Leipzig: An seinem Handtuch lehnt ein Smartphone
Ein Mann filmt Frauen in der Sauna. Er wird erwischt und die Polizei sichert die Videos. Warum stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlung ein?
Als Rebecca P. den Brief der Staatsanwaltschaft Leipzig Ende August zum ersten Mal durchgeht, kann sie gar nicht glauben, was drin steht: Ermittlung eingestellt, weil kein hinreichender Tatverdacht besteht. Dabei gibt es doch keinen Zweifel. Ein Mann hat sie und ihre Freundin vor ein paar Wochen gegen ihren Willen gefilmt, als sie nackt in der Sauna waren. Es gibt Zeug:innen. Die Polizei hat das Handy mit weiteren Videos von nackten Frauen gesichert. Der Mann hat selbst zugegeben, dass er an diesem Samstag im Juli heimlich in der Sauna gefilmt hat. Doch eine Strafe dafür muss er nicht befürchten.
P. liest den Einstellungsbescheid noch einmal. Sie versucht zu verstehen, ob das wirklich ernst gemeint ist, so erzählt sie es der taz später. Die Behörden ermittelten wegen einer möglichen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Im Strafgesetzbuch regelt das der Paragraph 201a: Wer sich nackt in einem geschützten Raum befindet, darf nicht unbefugt gefilmt werden. Allerdings: Die Sauna der Wellnessoase zählt nicht.
„Wie kann die Sauna kein geschützter Bereich sein?“, fragt sich P. mit Blick auf den Brief. Dann wird ihr bewusst: „Krass, es passiert einfach nichts!“
Rebecca P. und ihre Freundin sind beide Mitte zwanzig. Der Saunabesuch im Juli sollte einen ausgefallenen Urlaub kompensieren. Ruhe genießen, im Dampf entspannen. Stattdessen kämpfen die beiden nun dafür, dass sich das Strafrecht in Deutschland ändert.
Die Sorge, was mit den Aufnahmen passiert
Es ist nicht selten, dass Männer heimlich Frauen filmen. Das bestätigen Anwält:innen und Betroffenenorganisationen der taz. Seit Langem gibt es Berichte darüber, genaue Daten und Studien hingegen kaum. Klar ist aber: Die Gefilmten kann es über Jahre belasten, wie verletzbar und machtlos sie sich in diesem Moment fühlen. Doch es hängt zurzeit von den Umständen ab, ob überhaupt Konsequenzen für die Filmenden folgen.
In vielen Fällen ist es keine Straftat, andere heimlich mit der Kamera aufzunehmen. Zuletzt sorgte etwa der Fall von Yanni Gentsch für Aufmerksamkeit. Sie joggte im Februar durch Köln, als sie bemerkte, wie ein Mann ihren Hintern filmte. Sie wollte ihn anzeigen, konnte aber nicht: Gentsch trug eine Hose, das Filmen war deshalb nicht strafbar.
In der Sauna an diesem Julinachmittag tragen P. und ihre Freundin gar nichts. Die textilfreie Wellnessoase, die sich die beiden ausgesucht haben, hat einen guten Ruf, der Name ist der taz bekannt. Aber heimlich filmen, das ist dort genauso wie auch in anderen öffentlichen Saunen keine Straftat.
Die beiden Frauen erzählen den Tathergang so: Sie sind etwa eine halbe Stunde im Raum, als sich ein Mann direkt neben die auf einer Holzbank liegende Rebecca P. setzt. Ihr fällt das sofort unangenehm auf. „Normalerweise halten die Leute ein bisschen Abstand“, erklärt sie später der taz. Er hätte woanders sitzen können, in der Sauna wäre genug Platz. Doch als P. zu ihm blickt, um das anzusprechen, fällt ihr noch etwas anderes auf. An seinem Handtuch lehnt ein Smartphone. Dabei herrscht im Saunabereich Handyverbot.
So wie das Smartphone neben ihr ausgerichtet ist, der Winkel, die Kameralinse, ist P. sofort klar: Der filmt mich.
