Verdeckte Aufnahmen enthüllen internationales rassistisches Netzwerk
Heimlich aufgenommene Videos zeigen, wie eine internationale Gruppe von Fanatikern pseudowissenschaftliche Rassentheorien massentauglich machen will. Mittendrin: ein Influencer aus dem Umfeld der AfD.
Der Mann, der von sich sagt, er wolle der nächste Führer werden, sitzt an einem Herbstabend bei einem Teller Fischsuppe in einem feinen Restaurant in Athen. »Meine Vision ist, eines Tages in Deutschland zur Wahl anzutreten – in Trump-Manier«, erzählt Erik Ahrens, der rechtsextreme Aktivist und AfD-nahe Social-Media-Experte, seinen beiden Gesprächspartnern. Ähnlich wie Ex-US-Präsident Donald Trump wolle er »eine populistische Bewegung rund um eine Person führen«. Das habe es in Deutschland »seit 100 Jahren« nicht mehr gegeben.
Vor 100 Jahren war Adolf Hitler Vorsitzender der NSDAP.
Um seinen Plan zu verwirklichen, brauche er Geld, führt Ahrens weiter aus. Ein internationales Netzwerk sei nötig, das »Einnahmen generiert« und am besten mehrere Standbeine habe. Ahrens vergleicht es mit einer Spinne: Wenn ein Bein wegfalle, gebe es noch genügend andere.
Immer wieder unterbricht Ahrens seinen Monolog. Offenbar sollen die Kellner, die am Tisch vorbeilaufen, von seinen Plänen nichts mitbekommen. Nur seine beiden Begleiter sollen sie hören, sein britischer Mitstreiter Matthew Frost und der zweite Mann, ein möglicher Investor für sein Projekt.
Was Ahrens nicht weiß: Das Abendessen wird gefilmt. Eine Kamera im Hemdknopf des potenziellen Investors nimmt alles auf, schon seit fast drei Stunden.
Der Gast, der sich als reicher Erbe mit rechtsextremen Ansichten ausgibt, ist in Wahrheit ein Aktivist der britischen Nichtregierungsorganisation »Hope Not Hate«. Die Gruppierung hat eine ganze Reihe von geheimen Treffen und Videocalls des Netzwerks mitgeschnitten, zu dem der deutsche Rechtsextremist Ahrens gehört. Das Material ging zunächst an den britischen »Guardian«, der SPIEGEL und der österreichische »Standard« beteiligten sich an der von der Londoner Zeitung geleiteten Recherche, auch ihnen liegt das Material vor.
Internationale der Rassisten
Die im Laufe des Jahres 2023 entstandenen Videos geben tiefe Einblicke in die Gedankenwelt von Ahrens und den Menschen, mit denen er versucht, ein weltweites Propagandanetzwerk aufzubauen, eine Internationale der Rassisten sozusagen. Einige von ihnen treten unter Pseudonym auf, Ahrens etwa nennt sich mitunter »Erik Schmitt«. In ihren Gesprächen und Texten argumentieren sie mit pseudowissenschaftlichen Thesen zu Genetik und Eugenik und zu vermeintlichen Unterschieden zwischen den »Rassen«.
Um ihre Ideen international zu verbreiten, hat das Netzwerk Ende 2022 in den USA eine Firma gegründet, die Human Diversity Foundation (HDF). Sie wurde im Bundesstaat Wyoming registriert, was einen Vorteil hat: Wegen der dortigen Gesetze können Eigentümer von Unternehmen vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben.
Die verdeckt aufgenommenen Videos bringen nun etwas Licht ins Dunkel. Demnach hat das Netzwerk zum Zeitpunkt der Aufnahmen wohl bereits einen potenten Geldgeber gefunden: den US-Multimillionär Andrew Conru aus Seattle, der einst mit Dating-Seiten wie »Adult Friend Finder« reich geworden ist. Laut der Videos soll er rund 1,3 Millionen Dollar in die HDF gesteckt haben.
In Deutschland ist Erik Ahrens damals eine zentrale Figur des Netzwerks. Der Aktivist, so behauptet zumindest dessen Mitstreiter Frost in einem der Gespräche, sei als »Director of Operations and Marketing« angeheuert worden.
Ahrens ist in rechtsextremen Kreisen wohlbekannt.
Der 30-Jährige gilt als derjenige, der den AfD-Politiker Maximilian Krah in sozialen Netzwerken groß gemacht hat. Ahrens schnitt Videos für TikTok, in denen der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl im Juni Sätze sagt wie »Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher« oder »Echte Männer sind rechts«. Sie wurden millionenfach aufgerufen.
Schnell galt Ahrens als »TikTok-Stratege« der Neuen Rechten und hielt Vorträge zu dem Thema im AfD-Umfeld. Auf TikTok könne man in die Gehirne von Millionen Jugendlichen »reinsenden«, schwärmte er beim Institut des rechtsextremen Verlegers Götz Kubitschek, einem Freund des AfD-Hardliners Björn Höcke. Großspurig verglich sich Ahrens mit Trumps Ex-Chefstrategen Steve Bannon.
