AfD erhielt seit April für alle Anträge zusätzliche Stimmen aus anderen Fraktionen

Die Normalisierung der AfD in Leipzig schreitet voran. Was früher unmöglich schien, ist mittlerweile wohl nur noch eine Frage der Zeit: Mehrheiten für Anträge der rechtsradikalen Fraktion. Unterstützung gibt es vor allem von CDU und BSW. Beide Parteien stimmen im Stadtrat nicht nur in Ausnahmefällen, sondern regelmäßig für AfD-Anträge.

Als die AfD vor elf Jahren zum ersten Mal in den Leipziger Stadtrat gewählt wurde, war sie im Prinzip bedeutungslos. Mit nur vier Stadträten erreichte sie gerade so den Fraktionsstatus. Fünf Jahre später konnte die AfD ihre Fraktionsgröße zwar fast verdreifachen und dank Ultrarechten wie Roland Ulbrich den Ton in der Ratsversammlung deutlich verschärfen, doch Mehrheiten für eigene Anträge waren weiter nicht in Sicht. Das hat sich jetzt geändert.

Seit der Kommunalwahl vor einem Jahr stimmt nicht nur die CDU regelmäßig für Anträge der AfD, sondern auch die neue BSW-Fraktion. Sollten alle Stadträte von AfD, CDU und BSW sowie die drei Fraktionslosen anwesend sein – es befinden sich nur drei Frauen darunter – und geschlossen abstimmen, hätten sie die Mehrheit in der Ratsversammlung.

Bislang wurde im Stadtrat noch kein Antrag der AfD beschlossen. Das liegt einerseits daran, dass häufig nur eine der beiden anderen Fraktionen zustimmt, und andererseits schlicht an Abwesenheit. Manchmal fehlen die ehrenamtlich tätigen Stadträt*innen wegen Krankheit oder wichtiger Verpflichtungen. Es ist aber wohl nur eine Frage der Zeit, bis die AfD zum ersten Mal eine Mehrheit erhält.
CDU stimmte fast allen AfD-Anträgen zu, BSW mehr als die Hälfte

Das zeigt auch ein Blick auf das Abstimmungsverhalten der Fraktionen in den vergangenen Monaten. In den drei Ratsversammlungen im zweiten Quartal wurden neun Anträge der AfD zur Abstimmung gestellt: einer im Mai und jeweils vier im April und Juni. Alle Anträge erhielten Stimmen aus mindestens einer anderen Fraktion.

Die CDU stimmte sieben von neun AfD-Anträgen zu; das BSW immerhin fünf. In drei Fällen bekamen AfD-Anträge die Stimmen aus beiden Fraktionen. Während die CDU meist geschlossen abstimmt, gibt es beim BSW häufig einige Enthaltungen.

Warum aber soll man sinnvollen Anträgen zu Schulen, Radwegen und Schwimmhallen nicht zustimmen, nur weil sie von der AfD kommen? So oder so ähnlich reagierten Kommunalpolitiker*innen in den vergangenen Jahren immer wieder auf Fragen nach der sogenannten Brandmauer. In Leipzig drehten sich die neun AfD-Anträge zwar auch um klassische Kommunalpolitik – vor allem Straßen und Parken –, aber nicht ausschließlich.

So stimmte beispielsweise die CDU für einen AfD-Antrag, der darauf abzielte, „die Arbeitspflicht für Asylbewerber vollumfänglich durchsetzen zu können“. Das BSW wiederum schloss sich der Forderung der AfD an, sich für die Wiedereröffnung des russischen Konsulats in Leipzig einzusetzen. Für den AfD-Antrag, den Klimanotstand in Leipzig wieder aufzuheben, gab es Unterstützung aus beiden Fraktionen.

