1. Mai in Leipzig – Polizei will „Friedlichkeit“ – linke Szene gespalten
Auch in Leipzig birgt der 1. Mai zuweilen Konfliktstoff. Allerdings aus ganz anderen Gründen als in Berlin oder Hamburg. Warum ist das so? Und was kommt in diesem Jahr am 1. Mai auf Leipzig zu?
Derzeit deute „nichts auf Ärger hin“, sagt ein Sprecher der Stadt Leipzig. Wer bei ihm nachfragt, ob am 1. Mai mit Ausschreitungen zu rechnen sei, bekommt ein entspanntes „Stand heute sind keine gesonderten Vorbereitungen seitens der Stadt Leipzig notwendig“ als Antwort.
Ein Blick in die jüngere Vergangenheit gibt ihm recht: In den jüngsten Jahren war es in Leipzig am 1. Mai immer ruhig. Und das, obwohl die Stadt neben Berlin und Hamburg schon lange als eines der Zentren der linksradikalen Szene in Deutschland gilt.
Sieben Demonstrationen sind in Leipzig zum 1. Mai angemeldet:
- „1. Mai: Kämpfe verbinden! Wir zahlen nicht für eure Krise, soziale Sicherheit statt Aufrüstung!“. Start ist um 15 Uhr am Augustusplatz.
- Der Fahrradaufzug „1. Mai 2022: GeMAInsam Zukunft gestalten“ startet schon um 10.30 Uhr im Clara-Zetkin-Park, Höhe Musikpavillion.
- Um 12.30 Uhr findet dazu eine große Kundgebung am Markt statt, die als eigenständige Versammlung angezeigt ist. Veranstalter ist der DGB.
- Ein Aufzug unter dem Motto „Heraus zum 1. Mai – Tag der Arbeit“ beginnt um 11 Uhr auf der Karl-Liebknecht-Straße am Volkshaus.
- Am Südplatz beginnt um 15 Uhr die Demo „Kampftag der Arbeiterklasse – heraus zum revolutionären 1. Mai“. Sie endet um 21 Uhr am Rabet.
- Der Aufzug „Heraus zum anarchistischen 1. Mai!“ startet um 17.30 Uhr am Liselotte-Hermann-Park und endet um 21 Uhr am Rabet.
- Weniger mit dem Tag der Arbeit zu tun hat der Fahrradaufzug „Friedensfahrt für unsere Partnerstadt Kiew“. Er startet um 15 Uhr am Simsonplatz.
Unter den angemeldeten Demos sind drei, die der linken Szene zugerechnet werden können: Es sind diejenigen, die am Augustusplatz, Südplatz und Liselotte-Hermann-Park starten. Am Abend des 1. Mai treffen sich zwei dieser Aufzüge an der Eisenbahnstraße.
„Anarchistisches Parkfest“ schon am 30. April
Dort, am Rabet, findet bereits am Sonnabend, 30. April, ab 12 Uhr das „Anarchistische Parkfest im Leipziger Osten“ statt. Bei dem Fest gibt es laut Veranstalter neben Bierbänken, Hüpfburg und Planschbecken auch Platz „für das, was in den eigenen vier Wänden nicht geht.“
Ebenfalls schon am 30. April beginnt am Südplatz um 10 Uhr die Demonstration „Fundis zur Hölle jagen – Feministischer Protest gegen den Bundesverband Lebensrecht“. Dort soll gegen rechte Christen demonstriert werden. Die Teilnehmer ziehen zum Naschmarkt, wo eine Konferenz des angesprochenen Verbandes stattfindet.
Polizei Leipzig: „Wir wollen Friedlichkeit!“
Mit Randale rechnen die städtischen Behörden offenbar bei keiner der Versammlungen zum 1. Mai. Auch die Polizei Leipzig äußert sich vorsichtig gelassen, jedoch sehr wortkarg zu ihren Vorbereitungen auf den Kampftag der Arbeiterklasse. „Es wird ein größerer Einsatz werden“, sagt eine Sprecherin zu t-online.
Auf Nachfrage ergänzt sie, man könne „nicht ausschließen, dass sich eine dynamische Situation entwickelt“. Aber, sagt die Polizeisprecherin: „Wir wollen Friedlichkeit!“
Wie viele Polizisten am Maitag im Einsatz sein werden, konnte die Sprecherin nicht sagen. Auch nicht, ob schweres Gerät wie Wasserwerfer im Einsatz sein werde. „Die Bereitschaftspolizei wird da sein“, – immerhin so viel wollte sie bekannt geben.