Meist seien es Männer, die ungefragt nackte Frauen filmen, berichtet Sandra Boger vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff), dem deutschlandweit 227 Stellen angehören. Sie ist dort seit zehn Jahren Referentin für digitale Gewalt. „Solche Fälle werden immer wieder an uns herangetragen.“ Häufig geschehe das innerhalb von oder nach Beziehungen. Es gebe aber auch Fälle in Umkleidekabinen, Toiletten auf Festivals oder wie bei P. in der Sauna.
Schon das Filmen selbst sei für Betroffene übergriffig, erklärt Diplom-Psychologin Boger. Hinzu kämen die Sorgen, was alles mit den Aufnahmen passieren kann. Anders als das Filmen ist die Verbreitung solcher Fotos und Videos strafbar. Aber: „Was einmal im Internet ist, ist für immer im Internet“, sagt Boger. Häme, Drohungen – die Betroffenen könnten sich „der Gewalt kaum entziehen, weil digitale Geräte und Medien unser ganzes Leben durchdringen“. Ob und wann die Nacktaufnahmen wieder auftauchen? Ungewiss. „Es gibt keinen Rückzugsort mehr. Das ist zermürbend.“
In der Sauna habe Rebecca P. den Mann ohne nachzudenken direkt konfrontiert, erzählt sie Wochen später. „Er hat es abgestritten, uns unterstellt, wir würden uns was ausdenken. Da sei gar kein Handy. Dabei hat er währenddessen damit in der Luft herumgefuchtelt.“ Ihre Freundin ergänzt: „Er hat versucht, das Handy irgendwie in sein Handtuch einzuwickeln.“
P. habe schnell einen Saunamitarbeiter dazu geholt. Sie habe verhindern wollen, dass der Mann die Videos und damit Beweise löscht, „weil wir angenommen haben, dass es eine Straftat ist, nackte Menschen heimlich zu filmen“, sagt P. Doch der Saunamitarbeiter und etwas später auch einer der beiden Geschäftsführer hätten sie nur zögerlich unterstützt. Er sei ein Stammgast, habe es geheißen, er sei mit Vornamen angesprochen worden. „Hier passiert nichts“, habe P. gedacht und dann die Polizei gerufen.
Zeugin berichtet von sexueller Belästigung
Die Geschäftsführung der Sauna erklärt auf Anfrage der taz: „Das Verhalten des Mannes verurteilen wir aufs Schärfste.“ Hätten nicht die beiden Frauen die Polizei gerufen, hätte die Sauna das übernommen. Es sei das erste Mal, dass so gegen das Handyverbot in der Sauna verstoßen wurde. Es stimme allerdings nicht, dass der Mann ein Stammgast sei. Außerdem habe er nun „lebenslänglich Hausverbot“. Das Handyverbot in der Sauna sei verschärft worden.
Während sie auf die Beamten warteten, habe P.s Freundin immer wieder verlangt, der Mann solle sein Handy entsperren und beweisen, dass da keine Videos von ihnen drauf seien. Er habe weiterhin alles abgestritten. Mittlerweile standen sie im Foyer der Wellnessoase. Die beiden Freundinnen hatten sich nur Handtücher übergeworfen.
Etwas später meldet sich in der Umkleide eine Zeugin bei ihnen. Sie habe die Diskussion mitbekommen. Den Mann kenne sie. Schon bei ihrem letzten Besuch der Sauna im März habe er sie sexuell belästigt. Er sei ihr und ihrer Mitbewohnerin bis unter die Dusche gefolgt. So schildern die Zeugin und ihre Mitbewohnerin es auch im Gespräch mit der taz. Doch als sie sich bei der Sauna über ihn beschweren, hören sie nur, es stehe Aussage gegen Aussage und er sei ein Stammgast.
Gegenüber der taz äußert sich die Geschäftsführung der Sauna nicht zu jenem Vorfall. Sie räumt aber ein, es habe im Juni einen weiteren Vorfall mit demselben Mann gegeben. Ein Mitarbeiter sei sofort eingeschritten.
