte das Verbot für ganz klar verfassungswidrig“, sagte Möller in Erfurt. Der Fall zeige, „mit welcher Verbotsmentalität“ die Bundesregierung versuche, Kritik an bestimmten Regierungspositionen im Keim zu ersticken. „Das trifft natürlich in besonderem Maße die AfD, die als Oppositionspartei diesen Weg geht, der Regierungskritik“, sagte Möller. Die Thüringer AfD wird von Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft und beobachtet.
Robin Williamson und Armin Görtz LVZ
Erst antideutsch, jetzt rechtsextrem: Wer ist Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer?
Das „Compact“-Magazin mit Sitz in Falkensee (Kreis Havelland) ist verboten worden, Razzien fanden statt. Kopf des rechtsextremen Mediums ist Jürgen Elsässer – eine der schillerndsten Figuren der neurechten Szene. Das war nicht immer so.
Falkensee. Das rechtsextreme „Compact“-Magazin ist verboten worden, die Polizei durchsuchte am Dienstagmorgen Räume, die mit dem Blatt und dessen Chefredakteur Jürgen Elsässer in Verbindung stehen. Der 67-Jährige wohnt seit Jahren in Falkensee (Landkreis Havelland) und ist eine der wohl schillerndsten Figuren an den Rändern des politischen Spektrums. Denn während das von ihm geleitete „Compact“-Magazin jetzt vom Innenministerium als „zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene“ betitelt wurde, war Elsässer noch vor einigen Jahrzehnten zentraler Kopf der linksextremen antideutschen Bewegung.
Geboren in Baden-Württemberg, war Elsässer zunächst Mitglied im Kommunistischem Bund, der sich 1991 auflöste. Nach dem Mauerfall zählte er zu den Geburtshelfern einer betont antideutschen Richtung im linksradikalen Lager. „An der Entstehung dieser Strömung hatte auch ich selbst keinen geringen Anteil, und ich muss mich dessen nicht schämen“, heißt es in einem seiner Bücher. Die antideutsche Bewegung richtet sich gegen jede Form des deutschen Nationalismus und solidarisiert sich mit Israel.
Jürgen Elsässer: Autor und Redakteur für linke Medien in den neunziger Jahren
Seit Mitte der neunziger Jahre arbeitete er vorwiegend für linke Medien wie „Junge Welt“, „Konkret“, „Freitag“, „Jungle World“ und „Neues Deutschland“. Jenes Blatt trennte sich 2009 von ihm. Vorwurf: Er habe an „rechte Parolen angedockt“. Der damalige sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel (40) hatte bereits zuvor eingeschätzt, dass Elsässer „Brücken zur NPD“ schlage.
Von 2010 an war er Mitbegründer, Chefredakteur und einer der Verleger der Zeitschrift „Compact“, damals saß die Redaktion noch in Leipzig. Das von Elsässer gesteckte Ziel war es damals, demokratische Linke und demokratische Rechte, Moslems und Islamkritiker im „offenen Dialog“ zusammenzubringen. Dabei betonte er: „Besonders freut uns, dass mit Andreas Rieger ein deutscher Moslem von Anfang an dabei ist.“
Rechtsanwalt Andreas Abu Bakr Rieger (49) – Herausgeber der „Islamischen Zeitung“ – ging allerdings bei „Compact“ im Jahr 2014 als Gesellschafter von Bord. Während er vor der Bewegung Pegida warnte, warb Elsässer massiv für die islamkritische Organisation und ihre Ableger, trat in Leipzig auch als Redner auf. Damals versuchte er jedoch noch weiterhin, Brücken nach Links zu schlagen, lud sie zu seinen Demonstrationen ein.
Jürgen Elsässer seit 2010 Chefredakteur des „Compact“-Magazins
Elsässer begann Anfang der 2010er Jahre, Kontakte zu AfD-Politikern zu knüpfen und lud Frauke Petry und Karl Albrecht Schachtschneider als Hauptredner zu den „Souveränitätskonferenzen“ von Compact 2013 ein. Im April 2014 erklärte er sich öffentlich zum AfD-Anhänger und trat regelmäßig auf AfD-Veranstaltungen auf. Er wurde zu verschiedenen Veranstaltungen der AfD eingeladen, darunter der „Wissenskongress“ 2015 und die „4. Souveränitätskonferenz“ 2015, bei der ein „Plan für den Widerstand gegen die Abschaffung Deutschlands“ thematisiert werden sollte. Trotz Absagen von Gauland und Höcke blieb er ein fester Bestandteil der AfD-Veranstaltungen und moderierte 2019 eine Veranstaltung ultrarechter AfD-Mitglieder.
Elsässer unterstützte im AfD-internen Kursstreit 2019 Björn Höcke und äußerte sich positiv über die gesamte Bandbreite der Partei. Seine Haltung zu Russland und dem Ukraine-Konflikt ist geprägt von Kremlnähe und Antiamerikanismus. Er kooperiert mit russischen Medien und propagiert die Ideologie des Eurasismus. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 verteidigte Elsässer Russland und machte die NATO für die Eskalation verantwortlich.
Während der Flüchtlingsbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 rief Elsässer die Bundeswehr auf, eigenmächtig die Grenzen zu sichern, und kritisierte Merkel scharf. Nach dem Münchner Amoklauf 2016 und den Vorfällen der Kölner Silvesternacht 2015/16 verschärfte er seine Rhetorik gegen Flüchtlinge und Muslime und forderte drastische Maßnahmen gegen Gefährder. Elsässer verknüpft seine politische Agenda eng mit der AfD und russischen Interessen, wobei er besonders gegen die USA und die NATO agitiert.
Kritik an angeblicher „Corona-Diktatur“, Sympathien mit QAnon
Elsässer distanzierte sich nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle 2019 vom Täter und betonte, dass die „aktuelle Rechte“ wie AfD, Pegida und die Identitäre Bewegung einen klaren Trennungsstrich zum Nazismus gezogen hätten. In einem Videochat 2020 begrüßte er die „Reichspopbewegung“ im Rahmen der Querdenken-Demonstrationen und kritisierte die „Corona-Diktatur“.
Er sprach sich für eine unideologische Zusammenfassung aller Volkskräfte jenseits des Links-Rechts-Schemas aus. Während der US-Präsidentschaftswahl 2020 prophezeite er mögliche Bürgerkriegsszenarien bei einer Niederlage Trumps.
2021 bezeichnete er Verschwörungsmythen wie QAnon als nützlich für politische Veränderungen, obwohl er die COVID-19-Impfung nicht als Biowaffe ansah. Das Landgericht Düsseldorf entschied 2022, dass seine Autobiografie zurückgezogen werden muss. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 äußerte Elsässer die Hypothese, dass bestimmte Kreise in Israel den Terroristen den Weg geöffnet hätten, um einen neuen Nahostkrieg zu provozieren.
Konrad Litschko Jean-Philipp Baeck TAZ
Rechtsextremes Magazin von Elsässer: Compact wird verboten
Seit Jahren verbreitet das Compact Magazin rechtsextreme Verschwörungsmythen und Russland-Propaganda. Nun wird es verboten.
Jürgen Elsässer ließ mit seinem Compact-Magazin kaum etwas aus. Er forderte den „Regimesturz“ und rief Soldaten 2015 dazu auf, die Grenzen, Asylunterkünfte und Moscheen zu schließen. „Wir sind im Krieg“, erklärte er damals. Seit Jahren agitiert das Magazin – Print wie Online – massiv gegen Geflüchtete, engagierte sich gegen eine vermeintliche „Corona-Diktatur“ und unterstützt Putin seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Offen werden auch Szeneslogans propagiert wie „Remigration rettet Leben“.
Seit Dienstagfrüh ist damit Schluss. Im Morgengrauen ließ das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) das rechtsextreme Magazin verbieten, ebenso wie die dazugehörige Conspect Film GmbH. Polizeikräfte durchsuchten dafür den Verlagssitz in Falkensee in Brandenburg, wo auch Chefredakteur Elsässer wohnt, und weitere Objekte in Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Ab sofort ist dem Magazin jede Tätigkeit verboten.
Für Faeser ist Compact „ein zentrales Sprachrohr“ der rechtsextremistischen Szene. „Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie.“ Das Verbot zeige, dass man auch gegen „geistige Brandstifter“ vorgehe, die ein Klima von Hass schürten. „Unser Signal ist ganz klar: Wir lassen nicht zu, dass ethnisch definiert wird, wer zu Deutschland gehört und wer nicht“, betonte Faeser.
Das Ministerium wirft dem Magazin antisemitische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte vor. Immer wieder agitiere das Magazin gegen die parlamentarische Demokratie und ein pluralistisches Gesellschaftsbild, das die Menschenwürde aller achte. Vertreten werde ein „völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept“ und eine „Widerstandsrhetorik“. Das Blatt sei geprägt von „verzerrenden und manipulativen Darstellungen“. Auch antisemitische Inhalte kämen vor, wenn etwa vom jüdischen „Hochfinanz“ die Rede sei. Und Chefredakteur Elsässer sei inzwischen ein „zentraler Vernetzungsakteur“ in der rechtsextremen Szene, der Kontakte zur AfD, den Identitären oder der Kleinpartei „Freie Sachsen“ pflegt.
