Extrem rechtes Schlossgespenst
Eine Unternehmerin hat in Sachsen ein Schloss gekauft. Was dort niemand wusste: Die Frau ist eng mit der rechtsextremen Szene vernetzt. Was plant sie?
Im Herbst 2021 schien die Welt für den kleinen Ort Reinsberg endlich wieder in Ordnung zu sein. Die kleine Gemeinde in Mittelsachsen hatte zwei Jahre um die auffälligste Immobilie der Ortschaft gekämpft. Aktivisten der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung hatten versucht, Schloss Reinsberg als Wohn- und Schulungszentrum für Rechtsextreme zu nutzen. Erst im letzten Moment konnte das verhindert werden.
Die Gemeinde hatte das Objekt trotz ihres kleinen Etats kurzerhand selbst gekauft. Sanieren und selbst betreiben konnte der Ort das Schloss aus dem Mittelalter mit seinen 62 Zimmern und mehr als 3.000 Quadratmetern Fläche jedoch nicht.
Darum herrschte große Freude unter den Gemeinderäten von CDU bis Linkspartei, als sich wenig später die Geschäftsfrau Mathilda Huss für das Schloss interessierte. Sie wolle das Schloss zu einem Hotel mit Tagungssaal mit angeschlossenem Café für Wanderer und einem Wohnhaus umbauen, sagte Huss damals. Sie soll angekündigt haben, eine „internationale wissenschaftliche Begegnungsstätte“ zu schaffen, erinnern sich Anwesende einer Präsentation vor Ort. Die Bewerbung war so überzeugend, dass Reinsberg sein Schloss an Mathilda Huss verkaufte. „Für die Gemeinde endet damit eine Odyssee“, jubelte die Lokalzeitung und wünschte der neuen Schlossherrin „Viel Erfolg!“
Doch die Freude war wohl verfrüht.
Nach Recherchen von ZEIT ONLINE ist Mathilda Huss eng in der rechtsextremen Szene vernetzt. In Potsdam betreibt die Unternehmerin zusammen mit ihrem Partner bereits ein Hotel, auf dem gleichen Gelände befindet sich auch ihre private Villa. Auf diesem weitläufigen Areal sollen sich in den vergangenen Jahren Politiker der AfD und Funktionäre der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative, die WerteUnion oder die rechte Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft getroffen haben. Seit drei Jahren unterstützt Huss zudem den extrem rechten Dänen Emil Kirkegaard, der auch auf dem Gelände des Landhaus Adlon genannten Gästehaus am Lehnitzsee lebt.
Im Landhaus Adlon, der privaten Villa von Mathilda Huss und ihrem Partner sowie dem weiteren Anwesen sollen in den vergangenen Jahren weitere Rechtsextreme wie der neurechte Stratege Götz Kubitschek, der Chefredakteur des Compact-Magazins, Jürgen Elsässer, sowie Aktivisten der Identitären Bewegung wie Martin Sellner, Mario Müller oder Simon Kaupert zu Gast gewesen sein. Kaupert lebt im sächsischen Reinsberg. Auch Vertreter des völkisch-rechtsextremen Flügels in der AfD wie Dennis Hohloch oder Stefan Kotré sollen Mathilda Huss in Potsdam besucht haben; Gunnar Lindemann drehte Videos auf dem Gelände des Anwesens. Mehrere Augenzeugen bestätigten das ZEIT ONLINE in eidesstattlichen Versicherungen, teilweise können sie die Besuche mit Chats, Fotos und Videos belegen. Mathilda Huss und die Geschäftsführung des Gästehauses am Lehnitzsee weisen die Vorwürfe auf Anfrage zurück: Es hätten weder Veranstaltungen der AfD noch der Jungen Alternative „jemals im Gästehaus stattgefunden“. Zudem soll keine der genannten Personen „jemals Gast oder Besucher von Veranstaltungen des Gästehauses“ gewesen sein oder jemals auf dem Gelände des Gästehauses gelebt haben. Zu privaten Gästen nehme sie keine Stellung, schreibt Huss.
Verbindung zu AfD-Politiker Maximilian Krah
Hat Mathilda Huss für Schloss Reinsberg ähnliche Pläne wie in Potsdam? „Politische Veranstaltungen sind nicht geplant“, sagt Huss auf Anfrage, vielmehr wolle sie einen Ort für wissenschaftlichen Austausch schaffen. Insider ihrer Unternehmungen berichten jedoch, dass auf der Burg in Sachsen auch Veranstaltungen mit extrem rechtem Personal stattfinden könnten. Diese Befürchtungen werden auch dadurch genährt, dass Geschäftsfrau Huss seit einiger Zeit eine Verbindung zu einem prominenten AfD-Politiker aus Sachsen unterhalten soll: Maximilian Krah, Spitzenkandidat der Partei zur Europawahl 2024.
In der AfD ist Krah die treibende Kraft hinter einer parteieigenen „Akademie Schwarz-Rot-Gold“. In der Akademie sollen Funktionäre für die Partei ausgebildet werden, bestätigte Krah vor wenigen Wochen. Es sollen dort Kurse über das Parteiprogramm abgehalten werden, außerdem seien Trainings in Social Media und Rhetorik geplant. In das Projekt Reinsberg sei er jedoch nicht involviert, sagte Krah auf Anfrage. Der AfD-Politiker ist mit extrem Rechten in ganz Europa, aber auch international bis nach China, Russland und in die USA, gut vernetzt. Vor einem Jahr besuchte er zusammen mit Mathilda Huss eine Veranstaltung der Trump-Unterstützer des Young Republican Club in New York.