Als sie im Foyer stand, forderte Rebecca P. ein weiteres Mal, der Mann solle beweisen, „dass da nichts ist“. Da lenkte der ganz plötzlich ein. Warum auch immer öffnete er seine Videogalerie und zeigte sie den Frauen sowie dem anwesenden Geschäftsführer der Sauna. Die Bilder waren laut P. und ihrer Freundin eindeutig: nackte Menschen in der Sauna, teilweise von hinten gefilmt. Sich selbst hätten sie nicht gesehen, aber andere Frauen, die offenbar unbemerkt gefilmt worden seien. Der Geschäftsführer nahm das Handy an sich, dann traf die Polizei ein. Die Geschäftsführung der Sauna widerspricht dieser Darstellung. „Wir hatten keinen Einblick auf das Handy des Mannes“, heißt es gegenüber der taz.
Laut Staatsanwaltschaft gab der Beschuldigte den Beamten gegenüber ebenfalls zu, gefilmt zu haben. Sie beschlagnahmten sein Smartphone und leiteten Ermittlungen ein. Die juristische Grundlage: Paragraph 201a, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs – so wie es später im Brief an Rebecca P. steht, als die Ermittlungen nach einem Monat wieder eingestellt wurden. Das Verhalten sei, „auch wenn es zu missbilligen ist – nicht strafbar gewesen“, erklärt die Staatsanwaltschaft der taz.
Aber stimmt das wirklich, oder hat die Staatsanwaltschaft einen Fehler gemacht? Die Anwältin Valeska Knarr vom Verein Nebenklage sagt, beim Paragraphen 201a hänge es davon ab, wie der „gegen Einblick besonders geschützte Raum“ ausgelegt werde. Bislang sei die Rechtsprechung dabei „restriktiv“ gewesen, sagt Knarr.
Sauna gilt juristisch nicht als geschützter Raum
„Es ist relativ klar, dass Toiletten dazugehören“, erklärt die Berliner Anwältin. Vier Wände, nur geschaffen, um die Blicke anderer auszuschließen. Und eine Sauna, die alle betreten können, die Eintritt bezahlen? Die zähle in der juristischen Auslegung nicht dazu. „Auch wenn wir allgemein sagen würden, dass wir da nicht fotografiert werden wollen“, sagt Knarr. „Letztlich kommt man da mit der aktuellen Gesetzeslage nicht ran.“ Die Anwältin hält das für eine Gesetzeslücke.
Weil kein Tatverdacht mehr vorlag, hatte die Staatsanwaltschaft keine Rechtsgrundlage, um Daten des Handys auszuwerten oder Videos zu löschen. „Konkrete Anhaltspunkte“, dass der Beschuldigte etwas veröffentlicht habe, gebe es auch keine, sagt die Staatsanwaltschaft. Der Mann hat sein Handy inzwischen zurück.
Für P.s Freundin unverständlich. Sie erzählt, in den Tagen nach dem Saunavorfall habe sie Sorge gehabt, dass der Täter ihren Namen gehört habe. Sie sei auf Umwegen von der Arbeit nach Hause gegangen. „Dieses Wissen, dass das wieder passieren kann, ohne Konsequenzen, das ist scheiße.“
Die Joggerin Yanni Gentsch hat im August eine Petition mit 125.000 Unterschriften eingereicht, um das Strafrecht zu reformieren und heimliche Aufnahmen mit sexueller Absicht gänzlich zu verbieten. Rebecca P. und ihre Freundin planen aktuell ebenfalls eine Petition. „Es braucht eine Rechtsgrundlage, damit sich Frauen in solchen Situationen wehren können“, sagt P. Doch bis sich das Strafrecht ändert, dürfte es dauern. Solange sollten Mitarbeiter:innen von Saunen sensibilisiert werden, fordern die Frauen.
Vertreiben lassen wollen sie sich nicht. „Ich will wieder in eine öffentliche Sauna gehen“, sagt P.s Freundin. Und P. bekräftigt: „Machen wir auch“.
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Vincent Ebneth
08.11.2025 LVZ
„Sein Handy lehnte an einem Handtuch“: Nackt gefilmt in der Sauna – keine Strafe für Täter
Ein Mann filmt Frauen in einer Sauna. Sie rufen die Polizei. Ein Ermittlungsverfahren wird nach wenigen Wochen eingestellt. Warum? Das Filmen in der Sauna ist keine Straftat. Das wollen die Leipzigerinnen jetzt ändern.
