Telegram, TikTok und Straßenproteste: So organisiert sich die rechte Szene in Nordsachsen

Nordsachsen gerät derzeit in den Fokus rechter Mobilisierungen. So etwa in Torgau, wo es Streit um eine geplante Flüchtlingsunterkunft gibt. Hinter den Demos stehen oft bekannte Gesichter der rechtsextremen Szene, wie ehemalige NPD-Funktionäre. Welche Rolle AfD, Freie Sachsen und soziale Medien dabei spielen.

Seit Wochen beschäftigt Torgau der Streit um eine geplante Unterkunft für Geflüchtete im Brauhof. Am 28. Oktober erläuterten Vertreter des Landratsamtes bei einer Bürgerversammlung, warum sie die leerstehende Immobilie nach wie vor für geeignet halten. Während im Kulturhaus Bürger und Behördenvertreter diskutierten, fanden sich vor dem Gebäude einige Demonstranten ein. Darunter auch Jugendliche, die teils mit Schlauchschals vermummt waren. Darauf zu erkennen war das Symbol der „Jungen Alternative“, der Jugendorganisation der AfD. Mit einem Pavillon und Parteiwerbung positionierten sich außerdem die Freien Sachsen vor dem Kulturhaus.

Beide Parteien – AfD und Freie Sachsen – haben in den vergangenen Wochen gegen die Errichtung einer Asylunterkunft in Torgau mobil gemacht: Zunächst war es die AfD, die im September eine erste Versammlung mit 220 Teilnehmenden organisierte. In den Folgewochen setzten sich derartige Demonstrationen fort, mit wechselnden Veranstaltern. So waren es am 15. Oktober die Freien Sachsen, die gut zwei Dutzend Menschen gegen die Errichtung einer Asylunterkunft im Torgauer Zentrum auf die Straße brachten. Die rechtsextreme Partei tritt in der Region nicht zum ersten Mal als Organisator von Straßenprotesten auf. Wer steckt hinter den Aktionen der Freien Sachsen im Landkreis Nordsachsen?

Freie Sachsen: Auffangbecken für Ex-NPD-Politiker

Ein Redner der Versammlung am 15. Oktober in Torgau war Paul Rzehaczek von den Freien Sachsen. Er erzählte davon, wie er durch Protest ein Asylheim in den ehemaligen Eilenburger Chemiewerken verhinderte. Auch für die Demonstrationen gegen die Corona-Politik fand er lobende Worte. Der Protest hat für ihn aber noch eine weitere Funktion: „Es bilden sich Gemeinschaften durch Protest, man lernt neue Leute kennen, Gleichgesinnte.“ Der ehemalige Politiker versuchte sich auf dem Torgauer Marktplatz moderat auszudrücken. Lediglich als er über Maja T. sprach, eine linke Aktivistin aus Jena, die wegen Angriffen auf Neonazis in Ungarn inhaftiert ist, wird Rzehaczeks Wortwahl extremer und er fordert: „Diesen Kreaturen müssen wir konsequent entgegentreten!“

Rzehaczek war zuvor in der NPD aktiv, für die er bis 2017 im Eilenburger Stadtrat saß. Von 2019 bis 2022 fungierte er als Vorsitzender der NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN). Die Kontinuität zwischen NPD und Freien Sachsen ist kein Einzelfall: Stefan Trautmann, Anmelder der Kundgebung am 15. Oktober, weist eine ähnliche politische Biografie auf. Bis 2019 saß er für die NPD im Stadtrat von Döbeln. Trautmann gibt sich keine Mühe, sich von seiner Zeit bei der NPD zu distanzieren. Am Montag trug er bei der Aktion der Freien Sachsen vor dem Kulturhaus Torgau einen Kapuzenpullover, auf dem das Logo der NPD-Jugend JN zu sehen war.

Neben den ehemaligen NPD-Kadern Rzehachek und Trautmann trat in Torgau am 15. Oktober eine weitere Protagonistin auf: Uta Hesse, ebenfalls Freie Sachsen. Zu Gunsten Hesses verzichtete die AfD bei der Landratswahl 2022 freiwillig auf einen eigenen Kandidaten in Nordsachsen. Immerhin 20 Prozent der Wähler machten damals ihr Kreuz bei Hesse und ihrer Partei. Anders als Rzehaczek und Trautmann hat sie ihre politischen Wurzeln nicht in der NPD. Laut ihrer eigenen Aussage veranstaltete sie 2021 zunächst eigenständig Kundgebungen gegen die Corona-Politik, ehe die Freien Sachsen ihr die Kandidatur für die Landratswahl anboten. Seitdem ist sie eine wichtige Figur der Partei in Nordsachsen.

