Die internationale Solidarität ist nicht mit Antisemitismus zu vereinbaren

Veröffentlicht am 7. Oktober 2024 auf L’Humanité (1) im Rahmen einer Reihe von Debattenbeiträgen zu Israel, Palästina, Nahost und dem 7. Oktober. Diese Übersetzung des Textes des Golem Kollektivs (2) ins Deutsche erfolgte durch Bonustracks.

Am 7. Oktober 2023 hätten die von der Hamas in Israel verübten Morde und Vergewaltigungen eine einhellige und bedingungslose Verurteilung auf der Linken hervorrufen müssen. Doch mehrere Organisationen und Aktivisten schlugen einen anderen Weg ein, begrüßten die Taten als „Sieg des palästinensischen Widerstands“ und riefen dazu auf, „die Offensive der Hamas“ zu unterstützen.

Diese Stimmen, die Rand- und Minderheitsstimmen hätten bleiben können, fanden sich im Zentrum der Debatte innerhalb der Linken wieder, die sich als unfähig erwies, sich ihnen entgegenzustellen. Aus Selbstgefälligkeit oder Passivität hat unsere politische Familie zugelassen, dass reaktionäre und antisemitische Organisationen die Führung der Solidaritätsbewegung mit Palästina übernommen haben, zum Preis von schwerwiegenden Konsequenzen.

Diese Organisationen sind weit davon entfernt, eine politische Lösung oder einen dauerhaften Frieden zu unterstützen, sondern befürworten die Zerstörung Israels durch den bewaffneten palästinensischen Widerstand ohne Rücksicht auf zivile Leben – sowohl israelische als auch palästinensische und libanesische -, die zur Erreichung dieses Ziels geopfert werden. Unter ihnen gibt es Gruppen, die jeden friedlichen Dialog ablehnen und die Bemühungen palästinensischer und israelischer Aktivisten, die sich vor Ort für Frieden, Gerechtigkeit, gegen Rassismus und für jüdisch-arabische Verständigung und Solidarität einsetzen, als „Unternehmung zur Normalisierung des Völkermords“ bezeichnen.

In diesem Zusammenhang hat ein Teil der Linken nicht nur den Kampf für den Frieden verraten und ihre Pflicht zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk verletzt, sondern auch bei der Bekämpfung des Antisemitismus in Frankreich versagt. Seit den Ereignissen vom 7. Oktober ist eine Welle antisemitischer Akte durch das Land geschwappt.

Die antisemitische Vergewaltigung in Courbevoie oder der Anschlag auf eine Synagoge in La Grande-Motte wurden von den Tätern als Unterstützung des palästinensischen Volkes gerechtfertigt. Die Linke legitimiert dieses Narrativ, indem sie die Zunahme des Antisemitismus als logische Folge der kriminellen Politik der israelischen Regierung betrachtet. Intellektuelle Faulheit, die es vermeidet, die Diskurse und Kräfte zu analysieren, die in Frankreich einen antisemitischen Diskurs verbreiten und den Übergang zur Tat ermöglichen. Verleugnung der Durchlässigkeit der Solidaritätsbewegung mit dem „bewaffneten palästinensischen Widerstand“, die die Linke unterstützt hat, für den Antisemitismus.

Noch schlimmer ist, dass einige Figuren der Partei „La France insoumise“ [FI] die Realität des Antisemitismus leugnen, der von Jean-Luc Mélenchon als „Restbestand“ bezeichnet wird. Diese Leugnung geht einher mit einem vom Führer der FI vorgetragenen Verschwörungsdiskurs, demzufolge der Antisemitismusvorwurf ein „Paralysierungspfeil“ sei, um die Linke daran zu hindern, an die Macht zu kommen.

Angesichts dieser doppelten Niederlage ist es noch Zeit, aufzuwachen. Es ist dringend notwendig, eine echte internationale Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Volk für den Frieden und eine politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts neu aufzubauen. Dazu ist es zwingend notwendig, Organisationen, die den Krieg unterstützen und einen antisemitischen Diskurs in Frankreich führen, nicht länger das Wort zu überlassen. Ohne diese Einsicht läuft die Linke Gefahr, zum Komplizen der rechtsextremen Kräfte zu werden, die den Nahen Osten verwüsten, und einen zunehmenden Antisemitismus im Land zu schüren.

Fussnoten der deutschen Übersetzung

Das französische Original findet sich hier

https://www.humanite.fr/en-debat/antisemitisme/un-an-apres-le-7-octobre-2023-des-voix-pour-la-paix-au-proche-orient-la-solidarite-internationale-nest-pas-compatible-avec-lantisemitisme-2

2. Das Golem Kollektiv ist ein Zusammenschluss französischer Juden, das verschiedene Aktionen, u.a. gegen die Vereinnahmung der Antisemitismus Debatte durch die französische Rechte durchgeführt hat und immer wieder mit Debattenbeiträgen in die linken Diskurse eingreift.