„Das muss ich erst mal sacken lassen“, sagte der Bürgermeister von Reinsberg, Markus Buschkühl (parteilos), als er von den Recherchen erfuhr. „Aber wir werden alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, damit das Schloss nicht von Rechtsextremen genutzt wird.“
Alles hatte perfekt gewirkt, als der damalige Bürgermeister und der Gemeinderat im September 2021 entschieden, die mittelalterliche Anlage für mehr als eine halbe Million Euro an die Investorin aus Potsdam zu verkaufen. Mathilda Huss schwärmte damals nicht nur davon, wie sehr sie sich in die alten Gemäuer verliebt habe, erinnern sich Gemeinderäte, sondern versprach auch mehrere Millionen Euro in die Sanierung zu stecken. Die Arbeiten am Haus haben bereits begonnen, nachdem die Baugenehmigung in diesem Jahr erteilt wurde. Wegen der schlechten Erfahrungen mit der Identitären Bewegung fragte die Gemeinde vor dem Verkauf damals zur Sicherheit aber noch bei den sächsischen Behörden nach, ob Huss bereits als demokratiefeindlich oder extremistisch aufgefallen war. Die Antwort: negativ.
Investorin mit unpolitischem Auftreten
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Weder das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen noch das sächsische Innenministerium, auch nicht das Expertennetzwerk gegen Rechtsextremismus der Landesdirektion, das Landratsamt Mittelsachsen oder die zuständige Polizeidirektion Chemnitz hatten die neue Eigentümerin bisher auf dem Schirm. Über ihre möglichen Pläne erfuhren die Behörden erst durch diese Recherche.
Ihre politischen Ziele hatte Mathilda Huss verschwiegen, als sie sich um das Schloss bewarb. Ihre Strategie sei gewesen, unpolitisch aufzutreten, als Investorin, die allein an historischen Objekten interessiert sei, berichtet ein ehemaliger Vertrauter von Huss ZEIT ONLINE.
Das bestätigten auch mehrere Lokalpolitiker, die bei den Verkaufsverhandlungen dabei waren. Bei ihrer Vorstellung habe Huss einen Ausschnitt der Serie Babylon Berlin gezeigt, weil einige Szenen in ihrem Potsdamer Hotel Landhaus Adlon gedreht wurden, sie habe von Yogakursen berichtet und dass sie das Landhaus schon einmal für einen Weihnachtsmarkt geöffnet habe. So ähnlich könne sie sich die Nutzung der Burg in Reinsberg auch vorstellen, soll sie gesagt haben. Von einem Treffpunkt für die extreme Rechte sei nie die Rede gewesen.
In der Öffentlichkeit inszenierte sich Huss damals ebenfalls bewusst unpolitisch. Vor den Auftritten im Gemeinderat habe sie versucht, alle Bezüge zwischen sich und der AfD oder anderen Rechtsaußen-Organisationen im Internet löschen zu lassen, sagt der ehemalige Vertraute. Diesem Vorwurf widerspricht Mathilda Huss, sie habe nichts löschen lassen. Krude Texte in rechtsextremen Medien über „Populationsgenetik“ oder unter Titeln wie „China züchtet die Superrasse“ soll Huss seit Jahren unter einem Pseudonym publizieren. Auch diesem Vorwurf widerspricht Huss. Bei einer einfachen Googlesuche findet man nur einen kleinen Verweis auf ihre politischen Überzeugungen im Tagesspiegel: Danach unterstützte Huss 2017 einmal die AfD an einem Infostand beim Protest gegen eine Moschee in Potsdam.
So wenig Huss erkannt werden will, so sehr ist ihr daran gelegen, ihre politischen Überzeugungen zu verbreiten. So soll sie in den vergangenen Jahren als Gast in rechten Videokanälen aufgetreten sein – doch immer verdeckt und stets nicht erkennbar als Person im Schatten oder gleich ganz verpixelt. Obwohl man ihre Stimme gut erkennen kann, dementiert Mathilda Huss ihre Auftritte bei den rechten Medien.
Manche ihrer Überzeugungen habe Mathilda Huss aber nicht einmal in diesen Videos geteilt, sagten mehrere Zeugen ZEIT ONLINE. So soll Huss vergangenes Jahr im kleinen Kreis behauptet haben, dass sich die industrielle Revolution negativ auf den Menschen ausgewirkt habe. Durch die stark gesunkene Kindersterblichkeit würden seither zu viele schwache Kinder überleben, was den Genpool der Menschheit belaste.
Mathilda Huss sei von der Überlegenheit der „weißen Rasse“ und einer Verschwörung angeblicher „Globalisten“ als Drahtzieher der internationalen Politik überzeugt. Die Woke-Bewegung gäbe es nur, weil die meist jungen Anhänger von LGBTQ-Rechten oder der Black-Lives-Matter-Bewegung genetisch „degeneriert“ seien. Die aus ihrer Sicht falschen Gene hätten diese politischen Strömungen hervorgebracht. Huss widerspricht den Darstellungen, sie habe diese Thesen nicht vertreten und hätte auch nichts dergleichen behauptet. Gegen etwaige verleumderische Berichte werde sie gerichtlich vorgehen.