Als Rebecca Mitte August das Schreiben der Staatsanwaltschaft Leipzig öffnet, kann sie es kaum fassen: Ermittlungen eingestellt. Dabei war für sie alles eindeutig. Sie und ihre Freundin Anne (Name geändert), beide Mitte zwanzig, sind in einer Sauna von einem Mann gegen ihren Willen und nackt gefilmt worden. Die Polizei war vor Ort, auf dem Handy des Mannes waren Aufnahmen unbekleideter Personen. Die Beweislast schien erdrückend.
Eine Strafe muss der Filmer trotzdem nicht fürchten. Das Filmen in der Sauna ist in Deutschland keine Straftat – noch nicht. Denn genau das wollen die beiden Freundinnen ändern. Sie arbeiten an einer Petition, die in Kürze veröffentlicht werden soll.
Was ist in der Sauna passiert?
Anne und Rebecca erzählen ihre Version des Vorfalls so: Es ist ein Samstag im Juli, die Anlage im Leipziger Umland gut besucht. „Es sollte ein entspannter Nachmittag werden“, erinnert sich Anne. Doch gleich beim ersten Saunagang setzt sich ein Mann auffällig nah neben sie. „Das war schon komisch.“
Beim zweiten Durchgang, nach dem Aufguss, ist der größte Saunaraum fast leer. Dann kommt derselbe Mann – und setzt sich dicht neben Rebecca. „Es war genug Platz, aber er setzte sich nur einen halben Meter entfernt.“ Als sie hinüberschaut, blickt sie direkt in die Kameralinse eines Handys, das an einer Handtuchrolle lehnt. „Ich habe ihn sofort angesprochen: ‚Ist das dein Ernst? Filmst du?‘“
Der Mann reagiert überrascht – und geht in die Offensive. „Er behauptete, wir würden uns das nur ausdenken“, sagt Rebecca. Sie holt einen Mitarbeiter hinzu. „Der Täter hielt sein Handy in einem Handtuch versteckt und zeigte uns immer nur seine leere Hand.“ Doch die Frauen lassen nicht locker, fordern, dass er alle Sachen gleichzeitig zeigt. Dann kommt das Handy zum Vorschein.
Der Mitarbeiter und der Mann verschwinden in die Männerumkleide. Die beiden Frauen folgen nach kurzem Zögern. „Er hatte etwa eine Minute Zeit, um Aufnahmen zu löschen“, sagt Anne. Zudem habe der Mitarbeiter den Mann beim Vornamen angesprochen. „Wir erfuhren später von jemandem, dass er ein Stammgast ist und dass schon ähnliche Vorfälle passiert sind.“
Als auch der inzwischen hinzugekommene Geschäftsführer aus Sicht der Frauen zu zögerlich reagiert, rufen sie die Polizei. „Wir gingen davon aus, dass es eine Straftat ist, nackte Menschen heimlich zu filmen“, sagt Rebecca. Während der ganzen Zeit tragen beide nur Handtücher um ihre Körper.
Eine Zeugin meldet sich
Dann spricht sie eine Frau an. Sie kenne den Mann. Bei ihrem letzten Saunabesuch vor einigen Monaten habe er sie sexuell belästigt, sei ihr bis unter die Dusche gefolgt. Als sie sich damals beim Personal beschwerte, habe es geheißen: Ohne Beweise gelte Aussage gegen Aussage. So berichtet sie es der LVZ.
Beim Warten auf die Polizei fordert Rebecca erneut, dass der Mann sein Handy entsperrt. Schließlich gibt er nach. Auf dem Display: Aufnahmen nackter Menschen, teilweise von hinten gefilmt. Sich selbst erkennen die Frauen nicht. Der Geschäftsführer nimmt das Handy an sich, kurz darauf trifft die Polizei ein. Der Mann soll gestanden haben, gefilmt zu haben. Nach mehreren Stunden verlassen Rebecca und Anne erschöpft die Sauna. Sie wünschen sich, dass Sauna-Betreiber auf solche Situationen vorbereitet sind, die Mitarbeitenden geschult werden.