Ahrens‘ Verbindungen zur AfD und sein Gespür für moderne Propaganda machen ihn offenkundig auch für seine internationalen Gesinnungsgenossen interessant. In einem der heimlich gefilmten Gespräche vom Oktober 2023 in London sagt Ahrens‘ Mitstreiter Frost, dass der Deutsche ein »big player« in der AfD sei, ein wichtiger Akteur.
Wenn die AfD in Deutschland weiterwachse, sagt Frost, dann wäre ein neuer Staat möglich, der unliebsame Migranten wie ein »Rausschmeißer im Nachtklub« behandelt. Ahrens selbst stellt sich bei einem verdeckt aufgenommenen Treffen in einem Segelklub an der Themse als »Consultant« der AfD vor, als einer ihrer Berater – was er heute auf Nachfrage nie gewesen sein will.
Als Vision nennt Ahrens in einem der Gespräche »Judaism for white christian people«. Es solle eine Art »Heimstätte« für weiße Menschen geben, ähnlich wie die Juden Israel als Rückzugsort hätten. Idealerweise könnte Deutschland diese »Heimstätte« sein, als Machtzentrum einer weltweiten Bewegung.
Rassentheorie vom Pseudoforscher
Für ihre größenwahnsinnigen Ideen haben die Netzwerker damals offenbar noch einen weiteren Gleichgesinnten auf ihrer Seite. An dem Abend in London berichtet Frost vom dänischen Rassentheoretiker Emil O. W. Kirkegaard. Er soll den Aufnahmen zufolge eine Art »Untergrund-Forschungszweig« des Netzwerks leiten. Vor wenigen Jahren hat er offenbar seinen Namen offiziell in William Engman ändern lassen, dieser taucht auch auf einem HDF-Dokument auf.
Der Linguist Kirkegaard vergleicht in pseudowissenschaftlichen Papieren etwa die Größe der Hoden von Schwarzen und Weißen oder den Intelligenzquotienten unter Einwanderern. Der Däne lebt wohl seit geraumer Zeit in Deutschland und soll sich länger auf dem Gelände des Landhauses Adlon in Potsdam aufgehalten haben. Auch Ahrens war dort häufig zu Besuch. Dass er im »Adlon« gelebt habe, bestreitet Kirkegaard auf Anfrage, sein Wohnsitz sei in Schleswig-Holstein.
Inzwischen kennt ganz Deutschland das Gästehaus in Brandenburg. Dort trafen sich heimlich Politiker von AfD und der CDU-nahen WerteUnion mit rechtsextremen Aktivisten und Unternehmern und sprachen unter anderem über massenhafte »Remigration« aus Deutschland, wie das Medium »Correctiv« im Januar enthüllt hat. Neben dem Kopf der »Identitären Bewegung«, dem Österreicher Martin Sellner, nahm auch Ahrens an dem Treffen teil.
Seit Jahren vernetzt sich Ahrens mit den Völkischen in der AfD, ihrer Nachwuchsorganisation Junge Alternative und ihrem Umfeld. In einem Buch im Kubitschek-Verlag rief er das Ende der liberalen Epoche aus. Im Netz betreibt er eine Art rechtsextremes »Blinkist«, also eine Plattform, auf der völkische Bücher zusammengefasst werden.
Er leitete außerdem das aus der »Identitären Bewegung« entstandene Projekt »GegenUni«. Rechtsextremes Gedankengut wurde auf einer eigenen Internetseite vermeintlich seriös aufbereitet, um es unter Studierenden zu verbreiten. Hochrangige AfD-Leute wie die heutigen Bundesvorstände Hannes Gnauck und Dennis Hohloch waren in das Projekt involviert.
Erst seit wenigen Wochen gehen AfD und »Identitäre Bewegung« auf Abstand zu Ahrens. Der hatte im Netz dazu aufgerufen, Videos von Mädchen zu fälschen, damit es so aussieht, als würden sie zu einem AfD-Song tanzen. Das ging selbst manchen Mitstreitern zu weit, Ahrens wiederum wirft den Neurechten inzwischen vor, zu soft zu sein.
Im Visier des Verfassungsschutzes
Der Verfassungsschutz Brandenburg hält die Distanzierungen für wenig überzeugend. Ahrens »war und ist mit Teilen der AfD, der Jungen Alternative, der ›Identitären Bewegung‹ und weiteren rechtsextremistischen Akteuren persönlich bekannt sowie vernetzt«, sagt Landesverfassungsschutzchef Jörg Müller. »Aufgrund seiner hohen Reichweite in den sozialen Netzwerken und seiner erheblichen Selbstradikalisierung schätzen wir die von ihm ausgehende Gefahr – insbesondere mit Blick auf junge Menschen – als überaus hoch ein.«
Tatsächlich versucht Ahrens seit Wochen, seine Reichweite in den sozialen Netzwerken durch gezielte Provokationen weiter zu erhöhen. Bei der AfD und in ihrem Vorfeld ist das einigen recht. Sie hoffen, dass ihre Partei im Vergleich zu Ahrens‘ neonazistischem Gerede weniger radikal wirkt.
