Ein Lehrer aus Olbernhau kandidiert für die rechtsextremen „Freien Sachsen“
Holger Gretsch-Kaufmann ist Lehrer in Olbernhau und kandidiert für den Kreistag – auf der Liste der rechtsextremen „Freien Sachsen“. Ist das mit seinem Beruf als Lehrer vereinbar?“
Olbernhau.Als Holger Gretsch-Kaufmann ans Telefon geht, ahnt er bereits, worum es geht. Er habe nur kurz Zeit, sagt er, müsse zurück in den Unterricht. Zu seinen Kindern, die bei ihm Rechnen, Lesen und Schreiben lernen. Eine einfache, schnelle Antwort aber wird es bei diesem Thema nicht geben: Gretsch-Kaufmann kandidiert für die rechtsextreme Partei „Freie Sachsen“. Wie passt das mit seiner Arbeit als Lehrer zusammen?
Am Telefon macht Gretsch-Kaufmann einen freundlichen Eindruck, als Lehrer gilt er als beliebt bei Eltern und Schülern. Was er von Journalisten hält, daran lässt er keinen Zweifel: „Diese Presseanfrage zeigt, wie schlimm es um die Meinungsfreiheit in unserem Land steht“, sagt er. „Offenbar soll skandalisiert werden, dass ein beliebter Lehrer für die ‚Freien Sachsen‘ kandidiert.“
Der Verfassungsschutz Sachsen stuft die „Freien Sachsen“ als verfassungsfeindlich ein. Die Partei wolle mit ihrer Agenda „auf subtile Art und Weise in immer weitere Teile der gesellschaftlichen Mitte“ einsickern. Die Partei hält nicht nur wenig von der freiheitlich demokratischen Grundordnung, sie fordert auch Sachsens Austritt aus der Bundesrepublik und hetzt gegen Migranten.
Holger Gretsch-Kaufmann, 56, arbeitet seit Sommer 2018 als nicht verbeamteter Lehrer. Er unterrichtete an zwei Schulen in Chemnitz und an einer in Venusberg. Seit Februar 2024 ist er an der Goethe-Grundschule in Olbernhau.
Staatsdiener kämpft gegen angeblich übergriffigen Staat
Bei den „Freien Sachsen“ ist Gretsch-Kaufmann mehr als einfaches Parteimitglied. 2022 trat er in die Partei ein, bis zu seinem Umzug engagierte er sich im Vorstand des Chemnitzer Kreisverbandes. Er sagt: „Grundsätzlich stehe ich für eine Gesellschaft, in der die Freiheitsrechte der Bürger gegen den übergriffigen Staat verteidigt werden.“ Ein Angestellter des Staates, der gegen eben diesen Staat Stimmung macht – einen Konflikt sieht Gretsch-Kaufmann nicht. Mit „Blick auf den gesunden Menschenverstand und auf arbeitsrechtliche Belange“ spiele sein politisches Engagement und seine Gesinnung im Unterricht keine Rolle. Das Verhalten in der Schule ist rechtlich der ausschlaggebende Punkt.
Vor 50 Jahren drohten klare Konsequenzen
Deshalb hat auch das Kultusministeriums gegen seine Kandidatur nichts einzuwenden. „Lehrkräfte dürfen sich politisch engagieren, auch für die Partei ‚Freie Sachsen‘“, sagt Sprecher Dirk Reelfs. Es spiele keine Rolle, dass die Partei verfassungsfeindlich ist. Solange sich der Lehrer hinsichtlich seiner Gesinnung an der Schule nichts zuschulden kommen lasse, habe er keine Konsequenzen zu befürchten.
Lange Zeit wurde das anders gehandhabt. Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden in der Bundesrepublik millionenfach auf ihre Verfassungstreue geprüft. Die Grundlage war der 1972 beschlossene Radikalenerlass: Wer „verfassungsfeindlichen Aktivitäten“ nachging oder Mitglied von verfassungsfeindlichen Organisationen war, wurde aus dem Staatsdienst entfernt. Hintergrund war die Ende der 1960er-Jahre erstarkte außerparlamentarische Opposition. Der Erlass richtete sich meistens gegen Linke und wurde bald als Berufsverbot für Oppositionelle gesehen; in den 1980er-Jahren verabschiedeten sich die Länder nach und nach von dieser Praxis.
Schulleiter sieht kein Fehlverhalten seines Kollegen
Heute gilt lediglich: „Jeder Beschäftigte im öffentlichen Dienst muss sich durch sein Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen“, sagt Clemens Arndt, Sprecher des Landesamtes für Schule und Bildung. Äußert sich ein Lehrer verfassungsfeindlich, müsse er mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechnen.
Rico Büschel, Leiter der Goethe-Grundschule, weiß von Gretsch-Kaufmanns Kandidatur für die „Freien Sachsen“. Seine Aufgaben als Lehrer erfülle er aber ordentlich, sagt Büschel, seine politischen Ansichten seien im Unterricht kein Thema. Wie die Schule das gewährleistet? Man können natürlich nicht jede Schulstunde mitverfolgen, sagt Büschel, letztlich sei man also auf Hinweise von Schülern, Eltern und Lehrern angewiesen. „Es wurde bisher aber nichts an mich herangetragen.“