Unterstützung für „rassistische Pseudowissenschaft“
Einmal wollte Huss auch dem US-Terroristen Theodore Kaczynski einen Brief ins Gefängnis senden. Der Mann, der als Unabomber bekannt wurde, hatte zwischen 1978 und 1995 in den USA drei Menschen mit Paketbomben getötet, 23 weitere verletzt und ein Manifest veröffentlicht. Mathilda Huss wollte sich für diesen Text bedanken, in dem Kaczynski die Technisierung der Gesellschaft kritisiert, die die Menschen verweichlicht hätte, sagt ein ehemaliger Weggefährte. Huss bestreitet das.
Aus ihrer Unterstützung des jungen Wissenschaftlers Emil Kirkegaard spricht ebenfalls Huss‘ extreme Haltung. Neben freiem Logis auf dem Gelände des Landhauses unterstützte die Unternehmerin Kirkegaard auch vor zwei Jahren bei der Gründung der Gesellschaft für deutsch-dänischen Wissenstransfer UG. Diese Gesellschaft dient seither zur Einwerbung von Forschungsmitteln und damit zur Finanzierung Kirkegaards.
Kirkegaard publiziert vorrangig in wenig anerkannten Journals, seine Themen sind Rasse und Genetik. In diesem Jahr veröffentlichte er ein Paper, in dem er behauptet, „Schwarze und Hispanics seien weniger ehrlich als Weiße“. In einer anderen Studie aus diesem Jahr beschäftigte sich Kirkegaard mit „Rassenunterschieden in der Sexualität“ („Schwarze haben größere Penisse und Weiße bevorzugen die Missionarsstellung“).
Uwe Hoßfeld von der Friedrich-Schiller-Universität Jena forscht zur Entstehung wissenschaftlicher Rassentheorien im 20. Jahrhundert. Er bewertet Kirkegaards Arbeiten als „von vornherein unwissenschaftlich“. Denn naturwissenschaftlich gesehen gäbe es keine Rassen. Darum mache es auch keinen Sinn, „Rassenunterschiede“ zu untersuchen. Rassen seien beim Menschen nicht existent, sagt Hoßfeld. Mit solchen Aussagen bediene Emil Kirkegaard eine rassistische Pseudowissenschaft.
Dass nicht jede ihrer Überzeugungen mit der Verfassung in Einklang steht, scheint Mathilda Huss längst zu ahnen. Gäste im Landhaus Adlon soll sie gebeten haben, ihre Mobiltelefone während des Gesprächs in einen Kochtopf zu legen. Niemals habe sie jemanden aufgefordert, Telefone in einen Kochtopf zu legen, dementiert Huss. Ein Augenzeuge erinnert sich jedoch, dass sie mit dieser Vorsichtsmaßnahme verhindern wollte, dass die Handys abgehört werden. Diese Angst scheint nicht ganz unbegründet, denn im Gegensatz zum sächsischen Verfassungsschutz sollen die Sicherheitsbehörden in Brandenburg Mathilda Huss bereits auf dem Radar haben.
Hinweis: Der bürgerliche Name der im Text genannten Unternehmerin lautet Mathilda Martina Huss. Als Betreiberin des „Gästehaus am Lehnitzsee“ firmiert sie unter dem Namen Martina Huss, in der Presse tritt sie meist als Mathilda Huss auf. Wir haben uns deshalb für diesen Artikel auch für diese Schreibweise entschieden.
Die oben im Artikel verlinkten Artikel:
Eine Analyse von Lenz Jacobsen und Tilman Steffen
Von den Nachbarn gelernt
Im Juni 2016 trafen sich auf der Zugspitze eine Deutsche und ein Österreicher. Sie trug eine knallgrüne Funktionsjacke, er eine spiegelnde Sonnenbrille, sie hielten ein Weißbier in der Hand, reckten auf der Aussichtsplattform beim Gipfel für die Fotografen die Daumen in die Höhe und zogen ihre Mundwinkel zum breitestmöglichen Lächeln auseinander: Seht her, wir sind ganz oben!
Heinz-Christian Strache und Frauke Petry, die damaligen Vorsitzenden von FPÖ und AfD, verkündeten am Gipfel ihre „intensivierte Zusammenarbeit“. Die Augenhöhe, die die beiden inszenierten, hat sich allerdings erst jetzt, sieben Jahre später, erfüllt. Die AfD liegt in Umfragen nun selbst bei den bundesweit 20 Prozent, die die FPÖ damals schon hatte. Tatsächlich lässt sich der Aufstieg der deutschen Rechtspopulisten auch damit erklären, dass sie in den deutschsprachigen Nachbarländern Vorbilder hatten, deren Vorgehen (und Fehler) sie über Jahre studieren konnten. Das gilt besonders für die FPÖ, die bei der AfD als „strategischer Partner“ einen Sonderstatus hat. Und es gilt, weniger ausgeprägt, für die Schweizer SVP.
Als sich die AfD 2013 gründete, hatte die FPÖ schon viermal in der österreichischen Regierung gesessen, und die SVP war längst die stärkste Partei der Schweiz. Die Deutschen sind Nachzügler und können kopieren, womit die Nachbarn bereits erfolgreich waren.