Schon länger im Visier der Sicherheitsbehörden
Das Verbot eines Verlags hat Seltenheitswert: Zuletzt hatte das Innenministerium 2019 den kurdischen Mezopotamien Verlag verboten, dem vorgeworfen wurde, die PKK zu unterstützen. Nun trifft ein Verlagsverbot auch die rechtsextreme Szene – wo es zuletzt bereits Verbote von Gruppen wie den Hammerskins oder der Artgemeinschaft gab.
Das Compact Magazin, das zuletzt mit einer Auflage von rund 40.000 Exemplaren erschien, stand dabei schon länger im Visier der Sicherheitsbehörden. Elsässer hatte schon 2008 eine Buchreihe unter dem Titel „Compact“ im Kai-Homilius-Verlag herausgegeben, das erste Compact Magazin erschien am 6. Dezember 2010 mit Thilo Sarrazin auf dem Titel, ab 2013 wurde es im Monatsrhythmus veröffentlicht.
Im April 2011 erschienen drei Männer bei einem Notar in Potsdam, um die Compact-Magazin GmbH zu gründen: Jürgen Elsässer, Kai Homilius und Andreas Rieger. Andreas Rieger ist deutscher Konvertit und Herausgeber der Islamischen Zeitung. Er hatte Elsässer 2009 interviewt. Danach hätten sie zusammen gesessen, erklärte Rieger 2016 der taz: „Wir waren uns einig: Es gibt zu wenige Magazine, die unterschiedliche Positionen vereinen.“
Die Zusammenarbeit bereute Rieger später: Er stieg 2014 aus, wegen der „rassistischen und nationalistischen Positionen“. Seinen Anteil übernahm die „Nordheide Kontor GmbH“ aus der Nähe von Hamburg des Unternehmers Jörgen-Arne Fischer-van Diepenbrock, der mit der Firma „Jumbo Fischer“ Zubehör für Nutzfahrzeuge vertreibt.
Elsässer und Homilius sind bis heute dabei. Elsässer übernahm 2018 den Anteil der „Nordheide Kontor GmbH“. Seitdem gehören ihm zwei Drittel der Compact-Magazin GmbH und er ist der alleinige Geschäftsführer. Homilius hält ein Drittel und hat Prokura, darf die Firma also geschäftlich vertreten.
„Heldenmedaille Donald Trump“ und „Höcke-Taler“
Das Compact Magazin wurde im Jahr 2020 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ eingestuft, ein Jahr später als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“. Elsässer schreckte auch vor Demonstrations- und Widerstandsaufrufen nicht zurück. So schrieb er im Blatt: „Wir wollen dieses Regime stürzen. Wir machen keine Zeitung, indem wir uns hinter den warmen Ofen oder den Computer verziehen und irgendwelche Texte wie eine Laubsägenarbeit auf den Markt bringen. Sondern das Ziel ist der Sturz des Regimes.“
Nach den Schüssen auf US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump wurde dieser als „Held“ gefeiert, die Wahlschlappe des französischen Rassemblement National bedauert. Veröffentlicht wurde ein „Exklusiv-Interview“ mit Kreml-Sprecherin Maria Sacharowa oder eine Petition für den AfD-Rechtsaußen Maximilian Krah gestartet, damit dieser doch noch Teil der AfD-Delegation im Europaparlament wird.
Immer wieder bot Elsässer dabei Rechtsextremen wie dem Identitären Martin Sellner, dem Verschwörungsmythiker Oliver Janich oder AfD-Größen wie Björn Höcke und Maximilian Krah ein Podium. Gerade den Parteiflügel um Höcke hofiert das Magazin, holt dessen Akteure immer wieder auf Podien. Vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg veranstaltete Compact auch eine Kundgebungstour „Die blaue Welle“, für die zu Spenden aufgerufen wurde. Das wurde selbst der AfD zu heikel, die eine Parteispendenaffäre fürchtete und eine Unterlassungserklärung gegen das Magazin anstrengte.
Spendenaktionen indes gehören zum Alltagsgeschäft von Compact. Laut dem jüngsten, im Mai veröffentlichten Jahresabschluss betrug der Umsatz im Geschäftsjahr 2021 geschätzte 6,8 Millionen Euro bei einem Gewinn von 390.000 Euro. Auch in den fünf Jahren davor lag der Umsatz jeweils bei mittleren einstelligen Millionenbeträgen. Die Compact Magazin GmbH hatte im Jahr 2021 nach eigenen Angaben 21 Mitarbeiter*innen.
Neben dem Verkauf der Hefte warb Compact immer wieder um Spenden, versuchte auch mit Sonderausgaben, CompactTV, Sommerfesten, einer „Clubmitgliedschaft“ oder Fanartikeln im Compact Shop wie einer „Heldenmedaille Donald Trump“, einem „Höcke-Taler“ oder einer „Druschba-Medaille“ Geld einzutreiben. Zuletzt beklagte Elsässer jedoch Kontokündigungen und „Finanzkrieg“ gegen sein Magazin. Es seien Spendenausfälle von 140.000 Euro angefallen.
Der Bundesregierung liegen auch Erkenntnisse zum Kontakt des russischen Ideologen Alexander Dugin zur „Compact-Magazin GmbH“ vor. Dugin veröffentlichte Essays im Magazin. Inwieweit diesbezüglich finanzielle Verbindungen bestehen, ist nicht bekannt.
Neben dem Compact Magazin betreibt Homilius in Magdeburg noch mit der „9 Leben GmbH“ einen Online-Shop für Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin D, Magnesium, indische Schlafbeere oder Astaxanthin – ein Zusatz für Fischfutter, dem vermeintliche Anti-Aging-Effekte zugeschrieben werden. Laut einer Recherche des Redaktionsnetzwerks Deutschland ist in Artikeln des Compact Magazins immer wieder für die Wellness-Firma des Mitgesellschafters Homilius in redaktionellen Artikeln geworben worden, ohne dies zu kennzeichnen.
Dass sein Verlag nun verboten wird, ist für Chefredakteur Elsässer das vorläufige Ende eines langen Weges von ganz links nach ganz rechts. Denn ursprünglich war der Publizist mal Anhänger des Kommunistischen Bundes und konkret-Autor. Vor knapp 20 Jahren begann dann sein Weg nach rechts, vorgeblich, weil sich „die Linke“ nicht mehr für das Proletariat interessiere. Schon 2006 kritisierte Elsässer: „Mit Staatsknete Multikulti, Gendermainstreaming und die schwule Subkultur gefördert, während die Proleten auf Hartz IV gesetzt werden.“ Immer wieder rief er dann zu Protesten auf und einer deutschen „Volksfront“. Bei Pegida stand Elsässer auf der Bühne, anderswo auch mit Höcke und anderen AfD-Funktionären. Mit Lars Günther beschäftigte er einen AfD-Mann lange als persönlichen Assistenten.
„Noch schärfere Tonart“ seit dem Krieg in der Ukraine
Symptomatisch war kürzlich ein Auftritt von Elsässer im sächsischen Zwönitz, auf der „Blauen Welle“-Kundgebungstour. „Deutschland wird vor die Hunde gehen, wenn wir die da oben nicht davonjagen“, rief Elsässer dort vor einer Großfahne der Freien Sachsen. Der 67-Jährige wetterte gegen „Umvolkung“ und „Wokeness“ und erklärte, Deutschland sei „ein besetztes Land“, unter Kontrolle der „Blutsauger im Westen“. Er selbst sei „ein Putin-Unterstützer“, bekannte Elsässer. Er wünsche sich, dass die Nato und die USA in der Ukraine „richtig einen auf den Sack kriegen“. Mit jedem Kilometer, den die Russen vorrückten, rücke „der Tag der deutschen Freiheit näher“.
Es war nicht die erste Rede Elsässers in diesem Tenor. Und die Sicherheitsbehörden hatten es stets aufmerksam notiert. Bereits zuletzt hatte der Brandenburger Verfassungsschutz vor der großen Reichweite von Compact gewarnt und wie dort russische und extremistische Propaganda verbreitet werde. Seit dem Krieg gegen die Ukraine gebe es eine „noch schärfere Tonart“. Das Magazin könne zu „gesellschaftlichen Verwerfungen und zur politischen Destabilisierung in Deutschland beitragen“. Der Geheimdienst sorgte deshalb bereits dafür, dass der Tiktok-Kanal des Magazins gelöscht wurde und erklärte, dies sei „nur ein erster Schritt“.
Doch Elsässer und sein Compact Magazin machten ungebremst weiter. Und sie hatten für den 27. Juli bereits das nächste Event geplant: ein „Sommerfest“ mit Sellner und Krah in Stößen (Sachsen-Anhalt). Daraus wird nun nichts mehr.
Christian Fuchs, Astrid Geisler, Christina Schmidt, Holger Stark, Martín Steinhagen und Fritz Zimmermann ZEIT 16. Juli 2024, 6:40 Uhr
Rechtsextremes Magazin Compact darf nicht mehr erscheinen
Das Innenministerium verbietet die Medien des Rechtsextremen Jürgen Elsässer. Er verliert damit die Plattform für seine Umsturzfantasien – und sein Geschäftsmodell.