Das heimliche Filmen gegen den Willen anderer kann Betroffene stark belasten. Die taz, die zuerst über den Fall berichtete, zitiert Sandra Boger vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe: „Das Filmen selbst ist für Betroffene schon übergriffig“, sagt die Diplom-Psychologin. Hinzu komme die Angst, was mit den Aufnahmen passieren könnte. Zwar ist das Verbreiten strafbar – aber: „Was einmal im Internet ist, ist für immer im Internet.“
Sauna-Betreiber erteilt Hausverbot
Der LVZ sagt der Betreiber der Sauna, er verurteile das Verhalten des Mannes aufs Schärfste. Dem Gast sei lebenslanges Hausverbot erteilt worden. Schon Wochen zuvor habe es eine Beschwerde gegeben, weil er sich nah an weibliche Gäste gesetzt habe. Mitarbeitende hätten ihn aufgefordert, Abstand zu halten. Ein Handy habe dabei keine Rolle gespielt. Ein Stammgast sei der Mann nie gewesen, betont der Betreiber.
In der gesamten Anlage gelte striktes Handyverbot, das Personal sei darin geschult, dies durchzusetzen. Nach dem Vorfall achte man noch genauer darauf. Im Gespräch versichert der Geschäftsführer, dass er die Sache ernst nimmt. Er setze alles daran, dass sich so etwas in seiner Sauna nicht wiederholt.
Ermittlungen eingestellt
Die Staatsanwaltschaft Leipzig leitete ein Verfahren gegen den filmenden Mann ein und konfiszierte das Handy. Geprüft wurde, ob gegen den höchstpersönlichen Lebensbereich durch Bildaufnahmen verstoßen wurde. Nach Paragraf 201a Strafgesetzbuch ist das heimliche Filmen in geschützten Räumen wie Wohnungen oder Umkleiden verboten. Doch: Eine Sauna fällt rechtlich nicht darunter.
Im August erhalten Rebecca und Anne schließlich den Einstellungsbescheid. Keine Straftat. Keine Anklage. In dem Schreiben heißt es, das Verhalten des Beschuldigten sei zwar „äußerst moralisch verwerflich“, stelle aber keine strafbare Handlung dar.
Grundlage für die Einschätzung der Staatsanwaltschaft ist ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz aus dem Jahr 2008. Demnach gilt ein Saunabereich, den jeder betreten kann, der Eintritt zahlt, nicht als „letzter Rückzugsraum“ eines Menschen. Für Rebecca und Anne ist das unverständlich. „Wie kann das sein, dass eine Sauna kein geschützter Raum ist?“, fragt Rebecca. Handelt es sich um eine Gesetzeslücke? Eine Leipziger Anwältin antwortet der LVZ eindeutig mit: Ja.
„Der Täter hat sein Handy inklusive der Aufnahmen mittlerweile zurückbekommen. Er hat jetzt schwarz auf weiß, dass das, was er getan hat, nicht strafbar ist“, kritisiert Rebecca. „Es ist absurd, dass es dafür keine Konsequenzen gibt. Frauen, denen das zukünftig passiert, haben keine rechtliche Grundlage.“
Kampf um ein neues Gesetz
Deshalb wollen die beiden das Gesetz ändern. Ihre Petition zur Reform des Strafrechts steht kurz vor der Veröffentlichung. Eine ähnlich gelagerte Petition der Kölnerin Yanni Gentsch, die beim Joggen auf den Po gefilmt wurde, hat Stand heute, über 150.000 Unterschriften gesammelt. Auch in ihrem Fall blieb der Täter straffrei, weil sie bekleidet war und sich im öffentlichen Raum befand.
Eine einflussreiche Unterstützerin haben die beiden Petitionen mit der Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD). Auf eine Anfrage an ihr Ministerium verweist ein Sprecher auf Hubigs Aussage in der Rheinischen Post: Im Bundesministerium der Justiz werde derzeit geprüft, wie man digitalen Voyeurismus kriminalpolitisch und rechtsstaatlich überzeugend regeln kann. „Mein Ziel ist es“, so Hubig, „zügig einen praxistauglichen Gesetzentwurf vorzulegen.“
Gelegenheit dazu hatte sie in Leipzig. Denn am Freitag kamen die Justizministerinnen und -minister der Länder zur Herbsttagung zusammen. Auch, um über digitale Gewalt zu debattieren. Laut erster Presseinformationen am Nachmittag wurde bezüglich des voyeuristischen Filmens vorerst kein Beschluss gefasst.