Leipzig: Antifa eher vom Widerstand gegen Neonazis geprägt als von „Revolution“
Traditionell verläuft der 1. Mai in Leipzig anders als in den anderen Zentren der linken Szene in Deutschland, Berlin oder Hamburg beispielsweise. Die von dort bekannten ritualisierten Ausschreitungen gibt es in Leipzig selten – und wenn doch, dann aus anderen Gründen.
So war es jahrelang nicht der „Klassenkampf“, der die Leipziger am 1. Mai zum Protest auf die Straße trieb, sondern ein Neonazi-Anführer namens Christian Worch. Der rief seine Kameraden seit Beginn der 2000er-Jahre alljährlich zum Mai-Aufmarsch nach Leipzig, dem sich ebenso alljährlich Tausende Leipziger entgegenstellten.
Zu Randale kam es regelmäßig, als die Polizei begann, die Demoroute für die Rechten freizuräumen – was einigen Gegendemonstranten nicht gefiel. Der „Revolutionäre 1. Mai“, wie er in anderen Städten hinter brennenden Barrikaden begangen wurde, interessierte in Leipzig eigentlich niemanden.
Die linke Szene im Osten definierte sich jahrzehntelang eher über den Kampf gegen Neonazis als über Begriffe wie „Klassenkampf“, „Revolution“ oder „Antiautoritär“. Und so hatte man hier seine eigenen Anlässe für Proteste und brennende Barrikaden: Neonazi-Aufmärsche, die es zu verhindern galt.
Generationswechsel in der linken Szene sorgt für Geschimpfe
Das ändert sich gerade. Denn die Stadt Leipzig wächst nicht nur insgesamt, auch die linke Szene wird vielfältiger. Für Aufsehen sorgte darum ein Beitrag zum 1. Mai 2022 in Leipzig auf der Plattform Indymedia, wo viele Texte linker Gruppen veröffentlicht werden.
Unter der Überschrift „Leipziger Linke, willkommen in Westdeutschland“ schimpft der anonyme Autor darüber, dass die linke Szene in Leipzig „nach vielen Jahren des Zuzugs“ nun nicht mehr anders ticke als die im Westen. Und: „Der 1. Mai in Leipzig zeigt dies deutlich.“
Überall würde es jetzt von „revolutionären K-Gruppen“ wimmeln – ein Phänomen, das Leipzigs Linke früher nur aus dem Westen kannte. Dort hätten sich diese K-Gruppen dann „noch vor Ort die Köpfe eingeschlagen“ und sich schließlich in unterschiedliche 1.-Mai-Demos aufgespaltet.
In Leipzig sei dies nun auch so, was man an den beiden gleichzeitig um 15 Uhr startenden linken Demos auf dem Augustplatz und am Südplatz sehe.
Zugezogene Linke „interessieren sich nicht für die Antifaschist*innen in Zwickau“
Offenbar findet sich die linke Szene der Stadt nur noch im gemeinsamen Protest gegen Neonazis zusammen. Das könnte auch in diesem Jahr am 1. Mai so sein – allerdings nicht in Leipzig, sondern in Zwickau. Dort ist eine Demonstration der rechtsradikalen Organisation „Der III. Weg“ angekündigt, in Leipzig mobilisiert man zum Gegenprotest in der etwa 85 Kilometer entfernten sächsischen Stadt.
„Zugezogene“ Linke blieben lieber in der sicheren Stadt Leipzig, als die „Antifaschist*innen“ auf dem Land zu unterstützen, deutet der Indymedia-Autor an – und mit der Einigkeit der Leipziger Linken sei es auch vorbei.
Er schließt ein wenig frustriert: „Gemeinsam bleibt den beiden Demos um 15 Uhr in Leipzig lediglich, dass sie sich für die Situation der Antifaschist*innen in Zwickau nicht interessieren, obwohl es doch auch hier möglich gewesen wäre, für die „Revolution“ mit roten Fahnen durch die Straßen zu ziehen.“
Die Szene scheint gespalten in mindestens drei Lager. Polizei und auch die Ordnungsbehörde der Stadt Leipzig können dem 1. Mai in Leipzig darum vielleicht wirklich gelassen entgegensehen. Allerdings, auf Nachfrage, merkt auch ein Sprecher der Stadt an: „So eine Versammlungslage, die ist immer dynamisch.“
Von Andreas Raabe
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