Jürgen Elsässer ist ein Mann mit einer Mission. Sein Ziel tut der Verleger und Journalist gerne offen kund. Im vergangenen Jahr konnte man auf der Webseite seines Compact-Magazins lesen: „Wir wollen dieses Regime stürzen.“ Es war nicht das erste Mal, dass der Gründer der rechtsextremen Zeitschrift zur Revolte aufrief. Schon 2018 hatte Elsässer in seinem Monatsmagazin geschrieben: „Aufgabe der oppositionellen Medien ist es, zum Sturz des Regimes beizutragen.“
Damit soll nun Schluss sein. Nach Informationen von ZEIT ONLINE wurde das Compact-Magazin am Dienstag vom Bundesinnenministerium per Verfügung verboten. Seit den frühen Morgenstunden durchsuchen Ermittler die Geschäfts- und Wohnräume von Chefredakteur und Geschäftsführer Jürgen Elsässer in Falkensee und Werder in Brandenburg, um Geld zu beschlagnahmen und Anhaltspunkte für mögliche Strafprozesse zu finden. Die Razzien betreffen außerdem Immobilien in Sachsen, Sachsen-Anhalt und in Hessen.
Das Verbot richtet sich gegen die Compact-Magazin GmbH, die das Magazin veröffentlicht, sowie die mit ihr verbundenen Unternehmungen. Davon sind nicht nur das gedruckte Heft, sondern auch alle Webseiten und Social-Media-Kanäle, etwa auf YouTube, Telegram, WhatsApp, dem russischen VKontakte und Facebook betroffen.
Mit dem Vereinigungsverbot wird auch das Vermögen von Compact eingezogen. In Zukunft dürfen das Logo und der Name des Magazins nicht mehr öffentlich verwendet werden. Auch der Verkauf von Merchandise-Artikeln wie Fahnen und Warnwesten sowie Compact-Veranstaltungen sind betroffen. Das Unternehmen kann sich juristisch gegen dieses Verbot wehren. Verleger Jürgen Elsässer war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist das Compact-Verbot ein weiterer Schritt gegen Rechtsaußen. Die Sozialdemokratin will die Finanzströme der rechtsextremen Szene besser durchleuchten und, wo möglich, stoppen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll mehr Befugnisse für Finanzermittlungen erhalten. Die Suche nach dem Geld im Hintergrund ist bislang ein blinder Fleck der Ermittler: Der Verfassungsschutz darf und kann es nur in engen Grenzen, die Polizei macht es nur bei strafrechtlichen Ermittlungen, die Finanzpolizei FIU nur beim Verdacht der Geldwäsche.
Für sie habe es „hohe Priorität, die persönlichen und finanziellen Verbindungen in rechtsextremen Netzwerken auszuleuchten und aufzudecken“, sagte Faeser, als sie ihre Pläne im Februar vorstellte. Das Compact-Verbot ist ein Schritt, mit dem die Innenministerin nun gegen die neurechte Szene vorgegangen ist, weitere könnten folgen. Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist Faesers wichtigstes Projekt. Leute wie Elsässer hält sie für eine Gefahr für dieses Land.
Schon seit Ende 2021 hatte der Verfassungsschutz die Compact-Magazin GmbH als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung beobachtet. Infolgedessen sperrte die Social-Media-Plattform Tiktok Compact-Kanäle, das Magazin musste seine Reichweite dort neu aufbauen. Auch Facebook und Instagram nahmen Seiten der Zeitschrift zeitweise offline. Supermarktketten und Bahnhofsbuchhändler warfen das Magazin aus dem Sortiment und erschwerten den Vertrieb der Printausgabe. Zuletzt kündigte die Hausbank dem Medium das Konto.
Boulevardesk und knallig
Prägend für Compact war eine boulevardeske Aufmachung mit knalligen Covern. Das Medium setzte antiamerikanische Slogans und antisemitische Chiffren ein oder wärmte Verschwörungsideologien auf, etwa zum vermeintlichen Einfluss Satans in der Musikindustrie. Außenpolitisch positionierte sich das Magazin auf Seiten Russlands. „Ich bin kein Putinversteher – ich bin ein Putinunterstützer!“, sagte Elsässer im Frühjahr während einer Veranstaltung. Vor einigen Tagen lud die Redaktion auf YouTube ein kremlfreundliches „Exklusiv“-Interview mit der Sprecherin des russischen Außenministeriums hoch, in dem der Compact-Korrespondent bekundete, die deutsche Regierung führe „faktisch Krieg gegen Russland“.
Auch die vermutlich vorerst letzte Ausgabe des Magazins las sich wie ein Werbeheft für die Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats und für autoritäre Regime. Man werbe nicht für eine „bestimmte Partei“, war im Juli-Heft zu lesen, „sondern für eine grundsätzliche politische Wende“.
Seit 2010, als die erste Magazin-Ausgabe erschienen war, hatte Elsässer rund um die Zeitschrift eine Community aufgebaut, die sich nicht nur digital, sondern auch im realen Leben vernetzte. Förderer konnten für 500 Euro im Jahr „goldenes Clubmitglied“ werden und an Veranstaltungen und Konferenzen teilnehmen. Elsässers Team organisierte Tagungen und Feste. Der YouTube-Kanal hatte zuletzt rund 345.000 Abonnenten, die Printauflage des Magazins lag nach Verlagsangaben bei ungefähr 40.000 Exemplaren.
Der Verfassungsschutz Brandenburg warnte in seinem aktuellen Jahresbericht, das Magazin könne „zu gesellschaftlichen Verwerfungen und zur politischen Destabilisierung in Deutschland“ beitragen. Die Behörde forderte unmissverständlich: Die Reichweite von Compact müsse weiter minimiert werden.
Ein Medienprojekt mit reichen Gönnern
Seit Compact vor 14 Jahren als „Querfront“-Projekt gegründet wurde, ist es zu einem zentralen Scharnier zwischen dem völkischen Rechtsaußen-Flügel der AfD und dem politischen Vorfeld avanciert. Jürgen Elsässer schaffte es, rechtsextreme Aktivisten aus der NPD (heute: Die Heimat) und der Identitären Bewegung wie Mario Müller, Paul Klemm oder Martin Sellner als Redakteure und Autoren an sein Blatt zu binden. Aber auch AfD-Politiker schrieben für sein Heft. Elsässer selbst war nicht nur Redner auf AfD-Kundgebungen und bei rechtsextremen Demonstrationen, sondern auch Gast auf dem Szene-Anwesen Villa Adlon in Potsdam, auf dem sich Vertreter von AfD, CDU und extrem rechte Aktivisten trafen, um Geldgeber für die rechte Szene zu finden.
Zudem wechselten Redakteure des Magazins als Mitarbeiter zur AfD in den Bundestag. Im vergangenen Jahr trat das Magazin als Kooperationspartner eines Rechtsrockkonzerts der Jungen Alternative in Brandenburg auf. Ende Juli sollten der Rechtsextremist Martin Sellner und der in der AfD in Ungnade gefallene Europaabgeordnete Maximilian Krah auf dem Compact-Sommerfest auftreten, bis zu 50 Euro hätte ein Ticket dafür gekostet. Das Sommerfest kann nun wohl nicht mehr stattfinden.
Vom Kommunisten zum Kapitalisten
Seit Jahresbeginn war Compact verstärkt auf der Straße aktiv und veranstaltete unter dem Slogan „Die Blaue Welle rollt“ sogenannte „Volksfeste“ mit Musik und Reden – von Velten an der Oberhavel, über das thüringische Sonneberg bis nach Baden-Württemberg. Die Feste sollten auch Werbeshows für die AfD vor den Landtagswahlen im Herbst sein. Die Partei untersagte Elsässer allerdings nach Recherchen des rbb-Magazins Kontraste, so für sie zu werben, wohl aus Sorge, die Events könnten als illegale Parteienfinanzierung gewertet werden.
Jürgen Elsässer hat im Laufe seiner politischen Karriere seit den Achtzigerjahren einen weiten Weg genommen. Zunächst engagierte sich der Berufsschullehrer aus Pforzheim bei den Grünen und beim Kommunistischen Bund. Elsässer habe damals Streit innerhalb der Linken gesucht, erinnerten sich Weggefährten, er habe schon als junger Mann eine Massenbewegung schaffen, eine Revolution beginnen wollen. Mit der Wiedervereinigung wurde er zum Mitbegründer der antideutschen Strömung innerhalb der radikalen Linken, sie richtete sich gegen den neu erwachten deutschen Nationalstolz. Anfang der Neunziger zog Elsässer nach Berlin und startete seinen Marsch durch die Redaktionen: Meist kürzer als länger arbeitete er für linke Blätter wie junge welt, Jungle World, konkret, Freitag und Neues Deutschland.
Spätestens 2010 wurde der Kommunist Elsässer zum Kapitalisten: Zusammen mit dem Verleger Kai Homilius gründete er das Compact-Magazin. Mittlerweile ist Elsässer Gesellschafter der Compact-Magazin GmbH, die die Zeitschrift herausgibt, und der Conspect Film GmbH, die für die Video-Formate verantwortlich zeichnet. Elsässer, der Mails auch mal mit einem Che-Guevara-Zitat beendet, hat sich über die Jahre unterschiedliche Finanzquellen erschlossen. Neben Anzeigen und Werbespots betreibt er einen „Compact Shop“. Dort gibt es DVDs der Konferenzen zu kaufen, aber auch „Höcke-Taler“ aus Silber für 74,95 Euro.
