Fall Colditz: Bauen Rechtsextreme kriminelle Netzwerke in Sachsen auf?

Nach den Durchsuchungen in Colditz werden die möglichen Dimensionen des Falls diskutiert. Noch sind die Informationen spärlich, ob sich Rechtsextreme ein neues Geschäftsfeld erschließen.

Die Kommentare nach der Sitzung des Innenausschusses am vergangenen Donnerstag sprachen für sich: Allzu viel Konkretes hatten die Landtagsabgeordneten zuvor nicht gehört. Doch das reichte ihnen aus, um ihre Bedenken deutlich zu machen. Fast einheitlich nahmen sie die Razzia in Colditz vor zwei Wochen zum Anlass, um vor einem neuen Phänomen zu warnen: der Verbindung von organisierter Kriminalität mit rechtsextremen Strukturen. Oder wie es Valentin Lippmann von den Grünen ausdrückte: „Wir haben es in Colditz offenbar mit einer verfestigten Struktur von rechtsextremer Clan-Kriminalität zu gehabt.“

Die Aufarbeitung der Colditzer Zustände dauert noch immer an. In deren Zentrum steht die Frage: Waren hier Kriminelle am Werk, die zufällig Rechtsextreme waren – oder haben Rechtsextreme eine kriminelle Organisation aufgebaut, um daraus nicht zuletzt finanzielle Vorteile zu ziehen? Innenpolitiker erinnern inzwischen bewusst an gelungene und gescheiterte Immobilienkäufe, mit denen Vertreter der rechtsextremen Szene zuletzt von sich reden machten.

Ermittler wollen Geldwäsche-Verdacht prüfen

Bisher haben die Behörden versucht, derartige Käufe zusammen mit den Kommunen zu verhindern oder davor zu warnen. Die Geldquellen spielten dabei eher eine Nebenrolle. Nach Colditz wird aber anders auf das Thema geblickt.

Man prüfe vonseiten der Ermittler den Geldwäsche-Verdacht, wurde im Innenausschuss auf Nachfrage zum aktuellen Fall erklärt. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Chemnitz teilte am Mittwoch mit, sie könne gegenwärtig nicht beantworten, ob sich im Rahmen der Untersuchungen Hinweise auf weitere strafbare Handlungen wie Geldwäsche ergäben. Bisher wird gegen die drei Colditzer Verdächtigen – Ralf N. und seine Söhne Andreas und Uwe – ausschließlich wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ermittelt.

„Gerüchte gibt es immer wieder“

Je mehr man zum Thema in Sachsen recherchiert, umso mehr drängt sich dieses Bild auf: Inwieweit Rechtsextreme ins organisierte Verbrechen eingestiegen sind, können die sächsischen Sicherheitsorgane kaum sagen. Landespolizeipräsident Jörg Kubiessa erklärte vergangene Woche, man müsse nun die Erkenntnisse von Polizei und Verfassungsschutz zusammenführen. In Thüringen hatte diese Strategie bereits Erfolg gehabt. Dort ist die Polizei 2021 gegen die rechtsextreme „Turonen“-Bruderschaft vorgegangen, nachdem der thüringische Verfassungsschutz Hinweise auf Drogen- und Waffenhandel übermittelte.

Gibt es derlei Hinweise auch in Sachsen? Der sächsische Geheimdienst sagt dazu, man habe ausschließlich extremistische Bestrebungen im Blick. Die organisierte Kriminalität sei kein Beobachtungsobjekt, teilt eine Sprecherin des Landesamt für Verfassungsschutz mit. „Überschneidungen mit rechtsextremistischen Bestrebungen können jedoch nicht ausgeschlossen werden.“

Diese Bewertung kann Rechtsextremismus-Experten nicht überraschen: „Hinweise und Gerüchte über Verbindungen von sächsischen Rechtsextremen mit organisierter Kriminalität gibt es immer wieder“, sagt Johannes Kiess, stellvertretender Direktor des Leipziger Else Frenkel-Brunswik-Institut, das demokratiefeindliche Einstellungen erforscht. „Verbindungen ins Rockermilieu und Sicherheitsunternehmen gehören zu diesem Komplex dazu.“

Verfassungsschutz sieht kaum Verbindungen zu Rockern

Der Verfassungsschutz ging zuletzt aber davon aus, dass es sich dabei um Ausnahmen handelt. „Personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene bestehen in Sachsen (…) nur vereinzelt. Diese gehen meist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurück. Weite Teile der rechtsextremistischen Szene lehnen Rockerclubs wegen ihres vergleichsweise hohen Anteils von Migranten ab“,heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht.

Die Grenze zu ziehen, wann Verbrechen den extremen politischen Ansichten dient und wann nicht, ist schwer: „Manchmal hilft Kriminalität, die Mittel für die politische Betätigung zu beschaffen“, sagt Kiess. Er nennt als Beispiel die Banküberfälle der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“. In anderen Fällen sei „gar nicht so klar“, ob es bei der kriminellen Handlung „nicht vielmehr um persönliche Bereicherung geht“. In welche Kategorie Colditz fällt, muss sich zeigen.