Am offensichtlichsten ist das in der Sprache und den Bildern, mit denen sie werben: „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“ – diesen Slogan von Jörg Haider klaute sich der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke vor Jahren für ein Plakat, er reinszenierte dafür sogar Haiders hemdsärmelige Schwiegersohn-Pose. Plakate können die Schweizer auch: Minarette, die zu Raketen werden, weiße Schafe, die ein schwarzes aus der Volksgemeinschaft kicken, sind zu Evergreens des internationalen Rechtspopulismus geworden. Entworfen hat sie ein Deutscher. Alexander Segert, seit 1985 in der Schweiz, hat mit seiner Goal AG zahlreiche Kampagnen für die SVP gestaltet. Er sagte über seine Arbeit: „Ich gebe der Angst eine Stimme“.
Die Schweizer Kampagnen und Themensetzungen seien „vorbildhaft und prägend“ gewesen in der Frühphase des europäischen Rechtspopulismus, sagt Marcel Lewandowsky. Der deutsche Politologe forscht zu rechtspopulistischen Parteien. Das Moschee-Motiv fand sich bei der deutschen Pro-Bewegung, einem Vorläufer der AfD, die Angst vor Zuwanderung und Islam sind bis heute die wichtigsten Mobilisierungsthemen der „Alternative“.
Der Werber Sengert hat auch ganz konkret in der deutschen Politik mitgemischt: Er stand hinter einer fast 90.000 Euro schweren Werbekampagne, von der der damalige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen im Landtagswahlkampf 2016 in Baden-Württemberg profitierte. Die Kampagne wurde als Parteispende gewertet, die Partei musste ein Mehrfaches an Strafe zahlen. Überhaupt macht Schweizer Geld der AfD zu schaffen: Im Bundestagswahlkampf 2017 gingen über eine Schweizer Firma geleitete Spenden auf dem Konto des Kreisverbandes der Bundesvorsitzenden Alice Weidel am Bodensee ein. Auch das war illegal, auch dafür wurde die Partei bestraft.
Die SVP selbst wollte lange mit den deutschen Nachbarn nichts zu tun haben. Christoph Blocher weigerte sich 2016, gemeinsam mit dem AfD-Politiker Alexander Gauland im Fernsehen aufzutreten. „Die SVP hat das nicht nötig, es würde ihrem bürgerlichen Image schaden“, sagt Lewandowsky. „Dass es der Schweiz am besten geht, wenn sie sich selbst genügt, mit dieser Haltung ist die SVP erfolgreich. Warum sollte sie das riskieren, indem sie sich ausgerechnet mit deutschen Rechtsextremisten abgibt?“
Dabei hat die heutige AfD-Chefin Alice Weidel ihren Zweitwohnsitz in Einsiedeln in der Schweiz. Die Kontakte zur SVP sind aber erst enger geworden, seit der Journalist und Weltwoche-Besitzer Roger Köppel für die SVP Politik macht. Im Januar 2023 war Weidel bei der Albigüetli-Tagung, dem SVP-Parteitag, dabei, Köppel lud sie auch zum Weltwoche-Sommerfest ein. Aber von engen, gar institutionalisierten Verbindungen könne keine Rede sein, heißt es aus der AfD.
Der deutsch-österreichische Gleichklang
So dient die Schweiz eher als ideelles Vorbild: Von der direkten Demokratie schwärmen Rechtspopulisten in ganz Europa gern, sie gilt ihnen als Königsweg zu einer vermeintlich echten Volksherrschaft, die ohne die angeblich korrumpierten Eliten auskommt.
Ganz anders sieht es auf der Achse Berlin–Wien aus. Der FPÖ-Chef Herbert Kickl war schon in der Bundestagsfraktion der AfD zu Gast, man schätzt seine Strahlkraft und seine rhetorische Begabung. Auch Landesverbände und fachpolitische Arbeitskreise der Bundestagsfraktion tauschen sich mit ihren Wiener Parlamentskollegen aus. Ein persönlicher Referent Weidels hat früher für eine FPÖ-Abgeordnete in Wien gearbeitet. Und neulich war Weidel selbst zu Besuch in Österreich. Gemeinsam mit Kickl gab sie dem rechten Sender Auf1 ein Interview. Auf die Frage des unterwürfigen Moderators, was im jeweiligen Land falsch laufe, sagte Weidel: „Alles.“ Die deutsche Bundesregierung mache Politik gegen die eigene Bevölkerung. Und Kickl erklärte, das sei „prägnant auf den Punkt gebracht“ und bei ihm in Österreich „leider nicht anders“.
Der Auftritt war nicht nur symptomatisch für den deutsch-österreichischen Gleichklang, sondern auch für die Medienstrategie, die sich die Deutschen von den Österreichern abschauen. Die FPÖ setzt schon länger auf eigene Verbreitungskanäle: Erst Facebook, später FPÖ-TV und Auf1, das sie mit Inseraten querfinanzieren. Kritik müssen sie hier nicht fürchten, und sie sind auf Auftritte im ORF und anderen Medien nicht mehr angewiesen. Die AfD hatte nach österreichischem Vorbild 2018 einen eigenen „Newsroom“ aufgebaut und spricht immer wieder von Plänen für einen eigenen Fernsehsender. Auch die AfD bedient mittlerweile, wie die Freiheitlichen, bevorzugt sogenannte Alternative Medien.