Der Aufstieg des Magazins war aber nicht allein Elsässers Werk. Schon vor mehr als zehn Jahren hatten stille Gesellschafter als Starthilfe mehr als 100.000 Euro in das Magazin investiert. Einer davon war der Rechtsextremist und Bauunternehmer Hans-Ulrich Kopp aus Stuttgart. Er war 2012 als stiller Teilhaber in das Unternehmen eingestiegen. Mittlerweile ist er mit einer fünfstelligen Anlagesumme an der Conspect Film GmbH beteiligt, das bestätigte Kopp ZEIT ONLINE. Vor fünf Jahren machte die Compact-Magazin GmbH erstmals Gewinn, laut Handelsregister verdiente die Firma seitdem mehrere hunderttausende Euro pro Jahr.
Es passiert nicht oft, dass der Staat eine Zeitung oder Zeitschrift verbietet. Denn das Grundgesetz garantiert die Pressefreiheit. Ein Vereinsverbot diente dem Innenministerium schon früher als eine Art Hintertür. Im Januar 2016 wurde auf diese Weise die Neonazi-Website Altermedia vom Netz genommen. Im August 2017 traf es die linksradikale Website linksunten.indymedia. Im Februar 2019 verbot das Bundesinnenministerium so einen Verlag und eine Musikproduktionsfirma, die der bereits verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) zugerechnet wurden. Auch dieser Verlag war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung – so wie jetzt die Compact-Magazin GmbH.
Medienportal Grimma
Durchsuchungen auch in Sachsen: Rechtsextremistisches Compact-Magazin verboten
Sachsen. Exekutivmaßnahmen dazu auch in Sachsen
Seit den frühen Morgenstunden durchsuchen Beamte des Landeskriminalamtes Wohn- und Geschäftsräume in Pirna. Die Maßnahmen richten sich gegen einen 50-jährigen Mann mit deutscher Staatsbürgerschaft, der für die »COMPACT-Magazin GmbH« redaktionell tätig ist.
In Zusammenarbeit mit der Landesdirektion Sachsen, als vereinsrechtliche Vollzugsbehörde führt die Soko Rex des LKA Sachsen die erforderlichen Maßnahmen zur Durchsetzung und Umsetzung eines Vereinsverbots im Freistaat Sachsen durch.
Grund ist eine Verfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) auf Grundlage des Grundgesetzes, Artikel 9, und des Vereinsgesetztes, § 3 über ein Verbot des Vereins »COMPACT-Magazin GmbH«, einschließlich seiner Teilorganisation »CONSPECT FILM GmbH«. Einsatzkräfte in den Ländern Brandenburg, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt durchsuchen die Liegenschaften dieser Organisationen und die Wohnungen von führenden Akteuren, der Geschäftsführung und wesentlichen Anteilseignern, um Vermögenswerte und weitere Beweismittel zu beschlagnahmen. Das heutige Verbot untersagt jede Fortführung der bisherigen Tätigkeiten. Verstöße dagegen sind Straftaten.
Der Verein »COMPACT-Magazin GmbH« und dessen Teilorganisation richten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Zur Durchsetzung seines verfassungswidrigen Bestrebens propagiert der Verein antisemitische, rassistische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte und verbreitet sie mit verzerrenden und manipulativen Darstellungen. Die Mitglieder des Vereins sind engmaschig mit der rechten Szene vernetzt. Bei der Durchsuchung wurden mögliche Beweismittel sichergestellt.
22.06.2016 Paul Simon Andreas Raabe – kreuzer
»Wehe uns« – Wie der Publizist Jürgen Elsässer von Leipzig aus den Umsturz plant
Die AfD hofiert ihn, für Ex-Legida-Chef Johnke ist er ein »persönlicher Freund«, für seine Gegner ein rechter Hetzer: Jürgen Elsässer ruft zum Sturz der Regierung auf und sieht sich als Stichwortgeber einer rechtenVolksbewegung. Seine Zeitschrift Compact ist die Stimme der Ausländerfeinde. Redaktionsadresse ist ein Leipziger Postfach. Linke Aktivisten wollen auch eine Wohnung Elsässers in Leipzig gefunden haben (https://linksunten.archive.indymedia.org/node/169343/index.html).
Also, hören wir uns das einfach mal an; drei Minuten, vierzig Sekunden Jürgen Elsässer im O-Ton, bei seiner Eröffnungsrede zur »Compact-Freiheitskonferenz« im Oktober in Berlin. Los gehts: »Mein Name ist Jürgen Elsässer und meine Zielgruppe ist das Volk. (Applaus) (…) Und dieses Volk, unser Volk, das deutsche Volk, ist bedroht. (Applaus) Wir sehen einen Angriff auf Deutschland. Nicht ausgeführt durch Panzer oder Kampfflugzeuge, aber dennoch effektiv. Es sind ja archaische Bilder, die wir jetzt im Fernsehen sehen:
Wie ein Lindwurm, ein vieltausendköpfiger Lindwurm, sich über den Balkan wälzt, auf unsere Grenzen zu, alle Grenzbefestigungen niederreißt. Auf den ersten Blick friedlich, aber kaum gibt es ein Hindernis, sind die Frauen und Kinder aus den Fernsehfotos weg – und die jungen Männer überrennen die Grenze und zünden ihre Zeltstädte an, um Druck zu machen, dass sie noch mehr bekommen. (…) Was wird, wenn der Winter hart wird und wenn die Zeltstädte den Neuankömmlingen nicht genügen? Müssen wir dann auch mit dieser Gewalt rechnen? Wehe uns! (Dramatische Pause)
Diese Konferenz soll dem Volk Mut machen – und (der Finger schwingt im Takt) den Millionen / draußen / im Land, / die weiter / Deutschland lieben / und an / Deutschland festhalten / und dieses / Deutschland verteidigen wollen, / einen mächtigen Impuls geben. (Pause, Beifall)
Ich stehe hier für unsere Kinder (…), für die Verkäuferinnen und Verkäufer in unseren Supermärkten, die ohnmächtig mit ansehen müssen, wie die Neuankömmlinge Waren mitnehmen, ganze Regale leerräumen. Und ich erinnere an die Verkäuferin im Netto-Markt im sächsischen Freiberg, die von einem dieser Zahlungsunwilligen mit der Machete (Hand fuchtelt) bedroht wurde. Und die Polizei war nicht fähig, den Mann aufzuhalten. Und ich sage euch, lasst euch das nicht gefallen, wehrt euch, denn ihr gehört zu Deutschland. (Applaus, Elsässer wirft mit einer weichen Kopfbewegung seine Haarsträhne zurück, 3:40 Minuten)«
Ja, wer will es den deutschen Zuhörern dann verdenken, wenn sie ein Ausländerheim anzünden? Elsässer beherrscht die Klaviatur der deutschtümelnden Hetze, denn er hat jahrelang gegen sie angeschrieben. An diesem Abend spricht er vor 1.000 Zuhörern, das Youtube-Video seiner Rede wurde mehr als 160.000 Mal angeklickt. Unter dem Video der Hinweis: »Compact hat den Mut zur Wahrheit« und: »Abonnieren Sie das Compact-Magazin«.
»Ich stehe hier«, ruft Elsässer Sekunden später ins Auditorium, »für alle unsere Frauen, auch für meine eigene, die sich nicht mehr hinaustrauen auf die Straßen in ihren Straßenvierteln, weil da zu viele fremdländische junge Männer sind.«
Wenn das stimmt, warum wohnt er dann quietschvergnügt mit seiner Freundin an der Leipziger Eisenbahnstraße, seit zehn Jahren schon, wie linke Aktivisten herausgefunden haben wollen? Und was noch viel merkwürdiger ist, wie kann es sein, dass diese Worte, »Wehrt euch, denn ihr gehört zu Deutschland«, von einem Mann kommen, der als Begründer der Antideutschen Bewegung in den neunziger Jahren gilt, jener linksradikalen Strömung, die alles Deutsche ablehnt und bekämpft, die den britischen Luftwaffenchef Bomber Harris feiert – der im 2. Weltkrieg unter anderem Dresden in Schutt und Asche legte? Elsässer persönlich soll sich damals sogar den Slogan »Nie wieder Deutschland!« ausgedacht haben. Also, was ist da passiert mit dem ehemals stramm linken Jürgen Elsässer? In was für Zeiten leben wir eigentlich? Und was hat das alles mit Leipzig zu tun?
Traum vom Volksuftand
Ende Februar, vier Monate später, Leipzig-Ost: Die Antifa hatte zugeschlagen. »Legida NAZI Elsässer«, prangte es in großen Lettern an der Hauswand, daneben zwei Pfeile, die auf die Fens- ter einer Wohnung im Obergeschoss zeigen. Unweit der Eisenbahnstraße waren Plakate aufgehängt, Flugblätter mit Steckbrief und Foto warnten:
»Achtung: In Ihrer Nachbarschaft wohnt ein Nazi.« Darunter hieß es, wie um die Drama- tik der Aktion zu rechtfertigen: »Jürgen Elsässer ist NICHT irgendein Rechtspopulist.«
Auf der Antifa-Plattform Indymedia erschien gleichzeitig ein Text, der die Kampagne zur Bloß- stellung des Jürgen Elsässer vollendete – inklusive der genauen Adresse einer Wohnung in einer Seitenstraße der Eisenbahn- straße. Zum Beleg fügten die Autoren unter anderem ein Foto hinzu, auf dem Elsässer mit seiner Freundin, nur ihr Name habe auf dem Klingelschild gestanden, vor der Haustür in ein Taxi steigt.