„Das ist nur die Spitze des Eisbergs“

Demnächst soll den Mitgliedern des Innenausschusses eine Liste zugestellt werden, die die Ermittlungsverfahren gegen die drei Verdächtigen im Colditzer Drogenfall sowie ihr Umfeld auflistet. Mindestens 100 Verfahren sollen in den vergangenen Jahren zusammengekommen sein. Was die Ermittler unter dem Umfeld verstehen, dürfte interessant werden. Erwartet wird, dass es sich dabei vor allem um die Familie handelt. Die ersten plädieren aber dafür, im Zusammenhang mit Colditz größer zu denken.

„Wir konzentrieren uns jetzt sehr auf Familie N.“, sagt die Abgeordnete Kerstin Köditz (Linke). „Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs.“


Was bisher zur Razzia in Colditz bekannt ist

Die Razzia in Colditz mit 225 Fahndern ist auch weiterhin Stadtgespräch. Jetzt beschäftigte sich der Landtag in Dresden mit den Vorfällen in der sächsischen Kleinstadt. Diese Fakten sind bisher bekannt.

Seitdem Zoll und Bundespolizei Ende März in Colditz eine groß angelegte Razzia durchführten, steht die Kleinstadt in Colditz im Zentrum der Aufmerksamkeit. Drei Männer sollen von hier aus einen Drogenhandel aufgezogen haben. Es spielen aber noch andere Faktoren eine Rolle, die mittlerweile auch die Landespolitik beschäftigen. Die LVZ fasst zusammen, was bisher zum Colditzer Fall bekannt ist.

1. Worum ging es bei der Razzia in Colditz?

Der Chemnitzer Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein spricht von einem Schlag gegen die Colditzer Rauschgiftszene. Laut Staatsanwaltschaft stehen der Colditzer Ralf N. sowie seine Söhne Uwe und Andreas im Verdacht eine nicht geringe Menge Betäubungsmittel – vor allem Crystal und Marihuana – nach Deutschland geschmuggelt und diese anschließend gewinnbringend verkauft zu haben.

2. Was haben die Einsatzkräfte bei der Razzia in Colditz gefunden?

In fünf Objekten in und um Colditz spürten die Fahnder insgesamt 5,5 Kilogramm Crystal Meth, 32.000 Euro Bargeld, fünf Pistolen und zwei Gewehre auf. Das mit den Durchsuchungen beauftragte Zollfahndungsamt Dresden konfiszierte zudem zwei Luxuskarossen der Marken Lamborghini und Mercedes Benz G-Klasse AMG. Außerdem hoben die Beamten eine Cannabis-Plantage aus. Die 2600 Pflanzen befanden sich in einem Hallenkomplex im Colditzer Ortsteil Hohnbach. Allein die sichergestellte Menge Crystal hatte einen Marktwert von mindestens einer halben Million Euro.

3. Wie sind die Beamten den Tatverdächtigen auf die Spur gekommen?

Zu den Hintergründen der Razzia halten sich sowohl die Staatsanwaltschaft Chemnitz als auch das Zollfahndungsamt Dresden bedeckt. Allerdings ist der Jüngste des Trios, Uwe N., gerade im Bezug auf den Handel mit Drogen kein unbeschriebenes Blatt: Vor knapp zehn Jahren flog er in Frohburg (Landkreis Leipzig) mit 1,8 Kilogramm Crystal Meth auf und landete für mehrere Jahre im Gefängnis.

4. Was wissen wir über die Tatverdächtigen?

Ralf N. ist 66 Jahre alt. Er wohnt mit seiner Frau im Colditzer Ortsteil Möseln. Ursprünglich kommt er aus Naunhof (Landkreis Leipzig), wo er als Fleischer arbeitete und bereits einen SEK-Einsatz verursacht haben soll. In Colditz wird er mit einem Holzhandel und einem Schrottplatz in Verbindung gebracht. Er saß bereits im Gefängnis. Das Gericht legte ihm unter anderem gefährliche Körperverletzung, das vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie Hausfriedensbruch zur Last. Auch seine beiden Söhne, 35 und 38 Jahre alt, kamen bereits mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Allen drei Männern werden engste Verbindungen in die rechtsextreme Szene nachgesagt.