Inzwischen fordert Ahrens offen, dass Völker »genetisch verstanden« werden müssten, und propagiert eine Rückkehr der »Rassenkunde«. Er wolle »weltanschaulich eine Bewegung starten«, die »grundlegend das Volk verändert«, sagt er in einem Video auf der Plattform X.
Ende Oktober 2023 stellen Ahrens und der Brite Frost ihre Visionen in einem internen Videocall vor. Auf der anderen Seite sitzt jener Mann, von dem sie hoffen, dass er bei ihnen investieren würde, der sie aber tatsächlich ausforscht.
Sie präsentieren ihm den groben Aufbau einer weiteren Organisation, auf die sie hinarbeiten: das »Neo-Byzantium«. Sie würden den Vorstand bilden, darunter solle es einen »inner circle« geben, dann den »outer circle«, ganz unten die breite Öffentlichkeit. In den »engsten Kreis« werde man nur per Einladung Zutritt haben, dort solle sich »die Elite« versammeln. Gedacht ist wohl vor allem an Männer. Diese sollten nicht nur ideologisch geformt sein, sondern auch entsprechende physische Voraussetzungen erfüllen. In exklusiven »privaten Strategiecamps« würden sie die Bewegung voranbringen.
Einen guten Monat später, beim Abendessen in Griechenland, sagt Ahrens dann genauer, was er offenbar meint. »Stell dir vor, 50 Jungs«, erzählt er. »Boxen, Schießen.« Es gebe Gruppen, an denen er sich orientieren wolle, etwa an der »Jungen Tat«, einer Neonazi-Aktivistengruppe aus der Schweiz, die auch Kampfsport betreibt. Er zeigt ein Video von einem Boxtraining auf einer Wiese.
Persönlich vernetzt sei er mit den »Swabians«, sagt Ahrens auf Englisch, »das sind meine Freunde«. Er meint offenbar die »Wackren Schwaben« , eine Absplitterung der »Identitären Bewegung«. Als Frost scherzhaft von »einer Art identitären Antifa« spricht, korrigiert Ahrens: »Nicht Antifa, nur Fa«, also Faschisten. Sie hätten mit ihren Aktionen ein Flüchtlingsheim verhindert, erklärt er stolz.
In seiner Gruppe wolle er keine »normalen Leute«, sondern nur »die Besten«, sagt Ahrens und zieht einen Vergleich zur SS, der Hitler treu ergebenen Nazi-Mörderbande. »Die SS war die Elite«, schwärmt Ahrens, im Gegensatz zur SA, Hitlers »Sturmabteilung«, für die er offenbar wenig übrighat.
Er wolle jetzt »all-in« gehen und sich voll und ganz der Sache verschreiben, redet sich der rechtsextreme Aktivist in Rage: »Wir leben jetzt für die Rasse.«
Finanzierung eingestellt
Doch aus den Plänen wird anscheinend erst mal nichts. Ein Geldgeber des Netzwerks will sich nun zurückziehen, auch ein weiterer Mitstreiter geht auf Distanz.
Der US-Multimillionär Andrew Conru erklärt auf Anfrage über einen Anwalt, er habe aufgrund der Recherchen »die Beziehungen zur Human Diversity Foundation abgebrochen, seine Finanzierung eingestellt« und wolle nun all seine Spenden auch an andere Organisationen überprüfen. Zu Beginn habe er bei der Finanzierung der HDF geholfen, um »unabhängige Forschung« zu unterstützen, aber die Verbindung zu Ahrens zeige, wie weit die HDF von ihrer Gründungsidee abgewichen sei. Er selbst habe Ahrens nie getroffen und lehne Rassismus und Diskriminierung ab.
Der dänische Rassentheoretiker Kirkegaard lässt wissen, dass weder er noch die Human Diversity Foundation etwas mit Politik oder Parteien zu tun hätten. Die Werte der HDF seien »die der Aufklärung«. Den Posten »Director of Marketing« gebe es dort nicht.
Der Brite Frost teilt mit, er habe inzwischen keine Verbindung mehr zur HDF. Mit Ahrens habe er ein davon unabhängiges Projekt vorantreiben wollen, das »Neo-Byzantium«, das er als eine Art »gentlemen’s club« bezeichnet. Nachdem ihm Ahrens‘ Ansichten bewusst geworden seien, habe er bereits vor Monaten die Zusammenarbeit beendet. Mit rechtsextremer Ideologie habe er nichts zu tun.
Rechtsextremist Ahrens schreibt auf Anfrage, er sei nie bei der HDF angestellt gewesen. Statt das »Neo-Byzantium« mit der SS zu vergleichen, so Ahrens, hätte er auch andere Beispiele von »elitären Gruppen« in der Geschichte wählen können, »elitär ist ein wertfreier Begriff«. Das Vorhaben sei inzwischen gescheitert.