Für Anne und Rebecca bleibt vorerst nur die Hoffnung, dass ihre Petition etwas bewegt. Den Spaß am Saunieren wollen sie sich trotzdem nicht nehmen lassen. „Wir werden auch weiterhin Saunen besuchen“, sagen sie voller Überzeugung.
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Anne Fromm 8.11.2025
Sexualisierte Gewalt in Berlin – Hätte „Ja heißt Ja“ dieser Frau geholfen?
Gegen ihren Willen hat ein Mann Sex mit einer Frau. Die Ermittlungen werden eingestellt. Ein Beispiel dafür, was im deutschen Sexualstrafrecht fehlt.
Am Ende eines offenbar schlimmen Abends ist die Sache eigentlich klar. Auch der Mann gibt es zu. Er hatte Sex mit einer Frau, Anna S., die das offenbar nicht wollte. Er hat sie gewürgt und erniedrigt. Für Anna S. war es eine Vergewaltigung.
In Chats am Tag danach schreibt er: „Ich bin eindeutig zu weit gegangen, als ich diese ‚aktiven‘ sexuellen Handlungen gestartet habe.“ Er entschuldigt sich, schreibt, dass er Würgen eigentlich selbst gar nicht mag. Er bereue, was passiert ist. „Es ist ganz allein meine Schuld und meine Verantwortung.“ Und: „Wegen meiner vernebelten Sinne konnte ich deine Signale nicht deuten.“
Anna S. reicht die Entschuldigung nicht. Denn dieser Abend, sagt sie, wiegt schwer. Eine Gynäkologin hat ihre Verletzungen dokumentiert. Ein Psychotherapeut hat eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Bis heute ist sie in Therapie. Anna S. möchte, dass der Mann verurteilt wird. Doch das wird nicht passieren. Denn das deutsche Sexualstrafrecht gibt das nicht her.
Ende Oktober hat Frankreich ein Gesetz verabschiedet, das einer kleinen Revolution gleichkommt. Nach dem Fall von Gisèle Pelicot, die von ihrem Ehemann betäubt und Dutzenden Männern zur Vergewaltigung angeboten wurde, gilt im französischen Sexualstrafrecht nun „Ja heißt Ja“. Sex ist nur noch dann einvernehmlich, wenn beide Personen ihm zustimmen, in einem Gespräch, mit einem „Ja“ oder einem zustimmenden Stöhnen.
Der Täter muss Beweise liefern
Frankreich setzt damit um, was 14 andere europäische Länder längst haben und was internationale Abkommen schon lange fordern – auch von Deutschland. Aber Deutschland sträubt sich. Hier gilt: „Nein heißt Nein.“ Nicht die Zustimmung zählt also, sondern die Abwehr. Wer keinen Sex will, muss das deutlich machen und es im Zweifel später beweisen können. „Ja heißt Ja“ kehrt die Beweislast um. Nicht mehr das vermeintliche Opfer muss nachweisen, dass es keinen Sex wollte. Der vermeintliche Täter muss beweisen, dass beide wollten.
Anna S. ist eine zierliche Frau. Sie ist 25 Jahre alt und stammt aus Russland. Seit dreieinhalb Jahren lebt sie in Berlin. Deutsch spricht sie nicht, dafür umso besser Englisch. Sie ist Softwareentwicklerin. Als Russland 2022 die Ukraine überfällt, arbeitet sie für die Deutsche Bank in Moskau. Das Büro wird geschlossen, Anna S. zieht ihrem Job hinterher nach Berlin.
Im Januar 2023 lädt ein Bekannter sie zu sich ein. Eine kleine Party soll es werden. Fotos zeigen eine ausgelassene Runde, es wird gelacht, Karten gespielt, Wein getrunken. Anna S. sagt, sie sei angetrunken gewesen, aber nicht so, dass sie die Kontrolle verloren habe.
