Amtsgericht wendet Leipzigs Mietspiegel wieder an

Ein neues Urteil verbessert die Aussichten für Haushalte, die eine Mieterhöhung nicht akzeptieren wollen. Zwar hat die Entscheidung keine verbindliche Wirkung. Doch sie markiert eine Tendenz für den Umgang mit dem Leipziger Mietspiegel.

Im Ringen um den Leipziger Mietspiegel gibt es neue Entwicklungen. Am Amtsgericht in der Bernhard-Göring-Straße wurde ein Urteil gefällt, das dieses höchst umstrittene Dokument nun doch für eine Entscheidung genutzt hat. Dem Vernehmen nach ging es in dem Fall um eine Mieterhöhung für eine Wohnung in Schönefeld-Abtnaundorf, die zwar noch in der Spanne des Mietspiegels lag, dort aber den obersten Bereich anpeilte. Die Richterin wies das Verlangen des privaten Eigentümers nach so einer Erhöhung zurück.

Von allgemeinem Interesse ist der Fall, weil bei der Entscheidung der aktuelle Leipziger „Mietspiegel 2022″ überhaupt verwendet wurde. Am Leipziger Amtsgericht sind zehn Mietrichterinnen und Mietrichter tätig. Viele hatten dieses Dokument zuletzt gar nicht mehr beachtet, weil es nach ihrer Einschätzung von der Stadt Leipzig fehlerhaft erstellt worden war. In der Praxis verschlechterte das die Position der Mieterhaushalte deutlich.

Klagewelle bei Immobilienkonzern BCRE

Zum Beispiel verschickte der Immobilienkonzern BCRE in etlichen Fällen Mieterhöhungen, die sich auf drei Vergleichswohnungen beriefen und sogar noch über die Spanne hinaus gingen, die der Mietspiegel grundsätzlich erlaubt. Gegen eine dreistellige Zahl von Leipziger Haushalten reichte BCRE Klagen ein, um die Preisanhebungen durchzusetzen. Normal wären solche Klagen abgelehnt worden, wenn das Gericht der Meinung ist, dass Leipzig einen fehlerfreien Mietspiegel hat. Dafür muss er nach wissenschaftlichen Kriterien erstellt worden sein, was in der Fachsprache „qualifiziert“ genannt wird.

Doch verschiedene Richter in der Bernhard-Göring-Straße sahen es so, dass der Stadt Leipzig schwere Fehler beim Erstellen des Mietspiegels unterlaufen waren. Deshalb wendeten sie den „Mietspiegel 2022″ in ihren Prozessen nicht an. Stattdessen schlugen sie vor, ein Fachgutachten zu dem jeweiligen Fall einzuholen. Solche Gutachten kosten mindestens 3000 Euro. Bezahlen muss die Summe, wer den Prozess verliert.

Vielen Betroffenen war das Risiko dabei zu groß, berichtet Anke Matejka, die Chefin des hiesigen Mietervereins. „Seit Monaten sehen sich viele Leipziger mit überhöhten Mietforderungen konfrontiert und sind verunsichert, wie sie damit umgehen sollen“, sagt sie. „Zahlreiche Immobilienunternehmen nutzen diese Unsicherheit und den angespannten Wohnungsmarkt aus, um eine aggressive Mietpreispolitik jenseits des Mietspiegels zu fahren.“

Mieterverein freut sich über Entscheidung

Mit der aktuellen Entscheidung (Aktenzeichen 131 C 2402/24) sei nun ein Urteil ergangen, das den Mietspiegel und damit auch die Rechte der Mieter stärkt, so Matejka. Der private Eigentümer in diesem Fall sei jedoch nicht BCRE gewesen. Die Juristin zitierte aus dem Urteil. Demnach ist der Leipziger Mietspiegel 2022 „nach wissenschaftlichen Erwägungen erstellt und beruht auf einer großen Datenlage und kann damit unabhängig von der Qualifizierung als Schätzgrundlage für die ortsübliche Miete herangezogen werden.“ Damit würden dann kostspielige Gutachten entfallen. In jedem Fall sollten Betroffene Mieterhöhungen genau prüfen, empfahl sie.

Laut Amtsgerichtssprecher Alexander Länge entfalten die Urteile der einzelnen Juristen keine Vorbildwirkung auf andere Fälle. Das heißt: Trotzdem könnte eine andere Richterin in einem anderen Prozess bald wieder auf den Mietspiegel 2022 ganz verzichten. Nach LVZ-Informationen hat eine weitere Richterin in einem anderen Mietrechtsstreit aber jüngst schon angekündigt, sie wolle ebenfalls auf Grundlage des aktuellen Mietspiegels schätzen, ob eine Mieterhöhung für eine Wohnung in Gohlis rechtmäßig war. Auch hier lag der Erhöhungsbetrag noch innerhalb der Mietspiegel-Spanne. Das Urteil wird für November erwartet.

Keine Vorbildwirkung bei Mietspiegel

Wieder deutlich mehr Rechtssicherheit könnten die etwa 85 Prozent Mieterhaushalte in Leipzig nach Ansicht von Fachleuten nicht auf juristischem Weg erlangen. So sagt Professor Ulf Börstinghaus aus Gelsenkirchen: „Es gibt keine Möglichkeit, einen Mietspiegel gerichtlich für wirksam oder unwirksam erklären zu lassen. Jeder Mietrichter muss für sich entscheiden, ob er den Mietspiegel anwendet oder nicht.“ Am 1. Oktober 2024 will die Stadt Leipzig jedoch eine neue Datenerhebung für den nächsten Leipziger „Mietspiegel 2024″ starten. Dieser soll im Juni 2025 in Kraft gesetzt werden. Falls das fehlerfrei (also „qualifiziert“) gelingt, wäre der neue Mietspiegel dann wieder alleiniger Maßstab für alle Mieterhöhungen in Leipzig.