Doktorarbeit zu Personenspürhunden – Mantrailer-Hunde: Polizist klagt gegen Überprüfung durch Uni Leipzig – Video aufgetaucht
Ein hochrangiger Polizist, der an der Hochschule der Sächsischen Polizei lehrt, behauptet in seiner Doktorarbeit, dass „Mantrailing“-Hunde auch nach Monaten noch die Geruchsspur von Menschen erfassen können. Weil die Zweifel daran nicht abnehmen, will die Uni Leipzig die Ergebnisse erneut prüfen.
Vor fünf Jahren sorgte die Meldung für Aufsehen: Eine Studie der Universität Leipzig sollte zeigen, dass Personenspürhunde – sogenannte Mantrailer-Hunde – äußerst zuverlässig individuelle Gerüche aufspüren können. Laut den Forschungsergebnissen von Studienleiter Leif Woidtke nehmen die Hunde in 98 Prozent aller getesteten Fälle die richtige Geruchsspur auf. Mehr noch: Die getesteten Hunde könnten sogar DNA-Spuren erschnüffeln. Ein PR-Coup für die sächsische Polizei, denn Studienleiter und Polizeidirektor Leif Woidtke ist Dozent an der Hochschule der Sächsischen Polizei.
Allerdings wurde schnell Kritik an den Ergebnissen laut, weswegen die „Ständige Kommission“ der Uni Leipzig Ende 2018 ein erstes Prüfverfahren einleitete. Dieses Verfahren wurde im Mai 2020 eingestellt, weil der Verdacht des wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht hinreichend bestätigt werden konnte.
Dem sächsischen Polizisten Leif Woidtke wurde daraufhin der Doktortitel verliehen. Im Frühjahr 2021 erschien im Fachjournal „Forensic Science International“ eine sogenannte „Expression of Concern“ (dt.: Ausdruck der Besorgnis), dass in der Hunde-Studie gravierende Fehler enthalten sein könnten.
Erst die „Expression of Concern“ sowie eine Berichterstattung des „Spiegel“ führten dazu, dass die Ständige Kommission der Universität Leipzig im Mai 2022 erneut beschloss, dass die Daten geprüft werden sollen.
Woidtke klagt gegen Uni Leipzig
Nun befinden sich Uni Leipzig und der Studienautor und Polizist Leif Woidtke in einem Rechtsstreit. Das Verwaltungsgericht Leipzig bestätigte dem MDR, dass bereits seit Ende Oktober 2022 eine Klage Woidtkes gegen die Universität Leipzig bei dem Gericht anhängig ist. Der Kläger – also Polizeidirektor Woidtke – vertritt laut Verwaltungsgericht die Einstellung, dass eine erneute Vorprüfung nicht möglich sei, da bereits eine erfolgt sei.
Derzeit befänden sich die Beteiligten im schriftlichen Austausch der jeweiligen Argumente und Rechtsansichten, erklärte ein Sprecher weiter. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung sei im Moment noch nicht absehbar.
Die Uni Leipzig bestätigte dem MDR ebenfalls die Existenz der Klage. Das Prüfverfahren zur Doktorarbeit laufe aber weiter. Zu Details könne man sich derzeit auf Grund des laufenden Verfahrens nicht äußern.
Die Anwältin Woidtkes wollte sich auf mehrfache Nachfrage des Mitteldeutschen Rundfunks nicht zu dem Sachverhalt äußern. Leif Woidke ließ eine schriftliche Anfrage des MDR unbeantwortet.
Verstöße gegen gute wissenschaftliche Praxis erschüttern Glaubwürdigkeit
Der Klage sind nach Einschätzung des Deutschen Hochschulverbandes eher geringe Chancen einzuräumen. In einer Stellungnahme an den MDR erklärt ein Sprecher, dass Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis die Glaubwürdigkeit von Hochschulen und Wissenschaft erschüttern würde. „Die Universität Leipzig tut gut daran, Zweifeln an der Einhaltung der Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens konsequent nachzugehen. Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis verjähren in der Regel auch nicht. Es ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keineswegs unrechtmäßig, dass eine Universität einen Täuschungsvorsatz einmal verneint und Jahre später nach neuer Beweislage und Sachverhaltswürdigung bejaht“, heißt es weiter.
Die Ständige Kommission der Uni Leipzig hatte beschlossen, die Daten der Studie zu prüfen. Diese sind Teil der Dissertationsschrift Woidtkes. Dazu gehören auch die Originalvideos, wie dem MDR von der Uni Leipzig bereits 2022 erklärt wurde.
Mantrailer: Video von Studie aufgetaucht
Eines der Originalvideos, die dafür geprüft werden sollen, lässt nun neue Zweifel aufkommen, ob bei der Studie alle aufgestellten Kriterien eingehalten wurden. Das Video, welches dem MDR vorliegt, zeigt den Suchlauf eines Hundeführers mit Mantrailing-Hund für die Studie. Neben dem Hund und dem Hundeführer sind weitere Personen bei der Suche dabei, die allerdings unbeteiligt an einer Straße stehen – eine dieser Personen filmt die Suche. Gedreht ist die Szene im Leipziger Stadtteil Paunsdorf, wie sich anhand der Straßennamen rekonstruieren lässt.