Als sich die Runde am frühen Abend auflöst und Anna S. auf dem Heimweg ist, schreibt ihr ein junger Mann, den sie auf der Party kennengelernt hat. Er fragt, ob sie sich noch treffen wollen, weiter Alkohol trinken, erzählt sie. Anna S. hatte auf der Feier mit ihm gesprochen, er habe von seiner Freundin erzählt, und dass er auch einen Job bei der Deutschen Bank suche. Deswegen hatte sie ihm ihre Nummer gegeben. Unverfänglich, habe sie gedacht.
S. spricht ruhig, fast distanziert
Als sie ihm kurz darauf die Tür öffnet, sei alles sehr schnell gegangen. Er habe sie fest an den Schultern gepackt und geküsst, quasi überfallen. Er habe sie gezwungen, die Schlafcouch auszuklappen und sie darauf geworfen. Er habe sie gewürgt, sodass sie keine Luft bekommen habe, sie geschlagen, beschimpft, zum Oralsex gezwungen und sei mit dem Finger in sie eingedrungen.
So erzählt Anna S. es zwei Jahre später in ihrem Wohnzimmer. Sie spricht ruhig, fast distanziert. Sie hat ihre Geschichte schon oft erzählt, der Polizei, einer Richterin, Anwältinnen. Die taz hat versucht, auch mit dem Mann zu sprechen. Er hat das abgelehnt. Auch gegenüber der Polizei und dem Gericht hat er nicht ausgesagt.
Anna S. erinnert sich nicht mehr an alle Details des Abends, aber an das Gefühl, das sie hatte: Angst.
Anna S. sagt nicht „Nein“. Sie schiebt den Mann nicht weg. Sie schreit nicht um Hilfe. Sie habe ihren Kopf weggedreht, um ihm auszuweichen. „Ich war in einer Schockstarre“, sagt sie. „Ich hatte Angst, dass er noch aggressiver wird, wenn ich mich wehre.“
Nach der Tat kann sie nicht schlafen. Sie hat Schmerzen am Körper, das Schlucken fällt ihr schwer. Am Hals hat sie Würgemale, an den Brüsten blaue Flecken, von beiden macht sie Fotos. Sie blockiert den Mann in ihrem Handy, er soll ihr nicht mehr schreiben können.
Aber er meldet sich von einem anderen Account. „Bitte verzeih mir, wenn ich dich verletzt habe“, schreibt er. Er entschuldigt sich, schreibt, dass er verstehen könne, wenn sie sich von dem Erlebnis nur schwer erholen könne.
S. lässt ihre Verletzungen dokumentieren
Sie schreibt, dass es ihr nicht gut gehe. Dass sie zu geschockt gewesen sei, um ihn abzuwehren. Dass sie nicht gewürgt und nicht geschlagen werden wollte. Aber sie schreibt auch, dass sie verstehe, dass ihm in seinem betrunkenen Zustand nicht klar gewesen sei, dass das für sie nicht in Ordnung sei. Sie schrieb das, sagt sie heute, weil sie wollte, dass er zugibt, ihr Gewalt angetan zu haben.
Anna S. geht zu einer Frauenberatungsstelle, sucht sich eine Anwältin und erstattet Anzeige. In der Gewaltschutzambulanz der Charité lässt sie ihre Verletzungen dokumentieren.
Und erst sieht es so aus, als sei dieser Weg erfolgversprechend. Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf, dokumentiert die Chats und befragt Freund*innen von Anna S. Sie selbst sagt in einer Videovernehmung vor einer Richterin aus. Dann hört sie lange nichts.
Knapp zwei Jahre nach der Anzeige erhält Anna S. einen Brief der Staatsanwaltschaft: Die Ermittlungen wurden eingestellt. Es lasse sich nicht mit Sicherheit feststellen, dass Anna S. „tatsächlich objektiv und für den Beschuldigten eindeutig wahrnehmbar“ gezeigt habe, dass sie keinen Sex wolle. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der ihre Ablehnung erkannt und sich vorsätzlich darüber hinweggesetzt habe.
„Das alles bedeutet nicht“, heißt es weiter, dass Anna S. nicht geglaubt würde. Es sei lediglich nicht zu erwarten, dass der Mann im Fall eines Prozesses verurteilt werden würde. Zu den Verletzungen, die er Anna S. durch das Würgen und Schlagen zugefügt hat, heißt es fast lapidar, es werde „auf den Privatklageweg verwiesen“.