5. Wo befinden sich die Männer jetzt?

Laut Ingrid Burghart, Sprecherin der Staatsanwaltschaft in Chemnitz, befinden sich alle drei Beschuldigten in Untersuchungshaft. Sie säßen in unterschiedlichen Justizvollzugsanstalten ein. Die Trennung sei üblich, damit sich die Familienmitglieder in der Haft nicht begegnen und womöglich Absprachen treffen können. Unmittelbar nach der Razzia musste Ralf N. zunächst in ein Haftkrankenhaus gebracht werden. Nach Auskunft von Frank Schröter, Zollfahndungsamt Dresden, habe der Beschuldigte über Unwohlsein geklagt: „Es war sicher die Aufregung.“

6. Was sagen die Colditzer über die Männer?

Es gibt unterschiedliche Meinungen über die drei Männer aus Colditz. Die einen sagen, sie hätten die Stadt und ihre Einwohner über mehrere Jahre terrorisiert. Andere hingegen erklären, sie seien jederzeit freundlich und hilfsbereit. Immer wieder wurde in Colditz beobachtet, dass sie mit teuren Autos durch die Stadt fuhren, oftmals unüberhörbar laut und mit stark überhöhter Geschwindigkeit. Es gibt Berichte, wonach Ralf N. Bewohner in der Nachbarschaft derart einschüchterte, dass diese ihre Häuser verkauften und entnervt wegzogen.

7. Hat in Colditz niemand etwas vom Drogenanbau bemerkt?

Vermutlich nicht. Der Tatverdächtige Ralf N. wohnt etwa einen Kilometer von jener Lagerhalle entfernt, in der die Cannabis-Pflanzen angebaut wurden. Auf dem Weg von seinem Haus zur Plantage konnte er einen schmalen, befahrbaren Feldweg nutzen – ohne dass er dabei bemerkt wurde. Andreas Richter, einer der Anwohner, kann nur mit dem Kopf schütteln: „Da wohnst du nun so nah und hast in der ganzen Zeit von nichts gewusst.“ Dabei war er selber einmal in einer der Hallen, weil ausgebüxte Schafe eingefangen werden mussten. Von einer Plantage habe er dabei nichts bemerkt. Auch von den Hochleistungslampen sei von außen nichts zu sehen gewesen.

8. Weshalb war die sächsische Polizei nicht an dem Einsatz beteiligt?

Laut Sachsens Landespolizeipräsident Jörg Kubiessa ist es üblich, dass der Zoll oder die Bundespolizei ihre Ermittlungsarbeit alleine führen. Das sei kein Indiz eines Misstrauens gegenüber den sächsischen Kollegen. Der Zoll war die federführende Behörde, da es sich bei dem Delikt um grenzüberschreitenden Drogenhandel handelte. Kubiessa führte nach einer Sitzung des Innenausschusses aus, dass entgegen ersten Informationen auch sächsische Beamte in Colditz im Einsatz waren. Insgesamt sechs Kriminaltechniker hätten die Kollegen von Zoll und Bundespolizei unterstützt, nachdem diese Hilfe angefordert hatten.

9. Warum waren die Einsatzkräfte mit 225 Beamten vor Ort?

Das dürfte an der schieren Dimension der Ermittlungen gelegen haben: Bei der zweitägigen Razzia kamen die Beamten teilweise an mehreren Orten im Stadtgebiet gleichzeitig zum Einsatz. So zum Beispiel in der Lausicker Straße, am Furtweg, in Möseln und im Ortsteil Hohnbach. Dabei forderten die Fahnder von Bundespolizei und Zoll auch Kräfte des Technischen Hilfswerks aus Grimma an. Dies war deshalb notwendig, um die Menge an Beweismaterial fachkundig zu bergen und abtransportieren zu können. Es kamen auch Ermittler mit Spürhunden für Bargeld und Drogen zum Einsatz.

10. Warum befasst sich jetzt der Colditzer Stadtrat mit dem Fall?

Die Tochter der Colditzer Tourismuschefin ist die Partnerin eines der Beschuldigten. Der Aufsichtsrat der Stadt-Land-Schloss gGmbH hörte die Geschäftsführerin inzwischen an und kam zu dem Schluss, dass sie in ihrem Amt bleiben könne. Der Stadtrat nahm das zur Kenntnis und verständigte sich im nicht öffentlichen Teil der Ratssitzung. Über Ergebnisse soll zu einem späteren Zeitpunkt informiert werden. Zuvor mehrten sich die Stimmen, wonach die Tourismuschefin nicht in Sippenhaft genommen werden könne. Vielmehr wurde sie für ihre fachlich korrekte Arbeit im Schloss gelobt.

11. Der Fall beschäftigt auch die Landespolitik. Warum?

Der Colditzer Fall gilt als Musterbeispiel für eine Entwicklung, die auch in anderen Bundesländern zu beobachten ist: Beispielsweise in Thüringen haben sich Rechtsextreme das Feld der organisierten Kriminalität erschlossen und waren in den Drogenhandel eingestiegen. Innenpolitiker befürchten, dass es ähnliche Verstrickungen auch in Sachsen geben könnte. Man will nun die Vorgänge in Colditz genau untersuchen. Dabei spielt auch eine Frage, warum die Polizei eine dreistellige Anzahl an Ermittlungsverfahren gegen die Familie N. und ihr Umfeld führt, das aber bisher kaum Auswirkungen hatte. Das Innenministerium will den Mitgliedern des Innenausschusses nun eine Liste mit allen Delikten vorlegen, die gegen die Verdächtigen und ihr Umfeld bislang geführt wurden.