Noch eine FPÖ-Erfindung wollen die Deutschen jetzt übernehmen: In Wien bildet die „Freiheitliche Akademie“ Nachwuchs für die Partei aus. In Deutschland soll das die „Akademie Schwarz-Rot-Gold“ übernehmen. „Das Ziel ist, fähige Leute für die Partei zu gewinnen“, sagt Maximilian Krah, Bundesvorstandsmitglied und Spitzenkandidat der AfD zur Europawahl. In kleinen Kursen soll deutschlandweit Wissen über Staatslehre, Marktwirtschaft, das Parteiprogramm, Social Media oder Veranstaltungsmanagement vermittelt werden, dazu sollen Trainings, etwa für Rhetorik oder Konfliktmanagement kommen.
Was Konflikte und Skandale betrifft, verhilft den Deutschen der Blick nach Österreich zu einer gewissen Gelassenheit: Wenn dort Rechtspopulisten selbst die Trennung von ihrem Übervater Jörg Haider und später den Ibiza-Meltdown überstehen können – dann muss sich die AfD kaum sorgen, dass interne Querelen ihnen groß schaden. Einen frühen Fehler der FPÖ wolle die AfD aber unbedingt vermeiden, sagt Lewandowsky. Die Freiheitlichen haben sich, als sie 2000 Teil der Regierung wurden, um Mäßigung bemüht. „Damals wollte die FPÖ seriöser werden und hat sich plötzlich mehr um Wirtschaftspolitik und andere klassische Themen gekümmert. Das hat ihr aber bei den Wählern massiv geschadet. Die AfD weiß deshalb, dass sich das nicht lohnt.“
Die Deutschen setzen deshalb auf Kickls Strategie: unnachgiebig im Ton und voll fokussiert auf die zwei Klassiker rechter Protestparteien: Migration und antielitären Populismus. „Das ist, wofür sie gewählt werden“, sagt Lewandowsky. Kickl mahnte allerdings 2020, als er in der Berliner „Bibliothek des Konservatismus“ eine Rede hielt: Irgendwann müsse man zugreifen, sagte der Österreicher zur Frage, ob man sich an Regierungen beteiligen sollte. „Manche Tür geht nur einmal auf.“ In der Schweiz muss sich die SVP schon wegen des anderen politischen Systems keine Gedanken darüber machen. Die Partei stellt selbstverständlich zwei von sieben Mitgliedern im Bundesrat, also in der Regierung.
Als Nicht-EU-Mitglied ist die Schweiz bei den strategischen Beratungen der europäischen Rechtspopulisten außen vor. Sie ist nicht in der „Freundschaftsbörse Brüssel“ dabei, wie ein hochrangiger AfD-Vertreter die Parlamentsarbeit in der EU nennt.
Dort sitzen FPÖ und AfD schon länger gemeinsam in der Fraktion „Identität und Demokratie“, seit September sind die Deutschen auch Mitglieder der gleichnamigen europäischen Parteienfamilie. Bei der europäischen Kooperation geht es, wie einst auf der Zugspitze, vor allem um die Inszenierung. Rechtspopulisten aus Italien, Frankreich, den Niederlanden und Österreich reichen sich immer mal wieder demonstrativ die Hände und rufen ein neues Europa aus, zuletzt Ende November in Lissabon. „Es geht darum, symbolisch zu behaupten, dass man bereits eine rechte Mehrheit habe in Europa“, sagt Lewandowsky. Auf der deutsch-österreichischen Achse ist der nächste schillernde Termin absehbar: Die Einladungen für den Akademikerball der FPÖ in der Wiener Hofburg im Februar sind verschickt, ein ganzer Stapel ging nach Berlin. Erste Zusagen von AfD-Freunden sollen bereits eingetroffen sein.
Christian Fuchs
Rechts draußen
Große Veränderungen zeigen sich oft zuerst im Kleinen – zum Beispiel in dem Örtchen Reinsberg in Sachsen. Dort, 35 Kilometer westlich von Dresden, verhinderten die Einwohner im vergangenen Herbst mit einem Trick im letzten Moment, dass Rechtsextreme in das Schloss Reinsberg einziehen konnten. Guerilla-Aktivisten der Identitären Bewegung wollten die Prestige-Immobilie aus dem Mittelalter als Schulungszentrum und neues Hauptquartier des „patriotischen Widerstands“ nutzen. Als ein aufmerksamer Bürger erkannte, wer sich da für die ehemalige Ritterburg interessierte, schmiedeten die ansässigen Vereine, der Gemeinderat, das Landratsamt und der Staatsschutz der Polizei innerhalb weniger Wochen gemeinsam einen Plan: Obwohl der Kaufvertrag bereits unterschrieben war, legte der Ort aus Denkmalschutzgründen sein Veto ein – und kaufte das Objekt selbst.
Seit fünf Jahren, seit der Debatte über den Umgang mit Geflüchteten, ist die Neue Rechte in Deutschland immer wirkmächtiger geworden. Die Gefahr, die von ihr für die Demokratie ausgeht, wurde seitdem oft beschworen und in Talkshows immer wieder debattiert. Im Lärm der Warnungen geht jedoch unter, dass Zivilgesellschaft, Politik, Sicherheitsbehörden und Medien sich mittlerweile besser auf die Angriffe von rechts eingestellt haben. Und dass die Demokratie ihre Wehrhaftigkeit keineswegs verloren hat.