»Dank seiner ausgeklügelten Tarnung als LVZ- Journalist und freier Autor fühlt sich Jürgen E. im Haus und nächster Umgebung pudelwohl«, schrieben die anonymen Aktivisten dort. Mit dieser nachbarschaftlichen Harmonie dürfte es mittlerweile vorbei sein.
Jürgen Elsässer ist so etwas wie der Rudi Dutschke der Fremdenfeinde. Über Dutschke, den Studentenführer, schrieb der Spiegel 1967: »Was er will, erreicht er nicht, was er bewirkt, kann er nicht wollen.« Kann man über Elsässer dasselbe sagen? Zurzeit sieht es genau nach dem Gegenteil aus: Das, was er will, erreicht er – und was er bewirkt, das will er. Offenbar. Doch wie passt das zum alten Elsässer, dem Antideutschen?
Was auffällt: Anders als bei Dutschke ist in Elsässers Reden kaum Ernst und Leidenschaft, sondern oft sogar ein ironischer Unterton spürbar, als würde er sich selbst ein bisschen darü- ber amüsieren, was er sagt, oder zumindest Spaß dran haben, besonders wenn es populistisch oder provokant wird. Schaut man sich Elsässers Hetzreden an, dann kommt unvermittelt der Gedanke, gleich würde die Redaktion des Satiremagazins Titanic auf die Bühne springen, Elsässer abklatschen, allen eine Nase drehen und rufen: Ätsch, angeschmiert, alles nur Verarsche.
Doch es scheint ihm ernst zu sein: Während andere »Merkel muss weg« schreien, entwirft Elsässer in seiner Zeitschrift Compact das dreistufige Programm dafür. Erst müsse geklagt werden, dann bei den Wahlen mit der AfD dem »Regime« ein Denkzettel verpasst, und schließlich, falls das noch nicht genügt, komme die Stunde des Massenprotestes: »eine zentrale Großdemonstration«, um die Regierung zum Abtreten zu zwingen. Im Oktober bereits malte er sich aus, mit 500.000 Anhängern den Reichstag zu belagern.
»Es kann jetzt keine Entschuldigung mehr geben, zu Hause zu sitzen – das Haus brennt«, sagte er auf einer Konferenz in Berlin. »Und wenn 500.000 den Reichstag belagern – friedlich! –, dann hat Merkel fertig!« Immer wieder kommt er in seinen Reden auf diese 500.000 zurück, es scheint eine fixe Idee zu sein. So wie 1989 könnten sie die Regierung stürzen, glaubt er, oder scheint es zu glauben. Jürgen Elsässer träumt vom Volksaufstand.
Gleichzeitig scheut er das Licht der Öffentlichkeit: Mit den »Monopolmedien« spricht er schon längst nicht mehr. Auch die Anfragen des kreuzer, den er offenbar dieser Gruppe zuschlägt, ignorierte er hartnäckig. Selbst die rechtskonserva- tive Junge Freiheit ließ er abblitzen, als sie um ein Treffen in seinen Redaktionsräumen bat:
»Die sind tabu, da kam bisher noch niemand rein«, ließ er wissen. Im Impressum der Compact ist lediglich ein Leipziger Postfach als Kontaktadresse zur Redaktion ausgewiesen. Sein Leben im Leipziger Kiez sollte offenbar von seinen Aktivitäten als rechter Agitator nicht getrübt werden.
Es war wohl diese Geheimniskrämerei, die in einer Antifa- Gruppe jetzt voyeuristische Paparazzi-Instinkte weckte. Selbst das Innere seiner Wohnung wollen sie gründlich ausgespäht haben und amüsierten sich über deren bildungsbürgerliches Interieur. Auch Elsässers Outfit offenbarte ihr Text unter der Überschrift »Elsässer intim«: Er gehe meist vor die Tür in »schwarzer Lederjacke, weißem Feinrippunterhemd sowie schwarzen Stiefeln«.
Vom Antideutschen zum Amerikafeind
Echte Enthüllungen sehen anders aus. Mit einem aber hatten seine Angreifer recht: Jürgen Elsässer mag vieles sein, aber einfach »irgendein Rechtspopulist« ist er nicht. Der Ex-Linke, Ex-Antideutsche, Mitbegründer der antirassistischen Zeit- schrift Bahamas, Ex-Mitherausgeber der linken Wochenzeitung Jungle World, langjähriger Autor von Konkret und Neues Deutschland, der heute vom Befreiungskampf des deutschen Volkes predigt, ist wie die Bewegung, der er jetzt die Stichworte liefert: widersprüchlich, für Außenstehende ein Rätsel. Noch immer steckt in ihm das Revoluzzertum, das ihn offenbar einst zum Kommunistischen Bund trieb, für dessen Zeitung Arbeiterkampf er zu Beginn seiner Karriere schrieb.
Politik betreibt Elsässer heute mit der Unerbittlichkeit eines rechten Jakobiners: Die AfD ist für ihn »der Stock, mit dem wir die Blockparteien prügeln müssen, bis sie grün und blau sind«. Anfang der neunziger Jahre war Elsässer ein scharfer Kritiker des Völkischen. »Meine damaligen Schwachsinnigkeiten« nennt er das jetzt. Dass er nun selbst die Ressentiments unter die Leute bringt, die er damals noch knallhart auseinander- nahm, lässt viele an seinen Motiven zweifeln. Pure Geschäftemacherei mit den leichtgläubigen Wutbürgern unterstellen ihm manche, Selbstdarstellerei die anderen.
»Schon als Linker hatte er den Ruf des Enfant terrible, jemand, der alles in Frage stellt und sich nicht scheut, unliebsame Wahrheiten auszu- sprechen – und das hat er schon immer inszeniert«, erinnert sich der ehemalige Compact-Autor Utz Anhalt, dessen letzter Beitrag dort 2012 erschien. Statt eines trockenen Theoriestils pflegte der linksradikale Elsässer eine deftige, volkstümliche Schreibe. Gefiel ihm eine Position nicht mehr, so wechselte er zu einer anderen.
Die Graben- und Lagerkämpfe der radikalen Linken boten dabei immer wieder Möglichkeiten zur politischen Neuerfindung. So wurde über die Jahre aus dem Antideutschen ein Antiimperialist und Amerikafeind – einen größeren Sprung kann man sich kaum vorstellen, berufen sich die Antideutschen doch explizit und eben gerade auf die politische Kultur der USA.
Aus dem scharfen Kritiker des neuen deutschen Antisemitismus wurde ein Anti-Zionist, ein Kritiker der »Israel-Lobby«, und schließlich aus dem Linksradikalen ein Wiederentdecker des nationalen Gedankens. Für fast jede Zeitung, die das linke Spektrum zu bieten hat, hat Elsässer irgendwann einmal geschrieben – und mit vielen irgendwann gebrochen.
Kein Wunder, dass Elsässer mit dieser unorthodoxen Vergangenheit im rechten Lager auch aneckt. Als er Mitte 2014 die AfD-Basis zur Revolte aufrief, widmete ihm die Junge Freiheit, die damals noch fest hinter Bernd Lucke stand, ein langes Porträt. Deutlich spürte man das Misstrauen der Traditions- nationalisten gegen das »Chamäleon« Elsässer, der immer mehr Einfluss bei den Rechten gewann.
»Wer also ist Jürgen Elsässer?«, fragte die stramm konservative Zeitung zusammenfassend. »Ein Rechter, der mit der Linken gebrochen hat? Ein egomanischer Exzentriker, der es genießt, im Mittelpunkt zu stehen? Ein Verschwörungstheoretiker oder jemand, der lediglich mit verschwörungstheoretischen Geschichten Geschäfte macht?«
Bis jetzt, zwei Jahre später, bleiben diese Fragen unbeant- wortet. Ob Elsässer wohl manchmal das Gewissen plagt? Wenn er davon redet, die rechte Bewegung müsse »republikanisch-patriotisch angelegt« sein, dürfe also nicht die Rassenreinheit zum Ziel erheben, klingt das fast, als wolle er letzte Skrupel beruhigen. Wirklich wissen kann das nur er selbst.
Vielleicht spaziert er gelegentlich – nachts, wenn er nicht schlafen kann – über die menschenleere Eisenbahnstraße und hadert mit seinem Schicksal. Es wäre eine sehr romantische Vorstellung von einem gefallenen Salonlinken, einem verkannten Genie, einem Zauberlehrling. Vielleicht hat er noch eine Rolle zu spielen, zum Guten oder zum Bösen.
Ein Angebot, dass sie nicht ablehnen können
Tagsüber jedoch tourt Elsässer immer öfter durch die Provinz und probt den nationalen Aufstand.
