Demonstration ein Jahr nach „Tag X“: „Kein Vergeben und kein Vergessen“
Ein Jahr nach dem umstrittenen Polizeikessel: Zum Jahrestag des sogenannten „Tag X“ in Leipzig demonstrierten rund 400 Menschen für eine Aufarbeitung der Ereignisse. Mehrere Bündnisse riefen dazu auf.
Ein Jahr nach dem sogenannten „Tag X“ in Leipzig versammelten sich am Montag rund 400 Menschen vor dem Neuen Rathaus, um zu demonstrieren. Der Demonstrationszug führte die Karl-Liebknecht-Straße entlang, über den Alexis-Schumann-Platz bis zum Wiedebachplatz. Mehrere Bündnisse hatten dazu aufgerufen, darunter die Initiative „Leipzig nimmt Platz“, die „Omas gegen Rechts“ und die Jugendorganisation „Young Struggle“. Laut Polizei kam es zu keinen Zwischenfällen.
Unter dem Motto „Unsere Solidarität gegen ihre Repression“ forderten mehrere Rednerinnen und Redner eine Aufarbeitung des Polizeieinsatzes vom 3. Juni 2023. Die SPD-Politikerin Irena Rudolph-Kokot leitete die Demonstration ein und betonte, dass es Unterschiede zwischen den anwesenden Gruppen gibt: „Aber heute eint uns die Wut auf die Repression, die wir erleiden mussten.“ Eine Sprecherin der „Omas gegen Rechts“ sagte:
„Auch heute, ein Jahr danach, gibt es kein Vergeben und kein Vergessen von unserer Seite.“ Sie forderte eine Aufarbeitung und Entschuldigung und hob die psychischen Folgen für die Betroffenen des Polizeieinsatzes hervor: „Viele von euch konnten über Wochen nicht zur Schule oder zur Uni gehen. Viele von euch mussten danach in Therapie gehen“, sagte sie.
Die Hintergründe: Das geschah am „Tag X“
Am 3. Juni 2023 war eine Demo in der Leipziger Südvorstadt verboten worden, am Nachmittag kam es zu Ausschreitungen und einer umfangreichen Polizeimaßnahme. Im Fokus der Kritik steht der umstrittene Polizeikessel. Einsatzkräfte hielten mehr als 1000 Menschen auf dem Alexis-Schumann-Platz über etliche Stunden fest. Irena Rudolph-Kokot sprach von menschenunwürdigen Bedingungen. Zugang zu Nahrung, Wasser oder Toiletten hätten die Menschen im Kessel nicht gehabt. Der sozialistische Jugendverband „Falken Leipzig“ kritisierte insbesondere die Einkesselung zahlreicher Minderjähriger.
„Bis heute ist der Kessel vom 3. Juni 2023 in Leipzig nicht hinreichend aufgeklärt und Menschen werden weiter verfolgt, Anzeigen gegen Verantwortliche abgebügelt, Verantwortlichkeiten hin- und hergeschoben“, so Rudolph-Kokot in einer Mitteilung. Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte die Einsatzführung der Polizei im Nachgang als „die verhältnismäßigste Möglichkeit“ verteidigt, eine Scherbendemo zu verhindern.
Gewalt nach Demo-Auflösung – Polizei räumt Fehler ein
Auslöser für die innerhalb der linken Szene als „Tag X“ bezeichneten Ereignisse am 3. Juni 2023 war die Verurteilung der Leipziger Studentin Lina E. wegen linksextremer Straftaten und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung Ende Mai 2023. Bundesweit wurde daraufhin eine linke Großdemonstration in Leipzig beworben – die von der Stadt Leipzig schließlich untersagt wurde. Am Nachmittag des 3. Juni versammelten sich dann mehrere Hundert Menschen auf dem Alexis-Schumann-Platz in der Leipziger Südvorstadt, um gegen dieses Verbot zu demonstrieren.
Die Polizei ließ den angemeldeten Protest kurz nach Beginn auflösen und den Platz umstellen. Einige Personen in der Menge vermummten sich, versuchten auszubrechen und warfen Steine und Brandsätze in Richtung der Beamtinnen und Beamten. Die Polizei kesselte daraufhin mehr als 1000 Personen ein – und ließ sie über etwa elf Stunden bis zum nächsten Morgen auf dem Platz ausharren. In der Folge waren Hunderte Strafverfahren unter anderem wegen Landfriedensbruch eröffnet worden. Leipzigs Polizeipräsident René Demmler räumte später Fehler beim Zustandekommen des Kessels und bei der Versorgung der Eingekesselten ein.