Die Strömung der Neuen Rechten profitierte seit 2015 davon, dass über das Großthema Migration gestritten wurde. Der Erfolg ihres parlamentarischen Arms, der AfD, beruhte auch darauf, dass die vermeintliche Alternative für Deutschland nicht nur als Partei wahrgenommen wurde, sondern als Teil einer neuen sozialen Bewegung, die ein eigenes Lebensmodell anzubieten hatte – eine Art Gegen-1968. Es entstand eine sich als patriotisch verstehende Parallelgesellschaft mit einem Netzwerk aus über 180 Stiftungen, Vereinen, Influencern, Denkfabriken, Verlagen, einer Gewerkschaft, Frauen- und Jugendbewegung – und sogar einer eigenen Flüchtlingshilfsorganisation.
Doch die Neuen Rechten spüren zunehmend Gegenwind. Ausländische Großkonzerne, antifaschistische Basisgruppen, unterschiedlichste Medien sowie konservative Politiker und Beamte haben oft überraschende Allianzen gebildet und sich zu entschiedenerem Widerstand formiert. Nach Jahren der Hilflosigkeit, so scheint es, beginnt die Gesellschaft einen Umgang mit der Bewegung zu finden, der sie nicht wie noch bis vor Kurzem weiter stärkt, sondern schwächt.
Riefen Internetnutzer Anfang Juli bestimmte Namen oder Kanäle bei YouTube, Facebook, Twitter, TikTok oder Spotify auf, wurde ihnen mitgeteilt: „Dieser Account ist vorübergehend eingeschränkt“. Große amerikanische und chinesische Digitalkonzerne hatten fast zeitgleich Konten rechtsextremer Gruppen wie das der Identitären Bewegung, der neurechten PR-Agentur Ein Prozent oder des identitären Rappers Chris Ares gesperrt. Dieser zog sich wenige Wochen später gar ganz aus der rechtsextremen Szene zurück.
Im Dezember 2018 begann das Bundesamt für Verfassungsschutz viele dieser Organisationen und Personen zu beobachten. Auch das größte Medium der Neuen Rechten, das Compact-Magazin, oder das Institut für Staatspolitik, ein Thinktank unter der Leitung des neurechten Strategen Götz Kubitschek, sind seit einigen Monaten Extremismus-Verdachtsfälle des Inlandsgeheimdienstes. Nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) im vergangenen Jahr wurde der Druck auf die Neue Rechte erhöht. Der mutmaßliche Täter Stefan E. hatte sich nach eigenen Angaben auf AfD-Demonstrationen radikalisiert, bei seinem Komplizen wurde einschlägige Literatur aus Kubitscheks Verlag gefunden.
Dass der Verfassungsschutz nun V-Leute auf Führungsfiguren der Szene ansetzen und Telefon- sowie Internetkommunikation überwachen kann, hat etliche Funktionäre zutiefst verunsichert. Zahlreiche Parlamentarier in Bund und Ländern verlassen derzeit die AfD. Die Verfassungsschützer erleben einen „regen Zulauf von AfD-Mitgliedern“, die über die Umtriebe innerhalb der Partei auspacken wollen, berichtete der Berliner Tagesspiegel. Die bei der Beobachtung gewonnenen Erkenntnisse, zum Beispiel über die Neonazi-Vergangenheit des ehemaligen Bundesvorstands Andreas Kalbitz, stürzten die Partei in ihren bisher größten Richtungsstreit.
Hinzu kommen mehrere Parteispendenskandale sowie die Äußerungen des ehemaligen Sprechers der Bundestagsfraktion, Christian Lüth, man könne Migranten „vergasen“ oder „erschießen“. Lüth wurde offenbar lange von der Partei gedeckt. Nicht zuletzt wegen dieser Vorfälle hat die AfD laut einer aktuellen Umfrage im Osten erheblich an Zustimmung verloren, rutschte innerhalb eines Jahres von Platz eins auf drei in der Wählergunst ab. Die Umfragewerte im Bund fielen auf unter zehn Prozent.
Die Logik der Zuspitzung stößt an ihre Grenzen
Aber auch der Kurswechsel bei den etablierten Parteien zeigte Wirkung. Im November 2019 gab das Konrad-Adenauer-Haus eine Arbeitshilfe über die „Anti-Deutschland-Partei“ heraus, die CDU-Politikern auf allen Ebenen eine „klare Kante und schärfste Abgrenzung“ zur AfD vorgibt.
Jahrelange bürgerschaftliche Proteste gegen das Hauptquartier der Identitären in Halle führten zur Schließung dieses „Leuchtturmprojektes“ der Szene im Mai 2020. Auch in Cottbus regte sich Protest, als dort mithilfe neurechter Strategen die Protestbewegung „Zukunft Heimat“ angeschoben und ein „patriotischer Infoladen“, die sogenannte Mühle, gegründet wurde. Ziel war es, die „Wutbürger“ der Montagsdemos zur AfD zu führen wie einst in Dresden, wo mit Pegida der Aufschwung der Neuen Rechten begann. Doch der Infoladen ist seit Ende Mai Geschichte. Das Haus, in dem er untergebracht war, wurde verkauft. „Ich habe den Mietvertrag aus politischen Gründen nicht verlängert“, sagt der neue Hausbesitzer aus Berlin der ZEIT. Als Eigentümer habe er kein Interesse an Rechtsextremen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. „Man muss sich ja noch im Spiegel anschauen können.“ Das Ladengeschäft steht – gegen seine wirtschaftlichen Interessen – nun erst einmal leer.