Auffällig: In dem Video laufen Hund und Hundeführer erst auf einer Straße von der Kameraperspektive aus nach rechts – laut Analyse über den Kartendienst Googe Maps rund 75 Meter weit –, später ändern sie die Richtung und laufen auf der Straße nach links, was in dem durchgeführten Test letztlich richtig ist. Allerdings hatte Leif Woidtke in seiner Doktorarbeit über das Versuchsdesign geschrieben:
„Der Versuch war beendet, wenn der Hundeführer aus dem Anzeigeverhalten des Hundes ein Negativ mitteilte oder der Hund die 50m-Grenze des Entscheidungsbereiches auf dem Weg zur Zielperson überquerte.“ Heißt also: Sollte der Hund wirklich mehr als 50 Meter in die falsche Richtung gelaufen sein, hätte der Versuch als falsch gewertet werden müssen. Ob das im Nachhinein geschah, ist unklar. Leif Woidtke äußerte sich auf Anfrage nicht zu den Wertungen seiner Versuche.
Mit dabei bei dem entsprechenden Suchlauf war Kai-Uwe Goss, Chef der Abteilung für Analytische Umweltchemie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Er untersucht, wie sich organische Moleküle verhalten, wenn sie in die Umwelt gelangen. Goss fordert seit längerem vehement, dass die Uni den Fall Woidtke aufarbeitet. Der im Video gezeigte Suchlauf fand laut Goss im Jahr 2015 statt.
„Ich hatte damals nicht den Eindruck, dass der eingesetzte Hund wirklich die Spur aufgenommen hatte. Außerdem hätte der Versuch abgebrochen werden müssen, als der Hund zuerst über 50 Meter in die falsche Richtung lief“, sagte Wissenschaftler Goss dem MDR. „Zudem gibt es im Video eine Stelle, in der die Hundeführerin vor dem Hund läuft und damit an entscheidender Stelle die Richtung vorgibt. Auch das darf nicht sein.“
Goss forderte eine rasche Aufklärung, nicht nur wegen dieses Videos, sondern vor allem auch wegen Ungereimtheiten in der statistischen Auswertung. „Die Universität Leipzig muss handeln und die Vorwürfe rasch aufklären. Dafür sollten auch alle Videoaufnahmen der Studie zugänglich gemacht werden.“
Veröffentlichung zu Mantrailer-Hunden in der Kritik
Der Polizist Leif Woidtke erklärte nach der Veröffentlichung der Studie Anfang 2018 in einer vielfach aufgegriffenen Mitteilung: „Die Ergebnisse (der Studie, Anm. der Red.) können künftig als Beweismittel in einem Strafverfahren verwendet werden.“ Zwar korrigierte sich die Universität recht schnell in der Behauptung, dass Hunde auch DNA erschnüffeln können, und zog die Aussage zurück. Doch die vermeintlichen anderen Fähigkeiten der Mantrailer-Hunde wurden schnell in namhaften Ermittlungen eingesetzt.
Die „Soko Linx“ des LKA Sachsen vermeldete so einen ihrer ersten großen Erfolge, als sie zwei mutmaßliche Baustellenbrandstifter anhand einer monatealten Geruchsspur überführt haben wollte. Die Männer kamen in Untersuchungshaft. Auch im Verfahren wegen des Einbruchs im „Grünen Gewölbe“ sollten Mantrailer-Hunde eine entscheidende Spur liefern.
Fachjournal hält Kritik aufrecht
Das Fachmagazin „Forensic Science International“ schrieb in seiner „Expression of Concern“ damals, dass die angegebenen Studienzahlen vermuten ließen, dass der Auswahlprozess der Negative (Negativproben in Rahmen der Studie Anmk. d. Red.) (absichtlich oder unabsichtlich) manipuliert wurden. Einen Beleg dafür konnte das Magazin nicht liefern. Daher bat das Blatt die Leipziger Wissenschaftler um die Rohdaten der Studie, also die Videos der einzelnen Versuchspfade mit den Hunden, um die Ergebnisse unabhängig überprüfen zu können.
Dieser Bitte sei durch die Autoren der Studie mit dem Verweis auf lokale und internationale Datenschutzrichtlinien nicht zugestimmt worden. Was die Forensic Science International letztlich zum Schluss kommen lässt: „Dadurch können die Chefredakteure die Zweifel an der Validität der Methoden und Ergebnisse der Studie nicht ausräumen.“ Nach MDR-Informationen hat sich an dieser Einschätzung seither nichts geändert.
Im Verfahren gegen die zwei mutmaßlichen Brandstifter jedenfalls stellte sich der „große Ermittlungserfolg“, den der damalige sächsische Innenminister zu jener Zeit noch verkündet hatte, als Flop heraus. Die beiden Männer wurden aus der Untersuchungshaft entlassen, ohne dass die Richter die Geruchsspur auch nur ernsthaft in Betracht gezogen hätten.
Und auch im Fall des Grünen Gewölbes stellte sich dieser vermeintliche Beweis im Laufe des Verfahrens als unbrauchbar heraus. Das Landgericht Dresden erklärte seinerzeit, dass die Kammer den durch die Hunde gewonnenen Erkenntnissen „keinen Beweiswert zumisst, weder für sich alleine betrachtet noch in einer Gesamtschau mit weiteren Beweismitteln“.