Zwickau, ein Sonnabend im Februar: Trotz des eisigen Regens drängen sich mehr als 3.000 Menschen auf dem historischen Marktplatz und verwandeln ihn in ein rechtes Fahnen- und Schildermeer. Ein Netzwerk regionaler Graswurzelgruppen hatte zum Aufmarsch gerufen, mit Jürgen Elsässer als Publi- kumsmagnet. Auch aus Bautzen, wo noch in derselben Nacht eine leer stehende Flüchtlingsunterkunft in Flammen aufge- hen wird, sei eine Abordnung angereist, wird später gemeldet.
Die Menge jubelt, als Elsässer das Podium betritt. Er lächelt, hebt die Faust zum Gruß. Überall sieht man Plakate mit Motiven des Compact-Magazins. »Mein Name ist Jürgen Elsässer«, hallt es endlich in seinem unverkennbaren badischen Dialekt über den Platz. »Ich bin Deutscher und ich werde nicht zulas- sen, dass dieses Land vor die Hunde geht!«
Elsässer tritt im schwarzen Mantel auf, trägt sonst bei seinen Vorträgen meist Anzug und Krawatte. »Wir sind hier die neue Mitte!«, ruft er. »Die Extremisten und Faschisten sitzen in Berlin in der Regierung!« Als er vor über einem Jahr erstmals bei Legida sprach, hatte er noch erklärt: »Wir sind keine Aus- länderfeinde.« Seitdem ist auch in der Rhetorik Elsässers viel passiert. Heute hetzt er gegen »Gang-Bang-Migranten« und die »Türken, Araber und andere asoziale und schlecht erzogene Orientalen« – er weiß, wie er auf einem sächsischen Markt- platz Applaus kriegt.
Er spricht vom »Hass auf das eigene Volk«, der die deutschen Eliten treibe. »Wir lassen uns nicht betrügen durch Humanitätsschwindel!«, gibt er als Losung aus. Immer wieder wird seine Rede durch Sprechchöre unterbrochen. »Wir dürfen nicht zulassen, dass wir auf zwölf dunkle Jahre reduziert werden«, fordert er. Er spricht von der »Islamisierung«, der »Kolonisierung und Invasion«.
Und vom Widerstand. In prophetischen Worten beschwört er den Weg zum Umsturz: »Jetzt, in diesem Frühjahr, können wir in die Offensive gehen. Das Regime hat Angst vor uns!« Er träume davon, hier wird seine Stimme weich, fast andächtig, dass »aus dieser Bevölke- rung, einer amorphen Masse atomisierter Individuen, dass aus dieser gesichtslosen Masse wieder ein Volk wird.«
Den rechten Demagogen mimt Elsässer mit bemerkenswerter Routine, setzt vor den verächtlichen Worten geübte Pausen, reckt das Kinn nach oben. Selbst seine grauen Haare trägt er seit einiger Zeit an den Seiten kurz rasiert. »Volk« und »Heimat« sind Begriffe, die den Menschen vor ihm offenbar fehlen, Elsässer gibt sie ihnen. »Ihr kommt aus einer historischen Region. Hier schlug immer das industrielle Herz Deutschlands und das romantische Herz Deutschlands«, ruft Elsässer. »Jawoll!«, rufen die Menschen zurück, sie jubeln. Nun hat er das Massenpublikum gefunden, das er als Linker nie hatte.
Es ist schwer zu sagen, was dieses Volk, das sich an diesem Tag versammelt hat, tatsächlich vereint. Da stehen ältere Ehe- paare und händchenhaltende Teenager neben Halbstarken in Jogginghose und Picaldi-Pulli, Mitglieder eines »Bürgerforums« mit Friedenstaube am Revers neben der »Heimatschutzbri- gade Plauen«. Elsässers Nachredner kandidierte einst für die NPD, viele der Demonstranten sind offensichtlich Neonazis. Männer mit Strickmützen in Reichsfarben trinken heimlich Schnaps, während Familien mit kleinen Kindern »Volksver- räter« rufen.
Die winzige Gegendemonstration ist da schon längst vom Platz gedrängt. Zu aggressiv war die Menge sie angegangen. »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!« und »Widerstand! Widerstand!«, schallte es aus tausend Kehlen, nur die Polizei konnte Schlimmes verhindern.
Was haben diese Leute, Elsässers Publikum, gemeinsam? Die Antwort könnte lauten: Sie alle haben die Sehnsucht, gehört zu werden. Warum hören sie hin bei »Volk« und hören weg, wenn die Gegendemonstranten fragen: »Um welchen Preis?«? Sie jagen sie fort, sie wollen den Zweifel nicht hören. Sie wollen sich gut fühlen an diesem Abend, sie wollen gehört werden. Elsässer macht den Menschen hier, den vermeintlich abgeschlagenen Ossis, ein Identitätsangebot, das ihnen sonst niemand macht. Er gibt ihnen Halt. Doch wer spricht hier wirklich? Und wer hört zu?
Umsturzpläne am Wahlabend
Für die meisten Menschen ist es bloß irgendein unseriöses Heft mit reißerischen Titelbildern, über das man in letzter Zeit immer öfter im Bahnhofskiosk stolpert. Für Tausende treue Leser aber ist die Compact viel mehr. Wahrheiten, die ihnen die »Mainstreammedien« und »Blockparteien« verschweigen, werden ihnen hier enthüllt – und ihre Ressentiments bestätigt.
Den Chefredakteur Jürgen Elsässer verehren sie dafür wie einen Helden. Im düsteren Boulevardstil warnt das Blatt vor der fremden Bedrohung und seit Monaten geht es umwenig anderes als »Morde, Massaker und Migranten«. Auch Interviews mit AfD-Spitzenpolitikern erscheinen regelmäßig: Gauland, Petry, Höcke. Ein Nischenblatt für Verschwörungstheoretiker ist die Zeitschrift schon lange nicht mehr. Manchmal scheint es, als habe das Magazin weniger Leser als vielmehr Jünger, Fußsoldaten im Infokrieg, die immer wieder dazu aufgerufen werden, sich für die Zeitschrift einzusetzen:
»Sorgen Sie so dafür, dass wir immer stärker werden – und unsere Gegner in den Teppich beißen«, fordert Elsässer sie auf. Im Webshop werden »Bekenner«-Utensilien verkauft, die ihre Träger als Compact-Anhänger zu erkennen geben. Als die Pegida-Aufmärsche begannen, erkannte Elsässer gleich großes Potenzial.
»Liebe Leute, das ist der Wahnsinn! So etwas gab es zuletzt vorzig Jahren!«, konnte er sich vor Begeiste- rung kaum halten. Im letzten Jahr sei die Auflage dann auch »explodiert«. Mehr als 100.000 Leser erreiche man nach eigenen Angaben bereits jeden Monat, die Compact-Website hätten allein im Januar 2016 mehr als zwei Millionen Besucher angeklickt – und auf keiner asylfeindlichen Demonstration im Land scheinen die Compact-Plakate zu fehlen.
Bei einer AfD-Demo Anfang März in Jena platzierten zwei Polizisten ein Compact-Magazin sogar deutlich sichtbar hinter der Frontscheibe ihres Einsatzfahrzeuges. »Dies ist eine Warnung an die Gesinnungsjäger: Hände weg von den aufrechten Polizisten!«, schlachtete Elsässer den Vorfall später auf seiner Blog-Seite aus. »Polizei, Armee und Volk stehen zusammen – gegen das Regime! Und legt Euch nicht mit COMPACT an – denn wir haben auch Freunde bei denen, von denen Ihr glaubt, dass sie Euch und Eure Geheimnisse schützen …«
Auch bei den beginnenden Legida-Demos in Leipzig soll Werbung für Compact gemacht worden sein. Dreimal trat Elsässer dort bereits als Redner auf.
»Meine Zielgruppe ist das Volk«, ruft er dann ins Mikrofon – »Und ihr seid das Volk!« Die allgegenwärtigen Demo-Plakate mit Compact-Titelbildern werden den Lesern auf der Website kostenfrei angeboten. Ein Geniestreich des Politmarketings: Woche für Woche wird so in Dresden, Leipzig und anderswo nicht nur gegen die Überfremdung demonstriert, sondern auch für die Zeitschrift Werbung gemacht.
Ein Titelbild vom Januar 2015, das eine verschleierte Angela Merkel zeigt, wurde gar zum zentralen Symbol der Pegida-Bewegung. Während Elsässer den nationalen Widerstand beschwört, baut er so auch an seinem eige- nen kleinen Medienimperium. Ein Video-Kanal und eine monatliche Nachrichtensendung haben Tausende Zuschauer und Vortragsveranstaltungen im Umland, in Altenburg, Audenhain oder Wittenberg, ziehen oft Hunderte zahlender Besucher an.
Die regelmäßigen »Souveränitätskonferenzen« sind spektakelhafte Großevents. Selbst Compact-Gruppenreisen sind im Angebot – »Sachsens Glanz und Preußens Gloria« heißt es da zum Beispiel. 885 Euro kostet die viertägige Reise entlang der Elbe. Co-Reiseleiter ist der Honecker-Neffe und Elsässer-Kumpel Peter Feist.