Solche Geschichten hört man derzeit aus vielen Teilen des Landes. Ein CDU-Bürgermeister aus Thüringen bedauerte öffentlich sein früheres Verhalten und erklärte sich zum Vorkämpfer gegen Rassismus. Der Stadtrat von Bischofswerda in Sachsen stellte sich gegen die Errichtung eines neurechten Jugendzentrums mit Kampfsportschule. Als Chris Ares, der rechtsextreme Rapper, in Bautzen einen Laden mit Film- und Tattoostudio eröffnen wollte, positionierte sich der SPD-Oberbürgermeister prompt gegen diese Pläne.
Die demokratischen Gegenproteste sind vielleicht nicht so laut wie Pegida – aber größer. Zu den #Unteilbar-Demos, dem „AfD wegbassen“-Fest und den „Wir sind mehr“-Konzerten kamen insgesamt über 400.000 Menschen. Das Engagement für andere progressive Themen wie die Agrarwende, mehr Klimaschutz oder Antirassismus, der Widerstand gegen Braunkohleabbau oder die Polizeigesetze ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Gerade junge Menschen erkennen offenbar immer mehr, dass eine offene, plurale und liberale Demokratie nicht selbstverständlich ist und ihre Werte immer wieder neu verteidigt werden müssen.
Die Neue Rechte hingegen hat weitere Rückschläge zu verkraften. So gelang es ihr bisher nicht, die Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen strategisch zu steuern und für sich zu vereinnahmen. Bei Pegida in Dresden laufen derzeit gerade mal noch tausend patriotische Spaziergänger mit. Neurechte Projekte leiden darunter, keine neuen Aktivisten mobilisieren zu können. Einige Probleme der Strömung sind hausgemacht. Eine als „Patrioten-Tinder“ großspurig angekündigte App wird seit Monaten nicht fertig. Ein neues Jugendportal scheiterte schon beim Start. Und ein Dorf für rechte Familien ist bisher genauso Ankündigung geblieben wie das „Großprojekt“, bei dem Geldgeber in Immobilien für neurechte Zentren investieren sollten. Die Szene, so scheint es, verliert ihre Kampagnenfähigkeit.
Die Logik der immer krasseren Zuspitzung stößt an ihre Grenzen. Zuerst wollte die Neue Rechte die soziale Frage für sich instrumentalisieren – mit eigener Gewerkschaft, mit Politikern, die sich als Kohle-Kumpel inszenierten, mit einem „patriotischen 1. Mai“ und einem neurechten Wirtschaftsmagazin. Später versuchte man, das Thema Klimawandel zu vereinnahmen. Die AfD-Fraktionen holten Vertreter eines Thinktanks, der von Menschen verursachte Erderwärmung leugnet, in ihre Mitarbeiterstäbe, eine Influencerin sollte als „Anti-Greta“ aufgebaut werden. Doch diese Narrative verfingen in der Mehrheitsgesellschaft ebenso wenig wie die Propaganda von den „Messermännern“, den angeblich per se kriminellen Migranten.
Eine besonders aufwendige Aktion endete in einem Fiasko für die Rechtsextremen: Identitäre hatten 2017 ein Schiff im Mittelmeer mit tamilischer Besatzung gechartert, um Hilfsorganisationen daran zu hindern, Geflüchtete in Seenot zu retten, und als „Schlepper“ zu denunzieren. Stattdessen gerieten die Identitären selbst unter den Verdacht der Schlepperei – weil einige tamilische Seeleute in Zypern Asyl beantragt hatten.
Natürlich bedeutet all das nicht, dass die Gefahr für die Demokratie gebannt ist. Auch wenn die Strategen des Rechtsrucks in der Krise sind, ist ihr Geist längst in nahezu alle Bereiche des Lebens gekrochen. Aus der Verrohung der Sprache und der Herabsetzung von Menschen ist längst physische Gewalt geworden: Dafür stehen nicht nur die Anschläge von Halle, Hanau und der Fall Lübcke. Erst am vergangenen Wochenende wurde dies wieder deutlich, als ein Mann in Hamburg einen jüdischen Studenten mit einem Spaten schwer verletzte. Seit Jahren verüben Rechtsextreme in Berlin-Neukölln Anschläge auf politische Gegner. Die Regelmäßigkeit, mit der sie das tun können, ist ebenso skandalös wie die Selbstverständlichkeit, mit der manche Polizisten und Soldaten sich mittlerweile in rechtsextremen Chatgruppen austauschen. Besorgniserregend sind auch die rechten Terrorgruppen, die in den vergangenen Jahren enttarnt wurden, bevor sie zuschlagen konnten. Sie alle belegen ein neues Selbstbewusstsein einer kleinen gewaltbereiten, extremen Minderheit. Die Grenzen des Denk-, Sag- und Machbaren wurden verschoben. Selbst wenn die Neue Rechte weiter an Strahlkraft verlieren sollte, wird es wohl Jahre dauern, bis sich diese Grenze wieder in moralischen Linien einpegelt, die eine Mehrheit für angemessen hält.
Rechtsradikale haben sich in der gesamten westlichen Welt im politischen Betrieb festgesetzt, in Brasilien ebenso wie in den USA. Eine relevante rechtspopulistische Kraft wird wohl in Zukunft zum Parteienspektrum dazugehören wie eine linke oder neoliberale Kleinpartei.