Anna S. kann es nicht fassen.
Im Jahr 2023, als Anna S. die Tat anzeigt, nimmt die Berliner Staatsanwaltschaft 2.147 Ermittlungsverfahren wegen sexueller Übergriffe, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung auf. 1.579 Verfahren werden in diesem Jahr eingestellt, nur 74 Personen werden verurteilt. Bundesweit gehen Expert*innen davon aus, dass etwa 8 bis 10 Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen verurteilt werden.
Sabine Kräuter-Stockton hat viele Jahre als Oberstaatsanwältin gearbeitet. Sie ist eine der prominentesten Kämpferinnen für eine Reform des Sexualstrafrechts in Deutschland. Sie will, dass auch hierzulande „Ja heißt Ja“ gilt. Auch sie sagt, dass unter der geltenden Rechtslage der Fall von Anna S. eher nicht als Vergewaltigung gewertet werden kann. „Was ich der Berliner Staatsanwaltschaft aber vorwerfe, ist, dass sie die Körperverletzung nicht verfolgt hat.“
Für Kräuter-Stockton zeigt der Fall von Anna S., warum das deutsche Sexualstrafrecht reformiert werden muss. „Unser aktuelles Gesetz bürdet dem Opfer die Verantwortung auf, seinen Gegenwillen äußerlich erkennbar auszudrücken. Es muss deutlich zeigen, dass es nicht einverstanden ist. Wer das nicht macht, hat Pech.“ Kräuter-Stockton geht davon aus, dass in Spanien der Mann hätte verurteilt werden können, wäre der Fall von Anna S. dort passiert.
Wie genau „Ja heißt Ja“ ausgelegt wird, sagt Kräuter-Stockton, sei in allen Ländern etwas anders. „Überall gleich ist allerdings, dass Passivität nicht als Zustimmung gewertet wird. Nur weil eine Frau sich nicht wehrt, bedeutet das noch lange kein Einverständnis.“
Für sie ist das nur folgerichtig. Schließlich werde auch in anderen Rechtsgebieten kein klares „Nein“ vorausgesetzt. „Wenn Sie mir mein Handy klauen, muss ich auch nicht beweisen, dass ich das nicht wollte. Es ist Diebstahl, egal, ob ich Nein gesagt habe oder nicht.“
Die Erfahrung aus den anderen Ländern zeige, dass das Prinzip „Ja heißt Ja“ nicht unbedingt dazu führt, dass deutlich mehr Sexualstraftaten angezeigt werden, sagt Kräuter-Stockton. „Aber es gibt dann eine Chance, dass mehr strafwürdige Fälle werden, die bei jetziger Rechtslage folgenlos bleiben.“
Doch reicht ein neues Gesetz? Frauenrechtsorganisationen bemängeln, dass es nicht nur am Gesetz liege, ob Frauen in Deutschland geschützt werden. Häufig liefen schon die Ermittlungen schlecht. Sabine Kräuter-Stockton kennt die Kritik. Und trotzdem, sagt sie, wäre mit einem Gesetz viel gewonnen: „Als vor knapp zehn Jahren ‚Nein heißt Nein‘ deutsches Gesetz wurde, hat das den Diskurs über sexualisierte Gewalt massiv verändert. So einen Effekt erhoffe ich mir auch von ‚Ja heißt Ja‘: ein gesellschaftliches Umdenken zu der Frage, wie wichtig Konsens ist.“
Politisch sieht es nicht danach aus, als käme so eine Reform in naher Zukunft. Die SPD-Justizministerin und ehemalige Staatsanwältin Stefanie Hubig hat gerade im taz-Interview erklärt, dass sie sich ein „Ja heißt Ja“ bei Jugendlichen vorstellen könne, wegen ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit. Alles weitere müsse diskutiert werden.
Anna S. hat mit ihrer Anwältin Beschwerde gegen die Entscheidung der Berliner Staatsanwaltschaft eingelegt. Aber auch die Generalstaatsanwaltschaft hat es abgelehnt, Klage zu erheben. Mit Hilfe einer Opferschutzorganisation hat Anna S. eine neue Wohnung gefunden. In der alten, in der sie den Abend mit dem Mann erlebt hat, wollte sie nicht bleiben.