Als im März die AfD bei den Landtagswahlen triumphierte, berichtete Compact erstmals live von einer Wahl, aus einem Raum in Magdeburg. Vier Stunden lang wurden dem Zuschauer hier Kommentare der Wahlergebnisse geboten, dazu gaben sich Vertreter des rechten AfD-Flügels die Klinke in die Hand: Der Ex-Leipziger Hans-Thomas Tillschneider, der jetzt im Landtag sitzt, Andreas Kalbitz aus Brandenburg, Björn Höcke. Der Gewinner des Abends, André Poggenburg, dessen Landesverband mehr als 24 Prozent der Stimmen erhalten hatte, stand spät am Abend mit einem Glas Bier im Compact-Studio und ließ sich zu seinen Umsturzplänen befragen.
»Wir müssen doch einen Weg finden, dieses Regime vor 2017 loszuwerden«, insistiert Elsässer mit den Händen fuchtelnd. Poggenburg weicht aus, verweist auf die Bundestagswahl, doch Elsässer lässt nicht locker: »Ich gehe immer von der Demonstration der 500.000 in Berlin aus. Also, wie kriegen wir das hin? Muss die AfD das machen, oder müssen es andere machen?« Elsässer wirkt besoffen, wedelt mit den Händen, gerät ins Wanken, steckt die Hand in die Tasche, fängt sich wieder.
Dreieinhalb Stunden Live-TV hat er hinter sich. Der große Sieg der AfD! Irgendwann muss selbst Poggenburg verlegen grinsen, doch in einem ist man sich an diesem Abend einig: Die AfD müsse »Bewegungspartei« bleiben, wie es Björn Höcke immer gefordert hatte, müsse außerhalb der Parlamente und auf der Straße wirken. Und da ist Elsässer dabei.
Populist sucht Volksbewegung
Eine besondere Rolle spielen bei seiner Art von Journalismus Verschwörungstheorien, der Kampf gegen die ausländischen Finanzeliten, denen das Volk geschlossen begegnen müsse. Eine Antifa-Aktivistin aus Leipzig hält das für Elsässers Erfolgsrezept: »Rechte Bewegungen haben es früher selten aus ihrer Nische geschafft oder sind irgendwann zersplittert.« Elsässer aber bringe die Leute zusammen. Der Kampf gegen die Ban- ken, gegen Amerika, gegen den Krieg, gegen TTIP, die Eliten, die Lügenpresse und eben auch gegen die Einwanderung und »Islamisierung« – bei Elsässer ist das alles irgendwie eins.
Ihren Durchbruch auf der Straße feierte diese Art des Populismus vor zwei Jahren, auch in Leipzig, bei den damaligen sogenannten Montagsmahnwachen. Vom 9/11-Truther zum christlichen Fundamentalisten, vom Öko, der sich vor TTIP fürchtet, bis hin zum harten Nazi: Sie alle werden in der Compact etwas finden, das sie anspricht.
Als 2008 die Finanzkrise die Welt verunsicherte, war das für Elsässer offenbar das Signal, um eine neue Volksbewegung anzuzetteln. Die alten Gegensätze von Links und Rechts müssten überwunden werden, forderte er immer wieder. Es sei Zeit für eine »Achse Paris–Berlin–Moskau« gegen das angelsächsische Wirtschaftsmodell. Seine neu gegründete »Volksinitiative gegen das Finanzkapital« sollte diese Querfront bilden. Er wollte aus dem linken Ghetto ausbrechen – doch stattdessen manövrierte er sich schnell ins politische Abseits.
Viele Linke spürten schon damals das reaktionäre Potenzial einer solchen Rhetorik und weigerten sich, Elsässer zu folgen. Auch die Zeitung Neues Deutschland, wo Elsässer unter Vertrag stand, trennte sich von ihm. »Dieses auf einen äußeren Feind orien- tierende Projekt hat nichts mit den tragenden redaktionellen Grundsätzen des ND zu tun», erklärte die Zeitung im Januar 2009.
»Wir sind (…) kein publizistisches Instrument für alte Irrtümer.« Es schien, als sei Elsässer am Ende, aber bald brach er auf zu neuen Ufern. Erstmals erschienen seine Beiträge auf der Seite des Kopp-Verlages, Heimat vieler rechter und verschwörungstheoretischer Autoren. Beim Kai-Homilius-Verlag startete eine DVD- und Buchreihe unter dem Label »Compact« zu erscheinen. Seine ehemaligen Kollegen von der linken Presse begannen dafür, ihn mit scharfer Kritik und sogar Spott zu überschütten:
Für die Jungle World war eine Veranstaltung sei- ner »Volksinitiative« bloß »ein diffuser Haufen von etwa 500 verzweifelten Wahrheitssuchenden«. Seine alten Kollegen vom Neuen Deutschland wurden noch deutlicher. Die Initiative habe sich als »Sackgasse« erwiesen, schrieben sie zehn Monate nach seinem Rausschmiss. »Statt in der Mitte der Gesellschaft tummelt sich ihr Wortführer Jürgen Elsässer mittlerweile in einem unappetitlichen Milieu von Verschwörungstheoretikern, Islamisten und extrem Rechter.«
Nachdem alle Brücken zur linken Presse abgebrochen waren, tauchte Elsässer ein in die Netzwerke der Wahrheitssuchenden. Auf Seiten wie SteinZeit.TV, NeueHorizonte.TV oder NuoViso buhlt eine kleine Szene um Zuschauer. Man veranstaltet Kongresse, führt miteinander lange Gespräche – nur gegenseitige Kritik gibt es nicht.
Anstatt wie erträumt eine Allianz »von Lafontaine bis Gauweiler« zu schmieden, begann Elsässer mit so dubiosen Figuren zusammenzuarbeiten wie dem Filmemacher Michael Vogt, der 2007 seine Honorarprofessur an der Universität Leipzig verlor, als man ihm unter anderem Umgang mit Rechtsextremisten vorwarf.
Heute betreibt Vogt die verschwörungsesoterische Seite Querdenken.tv und sitzt oft mit Jürgen Elsässer für Compact.tv gemeinsam vor der Kamera. Auch bei der Leipziger Filmproduktionsfirma NuoViso, die mit Querdenken.tv und ähnlichen Seiten ein Netzwerk bildet, erschienen lange Zeit regelmäßige Interviews mit Elsässer. Seine monatliche Nachrichtenshow Compact.tv wird später in Zusammenarbeit mit der Firma NuoViso entstehen, die auch Videos der Compact-Konferenzen vertreibt. Zum zehnten Jahrestag des 11. September 2001 schließlich veranstaltete Elsässer seine eigene Konferenz in Schkeuditz bei Leipzig, dieses Mal bereits unter dem Compact-Label.
Aber warum eigentlich Leipzig? Elsässer hat viele Wandlungen vollzogen auf seinem Weg vom linken Journalisten nach rechts außen. Eine Konstante aber blieb: der Hunger, etwas Großes zu bewegen, etwas richtig Revolutionäres auf die Beine zu stellen. Bevor er sich als rechter Demagoge neu erfand, führte ihn dieser Weg in die Nischenwelt der Verschwörungstheoretiker – und es war unter anderem in Leipzig, wo ihm dieses Netzwerk der Wahrheitssuchenden eine neue Heimat bot.
Geburtsstunde einer neuen Bewegung
Selbst im Sakko sieht Frank Höfer mit seinem Dreitagebart und den ausgewachsenen Haaren noch aus wie ein lässiger Dauerstudent. Gelassen und freundlich erklärt er in seinen Videos oft stundenlang die Welt. Er wirkt unauffällig, doch sein Beruf ist außergewöhnlich:
Seit Jahren betreibt er die Filmproduktionsfirma NuoViso, die in ihrem Studio in der Leipziger Südvorstadt Filme zu verschwörungstheoretischen Themen produziert und vertreibt. Es ist eine wilde Mischung, die einem hier geboten wird: Kornkreise, Ufos, Esoterik und Quantenphysik, und dazu Aufklärung über die Bilderberger und das Geldsystem. Und immer wieder Höfers Herzensange- legenheit: die Wahrheit über den 11. September.
Jahrelang arbeitete Höfer als Cutter für das öffentlich-rechtliche Fernsehen, doch das Vertrauen in die Medien habe er längst verloren, berichtet er. »Die Massenmedien lügen einfach viel zu oft«, ist er sich sicher. Auf Anfragen des kreuzer reagierte er abweisend, denn er habe auch persönlich schlechte Erfahrungen mit Interviews gemacht. Als vor zwei Jahren die Ukrainekrise eskalierte, breitete sich eine merkwürdige Friedensbewegung in Deutschland aus, die sogenannten Montagsmahnwachen, welche auch in Leipzig viel Anklang fanden.
Ein wilder Mix aus Friedensbewegten fand sich da regelmäßig um ein paar Lautsprecher zusammen und redete über den dritten Weltkrieg, vermischt mit oft kruden Theorien. Auch Jürgen Elsässer schmiss sich ins Getümmel. Da war plötzlich die Federal Reserve im Spiel, und die Rothschilds, schnell standen Antisemitismusvorwürfe im Raum. Die meisten Demonstranten aber waren vereint darin, dass sie den Medien und dem Establishment längst nicht mehr glaubten. Auch in Leipzig nutzten Rechte die Friedensdemos als Bühne. Ein gewisser Markus Johnke, der heute die Legida-Demonstrationen organisiert, probierte sich als Agitator aus.
