Stollberg: Jugendtheater ändert Inszenierung nach Angriffen von rechts
Das Jugendtheater Burattino im erzgebirgischen Stollberg hat ein Stück über die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ auf die Bühne gebracht. Daraufhin übten rechte Schülerkreise am Stollberger Gymnasium und die AfD im Erzgebirgs-Kreistag Druck auf die Theatermacher aus. In die Inszenierung wurde seitens des Kreis-Kulturbetriebes eingegriffen. Der Regisseur und Theaterpädagoge Falko Köpp sowie Diskussionsredner wurden behindert.
„Über allem steht, dass Burattino so phänomenal und wichtig für die künstlerische Ausbildung und Freizeitgestaltung der Jugendlichen ist“, sagt Falko Köpp. Der Theaterpädagoge und Regisseur schwärmt vom theaterpädagogischen Zentrum Burattino im erzgebirgischen Stollberg. Es war zu DDR-Zeiten ein Pioniertheater, erschöpfte sich lange in einer Märchenwelt.
Noch mehr schwärmt Köpp deshalb von den Darstellerinnen und Darstellern des Stollberger Gymnasiums, die seit 2020 seinen Schwenk in Richtung eines emanzipatorischen, künstlerisch ambitionierten Theaters mittragen und umsetzen.
Dieser Kurs aber fordert in diesem Jahr einen hohen Preis. Nach Attacken von rechts musste der gesundheitlich angeschlagene Falko Köpp eine mehrwöchige Auszeit nehmen. Für ihn ist der ganze Vorgang auch deshalb unfassbar, da es ausgerechnet gegen seine Bühnefassung „Weiße Rose“ geht, die er 2017 bereits in Leipzig inszeniert hatte – also um die Geschichte des Widerstandes von Hans und Sophie Scholl sowie ihrer Münchner Studentengruppe gegen das Nazi-Regime. Die Geschwister wurden 1943 hingerichtet.
Schüler melden „linksradikale Indoktrination“ bei AfD
Diese Theaterversion mit ihren zeitgemäßen Kommunikationsmitteln und Analogien wird im Saal des ehemaligen Frauengefängnisses Hoheneck gezeigt, seit 2023 Aufführungsort der Schüler-Bürgerbühne. Die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer der gymnasialen Oberstufe fühlen sich spontan angeregt und verstehen schnell. „Grundsätzlich gibt es Parallelen zu heute, man sollte das politische Geschehen ebenso wenig ignorieren wie vor 80 Jahren“, sagt eine Schülerin MDR KULTUR.
Von Parallelen will ein junger Mann noch nicht sprechen, aber von Tendenzen. „Noch haben wir die Chance, unter Nutzung demokratischer Institutionen gegen den Rechtsruck aufzustehen“, gibt sich eine weitere Schülerin offensiv.
Doch einige ihrer rechtsgerichteten Mitschüler zählten das Stück bei der damaligen AfD-Kreisrätin Sylvia Vodel an, die inzwischen allerdings nicht mehr Mitglied der AfD-Fraktion ist. Von angeblicher „linksradikaler Indoktrination“ war die Rede. Der Erzgebirgs-Kreistag befasste sich zwar nicht mit den Anfragen, aber die Leiterin des Kultur-Eigenbetriebes im Erzgebirgskreis, Susanne Schmidt, musste sich rechtfertigen und stellte Falschbehauptungen richtig.
Eingriffe in Inszenierung und Störung bei Diskussionsrunde
Köpp würdigt, dass die Leiterin ursprünglich die Aufnahme des Stoffes der „Weißen Rose“ begrüßte. Bei seinem Einstellungsgespräch habe sie sich zu politischem und diskursivem Theater bekannt. Dennoch hat sie laut dem Theatermann im März in die Inszenierung eingegriffen. Das schreibt Köpp ihrer Absicht zu, weiteren Ärger mit der AfD abzuwenden.
So durfte die AfD nicht mehr namentlich genannt werden. Bei einer Büroszene im Stück wechselte ursprünglich das Hitler-Bild im Hintergrund mit Fotos heutiger Faschisten und Diktatoren, die auch so genannt werden dürfen: Björn Höcke, Wladimir Putin oder Xi Jinping zum Beispiel. Nun ist an dieser Stelle acht Minuten lang unkommentiert Adolf Hitler zu sehen.
„Schlimmer kann es nicht kommen“, sagt Köpp im Gespräch mit MDR KULTUR. Er durfte nach eigener Aussage bei einer Vorstellung nicht mehr zu seinem Ensemble. Bei den seit dem Vorjahr stattfindenden Nachgesprächen mit den jungen Zuschauerinnen und Zuschauern, wurde dem erst 22-jährigen Jakob Springfeld, durch seine antinazistischen Bücher bundesweit bekannt, das Mikrofon entzogen, berichtet Theatermann Köpp.
Es braucht die AfD gar nicht mehr, weil das Klima des Wegduckens schon von Konservativen kommt.
Falko Köpp, Theaterpädagoge
Theaterpädagoge Köpp ist alarmiert
Die erfahrene Kulturwissenschaftlerin Frauke Wetzel vom Chemnitzer ASA-FF-Netzwerk für globales Lernen moderiert diese Gespräche. Den Vorwurf der Indoktrination Jugendlicher weist sie zurück. „Ich lasse die Schüler selber reden und frage nur, wo sie heute Zivilcourage zeigen würden und was ihnen an einer Gruppe angenehm oder unangenehm ist“, betont sie.
Diese Ansatz sei eine der Grundlagen der Gedenkstättenpädagogik. Indirekt kritisiert Wetzel aber auch die langjährige Burattino-Leiterin Annekatrin Rottstädt-Hänel. Sie habe nicht hinter der Inszenierung gestanden, müsse wohl taktisch agieren, um die Förderung durch den Kreis nicht zu verlieren.
Kulturbetriebsleiterin Susanne Schmidt bestreitet Eingriffe in die Kunstfreiheit. Die Inszenierung laufe wie geplant. „Ich stehe dafür, was hier auf der Bühne gezeigt wurde“, sagt sie MDR KULTUR. Der leidenschaftliche Theatermann Falko Köpp aber fühlt sich alarmiert vom schleichenden vorauseilenden Gehorsam gegenüber immer dominanteren rechten Kreisen.
„Es braucht die AfD gar nicht mehr, weil das Klima des Wegduckens schon von Konservativen kommt.“ Das sei schockierend, betont er, weil es bei der „Weißen Rose“ genau darum gehe.