Rache, Geld – oder doch komplizierter? Was den Aussteiger im Prozess um Lina E. antreibt
Ein mutmaßlicher Mittäter ist der wichtigste Zeuge im Prozess gegen Lina E. Er belastet die Angeklagten teilweise schwer. Deren Verteidiger versuchen nun, die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen zu erschüttern.
Wäre die Geschichte der mutmaßlichen Linksextremistin Lina E. schon jetzt ein Film, der Teil über den Verräter wäre fix erzählt: Johannes D., Mitglied einer brutalen Nazi-Jäger-Gang, wird öffentlich der Vergewaltigung bezichtigt. Die eigenen Leute ächten ihn und er kooperiert mit Verfassungsschutz und Polizei. Aus Wut oder Rache oder wegen einem der anderen großen Gefühle, aus denen Filme gemacht sind.
Die Realität, wie sie gerade vor dem Oberlandesgericht in Dresden verhandelt wird, ist komplizierter. Zuletzt hatten die Richter vergeblich herauszufinden versucht, was Johannes D. sich von den Aussagen über seine mutmaßlich militanten Freunde konkret erhofft habe. Einer wahrhaftigen Antwort auf diese Frage war man in dem Verfahren am Freitag immerhin für einen kurzen Moment recht nahe, nämlich als einer der bislang schweigenden Angeklagten das Wort erhob.
Seit mehr als einem Jahr wird in Dresden gegen vier junge Menschen verhandelt, die in Sachsen und Thüringen Jagd auf Neonazis gemacht haben sollen. Eine Anführerin der Bande soll die Leipziger Studentin Lina E. gewesen sein. Sie und alle anderen Angeklagten schweigen. Seit Sommer redet ein anderer: Johannes D., mutmaßlich beteiligt an einem der Übergriffe auf Rechtsextreme und inzwischen im Zeugenschutz.
Kronzeuge wirkt insgesamt glaubwürdig
Die Aussagen von D. sind die wichtigsten in dem Prozess. Sie geben Einblick in eine ansonsten verschlossene Szene und fügen der Anklage genug Details hinzu, so dass sie insgesamt glaubwürdig wirken. Aber D. konnte eben nicht nachvollziehbar klar machen, warum er mit den Sicherheitsbehörden kooperiert – eine relevante Frage, wenn es um seine Glaubwürdigkeit geht. Er sprach davon, einen Schlussstrich ziehen und ein selbstbestimmtes Leben jenseits der Kontrolle seiner Ex-Mitstreiter führen zu wollen.
Doch wie selbstbestimmt kann das Leben eines Kronzeugen D., täglich begleitet von Beamten des Zeugenschutzes, sein? Genau das wollte einer der Angeklagten, Phillipp M., ein vorbestrafter Linksextremist aus Berlin, genauer wissen. Was er mit Selbstbestimmung meine, fragte M. seinen einstigen Freund, „was du darunter verstehst, Johannes?“
Es nahezu filmreifer Moment war das, eine Begegnung des Geächteten mit seiner Vergangenheit. D. antwortete so persönlich, wie er gefragt worden war („kann dir diese Frage gerne noch mal beantworten“), sprach von alten Verletzungen und abgebrochenen Kontakten. So richtig schlau wurde aber auch daraus wohl kaum jemand im Saal. Außer vielleicht der Angeklagte M., denn der beließ es dabei.
Anwalt: Kronzeuge plappert LKA nach
Was folgte, war so normal wie die Strafprozessordnung: Ein Verteidiger der Hauptangeklagten Lina E. versuchte, die Glaubwürdigkeit von Johannes D. zu erschüttern. Erfolgreich überführte er D., die Unwahrheit über seine „vier bis fünf“ Gespräche mit dem Bundesverfassungsschutz gesagt zu haben. Denn der Verteidiger fand heraus, dass, anders als zuvor von D. gesagt, keinesfalls immer polnische Geheimdienstler bei den Gesprächen dabei gewesen seien. Dass es auch ein Treffen in der Schweiz gegeben habe, wie im Agenten-Film. An anderer Stelle vermutete der Anwalt eine strafbare Falschaussage von D.: Der Kronzeuge sagte, eine Verbildlichung zur Struktur der mutmaßlichen linksextremen Bande, die sogenannte Kreistheorie, sei seine eigene. Er jedoch, so der Anwalt, gehe davon aus, „dass das dem Zeugen D. vom LKA aufgepfropft worden ist“.
Was also ist die Aussage von D. wert unter den Umständen, unter denen sie entstanden ist? Darüber wird im Prozess heftig gestritten; nächste Woche geht er weiter. Unsicher ist Johannes D. bislang vor allem dann, wenn es um Zeugenschutz und Geheimdienst geht. Und nicht, wenn er zu dem gefragt wird, was der Gruppe um Lina E. vorgeworfen wird.