Frank Höfer begleitete die Mahnwachen in ganz Deutschland monatelang mit der Kamera und produzierte einen Doku- mentarfilm. Als sich große Medien für ihn interessierten, gab er bereitwillig Interviews, doch später fühlte er sich manipuliert. Spiegel, FAZ, ARD, Arte, »allesamt haben meine Aussagen verdreht«, sagt er nun. In seinen Studioräumen will er nicht besucht werden, doch per E-Mail beantwortete er einige Fragen.
Mit Elsässer verband ihn die Skepsis gegenüber der offiziellen Version vom 11. September. Im Jahr 2009 veranstaltete Frank Höfer dazu eine »geopolitische« Konferenz in Leipzig. Die Resonanz war überwältigend: Mehr als 700 Verschwörungs- fans folgten der Einladung. Es schien, als habe das Thema echtes Potenzial – ein Gedanke, der wohl auch Jürgen Elsässer gekommen sein muss.
Von der Konferenz existiert ein Video, auf dem man ihn neben anderen Rednern auf einer Bühne sitzen sieht. »Was wir hier erleben«, sagt Elsässer dem begeis- terten Publikum, »ist die Geburtsstunde einer neuen Bewe- gung!« Und eine neue Bewegung könnte genau das gewesen sein, wonach Elsässer in diesem Moment auf der Suche war.
Compact Konkret und Russlands Einfluss
Aber Elsässer war offenbar zu ehrgeizig und talentiert, um dauerhaft in dieser kleinen Welt der Spinner, Zinskritiker und Don-Quijote-haften Kleinstparteiler zu bleiben. Endlich musste eine eigene Zeitschrift her. Mit kaum mehr als 25.000 Euro Startkapital war zwar auch das 2010 gegründete Compact- Magazin ein bescheidenes Unternehmen, doch über die Jahre baute sich Elsässer hartnäckig und mit Gespür für poli- tische Stimmungen ein neues Massenpublikum auf. Kaum eine Krise der letzten Jahre, die in der Compact nicht ausgeschlachtet worden wäre, um mit düsteren Storys Auflage zu machen: NSU, Ebola, Terror und Krieg.
Vor allem der Ukrainekonflikt sorgte für Auftrieb. Dass Elsässer dabei strikt eine radikal pro-russische Linie vertrat, machte ihn in den Augen vieler zum mutigen Entlarver der NATO-Propaganda. Gleichzeitig wurde immer wieder der Verdacht laut, seine Zeitschrift werde vom Kreml finanziert.
Der langjährige Russlandkorrespondent Boris Reitschuster, der in einem bald erscheinenden Buch die russische Propaganda untersucht, ist sich sicher, dass auch Elsässer seinen Teil zur russischen Medienstrategie beiträgt. Er beobachtete bei der Compact »Kontakte zu genau den Organisationen beziehungsweise Personen aus Moskau, die am lautesten davon reden, dass der Westen propagandistisch zu unterwandern ist«. Viele Texte lesen sich »wie aus der Propaganda-Abteilung des Kremls.
Da nur an Zufall zu glauben wäre so, wie wenn man bei dicken Rauchschwaden sagen würde, die kommen von alleine, da ist nirgends ein Brand.« Zumindest einige der regel- mäßigen »Souveränitätskonferenzen« organisiert Compact nach eigenen Angaben in Zusammenarbeit mit dem Think Tank »Institut für Demokratie und Zusammenarbeit«, der Reitschuster zufolge aus Russland finanziert werde und hochrangige russische Referenten vermitteln konnte. Auf der »Familienkonferenz«, die Compact 2013 in Leipzig veranstaltete, sprach etwa die russische Duma-Abgeordnete Jelena Misulina, die in Russland die neue putinsche Familienpolitik mit ausarbeitete, in der auch der Status der Homosexuellen behandelt wird.
Die zu Beginn unklare, zwischen rechts und links schillernde Ausrichtung der Zeitschrift war dabei wohl auch ein Versuch, möglichst viele Leute mit ins Boot zu nehmen. »Die einen gehen in dieses Spektrum, die anderen gehen mehr in jenes Spektrum, und am Schluss haben wir alles zusammen und haben ’ne Mordspower!«, hatte Elsässer schon auf der Leipziger NuoViso-Konferenz als Losung ausgegeben.
Selbst muslimische Autoren fanden lange ein Forum. Das Rezept ging auf und die Auflage stieg. Figuren wie der Ex-Bundesminister Andreas von Bülow oder der ehemalige Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes Helmut Roewer verliehen der Compact eine Aura des Seriösen. Doch während man sich immer mehr Namen politischer B-Promis an die Brust heften konnte, blieben die linken Stimmen zunehmend weg und die rechte Schlagseite wurde stärker.
Auch die Qualität habe immer mehr abgenommen, sagt der ehemalige Compact-Autor Utz Anhalt. »Es wurde immer rechtslastiger und verschwörungs- theoretischer. Immer öfter wurden einfach Gerüchte aufgegriffen und nicht mehr kritisch gegenrecherchiert«, erinnert er sich. Heute bestehen Beiträge der Zeitschrift oft aus zahlreichen Zitaten anderer Pressequellen, die so arrangiert werden, dass sie dem gewünschten Narrativ entsprechen – erstaun- lich für ein Magazin, das angeblich den Mainstreammedien nicht vertraut.
Radikalisierungstendenzen
Als sich Elsässer 2014 Pegida verschrieb und auch die AfD wohlwollend begleitete, befand er sich bereits seit Jahren auf Rechtskurs. Die Montagsmahnwachen hatten sich da schon lange totgelaufen, viele der Protagonisten der Friedensbewegung sich von Elsässer wegen dessen Äußerungen distanziert. Jetzt musste ihm auch sein Duzfreund Yavuz Özoguz, Betreiber der Webseite Muslim-Markt, mit dem Elsässer wenige Jahre zuvor noch in den Iran zu einer Audienz bei Mahmud Ahmadinedschad gereist war, herzzerreißende Briefe schreiben, in denen er bitter beklagte, dass Elsässer mit »Islamhassern« gemeinsame Sache mache.
»Elsässer hat erkannt, dass es Nachfrage gibt bei diesen Themen und diesem Meinungsbild. Dieses und nichts anderes bedient er«, sagt auch Frank Höfer von NuoViso. »Und zweistellige Wahlergebnisse für die AfD zeigen ja, dass Compact damit völlig recht hat.« Vorwerfen wolle Höfer ihm das nicht, obwohl er selbst seit einem Jahr keine Interviews mehr mit Elsässer führe, weil er dessen politischen Weg nicht mitgehen wolle.
Erstmals fand die Compact auch beim Bundesverfassungsschutz Erwähnung, auch wenn dieser den Namen des Magazins nicht nannte. Unter der Überschrift »Radikalisierungsten- denzen im ›rechten‹, nicht offensichtlich extremistischen Spektrum« heißt es: »In jüngster Zeit aber sind im publizis- tischen rechtsintellektuellen Spektrum Aussagen getroffen worden, die an frühere Gewaltdiskussionen im Linksextremismus (Stichwort »Militanzdebatte«) erinnern.
Zwar spricht sich die überwiegende Mehrheit der Autoren solcher Beiträge gegen einen gewaltsamen Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse aus, es ist jedoch bezeichnend, dass ein solcher Umsturz in einem rechtsintellektuellen Umfeld überhaupt diskutiert wird. In einzelnen Magazinen finden sich sogar Aufrufe an Polizisten und Soldaten, den Dienst zu verweigern und stattdessen die Grenzen der Bundesrepublik zu sichern.« Besagten Aufruf hatte Elsässer an die Bundeswehr gerichtet. »Eine Regierungschefin hat nicht das Recht, Volk und Staat zu zerstören«, erklärte er damals.
Schon im November 2015 sagte er in einer Rede: »Opposition ist, wenn ich sage: Das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich sage, das, was mir nicht passt, das soll auch nicht passieren. Und wir müssen den Schritt von der Opposition zum Widerstand gehen!« Er zitierte damit, nur leicht abgewandelt, die spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, die einst mit diesen Worten den Weg der APO in die Militanz beschrieb.
Zu Gewalt rief Elsässer nie auf. Aber eine rechte außerparlamentarische Revolte, eine radikale Bewegung, welche die Verhältnisse zum Tanzen bringt, mit ihm an der Spitze – das wäre wohl ganz nach seinem Geschmack.
Eines ist klar: Elsässer fängt gerade erst an. Der ideologische Zickzackkurs, den er sein Leben lang fuhr, ist an sein Ende gelangt: Aus der rechten Ecke dürfte er nicht mehr herausfinden. Aber da will er offenbar noch Großes auf die Beine stellen. Anders als die Pegida-Clique, die kaum einen klaren Gedanken fassen kann, hätte er wohl auch das Zeug dazu. Und sein Ton wird schärfer.
Gemeinsam mit Verbündeten aus dem rechten Lager unterstützte Elsässer Ende des letzten Jahres eine Verfassungsbeschwerde, welche die angeblich rechtsbrecherische Asylpolitik der Regierung beenden sollte. Doch die Beschwerde wurde abgewiesen. »Nach diesem skandalösen Entscheid der Karlsruher Richter ist der juristische Weg gegen den Asyltsunami versperrt«, schrieb Elsässer daraufhin empört auf seinem Blog. Jetzt bleibe nur noch der politische Widerstand.