SPD und Grüne kritisieren Abstimmungsverhalten

„Wir sind regelmäßig sehr irritiert und verärgert, mit welcher Selbstverständlichkeit inzwischen einige Fraktionen im Leipziger Stadtrat AfD-Anträgen zustimmen“, sagt Anja Feichtinger, Vorsitzende der SPD-Fraktion. „Das ist ein gefährliches Spiel, denn es verharmlost und normalisiert eine Partei, die offen gegen Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit agitiert.“

Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Kristina Weyh zeigt sich besorgt: „Solche Zustimmungen eröffnen der AfD politische Spielräume, die mit unseren demokratischen und sozialen Werten unvereinbar sind und die wir als demokratische Fraktion entschieden ablehnen.“

Franziska Riekewald, Vorsitzende der Linksfraktion, möchte das Abstimmungsverhalten anderer Fraktionen nicht bewerten, beklagt aber, dass sich die CDU wohl schon im OBM-Wahlkampf befinde. Sie wünscht sich von den Konservativen weniger Polemik und mehr sachliche Auseinandersetzung.

Das Abstimmungsverhalten von CDU und BSW belastet zwar die Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen, doch Feichtinger, Weyh und Riekewald betonen allesamt, dass Gespräche untereinander wichtig seien, um im Interesse der Stadt handeln zu können. Weyh ergänzt:

„Dabei machen wir unsere klare Haltung und Erwartungen an diese beiden Fraktionen, sich nicht in Positionen einbinden zu lassen, die eine Verschiebung nach rechts fördern, auch regelmäßig deutlich.“
CDU und BSW entscheiden inhaltlich

CDU und BSW rechtfertigen ihr Abstimmungsverhalten damit, dass sie die Anträge der AfD so behandeln wollen wie Anträge aus allen anderen Fraktionen. „Wir entscheiden nach dem Antragstext, ob er unserer politischen Ausrichtung – die Lebensverhältnisse der Leipziger Bürgerinnen und Bürger zu verbessern – entspricht“, erklärt der BSW-Fraktionsvorsitzende Eric Recke.

Während das BSW nach eigenen Angaben in keinster Weise zwischen AfD und anderen Fraktionen unterscheidet, heißt es aus der CDU-Fraktion: „Wir widmen den anderen Fraktionen und ihrer Arbeit deutlich mehr Aufmerksamkeit.“

Das BSW schließt zudem nicht aus, einen Kandidaten der AfD bei einer Dezernatswahl zu unterstützen. Dabei handelt es sich um die acht Fachbürgermeister*innen in Bereichen wie Wirtschaft, Kultur und Soziales. Das BSW würde laut Recke aber keine Person wählen, die fachlich ungeeignet ist, Waffenlieferungen unterstützt, gegen Minderheiten hetzt oder eine rechtsextreme Gesinnung hat.

Die AfD beansprucht wegen ihrer Fraktionsgröße einen Dezernatsposten für sich. „Prinzipiell sind wir dafür, dass der Wählerwille auch in der Verteilung von Dezernenten seinen Ausdruck findet“, sagt Recke. Das empfiehlt auch die sächsische Gemeindeordnung. „Gleichzeitig stehen wir für das Konzept der Expertenregierung. Das bedeutet für uns, dass weder parteipolitisches Kalkül noch parteiinterner Karrierismus entscheidend für die Wahlen von Exekutivfunktionen sein dürfen.“

Bei vergangenen Dezernatswahlen konnte die AfD keine Mehrheiten für ihre Kandidat*innen organisieren. Zudem hatte Oberbürgermeister Burkhard Jung erklärt, eine mögliche Wahl mit seinem Veto zu blockieren. In zwei Jahren – bei den nächsten Wahlen – wird er aus Altersgründen aber nicht mehr Oberbürgermeister sein.

Update: Die CDU-Fraktion beziehungsweise deren Sprecher können sich aktuell aufgrund von Urlaub nicht zur Frage äußern, ob sie eine Unterstützung für einen AfD-Dezernenten ausschließen. In einer vorherigen Fassung dieses Textes hieß es, dass die Fraktion eine Unterstützung nicht ausschließt. Diese Aussage basierte auf einem Missverständnis bezüglich folgender Frage und Antwort:

Frage an die CDU-Fraktion: Unter welchen Voraussetzungen würden Sie bei einer Dezernatswahl einen Kandidaten bzw. eine Kandidatin der AfD unterstützen? Was wären Ausschlusskriterien?

Antwort: Wir unterstützen grundsätzlich alle Beigeordneten-Kandidaten der CDU.