Wie sich in Sachsen ein rechtes Protestmilieu entwickelte

Wer den Telegram-Kanal von Uta Hesse besucht, bekommt zunächst einen Einblick in den Berufsalltag einer privaten Hebamme mit esoterischem Einschlag: Als „Geburtshüterin Uta“ bewirbt die rechte Kommunalpolitikerin eine Eltern-Kind-Spielstunde oder eine „Seelenmeditation“. Als Hebamme teilt sie ihre Freude über eine neue Geburt: „Die Niederkunft eines neuen Lichtwesens … Dankeschön Universum.“ Hesse verbindet esoterische Vorstellungen mit Verschwörungserzählungen und macht gegen die von ihr so bezeichnete „geisteskranke Impferei“ mobil. Was verbindet die Esoterikerin mit bekannten Neonazis wie Trautmann oder Rzehaczek?

Marie Künne von der Amadeu-Antonio-Stiftung beschäftigt sich mit den rechten Straßenprotesten in Nordsachsen. Nach ihrer Einschätzung waren Verschwörungserzählungen und antidemokratische Tendenzen bereits während der Proteste gegen die Corona-Politik präsent. Im Zuge der Demonstrationen der Jahre 2020 und 2021 gründete sich die Freien Sachsen und spielten bald eine zentrale Rolle. So seien Impfungen als „gezielte Massentötungen“ bezeichnet worden.

Auch Holocaustrelativierungen und rassistische Hetze wurden in einigen Telegram-Gruppen geteilt. Zwischen den Versammlungen gegen die Corona-Politik und rechten Mobilisierungen der Folgejahre sieht Künne eine Verbindung. Über den Messenger-Dienst Telegram organisierten sich die Teilnehmer während der Pandemie in lokalen Gruppen wie „Eilenburg steht auf“, „Freiheitsboten Nordsachsen“ oder „Oschatz lebt“ sei Teil davon. Nach Einschätzung Künnes spielt diese Vernetzung noch heute eine Rolle: „Ein Teil der Telegram-Gruppen ist erhalten geblieben und dient heute noch als Forum zur Organisation und Kommunikation.“

Gerade jüngere Rechte nutzen neben Telegram auch TikTok, wie ein aktuelles Beispiel aus Torgau zeigt. Für die jüngsten asylfeindlichen Demonstrationen in der Stadt mobilisierte auch die „Torgauer Jugend“. In einem ihrer Beiträge posieren die teils vermummten Jugendliche im Innenhof von Schloss Hartenfels. Zu sehen ist ihr Erkennungszeichen: eine schwarze Fahne, auf der „Widerstand Torgau“ steht. Andere ihrer Beiträge zeigen Demonstrationen gegen die geplante Asylunterkunft. Dutzende Jugendliche, einige vermummt, führen den Zug unter der Fahne des „Widerstand Torgau“ an. Ein solcher Beitrag der Torgauer Jugend erreicht 77.000 Likes, ein anderer 36.000. Als wichtigster Akteur in der unübersichtlichen rechten Protestlandschaft haben sich heute aber die Freien Sachsen etabliert.

Die Freien Sachsen als rechte Protest- und Sammelbewegung

„Mit Gründung der Partei 2021 hat sich die sachsenweite Organisation der ‚Anti-Regierungsproteste‘ stark auf die Telegram-Gruppen der Freien Sachsen verschoben“, sagt Marie Künne. Diese seien nach Landkreisen gegliedert, für die Versammlungen in Torgau mobilisiert etwa der Telegram-Kanal „Freie Sachsen Nordsachsen“. Nachdem die Partei zunächst „Spaziergänge“ gegen die Corona-Politik bewarb, veranstaltete und die Teilnehmer vernetzte, bedient sie laut Künne nun andere Themen: „Aus den Corona-Protesten sind die Montagsspaziergänge, die Energie-Proteste und die ‚Friedensproteste‘ geworden. Heute sind es vor allem asylfeindliche Demonstrationen.“