Die Frage ist nur, wie viel Wirkungsmacht die Mehrheit ihr zugesteht. Jede Talkshow-Runde, jeder Leitartikel, jeder Satz über sie in der Rede eines demokratischen Politikers, jeder Facebook-Kommentar gegen eine neue rassistische Entgleisung hat die Neue Rechte eben immer auch größer gemacht, als sie in der Realität jemals war. Nun setzt sich vielerorts offenbar eine andere Strategie durch: Vor Ort die Logistik der Neuen Rechten auszuhebeln ist besser als Daueralarm in den Medien.
Christian Fuchs 1. Juli 2020
Kein Schloss für die Identitären
Der Turm des ehemaligen Rittergutes wurde im 14. Jahrhundert erbaut, das Schloss ist über zwei Viaduktbrücken zu erreichen, idyllisch liegt es auf einem Berghang oberhalb eines Flusses. Ein historisches Objekt, das für widerständige Kraft steht – eine Metapher wie geschaffen für die selbst ernannte Widerstandsbewegung, die sich gern auf traditionsreiche Symbolik von Figuren wie Kaiser Barbarossa oder Wilhelm I. bezieht. Auch andere Vertreter der Neuen Rechten leben in einem ehemaligen Pfarrershaus oder auf einem Rittergut. Schloss Reinsberg hatte das Potenzial, ein Symbol zu werden für die in Stein gehauene völkische Welt der Sagen und Mythen.
Im Herbst 2019 wollte ein Software- und Immobilienunternehmer das Objekt erwerben und an Aktivisten der Identitären Bewegung weitervermieten. Kaufpreis: circa eine halbe Million Euro. In den 62 Zimmern des ehemaligen Hotels und auf 3.000 Quadratmeter hätte die neue Zentrale der Aktivisten entstehen können. Als Schloss-WG und Schulungszentrum für Rechtsextreme. Reinsberg sollte wohl der Ersatz werden für das bisherige Domizil in Halle/Saale, aus dem die Identitäre Bewegung Ende 2019 nach über zwei Jahren wieder ausgezogen war.
Kaufvertrag war schon unterschrieben
Der Erwerb von Schloss Reinsberg misslang nur knapp. Der Kaufvertrag war bereits vom bisherigen Schlossherrn und dem Unternehmer beim Notar unterschrieben worden, als die Gemeinde Reinsberg ihr Veto einlegte. Im letzten Moment nutzte sie ihr Vorkaufsrecht, um das Schloss im Oktober 2019 noch selbst zu erwerben. Der potenzielle Käufer ist selbst kein Mitglied der Identitären Bewegung und ist bisher nicht öffentlich bei Veranstaltungen oder Aktionen der Politaktivisten aufgefallen. Im Ort war jedoch bekannt geworden, an welche Personen der Geschäftsmann die Burg weitervermieten wollte. Zu einer Besichtigung waren der solvente Käufer und zwei führende Kader der Identitären gemeinsam erschienen. Die Aktivisten wurden erkannt.
Einer der Männer ist Mitglied im Bundesvorstand der Identitären Bewegung Deutschland e. V. und betreibt ein populäres Videoformat auf YouTube, dass den Identitären nahesteht. Der andere Mann war als Musiker eines IB-nahen Liedermacherprojekts aufgetreten. Beide beteiligten sich in der Vergangenheit zudem gemeinsam an Guerillaaktionen, wie der gescheiterten Besetzung des Vordachs des Bundesjustizministeriums im Jahr 2017, und lebten zeitweise auch im sogenannten patriotischen Hausprojekt der Identitären in Halle. Zuletzt waren beide im März 2020 zusammen für eine PR-Aktion der Gruppe nach Griechenland gereist, um die Außengrenze Europas „zu verteidigen“.
Die Identitären wollten sich nicht zu ihren Schlossplänen äußern. Der IT-Unternehmer antwortete ZEIT ONLINE in zwei langen Schreiben durch einen Anwalt der Kanzlei Höcker. Die konkreten Antworten dürfen jedoch weder zitiert oder paraphrasiert werden.
Weitere Rückschläge für Identitäre
Der missglückte Kauf der Burgimmobilie ist nicht der einzige Rückschlag für die Identitären in den vergangenen Monaten. Zuerst mussten sie eingestehen, dass sie mit ihrem „Leuchtturmprojekt“ ihrer Zentrale in Halle gescheitert waren. Ihnen war es nicht wie geplant gelungen, in einen liberalen Kiez und in die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft vorzudringen. Mittlerweile haben die Aktivisten das Gebäude wieder verkauft. Auch die letzten Kampagnen erzeugten keine große mediale Aufmerksamkeit mehr. Eine seit Jahren angekündigte App, eine Art Patrioten-Tinder, ist bisher nicht erschienen.
Zunehmend fällt es den Identitären zudem schwerer, Nachwuchs zu akquirieren: Einige ältere Aktivisten zogen sich aus dem politischen Straßenkampf zurück. Sie arbeiten heute für das Compact-Magazin oder AfD-Politiker. Andere kandidierten für die Partei bei Kommunalwahlen oder haben eigene Werbeagenturen und Medien gegründet. Auch die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Einstufung der Identitären Bewegung als „gesichert rechtsextrem“ machte der Gruppe zu schaffen. Nachdem von Identitären-Aktivisten immer wieder Gewalt ausgegangen war, hat das Amtsgericht Halle vergangene Woche einen ehemaligen Führungskader zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, weil er zwei Zivilpolizisten angegriffen hatte.